Wissenschaft unter politischem Vorbehalt: Wie Trumps „Gold-Standard“ die Axt an die Wurzeln der Erkenntnis legt

Illustration: KI-generiert

Es ist ein Begriff von strahlender, beinahe unangreifbarer Autorität: „gold-standard science“. Wer könnte etwas gegen ein solches Versprechen einzuwenden haben? Es evoziert Bilder von makelloser Objektivität, von unumstößlichen Fakten und einer Wissenschaft, die dem reinen Streben nach Wahrheit verpflichtet ist. Genau mit diesem schillernden Banner wirbt die Trump-Administration für eine ihrer weitreichendsten Initiativen. Doch was, wenn dieses Gold nur Katzengold ist? Was, wenn die glänzende Fassade einen Mechanismus verbirgt, der nicht darauf abzielt, die Wissenschaft zu stärken, sondern sie zu unterwerfen?

Tausende von Wissenschaftlern, Forschern und Medizinern im ganzen Land schlagen Alarm. Sie sehen in der Executive Order vom 23. Mai 2025 nicht die Wiederherstellung wissenschaftlicher Tugenden, sondern einen präzise orchestrierten Angriff auf die Unabhängigkeit der Forschung. Ihre Befürchtung ist so fundamental wie beunruhigend: Hier wird die Sprache der Wissenschaft gekapert, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren – ein politisches Instrument, um unliebsame Erkenntnisse zu neutralisieren und politische Agenden über evidenzbasierte Fakten zu stellen. Die These, die sich aus den internen Vorgängen und den erschütterten Reaktionen der Fachwelt formt, ist klar und drastisch: Unter dem Deckmantel der Integrität wird ein System etabliert, das die systematische Erzeugung von Zweifel zur Regierungsmethode erhebt und damit die Grundpfeiler der modernen Wissensgesellschaft ins Wanken bringt. Es ist die schleichende Erosion einer fundamentalen Säule der Demokratie, die sich vor unser aller Augen vollzieht.

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Die Architektur der Kontrolle – Wie ein Ideal zur Waffe wird

Auf den ersten Blick lesen sich die in der Executive Order deklarierten Prinzipien wie ein Lehrbuch der guten wissenschaftlichen Praxis: Forschung solle reproduzierbar, transparent, unvoreingenommen und frei von Interessenkonflikten sein. Dies sind genau die Forderungen, die seit Jahren von der „Open Science“-Bewegung erhoben werden, um die Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Forschung zu verbessern. Doch der Teufel, so warnen Kritiker, steckt nicht in den hehren Zielen, sondern in der Struktur ihrer Umsetzung. Die Verordnung implementiert einen radikalen Paradigmenwechsel: weg von einem dezentralen, sich selbst korrigierenden System, hin zu einer zentralisierten Kontrollinstanz, die direkt der politischen Führung unterstellt ist.

Das Kernstück dieser neuen Architektur ist die Ermächtigung politischer Beauftragter („senior appointee“), die fortan über die wissenschaftliche Integrität wachen sollen. Ihnen obliegt es, Forschung zu überprüfen, „wissenschaftliche Informationen zu korrigieren“ und zu kontrollieren, wie diese an die Öffentlichkeit kommuniziert werden. Mehr noch, sie erhalten die Macht zu definieren, was als „wissenschaftliches Fehlverhalten“ gilt, und können Wissenschaftler, die von der offiziellen Linie abweichen, disziplinarischen Maßnahmen unterwerfen. Zwar wird behauptet, Meinungsverschiedenheiten seien davon ausgenommen, doch die Definitionsmacht darüber liegt allein bei den politischen Apparatschiks – ein Einfallstor für Willkür, dem kein effektiver Widerspruchsmechanismus gegenübersteht.

