Trumps Zoll-Mauer bröckelt: Ein Gerichtsurteil erschüttert das Weiße Haus – doch die wahre Zerreißprobe steht noch bevor

Illustration: KI-generiert

Es ist eine Mauer, die man nicht sehen, aber fühlen kann. Eine protektionistische Barriere, errichtet nicht aus Stahl und Beton, sondern aus Paragrafen und Prozenten, die den amerikanischen Markt vom Rest der Welt abschotten soll. Seit Monaten ist diese Zoll-Mauer das Herzstück von Präsident Donald Trumps Wirtschaftspolitik – ein Symbol des Trotzes und ein Instrument des maximalen Drucks. Doch nun hat diese Mauer Risse bekommen. Ein juristisches Erdbeben, ausgelöst durch ein Urteil des Bundesberufungsgerichts in Washington, hat das Fundament dieser Politik erschüttert. Die Richter erklärten Trumps Vorgehen für illegal, einen Griff nach Macht, den die Verfassung nicht deckt.

Und doch geschieht auf den ersten Blick: nichts. Die Zölle bleiben vorerst in Kraft, die Lastwagen an den Grenzen zahlen weiter, die Unsicherheit für Unternehmen bleibt. Es ist diese surreale Stille nach dem Beben, die den wahren Kern des Dramas enthüllt. Denn bei diesem Konflikt geht es längst nicht mehr nur um Handelsbilanzen oder den Preis von Importgütern. Es geht um die Statik des amerikanischen Regierungssystems selbst.

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Das Urteil ist mehr als ein handelspolitischer Rückschlag; es ist der vorläufige Höhepunkt eines politischen Vabanquespiels, bei dem die Grenzen der präsidialen Macht mit brachialer Kraft neu ausgelotet werden. Während das Weiße Haus die Institutionen bis zum Äußersten dehnt, entsteht eine gefährliche Kluft zwischen der abgekoppelten Gelassenheit der Finanzmärkte, den realen Ängsten der Bevölkerung und der verfassungsrechtlichen Realität. Das Urteil ist kein Endpunkt. Es ist der Beginn einer Zerreißprobe für ein System, dessen berühmte „checks and balances“ auf dem Prüfstand stehen wie selten zuvor.

Die Allzweckwaffe: Warum ein altes Notstandsgesetz zum Generalschlüssel der Handelspolitik wurde

Um die Wucht des Urteils zu verstehen, muss man den Ursprung dieses Konflikts betrachten. Warum griff das Weiße Haus zu einem Instrument, das so offensichtlich zweckentfremdet wurde? Die Antwort liegt in einem einzigen Wort: Geschwindigkeit. Präsident Trump wollte eine handelspolitische Schocktherapie, schnell, umfassend und ohne den mühsamen Umweg über den Kongress. Die herkömmlichen Werkzeuge der US-Handelspolitik erschienen dafür ungeeignet – zu langsam, zu begrenzt, zu sehr auf Konsens und Untersuchung ausgelegt. Gesetze wie der Trade Act von 1974 erlauben zwar Zölle, aber nur unter strengen Auflagen: meist auf 15 Prozent begrenzt, für maximal 150 Tage und nur nach langwierigen Untersuchungen der Handelskommission. Sie sind das chirurgische Skalpell der Handelspolitik. Trump aber suchte den Vorschlaghammer.

Diesen fand er im International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) von 1977. Ein Relikt des Kalten Krieges, geschaffen, um feindliche Nationen mit Sanktionen zu belegen, ihre Konten einzufrieren und den Handel zu unterbinden. Das Wort „Zoll“ taucht in dem Gesetz nicht einmal auf. Doch es verleiht dem Präsidenten in Zeiten eines ausgerufenen „nationalen Notstands“ weitreichende Befugnisse. Genau hier setzte die Trump-Administration an. Sie definierte kurzerhand alles, was ihrer Agenda im Weg stand, zur nationalen Krise: die Handelsdefizite mit fast allen Ländern der Welt, der illegale Drogenhandel und die Migration aus Mexiko, China und Kanada.

Es war ein Schachzug von atemberaubender Kühnheit. Ein Gesetz, das für Schurkenstaaten wie den Iran oder Nordkorea gedacht war, wurde nun zur Waffe gegen die engsten Verbündeten. Kein Präsident zuvor hatte es gewagt, das IEEPA auf diese Weise zu interpretieren. Damit wurde ein Notstandsgesetz, das für außergewöhnliche Bedrohungen konzipiert war, zur Allzweckwaffe für die alltägliche Wirtschaftspolitik. Das Weiße Haus schuf sich so einen exekutiven Bypass, der es ihm erlaubte, den Souverän in Steuerfragen – den Kongress – einfach zu umgehen.

