Washingtons Belagerung: Wie Trumps Kreuzzug gegen die Kriminalität die amerikanische Demokratie an ihre Grenzen führt

Illustration: KI-generiert

Unter dem Vorwand, die Hauptstadt sicherer zu machen, inszeniert die Trump-Regierung ein beispielloses Schauspiel der Macht. Es ist ein politisches Experiment, das nicht nur die Selbstverwaltung Washingtons aushöhlt, sondern auch die tiefen Widersprüche einer Law-and-Order-Politik offenlegt – und zur Blaupause für den Umgang mit liberalen Städten im ganzen Land werden könnte.

Es gibt Bilder, die mehr erzählen als jede Statistik. Eines dieser Bilder entfaltet sich in diesen Tagen auf den Straßen von Washington, D.C.: Soldaten der Nationalgarde, in voller Montur, bewaffnet, patrouillieren durch die Alleen der Macht. Doch ihr Auftrag scheint sich in einer seltsamen Banalität zu verlieren. Man sieht sie, wie sie gelangweilt auf ihre Smartphones starren, Müllsäcke füllen oder in Parkanlagen Mulch verteilen. Diese Szenen sind keine Nebensächlichkeit. Sie sind der surreale Ausdruck einer politischen Offensive, die unter dem Banner der Kriminalitätsbekämpfung einen weitaus tieferen Zweck verfolgt: die systematische Entmachtung einer demokratisch gewählten Stadtregierung und die Demonstration föderaler Dominanz.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Die Hauptstadt der Vereinigten Staaten befindet sich in einem Zustand der Belagerung – nicht durch eine äußere Bedrohung, sondern von innen. Die Trump-Regierung hat die Stadt zu einem Labor für ihre Vision von „Law and Order“ erklärt, einem Experimentierfeld, auf dem die Grenzen zwischen lokaler Autonomie und zentralstaatlichem Zugriff neu vermessen werden. Was wir in Washington erleben, ist weit mehr als eine aggressive Sicherheitspolitik. Es ist die Generalprobe für einen neuen, autoritären Föderalismus, ein Schauspiel, bei dem die Kulissen der Verbrechensbekämpfung kaum die dahinterliegende politische Agenda verbergen können. Es geht um Kontrolle, um die Disziplinierung einer liberalen Enklave und um die Schaffung eines Präzedenzfalls, der das empfindliche Gleichgewicht der amerikanischen Gewaltenteilung nachhaltig erschüttern könnte.

Das Arsenal der Entmachtung: Wie der Bund die Stadt an die Kette legt

Die Offensive gegen Washingtons Selbstverwaltung, das sogenannte „Home Rule“, wird an drei Fronten geführt: durch eine legislative Zangenbewegung, eine militärische Dauerpräsenz und eine justizielle Übernahme. Zusammen bilden sie ein feinmaschiges Netz, das sich immer enger um die städtischen Institutionen zieht.

Das Herzstück des Angriffs ist ein Paket von 14 Gesetzesvorschlägen, das derzeit von den Republikanern im House Oversight Committee vorangetrieben wird. Es liest sich wie ein Handbuch zur Demontage lokaler Demokratie. Der wohl drastischste Vorschlag zielt darauf ab, das Amt des lokal gewählten Generalstaatsanwalts von D.C. abzuschaffen und durch einen vom Präsidenten ernannten Beamten zu ersetzen. Dieser neue, föderale Ankläger müsste nicht einmal vom Senat bestätigt werden, was dem Präsidenten eine direkte und unkontrollierte Macht über die Jugendstrafverfolgung der Stadt verleihen würde. Flankiert wird dieser Vorstoß von der geplanten Auflösung der Judicial Nomination Commission, dem letzten Gremium, das der Stadt ein Mitspracherecht bei der Auswahl ihrer Richter sichert. Die Botschaft ist unmissverständlich: Die Justiz in der Hauptstadt soll künftig nicht mehr den Bürgern Washingtons, sondern dem Willen des Weißen Hauses unterstehen.