Diese Zentralisierung der Macht pervertiert das Wesen der Wissenschaft, das auf Skepsis, offenem Diskurs und der Bereitschaft beruht, etablierte Wahrheiten immer wieder infrage zu stellen. Stattdessen wird ein System geschaffen, das Konformität belohnt und kritischen Geist bestraft. Es ist ein direkter Angriff auf das, was Wissenschaft im Kern ausmacht: ein demokratischer und dezentraler Prozess der Erkenntnisgewinnung. Die Regierung rechtfertigt diesen drastischen Schritt mit der Notwendigkeit, das angeblich erodierte Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft wiederherzustellen. Doch ironischerweise zeigen Umfragen wie die des Pew Research Center, dass die amerikanische Bevölkerung Wissenschaftlern weitaus mehr vertraut als der Bundesregierung. Das Vorgehen droht also genau das zu zerstören, was es zu schützen vorgibt.

Die Strategie des Zweifels – Ein Echo aus dunklen Kapiteln

Die wahre Stoßrichtung der „gold-standard science“ offenbart sich in einer Taktik, die Kritiker als „doubt science“ – die Wissenschaft des Zweifelns – bezeichnen. Es ist eine Strategie, die nicht darauf abzielt, wissenschaftliche Erkenntnisse frontal zu widerlegen. Ihr Ansatz ist subtiler und ungleich gefährlicher: Sie zielt darauf ab, durch die gezielte Betonung von Unsicherheiten, methodischen Einschränkungen und offenen Fragen den Eindruck zu erwecken, die wissenschaftliche Datenlage sei zu fragil, um darauf politische Entscheidungen zu gründen.

Diese Methode ist nicht neu. Sie wurde von der Tabakindustrie über Jahrzehnte perfektioniert, um den Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs zu verschleiern und regulatorische Maßnahmen zu verhindern. Nun wird diese Taktik, ausgestattet mit der immensen Macht des Staates, auf alle Bereiche der Politik angewendet, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse den Zielen der Regierung im Wege stehen. Politische Beamte können nun Studien, die ihnen missfallen, als nicht dem „Gold-Standard“ entsprechend klassifizieren, weil sie beispielsweise nicht exakt reproduzierbar sind – wie es bei Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Umweltkatastrophen naturgemäß der Fall ist. Sie können verlangen, dass jede noch so kleine Unsicherheit überbetont wird, bis das Gesamtbild der Evidenz in einem Nebel des Zweifels verschwimmt.

Ein Lehrbuchbeispiel für diese Vorgehensweise ist der Umgang mit den als „forever chemicals“ bekannten PFAS-Verbindungen. Obwohl zahlreiche Studien diese Chemikalien mit schweren Gesundheitsschäden, darunter Krebs und Entwicklungsstörungen bei Kindern, in Verbindung bringen, hat die EPA unter der neuen Führung die Durchsetzung von Grenzwerten für Trinkwasser verzögert und für einige Verbindungen sogar aufgehoben. Um diesen Schritt zu rechtfertigen, bietet die Executive Order das perfekte Werkzeug: Politische Beauftragte können die wissenschaftliche Grundlage neu bewerten, Studien mit unerwünschten Ergebnissen herausfiltern und die verbleibende Evidenz so lange auf Unsicherheiten abklopfen, bis der Handlungsdruck verschwindet. Die Beweislast wird umgekehrt: Nicht die Industrie muss die Sicherheit ihrer Produkte belegen, sondern die bereits geschwächte öffentliche Forschung soll eine unerreichbare, absolute Gewissheit erbringen. Was bleibt, wenn die wissenschaftliche Evidenz auf diese Weise zerlegt wird? Ideologie.

Vom Labor ins Abseits – Die realen Kosten politisierter Forschung

Die Auswirkungen dieser Politik sind keine abstrakte Gefahr, sie sind bereits heute schmerzhaft real und treffen die wissenschaftliche Infrastruktur der USA ins Mark. Die Rhetorik vom „Gold-Standard“ wird begleitet von einer brutalen Realität aus Budgetkürzungen und Personalabbau. Forschungsgelder bei Schlüsselorganisationen wie der National Science Foundation (NSF) und den National Institutes of Health (NIH) wurden drastisch gekürzt, während Hunderte von Wissenschaftlern bei der Umweltbehörde EPA und dem nationalen Wetterdienst entlassen wurden. Dies ist keine Stärkung, sondern eine gezielte Aushöhlung der wissenschaftlichen Kapazitäten des Landes.

