Trumps Triumph des Willens: Ein teuer erkauftes Gesetz spaltet die USA

Illustration: KI-generiert

Nach einer historischen Marathonsitzung peitscht eine zerstrittene Republikanische Partei ein gigantisches Steuer- und Ausgabengesetz durch den US-Senat. Das als „One Big Beautiful Bill“ gepriesene Paket ist eine radikale Wette auf die Zukunft – finanziert auf dem Rücken der Armen und kommender Generationen. Die Verabschiedung ist ein Lehrstück über politische Macht, innerparteiliche Zerrissenheit und die fragile Statik der amerikanischen Finanzen.

Washington, 1. Juli 2025 – Die Luft im Senat der Vereinigten Staaten war nach über 24 Stunden ununterbrochener Debatte und fast 50 Abstimmungen zum Schneiden dick. In den frühen Morgenstunden, als müde Senatoren sich in Decken hüllten und Mitarbeiter mit Kaffee gegen den Schlaf ankämpften, kulminierte einer der erbittertsten legislativen Kämpfe der jüngeren amerikanischen Geschichte in einem dramatischen Patt. Am Ende war es Vizepräsident J.D. Vance, der mit seiner entscheidenden Stimme das 51:50 besiegelte und Donald Trumps innenpolitisches Prestigeprojekt, den „One Big Beautiful Bill Act“ (OBBBA), über die Ziellinie hievte.

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Doch der knappe Sieg, errungen in einem als „Vote-a-rama“ bekannten parlamentarischen Ausnahmezustand, fühlt sich weniger wie ein Triumph der Regierungsmehrheit an als vielmehr wie ein Pyrrhussieg. Das Gesetz, das nun zur finalen Abstimmung zurück ins Repräsentantenhaus geht, ist nicht nur ein Gesetzespaket – es ist eine ideologische Kampfansage. Es zementiert eine massive Umverteilung von unten nach oben, stellt die Weichen für eine dramatische Neuverschuldung und legt die tiefen ideologischen Gräben innerhalb der Republikanischen Partei schonungslos offen. Während das Weiße Haus von einem „historischen Wohlstand“ fabuliert, warnen unabhängige Experten und sogar namhafte Republikaner vor den verheerenden sozialen und fiskalischen Konsequenzen. Der Weg dieses Gesetzes durch den Kongress, geprägt von Drohungen, teuren Zugeständnissen und dem Bruch mit fiskalischen Konventionen, erzählt die Geschichte einer Partei, die unter dem eisernen Willen ihres Anführers bereit ist, eine hochriskante Wette auf die Zukunft der Nation einzugehen.

Eine radikale Umverteilung von unten nach oben

Im Kern des über 900 Seiten starken Gesetzespakets steht eine simple, aber folgenschwere Entscheidung: die dauerhafte Verlängerung der weitreichenden Steuersenkungen aus Donald Trumps erster Amtszeit. Maßnahmen, die Ende dieses Jahres ausgelaufen wären, sollen nun permanenter Bestandteil des amerikanischen Steuercodes werden. Profiteure dieser Regelung sind vor allem Unternehmen und die wohlhabendsten Amerikaner. Analysen zeigen ein drastisches Ungleichgewicht: Während die obersten 0,1 Prozent der Einkommensbezieher mit einer jährlichen Steuererleichterung von fast 300.000 US-Dollar rechnen können, erhält das einkommensschwächste Fünftel der Bevölkerung eine Entlastung von durchschnittlich gerade einmal 160 Dollar.

Finanziert wird diese Großzügigkeit für die Reichsten durch brutale Einschnitte in das soziale Netz der USA. Das Gesetz nimmt vor allem Medicaid ins Visier, die staatliche Krankenversicherung für Menschen mit geringem Einkommen und Behinderungen. Über die nächste Dekade sollen hier rund eine Billion Dollar eingespart werden. Die Konsequenzen sind laut dem parteiunabhängigen Congressional Budget Office (CBO) dramatisch: Bis 2034 würden fast 12 Millionen Amerikaner ihren Krankenversicherungsschutz verlieren. Gleichzeitig werden die Anforderungen für Bezieher von Lebensmittelmarken (SNAP) verschärft und die Bundesstaaten gezwungen, einen größeren Teil der Kosten zu tragen, was das Programm für Millionen Kinder und Senioren aushöhlt. Auch bei der Finanzierung von Hochschulbildung und Krediten für Studenten wird der Rotstift angesetzt. Diese massive Verschiebung von Mitteln – weg von der sozialen Absicherung der Schwächsten, hin zur Entlastung der Stärksten – markiert eine fundamentale Abkehr von der Vision eines breit geteilten Wohlstands und zementiert eine Politik, die Ungleichheit nicht nur in Kauf nimmt, sondern aktiv fördert.