Doch der Zugriff geht tiefer. Weitere Gesetze sollen die Strafjustiz radikal umgestalten. Geplant sind neue und verschärfte Mindeststrafen für Delikte wie Mord und Carjacking. Das Alter, ab dem Jugendliche für Gewaltverbrechen wie Erwachsene vor Gericht gestellt werden können, soll von 16 auf 14 Jahre gesenkt werden – eine langjährige Forderung der von Trump ernannten US-Staatsanwältin Jeanine Pirro. Gleichzeitig sollen Gesetze, die Resozialisierungschancen eröffnen, wieder gekippt werden, etwa die Möglichkeit, Strafregistereinträge nach einer gewissen Zeit zu versiegeln oder Strafen nach langer Haftdauer neu zu bewerten. Die Wiedereinführung der Kaution für bestimmte Vergehen und die obligatorische Untersuchungshaft für alle Gewaltverbrecher runden das Bild einer Politik ab, die auf Abschreckung und Bestrafung setzt statt auf Prävention und Rehabilitation. Historisch gesehen stellt diese Flut an Eingriffen eine der intensivsten Interventionen in die städtischen Angelegenheiten seit der teilweisen Übernahme der Verwaltung durch den Bund in den 1990er-Jahren dar.

Das Paradox der Waffe: Trumps ideologischer Spagat

Inmitten dieser Law-and-Order-Rhetorik entfaltet sich ein bemerkenswerter Widerspruch, der die ideologischen Verwerfungen innerhalb der Trump-Administration offenlegt. Während die Regierung auf nationaler Ebene die Waffengesetze lockert, die Kontrollen der Waffenbehörde ATF systematisch schwächt und deren Personal für Razzien gegen Einwanderer abzieht, inszeniert ihre US-Staatsanwältin in D.C. eine aggressive Kampagne zur Beschlagnahmung von Schusswaffen. Jeanine Pirro, eine loyale Trump-Anhängerin und ehemalige Fox-News-Moderatorin, verkündet beinahe täglich die neuesten Zahlen der von der Straße geholten Waffen, die sich seit Beginn der Notstandslage auf rund 150 summieren.

Diese Zurschaustellung harter Hand gegen illegale Waffen hat bei den traditionellen Verbündeten der Regierung, den Verfechtern eines maximalistischen Rechts auf Waffenbesitz, für spürbares Unbehagen gesorgt. Sie fürchten, dass der Eifer von Strafverfolgern wie Pirro ein Klima schaffen könnte, das auch legale Waffenbesitzer einschüchtert. Es ist ein klassischer Zielkonflikt: Die Law-and-Order-Fraktion will Waffen von der Straße holen, während die waffenlobbytreue Fraktion jeden staatlichen Zugriff auf Waffen als Bedrohung der Freiheit betrachtet.

Pirro selbst ist die Personifizierung dieses Widerspruchs. In den 1990er-Jahren gehörte sie zu jener Generation von republikanischen Hardlinern, die zwar für eine aggressive Polizeipräsenz, aber auch für eine stärkere Regulierung von Waffen eintraten – einschließlich eines landesweiten Verbots von Sturmgewehren. Ihre Positionen von damals wären in der heutigen Republikanischen Partei kaum noch denkbar. Zwar machte sie kürzlich eine Geste an die Waffenlobby, indem sie ankündigte, den Besitz von nicht registrierten Gewehren und Flinten nicht mehr als Schwerverbrechen zu verfolgen – ein Schritt, der Berichten zufolge auf Druck des Weißen Hauses erfolgte. Doch dieser Schritt ist eher symbolischer Natur, da rund 95 Prozent der in D.C. beschlagnahmten Waffen Handfeuerwaffen sind. Der grundlegende Widerspruch bleibt: Die Trump-Regierung führt in Washington einen Kampf gegen Waffen, den sie im Rest des Landes sabotiert.

Kulisse der Sicherheit: Wenn Soldaten zu Gärtnern werden

Die zweite Säule der Intervention ist der Einsatz von rund 2.200 Nationalgardisten. Offiziell sollen sie die lokale Polizei unterstützen und für Sicherheit sorgen. Die Regierung brüstet sich mit einem angeblichen Rückgang der Kriminalität um 61 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Doch wie belastbar ist diese Zahl? Kritiker, darunter auch Bürgermeisterin Muriel Bowser, führen den Rückgang schlicht auf die erhöhte Präsenz von Sicherheitskräften zurück – ein Effekt, der erfahrungsgemäß nur von kurzer Dauer ist, da sich kriminelle Netzwerke schnell anpassen und nach dem Abzug der Kräfte wieder aktiv werden.

