
Die ersten 100 Tage einer Präsidentschaft sind traditionell eine Zeit der Weichenstellungen, oft geprägt von einer gewissen Schonfrist durch die Öffentlichkeit. Donald Trumps Start in seine zweite Amtszeit jedoch sprengte diesen Rahmen vom ersten Tag an. Mit beispielloser Geschwindigkeit und Radikalität begann er, die amerikanische Politiklandschaft umzugestalten – innen-, wirtschafts- und außenpolitisch. Seine Anhänger feierten dies auf Kundgebungen wie jüngst in Michigan als Beginn einer „goldenen Ära Amerikas“, befeuert von Trumps Eigenlob, die „erfolgreichsten ersten 100 Tage in der Geschichte unserer Nation“ eingeläutet zu haben. Doch jenseits der treuen Basis zeichnen die Quellen ein anderes Bild: eine Nation im Chaos, historisch niedrige Zustimmungswerte für den Präsidenten und tiefgreifende Sorgen über die Zukunft der Wirtschaft, der demokratischen Institutionen und der globalen Rolle Amerikas. Die ersten 100 Tage von Trump 2.0 offenbaren eine Präsidentschaft, die auf einem riskanten Fundament aus Selbstbeweihräucherung, institutioneller Verachtung und der Mobilisierung einer loyalen Minderheit basiert – mit potenziell verheerenden Folgen für das ganze Land.
Der Präsident und seine zwei Realitäten
Der vielleicht auffälligste Aspekt dieser ersten Monate ist die klaffende Lücke zwischen der Selbstwahrnehmung des Präsidenten und der öffentlichen Meinung. Während Trump sich auf Bühnen wie in Michigan im Applaus seiner Anhänger sonnte und eine angebliche Errungenschaft nach der anderen aufzählte, zeigten Umfragen die niedrigsten Zustimmungswerte für einen Präsidenten nach 100 Tagen seit Beginn moderner Erhebungen. Selbst zu Kernthemen wie Wirtschaft und Einwanderung, die ihm einst halfen, Wahlen zu gewinnen, schwand das Vertrauen der Mehrheit.
Dieser Widerspruch speist sich aus zwei Quellen. Zum einen lebt Trump in einer Echokammer seiner treuesten Anhänger, der sogenannten MAGA-Basis. Für sie bleibt ihr Idol unantastbar, seine oft faktenfreien Behauptungen werden bejubelt, seine Angriffe auf Gegner gefeiert. Ob Trump nun behauptet, die illegale Migration sei um „99,999 Prozent“ gesunken, oder seinen Vorgänger Biden als senilen Greis verunglimpft – die Basis nimmt es hin, ist es gewohnt, dass es ihr „Idol es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt“. Diese Gruppe reicht jedoch nicht aus, um Mehrheiten zu gewinnen. Die breitere Bevölkerung, auch Wechselwähler, die Trump 2024 noch unterstützten, zeigt sich zunehmend alarmiert und enttäuscht. Sie mögen Trumps Ziele teilweise teilen, empfinden seine Methoden aber als zu radikal, chaotisch und beängstigend. Seine ständigen Provokationen, die aggressive Rhetorik und der offenkundige Bruch mit Fakten scheinen diese Kluft weiter zu vertiefen und das Vertrauen in politische Prozesse zu untergraben.

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Wirtschaftspolitik als Abrissbirne: Zölle und der Preis der Willkür
Nirgendwo wurden die disruptiven Kräfte von Trump 2.0 so deutlich wie in der Wirtschaftspolitik. Mit seiner Ankündigung weitreichender, teils universeller Zölle stürzte er die Märkte ins Chaos und beschwor die Gefahr einer Stagflation oder Rezession herauf. Die Begründungen für die Zölle blieben oft vage oder widersprüchlich, selbst Berater wurden im Dunkeln gelassen. Stattdessen schien der Präsident seinem Instinkt oder einer neuen ideologischen Härte zu folgen, gepaart mit einem Hang zur Günstlingswirtschaft: Wer gute Beziehungen zum Präsidenten pflegte, konnte auf Ausnahmen hoffen, wie im Fall von Apple oder durch Trumps öffentliches Prahlen über Gewinne von Freunden wie Charles Schwab durch seine Politik.
