Washington im Ausnahmezustand: Trumps Krieg gegen den Staat erschüttert Amerika

Illustration: KI-generiert

Die vergangene Woche hat die Vereinigten Staaten an den Rand eines institutionellen Nervenzusammenbruchs geführt. Während an den Rändern des Imperiums die Gletscher schmelzen und die letzten Echos einer vergangenen digitalen Ära verklingen, hat Präsident Donald Trump das Zentrum seiner Macht, die Hauptstadt Washington, D.C., in ein Labor für den autoritären Ernstfall verwandelt. Eine militärisch anmutende Besetzung der eigenen Hauptstadt unter dem Vorwand einer fabrizierten Kriminalitätskrise, ein diplomatischer Kotau vor dem russischen Präsidenten in Alaska und ein unerbittlicher Feldzug gegen die eigene Bürokratie, Wissenschaft und Wirtschaft – die Ereignisse der letzten sieben Tage sind keine isolierten Krisen. Sie sind die Symptome eines systematischen Angriffs auf die Grundfesten des amerikanischen Staates, ausgeführt von seiner eigenen Regierung. Der Pakt, den Trump mit seinen Wählern schloss – die Duldung moralischer Verfehlungen im Tausch gegen effektive, kompetente Führung –, zerbricht unter der Last einer Realität, die von Chaos, Willkür und Inkompetenz geprägt ist. Washington befindet sich im Belagerungszustand, und die Belagerer sitzen im Weißen Haus.

Die Besetzung der Hauptstadt: Wie eine erfundene Krise die Demokratie aushebelt

Das politische Drama, das die Nation in dieser Woche in Atem hielt, spielte sich in den Straßen Washingtons ab, doch sein Drehbuch wurde im West Wing geschrieben. Am Montag rief Präsident Trump den Notstand für den District of Columbia aus und unterstellte die lokale Polizeibehörde kurzerhand föderalem Kommando. Hunderte Nationalgardisten aus republikanisch geführten Bundesstaaten wurden in die Stadt verlegt, Humvees parkten vor nationalen Monumenten, und schwer bewaffnete Agenten der Drogenbekämpfungsbehörde DEA patrouillierten auf der National Mall, während Jogger und Touristen an ihnen vorbeizogen.

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Die offizielle Begründung für diesen beispiellosen Akt ist die Bekämpfung eines angeblichen Sumpfes aus „Blutvergießen, Chaos und Elend“. Das Weiße Haus zeichnet das Bild einer von „gewalttätigen Gangs und blutrünstigen Kriminellen“ überrannten Stadt, eine Erzählung, die sich auf emotionale Einzelfälle wie den brutalen Überfall auf einen jungen Regierungsmitarbeiter stützt, um einen allgemeinen Krisenzustand zu suggerieren.

Doch diese Erzählung ist ein politisches Konstrukt, das an den Fakten zerschellt. Die Kriminalitätsstatistiken der Stadt und des Justizministeriums zeichnen ein diametral entgegengesetztes Bild: Die Gewaltkriminalität befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit über 30 Jahren und ist allein im Vergleich zum Vorjahr signifikant gesunken. Die Administration stützt ihre Argumentation auf veraltete Zahlen und ignoriert den aktuellen, positiven Trend, um eine politische Agenda durchzusetzen, die weniger mit der Sicherheit der Bürger als mit einer Machtdemonstration gegenüber einer mehrheitlich demokratischen und afroamerikanischen Stadt zu tun hat.

Der rechtliche Hebel für diese Übernahme ist eine umstrittene und nie zuvor genutzte Klausel im „D.C. Home Rule Act“ von 1973, die dem Präsidenten im Falle von „Notstandsbedingungen besonderer Art“ temporär die Kontrolle über die städtische Polizei erlaubt. Was als absolute Ausnahmeregelung für Terroranschläge gedacht war, wird nun zur Allzweckwaffe gegen eine unliebsame Stadtverwaltung. Damit wird Washington zum „einzigartig weichen Ziel“, einem Experimentierfeld, in dem die Grenzen präsidialer Macht ohne den Widerstand eines Bundesstaates ausgetestet werden können.