Die Realität des Einsatzes wirft zudem die Frage nach seiner Verhältnismäßigkeit auf. Die Soldaten, viele von ihnen aus ihren zivilen Berufen und Familien gerissen, verbringen ihre Tage nicht nur mit Patrouillen, sondern auch mit Aufgaben, die eher in den Zuständigkeitsbereich der städtischen Grünflächenämter fallen. Sie sammeln Müll, pflegen Parkanlagen und entfernen Pflanzenabfälle. Diese Degradierung hochtrainierter Militärs zu Hilfsarbeitern sorgt nicht nur für Kritik an der Verschwendung von Steuergeldern, sondern birgt auch das Risiko, die Moral der Truppe zu untergraben. Welches Signal sendet es aus, wenn bewaffnete Soldaten für kosmetische Stadtverschönerungs-Programme eingesetzt werden, die Teil von Trumps „Safe and Beautiful“-Initiative sind?

Die geplante Verlängerung der Mission bis Ende des Jahres nährt den Verdacht, dass es weniger um die Sicherheit der Bürger als um bürokratische und finanzielle Anreize geht. Die Verlängerung stellt sicher, dass die Soldaten lange genug im Einsatz sind, um volle Sozialleistungen wie Krankenversicherung und Wohngeld zu erhalten – ein zynischer Mechanismus, der in der Vergangenheit oft genutzt wurde, um Kosten zu sparen, indem man Einsätze kurz vor der 30-Tage-Grenze beendete. Der militärische Einsatz entpuppt sich so als teures, ineffizientes und potenziell demoralisierendes Instrument, das mehr dem politischen Bild als der tatsächlichen Sicherheit dient.

Die Politik als Bühne: Zwischen Widerstand und Resignation

Letztlich ist die Intervention in Washington vor allem eines: „politisches Theater“, wie es John Feinblatt, der Präsident der Interessengruppe Everytown for Gun Safety, treffend formuliert. Es ist eine Machtdemonstration, die eine klare Botschaft an die demokratisch regierte Stadt und an ähnliche Städte im ganzen Land senden soll: Eure progressive Politik wird nicht toleriert. Dieser Kampf wird nicht nur mit Gesetzen und Soldaten geführt, sondern auch um die öffentliche Wahrnehmung. Die Regierung stilisiert ihr Vorgehen als notwendigen Akt zur Wiederherstellung von Ordnung, während die Stadtverwaltung und ihre Verbündeten versuchen, den Angriff auf ihre Autonomie abzuwehren.

Der Widerstand formiert sich, wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Der Stadtrat von D.C. hat eine Lobbyfirma engagiert, um seine Interessen auf dem Capitol Hill zu vertreten. Ratsmitglieder suchen das Gespräch mit führenden Demokraten im Kongress. Ratsvorsitzender Phil Mendelson zeigt sich entsetzt über das undemokratische Vorgehen, 14 weitreichende Gesetze ohne öffentliche Debatte oder Analyse durchzupeitschen. Doch der politische Druck ist enorm, zumal auch einige moderate Demokraten im Repräsentantenhaus in der Vergangenheit bereits republikanische Gesetzesinitiativen gegen D.C. unterstützt haben. Die größte Hürde für die Republikaner bleibt der Senat, wo die Notwendigkeit einer 60-Stimmen-Mehrheit (der sogenannte Filibuster) viele der radikalsten Vorschläge blockieren könnte.

Dennoch ist der Schaden bereits angerichtet. Das Vertrauen zwischen der Stadt und der Bundesregierung ist zerrüttet. Die Politisierung der Sicherheitsorgane schafft eine Atmosphäre der Unsicherheit. Und die Frage, die über den Mauern der Hauptstadt schwebt, ist beunruhigend: Wenn der Bund die demokratischen Institutionen in seinem eigenen Herzen so rücksichtslos demontieren kann, was hindert ihn daran, dieses Modell auf andere Städte zu übertragen? Washington, D.C. ist heute mehr als nur die Hauptstadt der USA. Es ist ein Warnsignal. Ein Fallbeispiel dafür, wie schnell rechtsstaatliche Prinzipien und lokale Selbstbestimmung erodieren können, wenn der politische Wille zur Macht über dem Respekt vor der Demokratie steht. Die Belagerung hat gerade erst begonnen.

Nach oben scrollen