
Es gibt Momente, in denen das Lachen im Hals stecken bleibt. Nicht, weil ein Witz schlecht ist, sondern weil die Stille, die ihm folgt, ohrenbetäubend wird. Die plötzliche Absetzung von „Jimmy Kimmel Live!“ ist ein solcher Moment. Auf den ersten Blick mag es wie eine Fußnote in der turbulenten Geschichte des amerikanischen Fernsehens wirken – ein weiterer Streit zwischen einem provokanten Komiker und einem mächtigen Präsidenten. Doch wer genauer hinsieht, erkennt in diesem Vorgang mehr als nur eine mediale Auseinandersetzung. Er entpuppt sich als Blaupause für einen neuen, subtileren Angriff auf die Grundfesten der amerikanischen Demokratie.
Der Fall Kimmel ist kein gewöhnlicher Kulturkampf, der in den Schützengräben der sozialen Medien ausgetragen wird. Er ist ein Lehrstück darüber, wie staatliche Macht instrumentalisiert werden kann, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen – nicht durch offene Zensur, sondern durch einen fein austarierten Mechanismus aus politischem Druck, regulatorischen Drohungen und der Ausnutzung wirtschaftlicher Abhängigkeiten. Was hier auf dem Spiel steht, ist weit mehr als die Zukunft einer Late-Night-Show. Es ist die Frage, ob die amerikanische Presse- und Meinungsfreiheit einem Präsidenten standhalten kann, der sie nicht als verfassungsmäßiges Recht, sondern als persönliches Privileg begreift, das er nach Belieben gewähren oder entziehen kann.

USA Politik Leicht Gemacht: Politik in den USA – einfach erklärt.
Die Anatomie einer Einschüchterung
Um die volle Tragweite zu verstehen, muss man die Ereignisse sezieren, die zur Suspendierung von Kimmels Show führten. Es war ein Prozess, der mit einer Tragödie begann und in einem Akt der Selbstzensur endete. Der Auslöser war das Attentat auf den konservativen Aktivisten Charlie Kirk, ein Verbrechen, das eine Welle des Schocks und der Trauer durch das politisch gespaltene Land schickte. In seinem Eröffnungsmonolog warf Kimmel der Trump-Administration vor, diese Tat für politische Zwecke zu instrumentalisieren und den mutmaßlichen Täter fälschlicherweise als einen der ihren darzustellen. Diese Äußerungen lösten in konservativen Kreisen einen Sturm der Entrüstung aus.
Doch dieser Sturm hätte, wie so viele zuvor, im medialen Rauschen untergehen können. Er wurde jedoch zu einem Hurrikan, als ein entscheidender Akteur die Bühne betrat: Brendan Carr, der von Donald Trump ernannte Vorsitzende der Federal Communications Commission (FCC), der mächtigen Regulierungsbehörde für den amerikanischen Medienmarkt. In einem rechten Podcast sandte Carr eine unmissverständliche Drohung an den Sender ABC und dessen Mutterkonzern Disney. Man könne die Sache auf die „einfache oder die harte Tour“ regeln, so Carr. Entweder die Unternehmen ergreifen selbst Maßnahmen gegen Kimmel, oder es werde „zusätzliche Arbeit für die FCC“ geben.
Dieser vergiftete Pfeil der Regulierung traf sein Ziel mit chirurgischer Präzision. Denn die Drohung war nicht an die Öffentlichkeit gerichtet, sondern an die Vorstandsetagen. Kurz darauf geschah etwas Bemerkenswertes: Nexstar und Sinclair, zwei der größten Eigentümer von lokalen ABC-Partnerstationen im ganzen Land, kündigten an, Kimmels Sendung nicht mehr auszustrahlen. Das war kein Zufall. Beide Medienkonglomerate hatten zu diesem Zeitpunkt massive Geschäftsinteressen, die direkt von der Gunst der FCC abhingen – insbesondere Nexstar, das auf die behördliche Genehmigung für die milliardenschwere Übernahme des Konkurrenten Tegna wartete. Der Druck auf die Konzernzentrale von ABC wurde damit unerträglich. Von den eigenen Partnern im Stich gelassen und mit der impliziten Drohung konfrontiert, dass zukünftige Geschäfte torpediert werden könnten, kapitulierte der Sender und zog seine erfolgreichste Late-Night-Show auf unbestimmte Zeit aus dem Programm.
