Trumps Machtdemonstration in Kalifornien: Eine Nation am Rande des Verfassungsbruchs

Illustration: KI-generiert

In den letzten Stunden hat sich der Konflikt zwischen Washington und Kalifornien zu einer der schwersten innenpolitischen Krisen der jüngeren US-Geschichte zugespitzt. Präsident Trumps Entscheidung, das Militär gegen Demonstranten einzusetzen, wird von Gouverneur Gavin Newsom als direkter Angriff auf die Demokratie gewertet. Während in Los Angeles eine nächtliche Ausgangssperre gilt und juristische Kämpfe vorbereitet werden, inszeniert Trump sich als Retter vor dem Chaos – und legt damit die tiefen Gräben einer gespaltenen Nation offen.

Die Bilder, die in den letzten Stunden aus Los Angeles und anderen amerikanischen Metropolen um die Welt gehen, sind mehr als nur Momentaufnahmen von Protesten. Sie sind die sichtbaren Symptome einer tiefen Verfassungskrise, die sich in atemberaubendem Tempo zuspitzt. Während in Downtown Los Angeles nach Einbruch der Dunkelheit eine von Bürgermeisterin Karen Bass verhängte Ausgangssperre die Straßen leer fegt, läuft hinter den Kulissen ein juristischer und politischer Kampf, dessen Ausgang die Balance der Gewalten in den USA neu definieren könnte. Auf der einen Seite steht Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, der die Entsendung von Nationalgarde und US-Marines durch Präsident Donald Trump als illegalen Akt und „schaamtosen Machtmissbrauch“ verurteilt und per Klage zu stoppen versucht. Auf der anderen Seite ein Präsident, der die Proteste gegen seine verschärften Einwanderungsrazzien als Werk von „Anarchisten“ und als „ausländische Invasion“ brandmarkt und verspricht, die Metropole zu „befreien“.

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Dieser Konflikt ist längst keine rein kalifornische Angelegenheit mehr. Er ist der vorläufige Höhepunkt einer Strategie, die auf Eskalation und Polarisierung setzt. Trump nutzt die Unruhen nicht nur, um von seiner eigenen Agenda abzulenken, wie ihm Kritiker vorwerfen, sondern er scheint sie aktiv als politische Bühne zu gestalten. Es ist eine Inszenierung, die darauf abzielt, die Demokraten zu spalten, die eigene Basis mit Bildern von Stärke zu mobilisieren und die Grenzen präsidentialer Macht auszutesten. Die Auseinandersetzung um die Straßen von Los Angeles ist somit ein Kampf um die Deutungshoheit, um die amerikanische Verfassung und letztlich um die Seele der Nation.

Die Eskalation als Strategie: Trumps Inszenierung von „Anarchie und Chaos“

Die Motivation von Präsident Donald Trump in der aktuellen Krise erschöpft sich nicht im Wunsch, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Seine Handlungen und seine Rhetorik folgen einer kalkulierten Strategie, die auf die Erzeugung eines Krisennarrativs abzielt. Adam Schiff, demokratischer Senator aus Kalifornien, bezeichnete Trump als „Chaos-Agenten“, der von Unordnung profitiere, um sich als „starker Mann“ zu inszenieren. Diese Analyse wird durch das Vorgehen des Weißen Hauses untermauert. Gezielt werden Bilder von brennenden Autos, beschädigtem Eigentum und vereinzelten gewalttätigen Auseinandersetzungen verbreitet und durch die Administration und ihr nahestehende Medien verstärkt. Trump selbst spricht von einem Kalifornien, das im Chaos versinkt, und vergleicht die Situation mit den Unruhen nach dem Tod von George Floyd.

Diese Darstellung steht im krassen Widerspruch zur Einschätzung kalifornischer Behörden, die betonen, dass die Proteste überwiegend friedlich verlaufen und Gewalttaten isolierte Vorfälle seien. Doch für Trumps Strategie ist diese Differenzierung unerheblich. Er benötigt das Bild der Anarchie, um seinen außergewöhnlichen Schritt – den Einsatz des Militärs im Inland gegen den erklärten Willen des Gouverneurs – zu rechtfertigen. Dieser Einsatz ist ein historischer Tabubruch; seit der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren hat kein Präsident mehr ohne die Zustimmung eines Gouverneurs die Nationalgarde zur Niederschlagung von Unruhen mobilisiert.

Die Inszenierung wird durch die zeitliche Koinzidenz mit einer geplanten, gewaltigen Militärparade in Washington D.C. anlässlich des 250. Geburtstags der Army, der praktischerweise auf Trumps eigenen 79. Geburtstag fällt, auf die Spitze getrieben. Während Panzer durch die Hauptstadt rollen sollen, um militärische Stärke zu demonstrieren, werden ebendiese Kräfte im Inneren gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Kritiker, darunter Militärveteranen und ehemalige Verteidigungsbeamte, warnen eindringlich vor dieser Verknüpfung. Sie sehen darin eine „ominöse“ Politisierung der Streitkräfte und eine Erosion des Vertrauens in eine Institution, die ein Symbol nationaler Einheit sein sollte. Trump hingegen droht den Demonstranten, die sich seiner Parade entgegenstellen wollen, sie würden mit „sehr großer Macht“ konfrontiert werden. Es ist eine kaum verhohlene Botschaft: Der Apparat der nationalen Sicherheit dient nicht mehr nur der Abwehr äußerer Feinde, sondern wird zum Instrument im innenpolitischen Machtkampf.