Die Reaktion der lokalen Politik unter Bürgermeisterin Muriel Bowser ist ein tragischer Drahtseilakt zwischen Pragmatismus und Kapitulation. Aus Furcht vor noch drastischeren Eingriffen wählt sie einen Kurs der deeskalierenden Kooperation, bestreitet zwar die Fakten des Präsidenten, vermeidet aber die offene Konfrontation. Dieser Ansatz, der bereits zur Entfernung des „Black Lives Matter“-Schriftzugs vor dem Weißen Haus führte, wird von Kritikern im Stadtrat als gescheiterte Appeasement-Politik gegeißelt. Die Intervention hat bereits jetzt gravierende Folgen: Die Anweisung an die D.C.-Polizei, ihren Status als „Sanctuary City“ aufzugeben und mit den Einwanderungsbehörden zu kooperieren, zerstört das Vertrauen der Bevölkerung und untergräbt damit die effektive Polizeiarbeit von innen heraus.

Der Feldzug gegen die Fakten: Wenn Institutionen zu Feinden werden

Die Vorgänge in Washington sind kein isolierter Akt, sondern der sichtbarste Ausdruck eines tiefer liegenden Krieges der Trump-Administration: der Krieg gegen unabhängige Institutionen und die Idee einer faktenbasierten Realität. Diese Woche offenbarte mit erschreckender Deutlichkeit, wie systematisch dieser Angriff auf die Wächter der Fakten geführt wird.

Im Zentrum stand die Entlassung von Erika McEntarfer, der überparteilich geschätzten Leiterin des US-Statistikamts für Arbeit (BLS). Ihr Vergehen: Ihre Behörde hatte, einem vollkommen normalen statistischen Vorgehen folgend, die Arbeitsmarktdaten für die Vormonate nach unten korrigiert. Für Präsident Trump war dies keine fachliche Notwendigkeit, sondern ein Akt politischer Sabotage, der mit dem Rauswurf geahndet wurde. An ihre Stelle soll nun E.J. Antoni treten, ein Ökonom der konservativen Heritage Foundation, der sich einen Namen damit gemacht hat, die Methodik und Glaubwürdigkeit genau jener Behörde öffentlich in Zweifel zu ziehen, die er nun leiten soll. Dies ist kein bloßer Personalwechsel; es ist die gezielte Installation eines Mannes, dessen Hauptqualifikation das Misstrauen in die Institution selbst ist, mit dem klaren Auftrag, für „EHRLICHE UND KORREKTE“ Zahlen im Sinne des Präsidenten zu sorgen.

Dieses Muster der Unterwerfung durch loyales, aber fachfremdes Personal setzt sich in der gesamten Regierungsstruktur fort. Der Fall von Billy Long, einem ehemaligen Auktionator ohne Hochschulabschluss, der als Belohnung für seine Loyalität zum Chef der mächtigsten Steuerbehörde der Welt (I.R.S.) ernannt wurde, ist ein Paradebeispiel. Seine kurze und chaotische Amtszeit, geprägt von öffentlichen Fehltritten und einem Machtkampf mit dem Finanzministerium, offenbart die verheerenden Folgen, wenn politische Willkür die institutionelle Logik ersetzt. Die Behörde, die durch massive Personalverluste ohnehin schon geschwächt ist, wurde durch direkte Einmischung des Präsidenten weiter gelähmt, der Long persönlich Anweisungen zur Entlassung unliebsamer Mitarbeiter gab.