Die Folgen dieser erratischen Politik waren schnell spürbar. Unternehmen, insbesondere die stark vernetzte Autoindustrie, schlugen Alarm. Sie warnten vor steigenden Produktionskosten, gefährdeten Arbeitsplätzen und der Unmöglichkeit, unter diesen Bedingungen langfristig zu planen. Selbst treue republikanische Unternehmer äußerten Verzweiflung. Der Druck führte dazu, dass Trump bei den Autozöllen teilweise zurückruderte, was die Verunsicherung aber kaum lindern dürfte. Gleichzeitig trieb Trump, unterstützt von Tech-Milliardär Elon Musk, die Zerschlagung von Teilen der Bundesverwaltung voran. Musks Taskforce „DOGE“ sollte Billionen einsparen, doch die tatsächlichen Ergebnisse blieben weit hinter den vollmundigen Ankündigungen zurück, während Zehntausende Bundesbedienstete entlassen wurden oder kündigten. Dieses Vorgehen ruinierte nicht nur das Vertrauen in die USA als stabilen Wirtschaftsstandort, sondern schadete auch direkt den Interessen vieler Amerikaner, deren Altersvorsorge unter den Börsenturbulenzen litt.

Rechtsstaat unter Beschuss: Von der Grenze bis ins Justizministerium
Parallel zur wirtschaftlichen Destabilisierung erfolgte ein Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien und Institutionen. Besonders sichtbar wurde dies in der Einwanderungspolitik. Trump setzte sein Wahlversprechen einer rigorosen Grenzschließung um. Dabei wurden rechtsstaatliche Verfahrensweisen oft missachtet; Migranten wurden ohne ordentliches Verfahren abgeschoben, teils in Hochsicherheitsgefängnisse in Drittländern wie El Salvador. Selbst als Gerichte eingriffen oder Fehler der Behörden eingeräumt wurden, widersetzte sich die Administration teils offen. Die Zurschaustellung dieser Härte, etwa durch auf Social Media verbreitete Videos von Abschiebungen, schien selbst jene Wähler zu verstören, die grundsätzlich für Abschiebungen sind.
Doch der Angriff auf den Rechtsstaat ging tiefer. Trump attackierte Richter, die seiner Agenda im Weg standen, und nannte sie „linksradikal“ oder „kommunistisch“. Er forderte ihre Amtsenthebung und drohte damit, Gerichtsentscheidungen zu ignorieren. Gleichzeitig nutzte er die Macht des Präsidentenamtes für eine offene Kampagne der Vergeltung gegen Kritiker und ehemalige Mitarbeiter. Karrierestaatsanwälte wurden entlassen, missliebigen Ex-Beamten wie John Bolton oder Anthony Fauci wurde der Sicherheitsschutz entzogen, Universitäten und Anwaltskanzleien gerieten unter Druck, und das Justizministerium wurde angewiesen, nach strafrechtlich relevantem Material gegen Gegner wie Christopher Krebs zu suchen. Die Begnadigung der Randalierer vom 6. Januar 2021, die Trump als „Geiseln“ bezeichnete, sandte ein weiteres Signal: Loyalität zum Präsidenten steht über dem Gesetz. Selbst republikanische Senatoren äußerten hinter vorgehaltener Hand Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Familien.
„America First“ im Rausch der Macht: Die neue globale Unordnung
Auch auf der internationalen Bühne agierte Trump in den ersten 100 Tagen mit einer Radikalität, die langjährige Verbündete schockierte und die globale Ordnung herausforderte. Sein Ansatz scheint von der Überzeugung geprägt, dass internationale Regeln und Allianzen Schwäche bedeuten und nur rohe Macht zählt. Dies demonstrierte er exemplarisch bei der öffentlichen Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office. Die Botschaft war unmissverständlich: Kleine Länder ohne „Karten“ auf der Hand haben den Bedingungen der Mächtigen zu folgen; das Zeitalter multilateraler Vereinbarungen ist vorbei.