Newsoms Konter: Vom Gouverneur zum Verteidiger der Demokratie

Angesichts dieser präzedenzlosen Machtdemonstration hat sich Gavin Newsom in den letzten Stunden vom Gouverneur Kaliforniens zu einer zentralen Figur des nationalen Widerstands gewandelt. In einer landesweit übertragenen Rede mit dem Titel „Democracy at a Crossroads“ (Demokratie am Scheideweg) zeichnete er das Bild einer Nation am Abgrund des Autoritarismus. Newsom beschuldigt Trump, einen „Krieg gegen die Kultur, die Geschichte, die Wissenschaft“ zu führen und die Grundpfeiler der Verfassung – die Gewaltenteilung und die Rechtsstaatlichkeit – systematisch zu demontieren.

Sein Widerstand beschränkt sich nicht auf Rhetorik. Am Montag reichte Kalifornien Klage gegen die Bundesregierung ein, um die Militarisierung der Straßen zu stoppen. Am Dienstag folgte ein Eilantrag auf eine temporäre Verfügung, die den Einsatz von Marines und Nationalgarde auf den Schutz von Bundesgebäuden beschränken und ihnen jegliche polizeiliche Tätigkeit untersagen soll. Ein Bundesrichter lehnte zwar eine sofortige Anordnung ab, setzte aber eine Anhörung für Donnerstag an. Die juristische Auseinandersetzung dreht sich um fundamentale Fragen: Darf ein Präsident die Nationalgarde eines Bundesstaates gegen dessen Willen „föderalisieren“ und für polizeiliche Aufgaben im Inland einsetzen? Kritiker sehen darin einen klaren Verstoß gegen den Posse Comitatus Act, der den Einsatz von Militär im Inland streng reglementiert. Die Trump-Administration beruft sich hingegen auf eine vage Bestimmung in Title 10 des US-Gesetzeskodex.

Newsom, dessen Ambitionen auf das Präsidentenamt als offenes Geheimnis gelten, nutzt die Krise, um sich auf nationaler Bühne zu profilieren. Er inszeniert den Konflikt bewusst nicht als kalifornisches, sondern als amerikanisches Problem: „Kalifornien mag das erste sein, aber es wird hier ganz sicher nicht enden. Als nächstes sind andere Staaten dran. Als nächstes ist die Demokratie dran“. Diese Rahmung, verstärkt durch eine Flut von Interviews und Social-Media-Aktivitäten, zielt darauf ab, den Widerstand zu einen und die öffentliche Wahrnehmung von einem lokalen Sicherheitsproblem auf eine fundamentale Bedrohung der Verfassungsordnung zu lenken. Die Drohung Trumps, Newsom verhaften zu lassen, die er gegenüber seinem Grenzbeauftragten geäußert haben soll, verleiht dieser Auseinandersetzung eine noch düsterere, persönlichere Dimension.

Demokratische Zerreißprobe und die Macht der Straße

Während die Führungsfiguren ihren Kampf austragen, offenbart die Krise auch die internen Spannungen und strategischen Dilemmata der Demokratischen Partei. Die Partei ist hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, die legitimen Anliegen der Demonstranten zu unterstützen und der Furcht, durch vereinzelte Gewalttaten angreifbar zu werden. Themen wie Einwanderung und Kriminalität sind seit langem politische Schwachstellen der Demokraten. Diese Zerreißprobe wird durch Stimmen wie die des Senators John Fetterman aus Pennsylvania verkörpert. Er warnte seine Partei davor, die „moralische Überlegenheit“ zu verlieren, wenn sie es versäume, das Anzünden von Autos und Angriffe auf die Polizei unmissverständlich zu verurteilen. Seine Kommentare, die von Elon Musk auf der Plattform X gelobt wurden, zeigen die Bruchlinien innerhalb des progressiven Lagers.

Gleichzeitig formiert sich auf der Straße ein breiter Widerstand, der weit über spontane Proteste hinausgeht. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Gewerkschaften, deren Engagement durch die Verhaftung des prominenten kalifornischen Gewerkschaftsführers David Huerta von der SEIU einen neuen Schub erhielt. Seine Festnahme während einer Demonstration gegen eine Razzia löste eine Welle der Solidarität aus und machte deutlich, wie sehr sich die Rolle der Gewerkschaften gewandelt hat. Während Teile der amerikanischen Arbeiterbewegung jahrzehntelang eine restriktive Einwanderungspolitik unterstützten, aus Sorge vor Lohndumping, stehen sie heute an der vordersten Front im Kampf für die Rechte von Einwanderern. Dieser Wandel ist getrieben durch die wachsende Zahl von Immigranten in ihren eigenen Reihen und die Erkenntnis, dass Angriffe auf eine Gruppe von Arbeitnehmern Angriffe auf alle sind.

Die Proteste, die sich von Los Angeles nach New York, Chicago und Atlanta ausgebreitet haben, sind Ausdruck der Angst und Wut in den betroffenen Gemeinschaften. Demonstranten berichten von der Furcht, ihre Familienmitglieder könnten jederzeit deportiert werden. Die massiven Razzien, bei denen Menschen von Arbeitsplätzen oder von der Straße weg verhaftet werden, haben ein Klima der Verunsicherung geschaffen. Die Antwort der Behörden, die von Verhaftungen über den Einsatz von Pfefferspray bis hin zu Gummigeschossen reicht, hat die Spannungen weiter angeheizt. Diese Eskalation auf der Straße ist der Nährboden, den die Trump-Administration für ihre politische Inszenierung nutzt – ein Teufelskreis aus Aktion und Reaktion, der die Spirale der Konfrontation immer weiter antreibt. Der Ausgang ist ungewiss, doch schon jetzt ist klar: Die Ereignisse der letzten Stunden haben die USA näher an einen Abgrund geführt, dessen Tiefe noch nicht abzusehen ist.

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