Trumps Krieg gegen die Wahrheit: Wie Tulsi Gabbard das System der Fakten demontiert

Illustration: KI-generiert

In Washington regiert die Angst. Wo einst die klügsten Köpfe der Nation über geopolitischen Krisen brüteten, herrscht heute Leere. Es ist mehr als nur ein Personalwechsel – es ist ein systematischer Feldzug gegen Expertise, ein Umbau des Staates, der auf persönlicher Loyalität statt auf faktenbasierter Analyse beruht. Im Zentrum dieser Operation steht eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren der Trump-Administration: die Nationale Geheimdienstdirektorin Tulsi Gabbard. Ihre Mission ist es, den Apparat, der die Wahrheit schützen soll, von innen heraus zu erobern und dem Willen eines Präsidenten zu unterwerfen, für den Fakten nur eine weitere Meinung sind. Die Konsequenzen dieses Experiments könnten Amerikas Sicherheit und die globale Stabilität auf Jahrzehnte hinaus erschüttern.

Der Kahlschlag: Trumps Feldzug gegen die Expertise

Die Umwälzungen in der zweiten Amtszeit von Donald Trump begannen nicht mit einem lauten Knall, sondern mit einer Serie leiser, aber verheerender administrativer Federstriche. Überall in Washington wurden Experten, die ihr Leben dem Dienst am Staat gewidmet hatten, aus ihren Positionen gedrängt. Die Büros des Nationalen Sicherheitsrates (NSC), einst das pulsierende Herz der außenpolitischen Krisenreaktion, sind heute zur Hälfte verwaist. Spezialisten aus dem State Department und der CIA, die Nächte damit verbrachten, politische Optionen für den Präsidenten zu entwickeln und zu überprüfen, wurden entlassen. Die offizielle Begründung des Weißen Hauses ist entlarvend: Die alte Struktur passe nicht zum „Top-Down-Ansatz“ von Präsident Trump, dessen einziges Interesse darin bestehe, dass seine Entscheidungen umgesetzt, nicht aber diskutiert werden.

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Dieser Kahlschlag erstreckt sich weit über den NSC hinaus. Im Pentagon wurden 14 Beratungsgremien aufgelöst, deren Mitglieder – Demokraten wie Republikaner – mit knappen Dankesnotizen verabschiedet wurden. Darunter befanden sich Gremien, die sich mit existenziellen Fragen befassten, etwa der Modernisierung des amerikanischen Atomwaffenarsenals angesichts der Aufrüstung Chinas und der Drohungen Wladimir Putins. Ebenso eliminiert wurde das Expertengremium, das Lehren aus dem massiven chinesischen Hackerangriff auf die Telekommunikationsnetze der USA ziehen sollte. Historiker im Außenministerium, Klimaspezialisten bei der National Oceanic and Atmospheric Administration und Forscher, die auf Mittel der National Science Foundation angewiesen waren, trafen ein ähnliches Schicksal.

Für die Anhänger der MAGA-Bewegung ist jede dieser Entlassungen ein Sieg über den sogenannten „Deep State“ – jenen angeblich feindseligen Beamtenapparat, der Trumps erste Amtszeit behindert haben soll. Aus ihrer Sicht verlangsamten Experten die Entscheidungsfindung, untergruben die Politik des Präsidenten und waren die Quelle ständiger Leaks. Doch selbst erfahrene Republikaner und ehemalige Trump-Mitarbeiter wie sein zweiter Nationaler Sicherheitsberater H.R. McMaster warnen vor den Folgen. Zwar befürwortet auch er eine Verschlankung des NSC, doch sorgt er sich um den Verlust eines „überlegten Prozesses“, der klären könnte, was mit politischen Maßnahmen wie etwa Strafzöllen überhaupt erreicht werden soll. Richard Fontaine, Leiter des Center for a New American Security, pflichtet ihm bei und betont die Gefahr von „Groupthink“ und einer verengten Sichtweise, wenn eine Regierung sich nicht mehr auf vielfältige Quellen stützt. Die Trump-Administration scheint jedoch genau das zu wollen: einen Regierungsapparat, der nicht mehr als Korrektiv, sondern nur noch als loyale Echokammer fungiert.

Tulsi Gabbard: Die ideale Besetzung für den Umbau

Keine Personalie verkörpert diese neue Doktrin so perfekt wie die der Nationalen Geheimdienstdirektorin (DNI) Tulsi Gabbard. Ihr Aufstieg an die Spitze der 18 US-Geheimdienste ist die Geschichte einer atemberaubenden ideologischen Metamorphose und zugleich der Schlüssel zum Verständnis von Trumps Strategie. Gabbard, die ihre politische Karriere als linke Demokratin und Liebling der Parteilinken begann, hat eine fast beispiellose Reise durch das politische Spektrum Amerikas vollzogen. Aufgewachsen in einem sektenähnlichen Ableger der Hare-Krishna-Bewegung, der Homosexualität und Abtreibung strikt ablehnte, startete sie ihre Karriere mit konservativen Positionen, die sie später revidierte.

Ihre Erfahrungen im Irak-Krieg prägten ihre vehemente Ablehnung amerikanischer „Regime-Change-Kriege“ – eine Haltung, die sie zunächst mit dem linken Flügel der Demokraten teilte, sie aber zunehmend in Konflikt mit dem Partei-Establishment brachte. Ihre umstrittene Syrien-Reise 2017 zu Diktator Baschar al-Assad, ihre Nähe zum hindu-nationalistischen indischen Premierminister Narendra Modi und ihre wiederholte Verbreitung russischer Narrative zur Ukraine entfremdeten sie endgültig von ihrer politischen Heimat. Nach einer öffentlichen Fehde mit Hillary Clinton und einem erfolglosen Präsidentschaftswahlkampf verließ sie 2022 die Demokratische Partei und entwickelte sich zur prominenten Unterstützerin von Donald Trump.