Der Preis der Einheit: Zähes Ringen und teure Kompromisse

Die hauchdünne Mehrheit im Senat täuscht über die tiefen Risse hinweg, die das Gesetz durch die Reihen der Republikaner getrieben hat. Die Verabschiedung war nur durch einen zermürbenden Verhandlungsmarathon und teuer erkaufte Zugeständnisse an parteiinterne Kritiker möglich. Im Zentrum dieses Ringens stand Senatorin Lisa Murkowski aus Alaska. Ihre Stimme galt bis zuletzt als unsicher, ihre Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung und die Wirtschaft in ihrem ländlichen Bundesstaat waren erheblich.

Um ihr „Ja“ zu sichern, packten die republikanischen Anführer ein ganzes Bündel an „Süßigkeiten“ in das Gesetz. Der Fonds zur Unterstützung ländlicher Krankenhäuser wurde auf Druck Murkowskis und der ebenfalls zögernden Senatorin Susan Collins aus Maine auf 50 Milliarden Dollar verdoppelt. Für Alaska wurden spezielle Ausnahmeregelungen beim Ernährungshilfeprogramm SNAP und sogar eine erweiterte Steuererleichterung für Walfang-Kapitäne verankert – ein Paradebeispiel für den politischen Kuhhandel, der nötig war, um die Reihen zu schließen. Murkowski selbst nannte ihre Entscheidung „quälend“ und kritisierte den von Trump gesetzten „künstlichen“ Zeitdruck, der eine sorgfältige Beratung verhindert habe.

Während moderate Republikaner wie Murkowski und Collins um die Abfederung der sozialen Härtefälle rangen, kam die schärfste Kritik von der anderen Seite des Spektrums. Fiskalkonservative Hardliner im Repräsentantenhaus, wie Chip Roy aus Texas, kritisierten das Gesetz als nicht weitreichend genug. Ihnen gingen die Ausgabenkürzungen nicht weit genug, und sie bemängelten, dass das Paket die Staatsverschuldung weiter aufblähe, anstatt sie zu reduzieren. Diese fundamentale Spaltung zwischen Moderaten, die die politischen Kosten von Sozialkürzungen fürchten, und Falken, für die keine Kürzung tief genug sein kann, offenbart die ideologische Zerreißprobe, vor der die Partei steht. Dass am Ende drei republikanische Senatoren – Collins, der libertäre Rand Paul und der scheidende Thom Tillis – mit den Demokraten stimmten, unterstreicht die Brüchigkeit des errungenen Kompromisses.

Wachstumswunder oder Schuldenbombe? Der Kampf um die Realität

Selten klafften die offizielle Darstellung einer Regierung und die Analyse unabhängiger Experten so weit auseinander wie bei der fiskalischen Bewertung des OBBBA. Das Weiße Haus und seine Verbündeten im Kongress zeichnen das Bild eines sich selbst finanzierenden Wachstumsmotors. Sprecher Mike Johnson spricht von „außergewöhnlichem Wirtschaftswachstum“, und Präsident Trump selbst behauptet, das Gesetz werde die Schulden senken und für „historischen Wohlstand“ sorgen.

Diese optimistische Erzählung steht in scharfem Kontrast zur nüchternen Prognose des CBO. Die Haushaltsexperten des Kongresses errechneten, dass der Gesetzentwurf in seiner Senatsfassung die amerikanische Staatsverschuldung innerhalb von zehn Jahren um zusätzliche 3,3 Billionen US-Dollar erhöhen wird – noch einmal 500 Milliarden mehr als die bereits teure Version des Repräsentantenhauses. Um diese Realität zu umgehen, griffen die Republikaner zu einem umstrittenen buchhalterischen Kniff: Sie deklarierten die fast 4 Billionen Dollar teure Verlängerung der 2017er-Steuersenkungen als quasi kostenfrei, da diese Politik ja bereits existiere. Dies ignoriert geflissentlich, dass die Maßnahmen bewusst mit einem Ablaufdatum versehen wurden, um ebenjene langfristigen Kosten bei ihrer ursprünglichen Verabschiedung zu verschleiern.

Diese Weigerung, die tatsächlichen Kosten anzuerkennen, und die wiederholten Angriffe auf die Glaubwürdigkeit des CBO markieren einen gefährlichen Bruch mit der Tradition fiskalischer Verantwortung. Kritiker warnen, dass diese Politik nicht nur die nationale Verschuldung auf ein neues, gefährliches Niveau hebt, sondern auch das Vertrauen der Finanzmärkte untergraben könnte. Die Verabschiedung eines der teuersten Gesetze seit Generationen ohne jeden Versuch einer seriösen Gegenfinanzierung stellt die finanzielle Stabilität der USA auf eine harte Probe und verschiebt die Last auf zukünftige Generationen.