Diese Haltung zeigte sich auch in der Verhängung universeller Zölle gegen über 70 Länder, die Trump als „Tag der Befreiung“ feierte, obwohl sie einen protektionistischen Anschlag auf den Welthandel darstellten. Sein Fokus richtete sich primär auf die vermeintlich „großen Spieler“ wie Russland und China, während etablierte Partnerschaften vernachlässigt wurden. Selbst langjährige Nachbarn wie Kanada und Mexiko wurden attackiert. Hinzu kamen bizarre neo-imperiale Anwandlungen: Trump erhob Ansprüche auf Grönland und den Panamakanal, nannte Kanada einen potenziellen 51. Bundesstaat und flirtete mit der Idee, den Gazastreifen zu einem US-kontrollierten Ferienort zu machen. Auch wenn diese Initiativen oft unausgegoren blieben und teils scheiterten, signalisierten sie eine Abkehr von der bisherigen US-Außenpolitik und stießen international auf Entsetzen und Verunsicherung. Die USA unter Trump erschienen nicht mehr als verlässlicher Partner, sondern als unberechenbarer Akteur, der bereit ist, jahrzehntelange Stabilitätsanker über Bord zu werfen.
Entfesselt und radikalisiert: Warum Trump 2.0 noch gefährlicher ist
Viele Beobachter stellen fest, dass Trumps zweite Amtszeit eine neue Qualität der Radikalität aufweist. War sein Handeln im ersten Term noch teilweise durch institutionelle Rahmenbedingungen und kritische Stimmen in seiner Administration begrenzt, so agiert er nun entfesselter. Er umgibt sich fast ausschließlich mit Loyalisten, die ihn in seinem Kurs bestärken, statt ihn zu mäßigen. Sein Team wurde sorgfältig nach Loyalität ausgewählt, oft basierend auf Plänen wie dem „Projekt 2025“ der Heritage Foundation. Kritiker innerhalb und außerhalb der Regierung werden systematisch eingeschüchtert oder bestraft.
Der massive Einsatz von Exekutivanordnungen, die weit über das übliche Maß hinausgehen und teils die Gewaltenteilung herausfordern, ist ein weiteres Merkmal von Trump 2.0. Damit treibt er nicht nur seine politische Agenda voran, sondern forciert auch einen aggressiven Kulturkampf. Mit Verordnungen gegen Diversitäts-, Gleichstellungs- und Inklusionsprogramme (DEI), Angriffen auf „Wokeness“ und der versuchten Einflussnahme auf Kulturinstitutionen wie das Kennedy Center oder die Smithsonian Museen versucht er, konservative Gesellschaftsvorstellungen durchzusetzen und liberale Einflüsse zurückzudrängen. Diese Zuspitzung verschärft die gesellschaftliche Polarisierung und schadet dem sozialen Zusammenhalt. Die Kombination aus institutioneller Enthemmung, loyaler Gefolgschaft und einer radikalisierten Agenda macht Trump in seiner zweiten Amtszeit zu einer noch größeren Herausforderung für die amerikanische Demokratie als in seiner ersten.
Die ersten 100 Tage von Donald Trumps zweiter Präsidentschaft waren keine Phase des Ankommens, sondern ein politischer Blitzkrieg gegen etablierte Normen, Institutionen und einen Großteil der öffentlichen Meinung. Getrieben von einem unerschütterlichen Glauben an die eigene Großartigkeit und gestützt auf eine bedingungslos loyale Basis, hat Trump einen Kurs eingeschlagen, der die USA in eine Ära beispielloser Unsicherheit und Spaltung führt. Die wirtschaftlichen Verwerfungen, die Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien und die internationale Isolation sind bereits jetzt spürbar. Der angerichtete Schaden, insbesondere der Vertrauensverlust in demokratische Institutionen, könnte irreparabel sein. Während Trump in Michigan feierte und versprach „Ihr habt noch nichts gesehen“, blickt der Rest Amerikas und der Welt mit wachsender Besorgnis auf die verbleibenden 1361 Tage dieser Präsidentschaft.