Trumps Zoll-Roulette: Pokerspiel mit der Weltwirtschaft oder kalkulierte Eskalation?

Illustration: KI-generiert

Der transatlantische Handel steht am Rande einer neuen, potenziell verheerenden Eskalationsstufe. US-Präsident Donald Trump drohte der Europäischen Union mit Importzöllen von 50 Prozent auf sämtliche Waren – ein Paukenschlag, der die Finanzmärkte erzittern ließ und die diplomatischen Drähte glühen brachte. Ein Telefonat zwischen Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verschaffte eine Atempause: Die Frist zur Einführung der Strafmaßnahmen wurde auf den 9. Juli verschoben. Doch die gewonnene Zeit ist mehr als nur ein Verhandlungsfenster; sie ist Symptom eines tiefgreifenden Konflikts, in dem es längst nicht mehr nur um Handelsbilanzen geht. Vielmehr offenbart sich ein fundamentaler Unterschied im Politikverständnis: hier die EU, die auf einen regelbasierten, geschlossenen Ansatz pocht, dort eine US-Administration, die Unberechenbarkeit zur Strategie erhebt und deren eigentliche Ziele im Nebel taktischer Manöver verborgen bleiben.

Der Basar ist eröffnet: Forderungen, Angebote und rote Linien im transatlantischen Poker

Die Verhandlungspositionen im Zollstreit gleichen einem komplexen Basar, auf dem beide Seiten mit Maximalforderungen und vagen Angeboten agieren. Die Trump-Administration drängt primär auf eine Reduktion des US-Handelsdefizits mit der EU, eine Forderung, die Trump regelmäßig mit dem Vorwurf untermauert, die EU würde die USA „abzocken“. Konkreter, aber nicht minder umstritten, sind Rufe nach Änderungen am europäischen Mehrwertsteuersystem, das Trump fälschlicherweise mit Zöllen gleichsetzt, sowie ein Zurückdrehen von EU-Digitalregulierungen, die US-Tech-Giganten empfindlich treffen. Die EU-Seite wiederum, unter Federführung von Kommissionspräsidentin von der Leyen, deren Krisenmanagement bisher als vorbildlich gilt, hat wiederholt das Angebot eines „Null-Prozent-Zolls“ für alle Industriegüter, inklusive Automobile, auf den Tisch gelegt. Brüssel zeigt sich zudem bereit, mehr amerikanisches Flüssigerdgas (LNG) und Agrarprodukte wie Soja zu importieren und signalisiert Entgegenkommen bei technischen Standards, etwa für US-Autos. Klare rote Linien zieht die Union jedoch bei ihren Lebensmittelstandards und der fortschreitenden Digitalgesetzgebung. Die Verwirrung wird dadurch komplettiert, dass selbst US-Unterhändler wie Handelsminister Lutnick und Handelsbeauftragter Greer laut Brüsseler Quellen zwar eine breite Palette an Trumps Kritikpunkten wiedergeben, aber oft im Unklaren lassen, welche spezifischen Ergebnisse die USA anstreben.

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Trumps Zoll-Roulette: Kalkulierte Strategie oder gefährliches Spiel?

Die wiederholte Androhung drakonischer Zölle, gefolgt von kurzfristigen Verschiebungen, nährt den Verdacht, dass es sich weniger um eine kohärente Handelsstrategie als vielmehr um eine bewusste Verhandlungstaktik handelt – eine Art Erpressungsversuch, wie Kommentatoren mutmaßen. Dieses Muster aus Drohgebärden und anschließenden Kehrtwenden, wie bereits im Handelskonflikt mit China beobachtet, dient Trump mutmaßlich mehreren Zielen. Innenpolitisch kann er sich als starker Mann inszenieren, der kompromisslos amerikanische Interessen vertritt und seiner Basis Erfolge präsentiert, selbst wenn diese sich bei genauerem Hinsehen als überschaubar erweisen. Außenpolitisch scheint ein tiefergehendes Motiv durch: die nachhaltige Schwächung und Spaltung der Europäischen Union. Das Hin und Her der Zollandrohungen wird so zum Mittel eines übergeordneten Zwecks. Seine Unberechenbarkeit wird dabei zum Markenzeichen, ein von Journalisten als „Pseudodrama“ bezeichnetes Schauspiel, das jedoch reale wirtschaftliche und politische Verunsicherung stiftet.

Am Rande des Totalcrashs? Wirtschaftliche Risiken und Nebenwirkungen

Die von Trump ausgelöste Unsicherheit hat bereits deutliche Spuren an den Finanzmärkten hinterlassen; jede neue Drohung lässt Aktienkurse einbrechen. Ökonomen zeichnen ein düsteres Bild für den Fall, dass die angedrohten 50-Prozent-Zölle tatsächlich Realität würden. Für die USA selbst prognostizieren Experten wie Carsten Brzeski von ING oder Julian Hinz vom Kiel Institut höhere Inflation, gedämpftes Wachstum und Jobverluste. Die Europäische Union könnte in eine Rezession abgleiten, wobei Länder wie Irland, Deutschland und Italien besonders stark betroffen wären. Global würde das Wachstum einbrechen, die Wahrscheinlichkeit einer weltweiten Rezession stiege signifikant. Der Ökonom Martin Lück von Macro Monkey geht sogar so weit, Trumps Politik aus Zöllen, Schuldenmacherei und Inflationsbefeurung als „Bastelanleitung für den Totalcrash“ zu bezeichnen. Diese Politik untergrabe das Vertrauen in US-Staatsanleihen, treibe deren Renditen in die Höhe und könnte eine Kapitalflucht aus dem Dollar auslösen. Auch eine Einigung, so warnt etwa Gabriel Felbermayr, würde die grundlegende wirtschaftliche Unsicherheit nicht beseitigen. Letztlich würden die Kosten neuer Zölle wohl an die Verbraucher weitergegeben.

