Wenn das Recht zur Rache wird: Der Fall Comey und die Unterwerfung der US-Justiz

Illustration: KI-generiert

Die Anklage gegen James Comey, den einst mächtigsten Strafverfolger der USA, ist weit mehr als ein juristischer Akt; sie ist eine politische Zäsur. Sie markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, in der Präsident Donald Trump das amerikanische Justizministerium systematisch von einer unabhängigen Institution in ein gefügiges Instrument persönlicher Macht und Vergeltung umformt. Was sich in den Gängen des Gerichts in Alexandria, Virginia, vollzog, war nicht die Wiederherstellung des Rechts, wie der Präsident proklamierte, sondern dessen bewusste Demontage. Die Causa Comey legt mit erschreckender Klarheit offen, wie die Schutzmechanismen einer Demokratie – die unparteiische Justiz, die professionelle Integrität von Beamten und die Trennung von politischem Amt und persönlicher Agenda – unter dem Druck eines autokratischen Willens erodieren. Dieser Fall ist ein Menetekel, das die Zerbrechlichkeit des Rechtsstaats vor Augen führt, wenn dessen Hüter sich nicht mehr dem Gesetz, sondern einem einzelnen Mann verpflichtet fühlen.

Der lange Arm des Präsidenten

Der Weg zur Anklage war kein Ergebnis akribischer Ermittlungsarbeit, sondern die direkte Folge einer öffentlichen Druckkampagne, die ihresgleichen sucht. Präsident Trump nutzte seine bevorzugte Plattform, Truth Social, um Justizministerin Pam Bondi direkt und unmissverständlich zum Handeln aufzufordern. Seine in Großbuchstaben formulierten Appelle, endlich „Gerechtigkeit“ walten zu lassen und gegen seine als Feinde markierten Widersacher vorzugehen, waren keine bloßen Meinungsäußerungen. Sie waren Befehle, die eine klare Botschaft an den Apparat sandten: Der Präsident erwartet Resultate, und zwar die strafrechtliche Verfolgung jener, die sich ihm in den Weg gestellt hatten. Comey, der die Ermittlungen zur russischen Einmischung in den Wahlkampf 2016 leitete und von Trump 2017 entlassen wurde, stand dabei ganz oben auf der Liste. Dieser Vorgang bricht radikal mit einer seit der Watergate-Affäre mühsam etablierten Norm, wonach sich das Weiße Haus aus den operativen Entscheidungen des Justizministeriums herauszuhalten hat, um den Anschein politischer Einflussnahme zu vermeiden. Trump macht aus diesem ungeschriebenen Gesetz kein Hehl; er verkehrt es ins Gegenteil und stilisiert die offene Intervention zur präsidialen Tugend.

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Die eigentliche Exekution dieses politischen Willens offenbarte sich jedoch erst auf der administrativen Ebene. Der zuständige Interims-Staatsanwalt für den östlichen Bezirk von Virginia, Erik Siebert, weigerte sich, die Strafverfolgung gegen Comey voranzutreiben. Berichten zufolge sahen er und sein Team von erfahrenen Karriere-Anwälten die Beweislage als unzureichend an, um eine Anklage wegen Falschaussage zu rechtfertigen. In einem funktionierenden System wäre dies das Ende des Verfahrens gewesen. Unter Trump war es lediglich ein Hindernis, das es zu beseitigen galt. Siebert wurde kurzerhand aus seinem Amt gedrängt. An seine Stelle trat Lindsey Halligan, eine Juristin aus dem Stab des Weißen Hauses, die zuvor als eine der persönlichen Anwältinnen Trumps tätig war. Ihre entscheidende Qualifikation für diesen Posten war nicht ihre juristische Expertise – sie verfügte über keinerlei Erfahrung als Staatsanwältin –, sondern ihre unbedingte Loyalität zum Präsidenten. Unmittelbar nach ihrer Ernennung, kaum eine Woche im Amt, trieb sie die Anklage gegen Comey im Eiltempo voran, um die drohende Verjährungsfrist einzuhalten. Selbst ihre neuen Untergebenen versuchten vergeblich, sie von diesem Schritt abzubringen und legten ihr ein Memo vor, das die Schwächen des Falles detailliert darlegte. Halligan ignorierte die Bedenken und präsentierte den Fall persönlich vor der Grand Jury – ein höchst ungewöhnlicher Schritt für die Leiterin einer Bundesanwaltschaft, der die persönliche Dringlichkeit und politische Aufladung des Verfahrens unterstreicht.