Der Angriff auf die Wahrheit beschränkt sich nicht auf Wirtschaftsdaten. Mit einer weitreichenden Überprüfung der Smithsonian-Museen will das Weiße Haus die kulturelle Deutungshoheit über die amerikanische Geschichte erobern. Unter dem Vorwand, den „amerikanischen Exzeptionalismus zu feiern“ und „spaltende Narrative“ zu entfernen, soll eine komplexe und widersprüchliche Nationalgeschichte zu einer geglätteten Heldenerzählung umgeschrieben werden. Museen, die sich kritisch mit Themen wie Sklaverei oder dem Leid der indigenen Bevölkerung auseinandersetzen, stehen nun unter direktem Rechtfertigungsdruck.

Die brutalste Front dieses Krieges ist jedoch der Rachefeldzug gegen die Wissenschaft, angeführt von Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr.. Unter dem Banner der „COVID-Rache“ wird die mRNA-Technologie, die Trump einst als „medizinisches Wunder“ feierte, systematisch demontiert. Mit der Streichung von fast einer halben Milliarde Dollar an Forschungsgeldern, gerechtfertigt durch eine Flut von Falschinformationen, beraubt die Regierung das Land nicht nur einer Hoffnung im Kampf gegen Krebs, sondern auch seiner effektivsten Waffe gegen zukünftige Pandemien. Renommierte Beratergremien werden aufgelöst und mit regierungstreuen Kritikern neu besetzt, während das gezielt gesäte Misstrauen in Experten bereits zu realer Gewalt führt, wie die tödliche Schießerei am Hauptsitz der CDC zeigt.

Die Zoll-Lawine rollt: Trumps Wirtschaftspolitik trifft den Alltag

Während der Präsident den Staat von innen bekämpft, spüren die Amerikaner die Folgen seiner Wirtschaftspolitik immer deutlicher im eigenen Geldbeutel. Der Pakt, der auf der Illusion von Trumps Kompetenz als „CEO der Nation“ basierte, erodiert angesichts steigender Preise und eines schwächelnden Arbeitsmarktes.

Die oft ohne klare Strategie verhängten Zölle sickern unaufhaltsam in die Wirtschaft und treiben die Verbraucherpreise in die Höhe, was die Notenbank von dringend benötigten Zinssenkungen abhält. Der Arbeitsmarkt, einst ein Symbol der Stärke, verzeichnete im Juli nur noch einen minimalen Zuwachs von 73.000 Stellen, während die Zahlen der Vormonate drastisch nach unten korrigiert werden mussten. Die Konsequenzen sind für viele Familien konkret spürbar: Die Kosten für Lebensmittel sind für mehr als die Hälfte der Amerikaner eine Hauptquelle von Stress. Berechnungen der Universität Yale zufolge belasten die Zölle jeden Haushalt mit durchschnittlich 2.400 Dollar pro Jahr an zusätzlichen Kosten.

Besonders hart trifft es die amerikanische Automobilindustrie, einst eine Ikone nationaler Stärke. Anstatt sie zu schützen, wirkt Trumps protektionistische Politik wie ein Mühlstein. Zölle auf Stahl, Aluminium und Teile aus Nachbarländern verteuern die Produktion im eigenen Land massiv. Konzerne wie Ford und General Motors meldeten zollbedingte Mehrkosten in Milliardenhöhe, was dringend benötigtes Kapital für Investitionen in Zukunftstechnologien wie die Elektromobilität bindet. Gleichzeitig wird der Wandel zur E-Mobilität durch die Regierung aktiv sabotiert, indem Steuergutschriften gestrichen und Umweltauflagen demontiert werden. Diese Politik verwandelt das Spielfeld in eine gefährliche Schieflage zuungunsten der heimischen Hersteller. Während die USA sich an eine Vision aus Öl und Stahl klammern, baut China seinen Vorsprung als führender „Elektrostaat“ uneinholbar aus und definiert das Auto als rollenden Computer neu. Die USA drohen, den Anschluss an die wichtigste technologische Revolution seit der Erfindung des Fließbandes zu verlieren und zu einem deindustrialisierten Land zu werden, das technologisch von China abhängig ist.