Die rote Linie: Wenn die Verfassung zurückbeißt

Doch jede Machtverschiebung in einem demokratischen System erzeugt Gegenkräfte. Die Klagen ließen nicht lange auf sich warten, eingereicht von Dutzenden Bundesstaaten und kleinen Unternehmen, die sich von den Zöllen in ihrer Existenz bedroht sahen. Sie argumentierten, dass ein seit 49 Jahren bestehendes Handelsdefizit kaum die Definition einer plötzlichen, „außergewöhnlichen Bedrohung“ erfülle, die das IEEPA voraussetzt. Vor allem aber pochten sie auf ein Grundprinzip der amerikanischen Verfassung: Die Macht, Steuern und Zölle zu erheben, liegt allein beim Kongress.

Das Berufungsgericht folgte nun dieser Argumentation mit bemerkenswerter Klarheit. In seiner 7-zu-4-Entscheidung schrieben die Richter, es sei „unwahrscheinlich, dass der Kongress beabsichtigte, dem Präsidenten eine unbegrenzte Autorität zur Verhängung von Zöllen zu gewähren“. Dieser Satz ist mehr als eine juristische Floskel; er ist eine schallende Ohrfeige für das Rechtsverständnis des Weißen Hauses und eine Verteidigung der Gewaltenteilung. Die Regierung hatte versucht, ihr Vorgehen mit einem historischen Präzedenzfall aus der Nixon-Ära zu rechtfertigen. Damals hatte Präsident Richard Nixon im Zuge der Abkopplung des Dollars vom Goldstandard ebenfalls Notstandsbefugnisse genutzt. Doch die Richter wischten diesen Vergleich vom Tisch: Nixon handelte unter einem viel älteren und vageren Gesetz, dem Trading With the Enemy Act, dessen weitreichende Befugnisse der Kongress mit dem IEEPA später bewusst eingeschränkt hatte.

Das Gericht zog damit eine rote Linie. Es signalisierte, dass die präsidiale Macht selbst in ausgerufenen Notständen nicht absolut ist. Die Verfassung, so die Botschaft, ist kein Wunschkatalog, aus dem sich eine Regierung nach Belieben bedienen kann. Sie ist ein Regelwerk mit harten Grenzen – und das Gericht sieht sich als deren Wächter.

Das große Paradoxon: Warum die Wall Street feiert, während die Main Street zittert

Während im Justizpalast die Grundfesten der Handelspolitik wackelten, herrschte an der Wall Street eine fast schon irritierende Ruhe. Nach einem kurzen Schock im Frühjahr, als die „Liberation Day“-Zölle erstmals angekündigt wurden, hatten sich die Aktienmärkte schnell erholt und notierten wieder auf Rekordniveau. Händler und Analysten schienen die Zölle eingepreist zu haben, beruhigt von soliden Wirtschaftsdaten und der Hoffnung auf sinkende Zinsen.

Diese finanzwirtschaftliche Gelassenheit steht jedoch in einem schrillen Kontrast zur Fieberkurve der öffentlichen Meinung. Umfragen zeichnen seit Monaten ein eindeutiges Bild: Trumps Zollpolitik ist zutiefst unpopulär. Eine Erhebung des Pew Research Center im August ergab, dass 61 Prozent der Amerikaner die Zölle ablehnen, eine Zahl, die sich seit April kaum verändert hat. Besonders alarmierend für die Republikaner: Nur 15 Prozent der Befragten befürworten die Politik „stark“, während 39 Prozent sie „stark ablehnen“.

Es ist ein tiefes Misstrauen, das sich hier Bahn bricht, gespeist aus einer ganz alltäglichen Sorge: der Angst vor steigenden Preisen. Während die Makroökonomen noch über Inflationsraten debattieren, haben viele Bürger das Urteil längst gefällt. Für sie sind Zölle eine versteckte Steuer, die alles verteuert, vom Einkauf im Supermarkt bis zum neuen Auto. Diese Sorge ist nicht abstrakt. Sie manifestiert sich in realen Konsequenzen wie den jüngsten Entlassungen beim Landmaschinenhersteller John Deere, der die Zollkosten als Mitgrund für den Stellenabbau anführte.