Post-Watergate als ferne Erinnerung

Die Vorgehensweise im Fall Comey stellt eine fundamentale Umkehrung der rechtsstaatlichen Prinzipien dar, die in den USA über Jahrzehnte als Lehre aus dem Machtmissbrauch Richard Nixons galten. Während die Strafverfahren gegen Donald Trump, sei es auf Bundesebene durch den Sonderermittler Jack Smith oder durch lokale Staatsanwälte in New York und Georgia, von juristischen Instanzen eingeleitet wurden, die eine institutionelle Distanz zum damaligen Präsidenten Joe Biden wahrten, ist der Fall Comey das genaue Gegenteil. Biden forderte niemals öffentlich die Anklage Trumps und setzte erst recht keinen seiner persönlichen Anwälte ein, um die Ermittlungen zu leiten. Die Trump-Administration hingegen hat den Prozess der Strafverfolgung auf den Kopf gestellt: Am Anfang stand nicht der Verdacht auf eine Straftat, sondern das politische Ziel, einen Gegner auszuschalten. Erst danach wurde der Apparat in Bewegung gesetzt, um einen passenden Vorwurf und eine willfährige Anklägerin zu finden.

Dieser Bruch mit der Tradition ist mehr als nur ein Stilfehler; er untergräbt die Glaubwürdigkeit der Justiz als Ganzes. Wenn der Anschein erweckt wird, dass Strafverfolgung davon abhängt, ob man ein Freund oder Feind des Präsidenten ist, verliert das System seine Legitimationsgrundlage. Die Verbündeten des Präsidenten verteidigen dieses Vorgehen als notwendige Gegenreaktion auf eine angebliche „Bewaffnung“ der Justiz gegen Trump. Sie argumentieren, dass Gleiches mit Gleichem vergolten werden müsse. Diese Logik ist jedoch fatal, denn sie akzeptiert und zementiert die Zerstörung der Normen, die sie zu kritisieren vorgibt. Statt die Unabhängigkeit der Justiz zu fordern, fordert sie deren parteiische Indienstnahme für die eigene Seite. Damit wird die Justiz endgültig zum Schlachtfeld der politischen Auseinandersetzung, auf dem nicht mehr nach Recht und Gesetz, sondern nach Macht und Loyalität entschieden wird.

Die Architektur der Compliance

Ein solcher Systemumbau wäre ohne willfährige Akteure an den entscheidenden Schaltstellen nicht möglich. Justizministerin Pam Bondi und der von Trump installierte FBI-Direktor Kash Patel spielen hierbei eine zentrale Rolle. Anstatt als unabhängige Leiter ihrer Institutionen zu agieren und die Integrität ihrer Mitarbeiter zu schützen, fungieren sie als politische Vollstrecker des präsidialen Willens. Ihre öffentlichen Erklärungen nach der Anklageerhebung, in denen sie betonten, dass „niemand über dem Gesetz stehe“, wirken angesichts der offenkundigen politischen Steuerung des Verfahrens wie eine Farce. Sie bedienen sich der Rhetorik des Rechtsstaats, um dessen Aushöhlung zu verschleiern. Kritiker werfen beiden vor, die einst angesehenen Institutionen zu Handlangern des Präsidenten degradiert zu haben. Patel, dem die notwendigen Qualifikationen für sein Amt abgesprochen werden, kommentierte die Anklage mit der Behauptung, „korrupte“ Ex-Führungskräfte hätten die Bundesbehörden als „Waffe“ eingesetzt – eine direkte Übernahme des Trump’schen Narrativs.

Die Konsequenzen dieser Politisierung innerhalb der Behörden sind verheerend. Die Moral der Mitarbeiter, die sich einer professionellen und unparteiischen Strafverfolgung verpflichtet fühlen, wird nachhaltig beschädigt. Die Causa Comey hat bereits zu sichtbaren Brüchen geführt: Troy Edwards Jr., Comeys Schwiegersohn und ein Staatsanwalt in ebenjener Behörde, die die Anklage erhob, trat unmittelbar nach deren Bekanntwerden von seinem Posten zurück, um seinen „Eid auf die Verfassung und das Land“ zu wahren. Sein Schritt ist ein symbolischer Akt des Widerstands, der die tiefen Verwerfungen innerhalb des Justizapparats sichtbar macht. Es ist zu befürchten, dass viele weitere erfahrene und integre Beamte das System verlassen werden, sei es durch Kündigung, Pensionierung oder erzwungene Versetzungen. An ihre Stelle rücken Juristen, deren primäres Merkmal nicht mehr die fachliche Exzellenz, sondern die politische Konformität ist. Dieser Aderlass an institutionellem Wissen und ethischer Haltung beschleunigt den Zerfall der rechtsstaatlichen Kultur von innen heraus.

