Trumps Zweifrontenkrieg gegen Migranten: Wie die USA den Rechtsstaat aushebeln

Illustration: KI-generiert

Die Regierung Trump hat die amerikanische Einwanderungspolitik radikalisiert. Mit einer Zangenbewegung aus militärisch anmutenden Razzien in Metropolen wie Los Angeles und der stillen, aber folgenschweren Abschaffung fundamentaler Rechtsgarantien wird ein System etabliert, das auf maximale Abschreckung und Inhaftierung setzt. Doch dieser Angriff auf humanitäre und rechtsstaatliche Prinzipien provoziert einen ebenso entschlossenen wie kreativen Widerstand – auf den Straßen und in den Gerichtssälen.

Es ist eine Strategie, die auf zwei Ebenen operiert: der sichtbaren und der unsichtbaren. An der sichtbaren Front herrscht ein Klima der Angst. In Los Angeles patrouillieren nicht nur Beamte der Einwanderungs- und Zollbehörde ICE, sondern auch Tausende Soldaten der Nationalgarde, die von Präsident Donald Trump in einem beispiellosen Akt in die Stadt beordert wurden. Ihre Anwesenheit soll Stärke demonstrieren und unterstreicht die Rhetorik des Weißen Hauses, das die Proteste gegen die rigorosen ICE-Razzien als „Aufruhr“ und „Angriffe auf Bundesbeamte“ abtut. Die Operationen selbst, wie jene vor einem Home-Depot-Baumarkt, wo Tagelöhner wahllos festgenommen wurden, oder in der Nähe des zentralen MacArthur Parks, zielen darauf ab, ganze Gemeinschaften zu destabilisieren. Die Botschaft ist unmissverständlich: Niemand, der ohne Papiere im Land ist, soll sich mehr sicher fühlen.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Doch während diese Bilder der Konfrontation um die Welt gehen, vollzieht sich auf der zweiten, unsichtbaren Ebene ein noch fundamentalerer Angriff. Ein internes Memo des amtierenden ICE-Direktors vom 8. Juli hat die Rechtsgrundlage für Millionen von Einwanderern in den USA über Nacht pulverisiert. Die Anweisung verfügt, dass Personen, die illegal in die USA eingereist sind, grundsätzlich kein Anrecht mehr auf eine Anhörung zur Freilassung auf Kaution haben. Stattdessen sollen sie für die gesamte Dauer ihres oft Monate oder Jahre dauernden Abschiebungsverfahrens inhaftiert bleiben. Damit wird ein zentrales Instrument des Rechtsstaats – die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Haft durch einen unabhängigen Richter – für eine ganze Bevölkerungsgruppe außer Kraft gesetzt. Die Entscheidung über eine mögliche Freilassung liegt nun im alleinigen Ermessen eines Einwanderungsbeamten, nicht mehr bei einem Gericht.

Der Staat als Jäger: Wie in Los Angeles ein neuer Widerstand entsteht

Angesichts dieser doppelten Bedrohung hat sich der Widerstand in Los Angeles neu erfunden. Die anfänglich spontanen Massenproteste, die Tausende auf die Straßen brachten, sind einer methodischeren und auf Langfristigkeit angelegten Strategie gewichen. Die Aktivisten und ihre Unterstützer haben erkannt, dass der Kampf gegen die Politik der Trump-Regierung ein Marathon ist, kein Sprint. Der Kampf, so die Einschätzung von Stadtrat Hugo Soto-Martínez aus Los Angeles, sei auf Jahre angelegt und erfordere eine langfristige Perspektive.

Diese neue Phase des Widerstands ist dezentral, kreativ und tief in den betroffenen Gemeinschaften verwurzelt. Freiwilligen-Netzwerke haben damit begonnen, strategisch wichtige Orte wie die Parkplätze von Baumärkten zu observieren, um Tagelöhner vor drohenden Razzien zu warnen. In Workshops werden die Menschen über ihre Rechte aufgeklärt und mit Informationsbroschüren versorgt. Anwohner organisieren Nachbarschaftspatrouillen, um die Präsenz von ICE-Agenten frühzeitig zu erkennen, und nutzen Informationsnetzwerke, um Warnungen schnell zu verbreiten. Es hat sich eine breite Koalition gebildet, die von traditionellen Aktivistengruppen und großen Gewerkschaften wie SEIU 721 und United Teachers Los Angeles bis hin zu lokalen gemeinnützigen Organisationen wie der Coalition for Humane Immigrant Rights (CHIRLA) reicht. Sogar die Mietervereinigung von Los Angeles beteiligt sich an den Aktionen. Dieser zivilgesellschaftliche Aufstand wird von Teilen der lokalen Politik offen unterstützt. So organisierte das Büro von Stadtrat Soto-Martínez, selbst Sohn mexikanischer Einwanderer, ein Training für gewaltfreien zivilen Ungehorsam, an dem über 1.000 Menschen teilnahmen. Für August ist sogar ein stadtweiter Generalstreik geplant, um den Druck weiter zu erhöhen. Der Konflikt in Los Angeles offenbart damit eine tiefe Kluft zwischen der repressiven Bundespolitik und den Schutzmechanismen und Werten, die auf lokaler Ebene verteidigt werden.