Hier offenbart sich das große Paradoxon dieser Politik: Während die globalisierten Finanzmärkte die Turbulenzen als beherrschbar einstufen, spüren die Menschen vor Ort – die Arbeiter, die Farmer, die Kleinunternehmer – die Verwerfungen direkt. Es ist die Kluft zwischen der abstrakten Welt der Börsenkurse und der konkreten Welt der Haushaltsbudgets. Und diese Kluft ist politischer Sprengstoff.

Poker um Milliarden: Die Interessen im Clinch

Die Drohung des Justizministeriums, eine endgültige Aufhebung der Zölle könne zum „finanziellen Ruin“ der Vereinigten Staaten führen, klingt dramatisch, offenbart aber den Kern der Auseinandersetzung. Es geht um gewaltige Summen und knallharte Interessen. Die Zolleinnahmen haben sich binnen eines Jahres auf 159 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Dieses Geld hat nicht nur geholfen, die massiven Steuersenkungen der Regierung zu finanzieren, es diente auch als mächtiges Druckmittel in internationalen Verhandlungen.

Länder wie Japan oder die Europäische Union sahen sich gezwungen, einseitige Handelsabkommen zu akzeptieren, um noch höheren Strafzöllen zu entgehen. Die Zölle waren somit mehr als nur eine Einnahmequelle; sie waren der Hebel, mit dem Trump die globale Handelsordnung nach seinen Vorstellungen umformen wollte. Ein Verlust dieses Instruments würde die Verhandlungsposition der USA empfindlich schwächen und könnte Handelspartner ermutigen, bestehende Abkommen neu zu verhandeln oder zukünftigen Forderungen zu widerstehen.

Auf der anderen Seite stehen die Interessen der heimischen Wirtschaft. Kläger wie das Liberty Justice Center argumentieren, dass die Zölle amerikanischen Unternehmen durch die unkalkulierbare Politik schaden. Und während die Demokraten die Zölle zwar kritisieren, haben sie sich bisher auf andere politische Kämpfe konzentriert, etwa auf die Innen- oder Gesundheitspolitik. Dieser Mangel an einem geschlossenen politischen Widerstand aus dem Kongress hat erst den Raum geschaffen, den die Justiz nun zu füllen versucht.

Nach dem Urteil ist vor der Entscheidung: Amerikas Handelspolitik am Scheideweg

Was also bleibt nach diesem juristischen Paukenschlag? Zunächst einmal Unsicherheit. Das Weiße Haus hat geschworen, den Kampf bis zum Supreme Court zu führen. Präsident Trump selbst erklärte das Urteil in seiner typischen Art zur existenziellen Bedrohung für die Nation, die „die Vereinigten Staaten von Amerika buchstäblich zerstören“ würde. Die endgültige Entscheidung liegt nun bei den neun Richtern des Obersten Gerichtshofs.

Sollten sie das Urteil bestätigen, stünde die Regierung vor einem Scherbenhaufen. Sie müsste nicht nur potenziell Milliarden an Zöllen zurückerstatten, sondern wäre auch gezwungen, für zukünftige handelspolitische Maßnahmen auf die schwächeren, langsameren Gesetze zurückzugreifen. Die Ära des unilateralen Handelsdirigismus via Notstandsdekret wäre vorbei. Sollte der Supreme Court das Urteil jedoch kippen, wäre dies ein Freibrief für eine weitere Ausdehnung der exekutiven Macht – mit kaum absehbaren Folgen für die Balance im Regierungssystem.

Vielleicht liegt die größte historische Bedeutung dieses Moments aber woanders. Das Urteil ist ein Weckruf an den Kongress, seine verfassungsmäßige Rolle zurückzufordern. Über Jahrzehnte haben die Abgeordneten ihre Macht in der Handelspolitik Stück für Stück an den Präsidenten abgetreten. Nun hat die Justiz ihnen die Tür geöffnet, dieses Machtvakuum wieder zu füllen. Ob sie den Mut dazu aufbringen, wird die entscheidende Frage für die Zukunft der amerikanischen Handelspolitik sein.

Bis dahin bleibt die Zoll-Mauer stehen, rissig und untergraben, aber noch immer ein massives Hindernis. Sie ist zum Monument eines Machtkampfes geworden, der weit über die Wirtschaft hinausreicht. Es ist der Kampf um die Frage, ob die amerikanische Demokratie ein System von Gesetzen oder ein System von Männern ist. Die Antwort darauf wird nicht nur in den Gerichtssälen, sondern auch an den Wahlurnen gegeben werden.

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