Ein Prozess mit ungewissem Ausgang

Trotz der massiven politischen Intervention ist der juristische Erfolg der Anklage keineswegs gesichert. Comeys Verteidiger, darunter der erfahrene ehemalige Staatsanwalt Patrick Fitzgerald, haben eine Fülle von Ansatzpunkten, um die Rechtmäßigkeit des Verfahrens infrage zu stellen. Die offensichtlichste Strategie ist der Vorwurf der „vindictive prosecution“ – einer missbräuchlichen, von Rachegelüsten getriebenen Strafverfolgung. Die öffentlichen Äußerungen des Präsidenten, in denen er Comey vorverurteilte und seine Anklage forderte, liefern dafür reichlich Beweismaterial. Hinzu kommt der erzwungene Rücktritt von Staatsanwalt Siebert, dessen Weigerung, Anklage zu erheben, die Schwäche des Falles dokumentiert.

Auch in der Sache selbst ist die Beweislage offenbar dünn. Die Anklage wirft Comey vor, im September 2020 vor dem Justizausschuss des Senats wahrheitswidrig ausgesagt zu haben, er habe niemanden beim FBI autorisiert, als anonyme Quelle für Medienberichte zu dienen. Die Staatsanwaltschaft muss nun zweifelsfrei beweisen, dass diese Aussage nicht nur falsch, sondern auch wissentlich und willentlich getätigt wurde. Das ist eine hohe Hürde, insbesondere wenn es um Aussagen geht, die sich auf Jahre zurückliegende Ereignisse beziehen. Die Tatsache, dass die Grand Jury einen der ursprünglich drei von Halligan angestrebten Anklagepunkte ablehnte, deutet bereits darauf hin, dass selbst eine von Laien besetzte Jury erhebliche Zweifel hegte. Dieser Umstand sorgte im Gerichtssaal für Verwirrung und wurde von der zuständigen Richterin als beispielloser Vorgang kommentiert. Am Ende könnte der Fall weniger an juristischen Fakten als an seiner politischen Schlagseite scheitern. Doch selbst ein Freispruch für Comey würde den Schaden, der bereits entstanden ist, nicht ungeschehen machen. Der Prozess selbst ist Teil der Bestrafung: Er zwingt den Angeklagten in einen kostspieligen und nervenaufreibenden Rechtsstreit und sendet ein klares Signal an alle anderen potenziellen Kritiker der Regierung.

Der Kampf um die Deutungshoheit

Letztlich wird dieser Konflikt nicht nur im Gerichtssaal, sondern vor allem in der Arena der öffentlichen Meinung ausgetragen. Für Donald Trump und seine Anhänger ist die Anklage die längst überfällige Abrechnung mit dem sogenannten „deep state“. Sie ist die Bestätigung ihres Narrativs, wonach Trump das Opfer einer politisch motivierten Hexenjagd war und nun endlich zurückschlägt. Der Ruf nach „Gerechtigkeit in Amerika!“ ist in diesem Kontext nicht der Ruf nach rechtsstaatlicher Aufarbeitung, sondern der Schlachtruf einer politischen Bewegung, die Vergeltung fordert.

Auf der Gegenseite sehen Kritiker in dem Vorgehen einen alarmierenden Schritt in Richtung Autoritarismus. Für sie ist die Anklage ein Paradebeispiel für den Missbrauch staatlicher Macht, um politische Gegner zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern. Comey selbst stilisierte sich in einer Videobotschaft zum unerschrockenen Widerstandskämpfer, der sich dem Tyrannen nicht beugt. Er appellierte an die Bürger, sich zu engagieren und wählen zu gehen, da das Schicksal des Landes auf dem Spiel stehe. Dieser unauflösbare Widerspruch in der Wahrnehmung zeigt, dass es längst nicht mehr um die Klärung eines Sachverhalts geht. Die Causa Comey ist zu einem Symbol für den tiefen Riss geworden, der die amerikanische Gesellschaft spaltet. Es ist ein Kampf zweier unvereinbarer Vorstellungen von Recht, Macht und Demokratie.

Ein Kipppunkt für die Demokratie

Die Anklage gegen James Comey ist mehr als nur ein einzelner Fall von politischer Einflussnahme. Sie ist ein potenzieller Kipppunkt, an dem die Erosion des Vertrauens in die Justiz unumkehrbare Ausmaße annehmen könnte. Die strukturellen Schwächen des US-Systems, die es einem Präsidenten ermöglichen, die Führung von Bundesanwaltschaften nach Belieben auszutauschen, haben diesen Missbrauch erst ermöglicht. Wenn die Strafverfolgung zu einer Waffe im politischen Arsenal wird, die je nach Wahlausgang gegen die jeweilige Opposition gerichtet werden kann, droht eine Spirale der Vergeltung, die das Fundament der Demokratie zerstört. Ein Land, in dem die Angst vor Strafverfolgung die politische Opposition lähmt, ist auf dem Weg in ein autokratisches System. Der Fall Comey wird zeigen, wie widerstandsfähig die amerikanischen Gerichte und die Zivilgesellschaft noch sind, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Der Ausgang des Verfahrens ist dabei fast sekundär. Der eigentliche Schaden ist bereits angerichtet: Der Glaube an eine unparteiische Justiz ist nachhaltig erschüttert.

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