Kollateralschäden: Von grüner Energie bis zum Pakt mit dem Silicon Valley

Im Schatten der großen Debatten um Steuern und Sozialleistungen wurden im OBBBA weitere weitreichende politische Weichenstellungen vorgenommen, die teils erbitterte Kämpfe nach sich zogen. Besonders deutlich wird die ideologische Neuausrichtung in der Energie- und Klimapolitik. Das Gesetz demontiert gezielt zentrale Elemente des „Inflation Reduction Act“, der unter Präsident Biden verabschiedet wurde, um den Übergang zu grünen Energien zu beschleunigen. Steuergutschriften für Elektroautos sowie für den Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen werden drastisch gekürzt oder sollen auslaufen. Eine zwischenzeitlich sogar geplante Strafsteuer auf Solar- und Windprojekte mit chinesischen Komponenten wurde nach massivem Widerstand der Industrie zwar wieder gestrichen, doch die generelle Stoßrichtung ist klar: weg von erneuerbaren Energien, zurück zur Förderung fossiler Brennstoffe.

Ein weiteres Schlachtfeld war die Regulierung von Künstlicher Intelligenz. Ein ursprünglich im Gesetzentwurf enthaltener Passus, der von mächtigen Tech-Lobbyisten und Risikokapitalgebern wie Andreessen Horowitz vorangetrieben wurde, hätte jegliche KI-Regulierung auf Ebene der Bundesstaaten für zehn Jahre blockiert. Dieser Versuch, der aufstrebenden Technologiebranche quasi einen Freifahrtschein auszustellen, stieß jedoch auf unerwartet heftigen, parteiübergreifenden Widerstand. Kritiker warnten vor dem Aushebeln von Verbraucher- und Kinderschutzgesetzen. In einer seltenen Demonstration der Einigkeit schmetterte der Senat den Vorschlag mit 99 zu 1 Stimmen ab – eine empfindliche Niederlage für das Silicon Valley und ein Zeichen, dass selbst im polarisierten Washington nicht jeder unternehmerische Wunsch in Gesetzesform gegossen wird.

Zusätzliche Brisanz erhielt die Debatte durch den öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen Donald Trump und Tesla-Chef Elon Musk. Der einstige Verbündete und Berater Trumps entwickelte sich zum scharfen Kritiker des Gesetzes, das er als „irrsinnige Geldausgabe“ bezeichnete, die sein Unternehmen Tesla durch die Streichung von E-Auto-Subventionen direkt treffen würde. Musk drohte mit der Gründung einer neuen Partei und der Unterstützung von Vorwahl-Gegnern jener Republikaner, die für das Gesetz stimmen. Trump konterte mit persönlichen Angriffen, stellte Musks Subventionen infrage und kokettierte sogar mit dessen Abschiebung. Dieser eskalierende Streit zwischen zwei der mächtigsten und unberechenbarsten Persönlichkeiten Amerikas ist mehr als nur eine persönliche Fehde; er ist ein Symptom für die tektonischen Verschiebungen und die zunehmende Unregierbarkeit innerhalb des konservativen Lagers.

Die Republikanische Partei hat mit der Verabschiedung des „One Big Beautiful Bill Act“ alles auf eine Karte gesetzt. Sie hat ein Gesetz durchgeboxt, das laut Umfragen bei einer Mehrheit der Amerikaner unpopulär ist, das von unabhängigen Experten als fiskalisch unverantwortlich eingestuft wird und das Millionen ihrer Landsleute die Existenzgrundlage entziehen könnte. Der Preis für die kurzfristige Erfüllung von Trumps Agenda könnte langfristig verheerend sein. Die Demokraten haben bereits angekündigt, die Kürzungen im Gesundheits- und Sozialbereich zum zentralen Thema des kommenden Wahlkampfes zu machen. Der Rücktritt des republikanischen Senators Thom Tillis, der seine Wiederwahl aufgab, weil er das „Brechen eines Versprechens“ an seine Wähler nicht mittragen wollte, ist ein Menetekel. Die erzwungene Einheit der Republikaner bei der Abstimmung könnte sich als trügerisch erweisen. Das Gesetz mag auf Trumps Schreibtisch landen, doch die politische Rechnung dafür wird erst noch geschrieben. Es könnte die Rechnung für einen Sieg sein, den sich die Partei am Ende nicht leisten kann.

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