Besonders deutlich wird die politische Instrumentalisierung im Umgang mit der Gain-of-Function-Forschung. Angetrieben von der politisch forcierten Theorie, COVID-19 sei einem Labor in Wuhan entsprungen – eine Theorie, die von den meisten Wissenschaftlern zugunsten eines natürlichen Ursprungs abgelehnt wird –, hat die Administration eine Kampagne gegen vermeintlich gefährliche Forschung gestartet. In einem beispiellosen Akt der Einmischung überstimmte ein politischer Beauftragter am NIH die Einschätzung von Karrierewissenschaftlern und setzte fast ein Dutzend Tuberkulose-Studien auf eine Verbotsliste. Diese Studien nutzten jahrzehntealte, als sicher geltende Standardmethoden, um neue Medikamente gegen eine Krankheit zu finden, die jährlich über eine Million Menschen tötet. Die Forscher fürchten nun nicht nur um ihre Arbeit, sondern auch um ihre Sicherheit, da sie öffentlich als Verursacher von Gefahren gebrandmarkt werden.

Auch die Klimaforschung gerät ins Visier. Die Executive Order kritisiert explizit die Verwendung von Worst-Case-Szenarien. Obwohl die Analyse solcher Extremszenarien ein legitimes und wichtiges Werkzeug der Risikobewertung ist, besteht die Sorge, dass nun alle Studien, die solche Szenarien beinhalten, pauschal als unseriös abgetan werden könnten. Es ist die chirurgische Entfernung unbequemer Wahrheiten aus dem wissenschaftlichen Diskurs.

Fassade und Wirklichkeit – Das gebrochene Versprechen des Vertrauens

Am Ende bleibt ein klaffender Abgrund zwischen dem proklamierten Ziel und der tatsächlichen Wirkung der „gold-standard science“. Das Versprechen, das Vertrauen in die Wissenschaft zu erneuern, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als das Gegenteil: als ein Versuch, das Vertrauen in unabhängige, faktenbasierte Erkenntnis systematisch zu untergraben. Es ist ein System, in dem die Wissenschaft nicht mehr die Politik informiert, sondern von der Politik geformt wird, um ihr zu dienen. Die Regierung schafft sich eine Realität nach Maß, indem sie die Regeln dafür, was als wissenschaftliche Wahrheit gilt, selbst definiert.

Die langfristigen Folgen dieses Vorgehens sind verheerend. Es droht eine Zukunft, in der wichtige politische Entscheidungen – vom Schutz der öffentlichen Gesundheit über die Bekämpfung des Klimawandels bis hin zur Zulassung von Medikamenten – nicht mehr auf der besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz basieren, sondern auf den ideologischen Prioritäten der jeweils Herrschenden. Wenn abweichende Forschungsergebnisse nicht mehr als Teil eines gesunden wissenschaftlichen Prozesses, sondern als Akt der Insubordination gelten, der bestraft werden kann, stirbt der freie Geist der Forschung.

Die „gold-standard science“ der Trump-Administration erweist sich somit als ein Trojanisches Pferd. Es schmuggelt unter einer verführerischen Hülle politische Kontrolle in das Herz der Wissenschaft. Es ersetzt den mühsamen, aber ehrlichen Prozess der Erkenntnisgewinnung durch die willkürliche Macht des Dekrets. Was auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die Fähigkeit einer Gesellschaft, sich den komplexen Herausforderungen der Zukunft auf der Grundlage von Fakten und Vernunft zu stellen. Die größte Gefahr ist nicht, dass die Wissenschaft irrt – das ist Teil ihres Wesens. Die größte Gefahr ist, dass ihr die Fähigkeit genommen wird, ihre Irrtümer zu korrigieren und nach der Wahrheit zu suchen, weil die Wahrheit politisch zur Disposition steht.

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