
Ein militärischer Aufmarsch ohne klares Ziel, ein Drogenkrieg am falschen Ort und eine Wirtschaftspolitik, die den erklärten Feind finanziert: Donald Trumps Venezuela-Strategie ist ein Lehrstück strategischer Inkohärenz. Angetrieben von ideologischen Hardlinern, operiert die US-Regierung in einer rechtlichen Grauzone, ignoriert diplomatische Angebote und riskiert eine unkontrollierbare Eskalation – auf Kosten des Völkerrechts und unschuldiger Zivilisten.
Vor der Küste Venezuelas zieht die Trump-Administration die größte maritime Streitmacht seit Jahrzehnten zusammen. Kriegsschiffe der U.S. Navy patrouillieren im Karibischen Meer, begleitet von Aufklärungsflugzeugen, bewaffneten Drohnen und Tausenden Soldaten. Offiziell dient dieser massive Aufmarsch einem rechtschaffenen Ziel: der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels. Doch die Realität dieser Mission ist eine gänzlich andere. Sie manifestiert sich in einer Serie tödlicher Angriffe auf mutmaßliche Schmugglerboote, bei denen bereits Dutzende Menschen starben, und in der nunmehr öffentlichen Bestätigung geheimer CIA-Operationen durch den Präsidenten selbst. Es sind Operationen, bei denen es, so bestätigen es interne Quellen, längst nicht mehr um Kokain geht. Es geht um einen Regimewechsel in Caracas.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Die Venezuela-Politik von Präsident Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit ist zu einem gefährlichen Vabanquespiel eskaliert, das von einer tiefen strategischen Schizophrenie geprägt ist. Washington führt einen Schattenkrieg ohne Mandat, ignoriert diplomatische Öffnungen und lässt gleichzeitig einen US-Ölkonzern jenes Regime stützen, das es militärisch zu stürzen vorgibt. Diese Politik ist weder kohärent noch effektiv; sie ist ein von Ideologen getriebenes, unkalkulierbares Risiko für die gesamte Region.
Der Drogenkrieg als fadenscheiniger Vorwand
Die Diskrepanz zwischen der deklarierten Mission und den tatsächlichen Operationen könnte größer nicht sein. Während die Administration von einem eskalierenden Kampf gegen „Narkoterroristen“ spricht, bleibt sie jegliche Beweise für die Rechtmäßigkeit ihrer tödlichen Schläge schuldig. Weder dem US-Kongress noch der Öffentlichkeit wurden stichhaltige Belege dafür vorgelegt, dass die zerstörten Boote tatsächlich Drogen transportierten oder die Getöteten bewaffnete Schmuggler waren. Die Transparenz ist gleich null.
Dieser Mangel an Evidenz wird durch die geografische Schwerpunktsetzung der Operationen zusätzlich untergraben. Militärische Analysen, auch die der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA, verorten die Hauptschmuggelrouten für Kokain in Richtung USA seit langem primär im Pazifik. Der massive Aufmarsch in der Karibik erscheint vor diesem Hintergrund strategisch bestenfalls fragwürdig, wahrscheinlich aber bewusst irreführend.
Die offizielle Begründung der Drogenbekämpfung dient offensichtlich als dünner legalistischer Mantel für das eigentliche Ziel: die maximale Druckerhöhung auf Nicolás Maduro. Die Operationen sind kein Mittel der Strafverfolgung, sie sind ein Akt der psychologischen Kriegsführung.
Psyops statt Diplomatie
Nichts illustriert diese Taktik deutlicher als der beispiellose Schritt von Präsident Trump, die Existenz geheimer CIA-Operationen innerhalb Venezuelas öffentlich zu bestätigen. Was in früheren Regierungen als katastrophaler Geheimnisverrat gegolten hätte, wird in der aktuellen Administration als Instrument der Destabilisierung eingesetzt.