Die Mechanik dahinter ist ebenso subtil wie wirkungsvoll: Der Staat zensiert nicht direkt. Er schafft ein Klima der Angst und Unsicherheit, in dem Unternehmen es als das kleinere Übel ansehen, sich selbst zum Schweigen zu bringen, bevor die Regierung es tut.
Die neue Sprache der Macht: „Konsequenzen“ statt Zensur
Die Trump-Administration und ihre Verbündeten beeilten sich, die Ereignisse in einem völlig anderen Licht darzustellen. Präsident Trump selbst feierte die Absetzung auf seiner Social-Media-Plattform als „großartige Nachricht für Amerika“ und gratulierte ABC zu dem „Mut, das Richtige zu tun“. Gleichzeitig versuchte er, die Entscheidung als rein wirtschaftlich zu deklarieren – Kimmel sei wegen schlechter Einschaltquoten gefeuert worden, eine Behauptung, für die es keine Belege gab.
Diese rhetorische Doppelstrategie ist bezeichnend. Einerseits wird der politische Sieg offen ausgekostet, andererseits wird der Vorwurf der Zensur zurückgewiesen, indem man die Verantwortung auf das private Unternehmen abschiebt. Es seien eben „Konsequenzen für das eigene Handeln“, wie konservative Kommentatoren argumentierten, keine „Cancel Culture“. Diese Umdeutung ist ein rhetorischer Geniestreich, denn sie verdreht die Realität. Die von Konservativen oft beklagte „Cancel Culture“ wird typischerweise von zivilgesellschaftlichen Bewegungen oder Konsumenten getragen – ein Druck von unten oder von der Seite. Im Fall Kimmel jedoch kam der entscheidende Impuls von der Spitze des Staates. Hier agierte nicht der Markt, sondern die Regierung als treibende Kraft.
Die Ironie ist greifbar: Eine politische Bewegung, die angetreten war, um die angebliche Zensur durch linke Eliten zu beenden, nutzt nun die gesamte Macht des Regierungsapparates, um eine eigene, weit mächtigere Form der kulturellen Hegemonie durchzusetzen. Der entscheidende Unterschied liegt in der Asymmetrie der Macht: Ein Boykottaufruf von Bürgern ist Ausdruck der Meinungsfreiheit. Eine Drohung vom Chef einer Regulierungsbehörde, die über Lizenzen im Wert von Milliarden Dollar entscheidet, ist ein Akt der Nötigung.
Ein Riss im Fundament: Wenn Präsidenten keine Kritik mehr ertragen
Das Vorgehen gegen Jimmy Kimmel markiert einen tiefen Bruch mit den ungeschriebenen Gesetzen des politischen Diskurses in den USA. Satire und scharfe Kritik von Late-Night-Moderatoren gehören seit Jahrzehnten zur politischen Folklore des Landes. Der legendäre Late-Night-Moderator David Letterman erinnerte daran, dass er über sechs Präsidentschaften hinweg die mächtigsten Männer der Welt „gnadenlos attackiert“ habe, ohne auch nur ein einziges Mal Druck von einer Regierungsbehörde zu verspüren. Die unausgesprochene Regel lautete: Das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist größer als die Witze eines Komikers.
Donald Trump hat diese Regel außer Kraft gesetzt. Für ihn ist jede Kritik, jede Parodie eine persönliche Majestätsbeleidigung, die nicht ertragen, sondern bestraft werden muss. Seine Drohung, Sendern, die zu 97 Prozent negativ über ihn berichteten, die Lizenz zu entziehen, ist mehr als nur eine rhetorische Entgleisung. Sie ist die Offenbarung eines zutiefst autoritären Amtsverständnisses. Die FCC-Lizenz, die eigentlich dem „öffentlichen Nutzen“ dienen soll, wird hier zum Instrument des persönlichen Rachefeldzugs umgedeutet.
Dieses präzedenzlose Vorgehen wird von Kritikern als eine Entwicklung beschrieben, die an die dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte erinnert, wie etwa die McCarthy-Ära, in der politische Gesinnung über Karrieren und Existenzen entschied. Die American Civil Liberties Union (ACLU) zufolge geht das aktuelle Vorgehen sogar „über McCarthyismus hinaus“, weil Regierungsbeamte ihre Macht missbrauchen, um aktiv zu entscheiden, wer sprechen, schreiben oder sogar scherzen darf. Es ist ein Angriff auf das Herzstück des Ersten Verfassungszusatzes: die Idee, dass die Regierung die Bürger kontrolliert und nicht umgekehrt.
Die Solidarität der Spötter: Ein letztes Aufbäumen?