Europas Antwort: Zwischen Geschlossenheit und gezielten Nadelstichen

Angesichts der amerikanischen Drohkulisse setzt die Europäische Union auf eine Doppelstrategie: Geschlossenheit nach außen und die Vorbereitung empfindlicher Gegenmaßnahmen. Die Notwendigkeit eines einigen und entschlossenen Auftretens der 27 Mitgliedsstaaten wird als entscheidend erachtet, um Trumps Versuchen, einen Keil in die Union zu treiben, entgegenzuwirken. Sollten die Verhandlungen scheitern und die USA Zölle verhängen, hat Brüssel bereits Vergeltungsmaßnahmen nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) angekündigt. Zwei Listen mit US-Produkten im Wert von rund 23 bzw. 107 Milliarden Dollar, darunter Maschinen, Sojabohnen und Bourbon, stehen bereit. Darüber hinaus erwägt die EU, erstmals den amerikanischen Dienstleistungssektor ins Visier zu nehmen, insbesondere „Big Tech“-Unternehmen, bei denen die USA einen Handelsüberschuss mit Europa erzielen. Auch das neue Anti-Zwangsmaßnahmen-Instrument, das den Ausschluss von US-Firmen von EU-Ausschreibungen ermöglichen könnte, wird als Option genannt. Deutsche Spitzenpolitiker wie Bundeskanzler Merz betonen, Europa sei kein „Bittsteller“ und müsse sich seiner eigenen Stärke bewusst sein. Trotz der angespannten Lage gibt es Signale der Gesprächsbereitschaft; EU-Handelskommissar Šefčovič berichtete von „guten Gesprächen“ und einer Vereinbarung, die Verhandlungen zu beschleunigen.

Gipfeldiplomatie und inszenierte Triumphe: Die persönliche Ebene im Zollpoker

Das direkte Telefonat zwischen Ursula von der Leyen und Donald Trump markiert eine neue Stufe in den Verhandlungen. Von Trump als „sehr nettes Gespräch“ beschrieben, war es von der Leyens Initiative, die festgefahrenen Gespräche auf höchster Ebene wieder in Gang zu bringen. Die EU-Kommissionspräsidentin scheint dabei die Taktik zu verfolgen, Trump den Raum für einen innenpolitisch inszenierbaren Triumph zu lassen, solange substanzielle europäische Interessen gewahrt bleiben. Für beide Seiten geht es darum, ein gesichtswahrendes Ergebnis zu erzielen. Trump muss jeden Deal, und sei er noch so klein, als persönlichen Sieg verkaufen können, während die EU-Kommission darauf achten muss, keine Zugeständnisse zu machen, die die Einheit der 27 Mitgliedstaaten gefährden könnten.

Trumps Erbe? Erosion von Vertrauen und die Suche nach Alternativen

Der aggressive handelspolitische Kurs der Trump-Administration hat bereits jetzt tiefe Gräben im transatlantischen Verhältnis hinterlassen und schadet der internationalen Stellung sowie der wirtschaftlichen Glaubwürdigkeit der USA. Analysten beschreiben Trumps Politik als „Gift für die Wirtschaft“ und sehen ein schwindendes Vertrauen in den Dollar als Weltleitwährung. Die „Leitplanken scheinen sich zu lösen“, so eine Beobachtung von Capital Economics, und die Risikobereitschaft für Investitionen in den USA sinkt. Diese Entwicklung könnte dem Euro die Chance eröffnen, als alternative Reservewährung an Bedeutung zu gewinnen. Die Kommentare von Lesern amerikanischer Medien spiegeln eine tiefe Skepsis gegenüber Trumps Motiven und seiner als erratisch empfundenen Politik wider, bis hin zu Vorwürfen der Marktmanipulation.

Ob bis zum 9. Juli eine umfassende Einigung gelingt oder nur ein weiterer Aufschub im „Pseudodrama“ erreicht wird, bleibt ungewiss. Die Episode zeigt jedoch deutlich: Die transatlantischen Beziehungen stehen unter erheblichem Stress. Eine kurzfristige Deeskalation mag möglich sein, doch das von Trump verursachte Misstrauen und die wirtschaftliche Unsicherheit werden die Beziehungen zwischen den USA und Europa noch lange belasten. Der Zollstreit ist somit mehr als ein wirtschaftliches Geplänkel; er ist ein Testfall für die europäische Einheit und ein Menetekel für die Stabilität der globalen Ordnung in Zeiten populistischer Disruption.

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