Im globalen Handelskrieg mit China hat die Regierung zudem ein neues, unorthodoxes Instrument entdeckt, das die Prinzipien der Marktwirtschaft erschüttert. Um den Verkauf von Hochleistungs-KI-Chips von Nvidia und AMD nach China wieder zu ermöglichen, zwingt Washington die eigenen Konzerne, eine Abgabe von 15 Prozent ihrer Umsätze an den Staat abzuführen. Dieser Deal, den Kritiker als eine Form von Erpressung bezeichnen, tauscht nationale Sicherheitsinteressen gegen Staatseinnahmen und sendet das verheerende Signal, dass für die USA alles verhandelbar ist, wenn der Preis stimmt. Es ist ein weiterer Bruch mit etablierten Normen, der das Vertrauen internationaler Partner weiter erodiert.

Gipfel der Eitelkeiten: Wie Putin in Alaska triumphierte

Die Erosion der amerikanischen Verlässlichkeit zeigte sich in dieser Woche nirgends deutlicher als auf der Weltbühne. Das mit großer Geste inszenierte Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin in Alaska, angepriesen als historischer Versuch zur Beendigung des Ukraine-Krieges, entpuppte sich als diplomatisches Desaster für den Westen und als strategischer Triumph für den Kreml.

Die Veranstaltung war von Anfang an mehr Show als Substanz, eine für die Kameras choreografierte Inszenierung der persönlichen Beziehung zweier Männer, bei der die eigentlichen Betroffenen – die Ukraine und die europäischen Verbündeten – zu Statisten degradiert wurden. Nach nur drei Stunden endete der Gipfel abrupt, ohne Waffenstillstand, ohne greifbare Ergebnisse, aber mit einem klaren Sieger: Wladimir Putin.

Für den seit Jahren international geächteten und wegen Kriegsverbrechen gesuchten russischen Präsidenten war der Empfang mit rotem Teppich auf einer US-Militärbasis das Ende seiner Isolation. Er erhielt die globale Bühne und die Anerkennung als ebenbürtiger Staatslenker, ohne dafür die geringste Gegenleistung erbringen zu müssen. Während Trump, getrieben von der Hoffnung auf einen schnellen „Deal“ und dem Wunsch nach einem medienwirksamen Erfolg, auf die persönliche Ebene setzte, nutzte Putin die Eitelkeit seines Gegenübers meisterhaft aus.

Das Ergebnis ist eine fatale Verschiebung der Verhandlungspositionen. Innerhalb weniger Stunden nach dem Treffen verkündete Trump, der beste Weg sei nicht ein Waffenstillstand – die bisher unumstößliche Forderung des Westens –, sondern direkte Verhandlungen über einen umfassenden Friedensvertrag. Damit übernahm er eins zu eins die langjährige Position Putins, der eine Feuerpause stets als taktischen Nachteil für seine vorrückenden Truppen ablehnte. Die Verantwortung für den Frieden wird nun vom Aggressor auf das Opfer abgewälzt: Nicht mehr Russland steht in der Pflicht, seinen Krieg zu beenden, sondern die Ukraine soll einen „Deal“ machen, der nach den Vorstellungen Moskaus die Abtretung des gesamten Donbas beinhalten würde.

Für die europäischen Verbündeten, die übergangen wurden, ist dies ein Schock und die schmerzhafte Erkenntnis, sich auf die Schutzmacht USA nicht mehr verlassen zu können. Die Last der Geschichte und die Vergleiche mit dem Münchner Abkommen von 1938 wiegen schwer. Der Gipfel von Alaska hat keinen Frieden gebracht, sondern die westliche Allianz gespalten und die Ukraine einem Diktatfrieden einen entscheidenden Schritt nähergebracht. Er hat gezeigt, wie schnell völkerrechtliche Prinzipien ins Wanken geraten, wenn die mächtigste Nation der Welt einen rein transaktionalen und auf persönliche Eitelkeiten ausgerichteten Politikansatz verfolgt.

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