Hinter den Kulissen: Die Abschaffung des Rechts auf Freiheit

Die neue Richtlinie zur Abschaffung der Kautionsanhörungen ist der juristische Kern der neuen, harten Linie. Sie basiert auf einer Neuinterpretation eines Abschnitts des Einwanderungsgesetzes, der besagt, dass nicht autorisierte Einwanderer nach ihrer Verhaftung „inhaftiert werden sollen“ („shall be detained“). Bislang wurde diese Bestimmung vor allem auf Personen angewendet, die erst kürzlich die Grenze überquert hatten. Die Regierung Trump dehnt sie nun auf eine weitaus größere Gruppe aus: auf Millionen von Menschen, die teilweise seit Jahrzehnten in den USA leben, hier Familien gegründet und US-amerikanische Kinder haben. Viele von ihnen hätten potenziell gute rechtliche Argumente, um ihre Abschiebung anzufechten.

Diese juristische Neuausrichtung wird durch eine massive finanzielle Aufrüstung flankiert. Der Kongress hat kürzlich ein Ausgabenpaket verabschiedet, das über vier Jahre 45 Milliarden Dollar für die Inhaftierung von Migranten bereitstellt. Diese Mittel sollen es der ICE ermöglichen, ihre tägliche Haftkapazität auf 100.000 Menschen zu verdoppeln. Die Infrastruktur für die Masseninhaftierung wird also parallel zur Verschärfung der Gesetze ausgebaut. Befürworter dieser Politik, wie das Center for Immigration Studies, argumentieren, dass nur eine konsequente Inhaftierung sicherstelle, dass abgelehnte Asylbewerber auch tatsächlich abgeschoben werden können. Zudem erhoffe man sich eine abschreckende Wirkung auf Menschen, die mit aussichtslosen Anträgen versuchen könnten, das System auszunutzen.

Kritiker halten diese Argumentation für zynisch und rechtlich unhaltbar. Anwaltsvereinigungen berichten bereits aus dem ganzen Land von verweigerten Kautionsanhörungen. Sie sehen darin den Versuch, die Inhaftierung massiv auszuweiten, ohne die individuellen Umstände der Betroffenen zu prüfen. Die Konsequenzen sind gravierend. Menschen, die in Haft sitzen, können nicht mehr für ihre Familien sorgen oder arbeiten. Die Unterbringung in oft abgelegenen Haftanstalten erschwert den Kontakt zu Anwälten und die Vorbereitung einer effektiven Verteidigung erheblich. Besonders alarmierend ist, dass die ICE ihre Razzien zunehmend auf Einwanderer ohne jegliche kriminelle Vergangenheit konzentriert, wie eine Analyse der Washington Post zeigt.

Rechtsstaat in der Schwebe: Der Kampf um die amerikanische Verfassung

Die Auseinandersetzung hat längst die Ebene der politischen Debatte verlassen und ist zu einem fundamentalen Rechtsstreit über die Grundfesten der amerikanischen Verfassung geworden. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU hat im Namen von Einwandererorganisationen und Betroffenen Klage gegen das Heimatschutzministerium eingereicht. Der Vorwurf wiegt schwer: Die Regierung verstoße gegen den vierten und fünften Verfassungszusatz, der die Bürger vor willkürlicher Verhaftung schützt und jedem ein ordentliches Gerichtsverfahren (Due Process) garantiert. Die Massenverhaftungen und die Inhaftierung von Menschen ohne richterliche Prüfung, oft in unzureichenden Einrichtungen ohne Betten oder medizinische Versorgung, seien verfassungswidrig. Die Reaktion des Weißen Hauses auf die Klage ist bezeichnend für ihr Rechtsverständnis: Die Planung und Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen liege „weit außerhalb des Zuständigkeitsbereichs oder der Gerichtsbarkeit eines Richters“.

Der Fall von Ramon Rodriguez Vazquez illustriert auf tragische Weise, wen diese Politik trifft. Er lebte seit 2009 im Bundesstaat Washington, arbeitete als Farmer und ist Großvater von zehn US-Bürgern. Er besitzt ein Haus und hat keine Vorstrafen. Dennoch wurde er verhaftet und ihm eine Kautionsanhörung verweigert. Obwohl ein Bundesrichter später urteilte, dass ihm eine solche Anhörung zustehe, wurde ihm die Kaution verwehrt und er ist inzwischen nach Mexiko zurückgekehrt. Sein Fall zeigt, dass die neue Politik gezielt Menschen mit tiefen sozialen und familiären Wurzeln in den USA trifft, deren Inhaftierung nicht mit einer angeblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit gerechtfertigt werden kann.

Der Kampf, der derzeit in den USA geführt wird, ist mehr als nur eine Auseinandersetzung über Einwanderung. Es ist ein Kampf um die Seele der Nation. Die Regierung Trump versucht, ein System zu etablieren, in dem für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe grundlegende rechtsstaatliche Garantien nicht mehr gelten. Dagegen formiert sich ein Widerstand, der auf die Kraft der Gemeinschaft, die Kreativität des zivilen Ungehorsams und die Stärke der Verfassung setzt. Der Ausgang dieses Konflikts wird nicht nur über das Schicksal von Millionen von Menschen entscheiden, sondern auch darüber, ob die USA ihrem Anspruch als Rechtsstaat treu bleiben.

Nach oben scrollen