Analysten sind sich einig, dass diese Enthüllung kalkulierte „Psyops“ sind. Das Ziel ist nicht die Information der Öffentlichkeit, sondern die gezielte Verunsicherung der venezolanischen Machtelite. Die Botschaft an Generäle, Funktionäre und Wirtschaftsführer in Caracas ist unmissverständlich: Die USA sind bereits im Land, niemand ist sicher, der Widerstand ist zwecklos. Man hofft, durch die Saat des Misstrauens Brüche im Regime zu provozieren, Loyalitäten zu zersetzen und im Idealfall einen internen Putsch auszulösen.
Diese Strategie ist nicht nur zynisch, sie ist auch historisch riskant. Die Geschichte amerikanischer Interventionen in Lateinamerika, von Chile 1973 bis hin zu verdeckten Operationen in Zentralamerika, ist reich an Beispielen für „Blowbacks“ – unvorhergesehene, katastrophale Rückwirkungen, die oft zu jahrzehntelanger Instabilität führten. Die aktuelle Administration ignoriert diese Lehren bewusst, angetrieben von einer kleinen Gruppe von Hardlinern.
Figuren wie Außenminister Marco Rubio und der einflussreiche Berater Stephen Miller gelten als die Architekten dieser aggressiven Linie. Für sie ist die Venezuela-Frage kein komplexes geopolitisches Problem, sondern ein ideologischer Kampf, der nur eine Lösung kennt: die bedingungslose Kapitulation Maduros.
Diese Kompromisslosigkeit erklärt auch, warum diplomatische Vorstöße systematisch blockiert werden. Berichten zufolge sondierten Vertreter Maduros diskret die Möglichkeit eines kontrollierten Machtübergangs, der einen verzögerten Rückzug des Präsidenten beinhaltet hätte. Ein solches Angebot, das den Kern einer Verhandlungslösung bilden könnte, wurde von der Trump-Regierung rundweg abgelehnt. Man setzt nicht auf Dialog, man setzt auf Kollaps.
Das Chevron-Paradoxon
Die wohl bizarrste Volte dieser Venezuela-Strategie manifestiert sich jedoch in der Causa Chevron. Während die U.S. Navy und Spezialkräfte eine maritime Druckkulisse aufbauen, deren erklärte Absicht der Sturz Maduros ist, operiert der US-Ölmulti mit expliziter Genehmigung Washingtons weiter im Land.
Diese Duldung macht Chevron zur mit Abstand wichtigsten legalen Einnahmequelle und Devisenquelle eines Regimes, das Washington zeitgleich als „narkoterroristisch“ brandmarkt. Chevron stützt die fragile Wirtschaft, finanziert den Staatsapparat und verhindert, so das Hauptargument des Konzerns, den endgültigen humanitären Kollaps und eine vollständige Übernahme der Ölfelder durch chinesische oder russische Akteure.
Die US-Politik konterkariert sich hier selbst auf fundamentalste Weise: Der militärische Arm versucht auszutrocknen, was der wirtschaftspolitische Arm künstlich bewässert. Diese Inkohärenz nährt in Caracas die Überzeugung, dass die US-Drohungen letztlich nicht final sind, solange die Öl-Interessen überwiegen. Gleichzeitig setzt sich Chevron massiver Kritik aus, als Profiteur und Stabilisator eines autokratischen Regimes zu agieren. Das Unternehmen wägt den enormen Reputationsschaden offenbar gegen den unschätzbaren strategischen Wert des Zugangs zu den größten Ölreserven der Welt ab – und Washington lässt es gewähren.
Ein Krieg ohne Recht und Gesetz
Während die ökonomische Flanke offenbleibt, eskaliert die Administration den militärischen Konflikt in ein juristisches Niemandsland. Um die tödlichen Schläge auf See zu legitimieren, griff die Administration tief in die Mottenkiste des „Kriegs gegen den Terror“ und deklarierte diffuse Drogenkartelle kurzerhand zu „widerrechtlichen Kämpfern“ (unlawful combatants).
