
Ein einziges, gigantisches Gesetzeswerk sollte der krönende Auftakt für Donald Trumps zweite Amtszeit werden – doch stattdessen entpuppt sich das Ringen um seine Verabschiedung als schonungslose Offenlegung der tiefen Risse, die die Republikanische Partei durchziehen. Was als Demonstration der Stärke gedacht war, wird zur Zerreißprobe. Es ist ein Kampf, der weit über die Paragrafen eines 3,3 Billionen Dollar schweren Pakets hinausgeht. Er wird an ideologischen Frontlinien ausgetragen, in den Hinterzimmern des Senats und unter dem unerbittlichen Druck eines Präsidenten, für den Loyalität die einzige Währung ist. Die Debatte um das „One Big Beautiful Bill Act“ ist zu einer Schlacht um die Seele der Grand Old Party geworden, deren Ausgang ungewiss ist und deren Kollateralschäden bereits jetzt sichtbar werden.
Ein Gesetz, viele Feinde: Die Frontlinien des Aufstands
Auf dem Papier liest sich das Gesetzespaket wie eine Wunschliste des konservativen Amerikas: umfassende Verlängerungen der Steuersenkungen von 2017, Milliarden für die Grenzsicherung und Verteidigung sowie populistische Wahlversprechen wie eine Steuerbefreiung für Trinkgelder. Doch der Preis dafür ist ein radikaler Einschnitt an anderer Stelle: Allein 1,1 Billionen Dollar sollen bei Gesundheitsprogrammen gekürzt werden, was laut Congressional Budget Office dazu führen könnte, dass bis 2034 fast 12 Millionen Menschen ihren Versicherungsschutz verlieren. Genau an diesem Punkt entzündet sich der Widerstand – und er kommt aus allen Richtungen.

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Die Rebellion hat viele Gesichter und noch mehr Motive. Da sind zum einen die Moderaten wie Susan Collins aus Maine und Lisa Murkowski aus Alaska. Sie fürchten die konkreten Auswirkungen der drastischen Medicaid-Kürzungen auf ihre Bundesstaaten. Collins kämpft um einen größeren Fonds, um ländliche Krankenhäuser vor dem Kollaps zu bewahren, und schlägt sogar eine höhere Steuer für Spitzenverdiener vor – ein Affront für die Parteilinie. Murkowski wiederum nutzt ihre entscheidende Stimme, um ein ganzes Bündel an Ausnahmeregelungen für Alaska auszuhandeln, etwa bei der Finanzierung von Lebensmittelhilfen. Das Ringen um diese „Zuckerbrot“-Politik zeigt, wie sehr die Parteiführung gezwungen ist, auf Partikularinteressen einzugehen, um die fragile Mehrheit nicht zu verlieren.
Auf der komplett entgegengesetzten Seite des Spektrums steht eine Gruppe konservativer Hardliner um die Senatoren Rick Scott aus Florida und Ron Johnson aus Wisconsin. Ihnen gehen die vorgeschlagenen Kürzungen nicht weit genug. Sie fordern eine Abstimmung über eine weitere Verschärfung der Medicaid-Finanzierung, was die moderate Flanke der Partei endgültig verprellen könnte. Zwischen diesen Polen agiert der fiskalkonservative Senator Rand Paul aus Kentucky, der das Gesetz rundheraus ablehnt, weil es die Staatsschulden um weitere 5 Billionen Dollar erhöhen würde. Diese Zersplitterung in Moderation, Pragmatismus, fiskalpolitische Orthodoxie und radikale Sparappelle macht deutlich: Einen einheitlichen republikanischen Willen gibt es nicht mehr.
Loyalität oder Rückzug: Der Preis des Widerspruchs
Die tiefste Wunde schlägt der Konflikt jedoch dort, wo er Prinzipien und persönlichen Druck unversöhnlich aufeinanderprallen lässt. Niemand verkörpert dies so dramatisch wie Senator Thom Tillis aus North Carolina. Einst ein loyaler Unterstützer, der seine Wahl 2014 mit dem Slogan „make America great again“ gewann, hat er sich nun zum profiliertesten Gegner des Gesetzes entwickelt. Sein Argument ist ebenso einfach wie fundamental: Das Paket bricht Trumps explizites Versprechen, Medicaid nicht anzutasten, und würde allein in seinem Heimatstaat über 660.000 Menschen die Gesundheitsversorgung kosten. Er nannte das Vorgehen einen „Fehler“, der von „Amateuren“ im Weißen Haus vorangetrieben werde.