Doch die Kapitulation von ABC ist nicht die ganze Geschichte. In den Stunden und Tagen nach der Absetzung Kimmels formierte sich ein bemerkenswerter Widerstand – angeführt von denen, die am besten wissen, was auf dem Spiel steht: seinen Kollegen. Die sonst so konkurrenzbetonte Zunft der Late-Night-Hosts schloss die Reihen in einer beeindruckenden Solidaritätsbekundung. Stephen Colbert erklärte in seiner Sendung: „Heute Abend sind wir alle Jimmy Kimmel.“ Jon Stewart parodierte die neue Ära der Unterwürfigkeit, indem er seine „Daily Show“ als „neue, von der Regierung genehmigte“ Sendung präsentierte. Selbst der sonst eher unpolitische Jimmy Fallon fand klare Worte der Unterstützung für seinen Freund und Kollegen.
Diese Reaktionen sind mehr als nur kollegiale Gesten. Sie sind ein Versuch, dem „Chilling Effect“ entgegenzuwirken, bevor er die gesamte Branche erfasst. Indem sie das Thema prominent in ihren eigenen Shows aufgriffen, machten sie den Angriff auf einen von ihnen zu einem Angriff auf alle – und damit zu einem Thema von nationaler Bedeutung. Sie nutzten ihre Plattform, um ihr Publikum über die subtilen Mechanismen der Einschüchterung aufzuklären und den Vorwurf der Zensur laut und unüberhörbar zu machen. Ob dieser Akt des Widerstands ausreicht, um eine weitere Eskalation zu verhindern, ist ungewiss. Aber er zeigt, dass die kritische Stimme Amerikas nicht kampflos verstummen wird.
Der lange Arm des Gesetzes – oder der Willkür?
Die politische und juristische Antwort auf diesen beispiellosen Vorgang lässt nicht auf sich warten, doch ihre Wirksamkeit ist fraglich. Die Demokraten im Kongress kündigten ein Gesetzespaket mit dem bezeichnenden Namen „No Political Enemies Act“ an. Dieses soll einen besseren rechtlichen Schutz für Personen schaffen, die wegen ihrer politischen Äußerungen ins Visier der Regierung geraten, und es erleichtern, Beamte für Machtmissbrauch zu verklagen. Doch in der aktuellen politischen Konstellation ist die Chance, ein solches Gesetz zu verabschieden, verschwindend gering. Es ist vorerst mehr ein politisches Signal als ein wirksames Instrument.
Größere Hoffnung liegt in den Gerichten. Juristische Experten sind sich weitgehend einig, dass jeder Versuch der FCC, einem Sender die Lizenz aufgrund von politisch unliebsamen Inhalten zu entziehen, einer Überprüfung vor Gericht kaum standhalten würde. Der Erste Verfassungszusatz setzt hier sehr hohe Hürden. Selbst die demokratische Minderheit in der dreiköpfigen FCC-Kommission bezeichnete das Vorgehen ihres Vorsitzenden als verfassungswidrig und als einen Versuch, eine „Tragödie in eine Rechtfertigung für staatliche Zensur zu verdrehen“.
Doch der eigentliche Schaden entsteht oft, bevor die Gerichte überhaupt eine Chance haben zu urteilen. Die bloße Androhung eines langwierigen und kostspieligen Rechtsstreits kann für ein börsennotiertes Unternehmen bereits ein ausreichendes Druckmittel sein, um einzuknicken. Der Fall Kimmel zeigt, dass der Kampf um die Meinungsfreiheit nicht nur in Gerichtssälen, sondern vor allem in den Vorstandsetagen und im öffentlichen Bewusstsein gewonnen oder verloren wird.
Am Ende steht eine beunruhigende Erkenntnis: Die Absetzung von Jimmy Kimmel war mehr als nur das Ende einer Fernsehsendung. Es war ein demokratischer Stresstest, der Risse im Fundament des amerikanischen Verständnisses von freier Rede offenbart hat. Er hat gezeigt, wie fragil die Balance zwischen Macht und Kritik, zwischen Regierung und Medien ist, wenn ein politischer Akteur bereit ist, die ungeschriebenen Regeln des demokratischen Spiels zu verletzen. Die Frage, die nun im Raum steht, ist existenziell: Wenn das Lachen eines Komikers als eine so große Bedrohung empfunden wird, dass der gesamte Apparat der Regierung mobilisiert wird, um es zum Schweigen zu bringen – was bleibt dann noch vom viel beschworenen „Land of the Free“?