Diese semantische Eskalation ist ein durchsichtiger Versuch, mutmaßliche Straftäter zu Kombattanten umzudefinieren, um sie außerhalb jedes rechtsstaatlichen Verfahrens töten zu können. Es ist die Schaffung einer Exekutiv-Doktrin, die das Völkerrecht bricht und, was innenpolitisch noch schwerer wiegt, die verfassungsmäßige Autorität des Kongresses zur Kriegserklärung vollständig umgeht.
Wenig überraschend formiert sich im Kongress parteiübergreifender Widerstand. Demokraten wie Republikaner sehen in der eigenmächtigen Einstufung eines „bewaffneten Konflikts“ durch den Präsidenten einen gefährlichen Präzedenzfall. Die Regierung führt Krieg, ohne ihn so zu nennen, und verweigert den Volksvertretern jede Aufsicht und jede Evidenz.
Die menschlichen Kosten dieser Politik werden indessen in den Fischerdörfern von Trinidad und Tobago sichtbar. Während die Premierministerin des Inselstaates die US-Schläge gegen Schmuggler plakativ begrüßte, trauern Familien in Orten wie Las Cuevas um Väter und Söhne. Fischer, die seit Generationen in diesen Gewässern unterwegs sind, geraten nun ins Visier eines undeklarierten Krieges. Venezuelas UN-Vertretung spricht von „außergerichtlichen Hinrichtungen“ und Massakern an Zivilisten.
Wie chaotisch und ungeplant die US-Operationen ablaufen, offenbarte sich kürzlich auf dramatische Weise. Nach einem weiteren Angriff auf ein Boot, diesmal ein sogenanntes Halbtauchboot, nahm das US-Militär erstmals Überlebende fest. Diese Festnahme stürzte das Pentagon umgehend in ein tiefes rechtliches und logistisches Dilemma. Es existierte offensichtlich kein Plan für den Umgang mit Gefangenen in diesem selbstdeklarierten, aber rechtlich undefinierten Konflikt.
Welchen Status haben diese Menschen? Sind sie Kriegsgefangene? Sind sie kriminelle Verdächtige? Die Administration, die sich bisher hinter der Geheimhaltung der Operationen verschanzte, steht nun vor einem Problem: Sollten die Überlebenden einem zivilen US-Gericht überstellt werden, müsste die Regierung jene Beweise und Geheimdiensterkenntnisse offenlegen, die sie bisher selbst dem Kongress vorenthält. Die Festnahme der Überlebenden droht, das gesamte fragile juristische Kartenhaus der Operation zum Einsturz zu bringen.
Venezuelas hilflose Gegenwehr
Die Reaktionen in Caracas auf die Eskalation wirken indes fast schon verzweifelt. Maduro kündigt martialisch Militärmanöver an und lässt Zivilisten zu Milizen ausbilden. Militärexperten bewerten diese Maßnahmen jedoch einhellig als reine Rhetorik, als Versuch, ein Bild nationaler Geschlossenheit zu projizieren. Die Kampfkraft dieser Milizen gegen eine hochmoderne US-Streitmacht ist gleich null.
Doch die Schwäche der venezolanischen Reaktion darf nicht über die Schwere der amerikanischen Provokation hinwegtäuschen. Die Trump-Regierung verfolgt eine Politik der maximalen Inkohärenz: Sie destabilisiert eine ganze Region militärisch, während sie den verhassten Autokraten ökonomisch durch Chevron am Leben erhält. Sie bricht das eigene Verfassungsrecht, indem sie ohne Kongress agiert, und das Völkerrecht, indem sie Zivilisten ohne Verfahren tötet. Und sie blockiert jeden diplomatischen Ausweg, der nicht die totale Kapitulation bedeutet.
Diese Strategie wird keinen stabilen demokratischen Wandel in Venezuela herbeiführen. Sie schafft lediglich ein Machtvakuum, das von Gewalt, Chaos und denselben Akteuren gefüllt wird, die Washington angeblich bekämpfen will.