Die Reaktion des Präsidenten war ebenso schnell wie brutal. Trump griff Tillis öffentlich an, drohte ihm mit einem parteiinternen Herausforderer bei der nächsten Wahl und stellte seine politische Zukunft infrage. Wenig später verkündete ein sichtlich zermürbter Tillis seinen Rückzug aus der Politik. Fast zeitgleich kündigte mit dem Abgeordneten Don Bacon aus Nebraska ein weiterer Republikaner an, nicht erneut zu kandidieren. Bacon, der sich selbst als „traditionellen Konservativen“ bezeichnet, fühlt sich im Dauerkonflikt über Handelspolitik und internationale Bündnisse aufgerieben. Er wolle nicht dem „Flötenspieler von der Klippe folgen“.
Diese Rücktritte sind mehr als persönliche Entscheidungen; sie sind Symptome eines Phänomens, das ein Kommentator als „Selbst-Deportation aus Washington“ bezeichnete. Es zeigt, dass für kritische und unabhängige Stimmen kaum noch Platz in der Partei ist. Der ehemalige Senator Jeff Flake, der selbst nach Konflikten mit Trump sein Amt aufgab, fasst das Dilemma zusammen: Den Spagat zu meistern, unter einem Präsidenten, der einen bereits öffentlich angezählt hat, unabhängig zu bleiben, sei schlicht „zu viel verlangt“. Die Reaktion des Weißen Hauses auf Tillis‘ Abgang unterstreicht diese Haltung mit eisiger Kälte. Seine Bedenken seien falsch, der Präsident habe dies klargestellt und der Senator kandidiere ja nun ohnehin nicht mehr – Fall erledigt, so die Botschaft von Pressesprecherin Karoline Leavitt. Es ist eine unmissverständliche Warnung an alle, die es wagen könnten, aus der Reihe zu tanzen.
Kollateralschaden für die Midterms: Ein Sieg, der zur Niederlage werden könnte
Während die Parteiführung verzweifelt um jede Stimme kämpft und dabei selbst die komplexen prozeduralen Hürden des Senats wie die „Byrd rule“ und den Abstimmungsmarathon der Demokraten zu meistern versucht, wächst die Sorge vor den politischen Langzeitfolgen. Jeder Abgeordnete, der dem Gesetz zustimmt, geht ein erhebliches Risiko ein, insbesondere in den hart umkämpfen Wahlkreisen. Die Demokraten sind bereits dabei, jede umstrittene Abstimmung zu nutzen, um die Republikaner bei den kommenden Wahlen anzugreifen.
Noch gefährlicher ist jedoch der durch die Rücktritte von Tillis und Bacon entstandene Schaden. Beide hinterlassen offene Sitze in Regionen, die für die Republikaner alles andere als sicher sind. Tillis galt als der am stärksten gefährdete republikanische Senator, und Bacons Distrikt wählte bei der letzten Präsidentschaftswahl mehrheitlich demokratisch. Einen offenen Sitz verteidigen zu müssen, während die politische Energie auf der Seite des Gegners liegt, ist ein Albtraum für Wahlkampfstrategen. Die Entscheidungen haben die Demokraten beflügelt und die Republikaner in Sorge versetzt. Die Ironie ist greifbar: Der Versuch, mit aller Macht einen politischen Sieg zu erzwingen, könnte genau jene moderaten Abgeordneten vergraulen oder ihre Wiederwahl kosten, deren Stimmen die Partei zur Sicherung ihrer knappen Mehrheiten so dringend benötigt.
Letztlich ist das Ringen um dieses eine Gesetz zu einem Brennglas geworden, das die Erosion der Republikanischen Partei als Koalition unterschiedlicher konservativer Strömungen sichtbar macht. Der unbedingte Anspruch auf Loyalität gegenüber einer einzigen Person hat die ideologischen Debatten abgelöst. Ob das Gesetz am Ende mit hauchdünner Mehrheit durch den Senat kommt, ist fast zweitrangig. Der parteiinterne Bürgerkrieg hat bereits begonnen, und seine Opfer sind nicht nur politische Karrieren, sondern auch die Fähigkeit der Partei, einen kohärenten Kurs zu steuern. Die Risse, die jetzt so offen zutage treten, werden sich nicht so schnell wieder kitten lassen.