Ihre entscheidende Qualifikation für den Posten des DNI war jedoch nicht ihre außenpolitische Haltung, sondern ihr tiefes, persönliches Misstrauen gegenüber ebenjenen Geheimdiensten, die sie nun leitet. Sie teilt mit Trump das Gefühl, von einem interventionistischen „Deep State“ verfolgt zu werden, und sieht die Aufgabe der Dienste nicht darin, objektive Analysen zu liefern, sondern die Agenda des Präsidenten zu stützen. Damit ist sie keine widerwillige Ausführerin, sondern eine überzeugte Architektin des Umbaus – das ideale Instrument, um den Widerstand innerhalb der Geheimdienstgemeinschaft zu brechen und sie auf Linie zu bringen.

Geheimdiensterkenntnisse nach Bedarf: Die Fälle Venezuela und Iran

Wie dieser neue Ansatz in der Praxis funktioniert, zeigen zwei brisante Fälle: Venezuela und Iran. In beiden Situationen kollidierten die sorgfältigen Analysen der Geheimdienste frontal mit den politischen Zielen des Weißen Hauses – mit drastischen Konsequenzen für die Beteiligten.

Im Fall Venezuela nutzte Präsident Trump ein altes Gesetz aus dem Jahr 1798, das „Alien Enemies Act“, um die Abschiebung von Migranten zu rechtfertigen, die angeblich der kriminellen Bande Tren de Aragua angehörten. Seine Begründung: Die Bande agiere auf direkte Anweisung der venezolanischen Regierung unter Nicolás Maduro. Doch der National Intelligence Council (NIC), das Gremium der ranghöchsten Analysten, kam nach eingehender Prüfung zu einem anderen Schluss. Ihr Bericht stellte fest, dass es keine glaubwürdigen Beweise für eine solche direkte Steuerung durch das Maduro-Regime gebe. Anstatt diese unbequeme Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, reagierte DNI Gabbard mit einer Säuberung: Die beiden leitenden Beamten des NIC, die den Bericht verantwortet hatten, wurden entlassen. Die Botschaft war unmissverständlich: Wer die Narrative des Präsidenten mit Fakten infrage stellt, verliert seinen Job.

Noch deutlicher wurde der Konflikt im Zuge der eskalierenden Krise mit dem Iran. Während Israel militärische Schläge gegen iranische Atomanlagen vorbereitete, bekräftigte die US-Geheimdienstgemeinschaft ihre langjährige Einschätzung: Der Iran baue trotz seines angereicherten Urans derzeit keine Atomwaffe, und der oberste Führer habe das 2003 ausgesetzte Waffenprogramm nicht reaktiviert. Diese Einschätzung, die auch Gabbard noch im März vor dem Kongress vertrat, stand Trumps martialischer Rhetorik und seinem Wunsch, an der Seite Israels Stärke zu demonstrieren, diametral entgegen. Als er auf dem Rückflug vom G7-Gipfel auf Gabbards frühere Aussage angesprochen wurde, fegte er die Erkenntnisse seiner eigenen Geheimdienste mit einem Satz vom Tisch: „Es ist mir egal, was sie gesagt hat. Ich denke, sie waren sehr kurz davor, eine zu haben“. Dieser Vorfall zeigt, dass im System Trump selbst die Loyalität einer Figur wie Gabbard wertlos ist, sobald ihre auf Fakten basierenden Aussagen den spontanen politischen Launen des Präsidenten im Weg stehen.

Die Übernahme von innen: Gabbards struktureller Umbau

Tulsi Gabbards Mission geht jedoch weit über die Bestrafung einzelner Analysten hinaus. Sie hat einen systematischen Umbau der Geheimdienstarchitektur eingeleitet, um die Entstehung unliebsamer Wahrheiten von vornherein zu unterbinden. Einer ihrer entscheidendsten Schritte war die Verlagerung des National Intelligence Council und der Abteilung, die das President’s Daily Brief – die tägliche, hochgeheime Zusammenfassung für den Präsidenten – erstellt, direkt unter ihre Kontrolle im Büro des DNI. Diese Reorganisation ermöglicht es ihr, den Informationsfluss zum Präsidenten zu steuern und zu filtern, bevor er das Oval Office erreicht.

Noch alarmierender ist ihr Vorgehen gegen die unabhängige Kontrollinstanz der Geheimdienste, den Inspector General (IG). Sie installierte einen ihrer loyalen Berater, Dennis Kirk, einen Mitverfasser des radikalen Regierungsumbauplans „Project 2025“, direkt in dessen Büro. Brisant dabei: Kirk berichtet nicht an den Inspector General, sondern direkt an Gabbard – ein klarer Bruch mit dem Prinzip der unabhängigen Aufsicht. Als die amtierende Rechtsberaterin des IG-Büros Nachforschungen über die Rechtmäßigkeit dieser Personalie anstellte, wurde sie 48 Stunden später entlassen. Demokratische Abgeordnete warfen Gabbard daraufhin illegale Einmischung und die Untergrabung der Unabhängigkeit des IG-Büros vor.

Diese Maßnahmen erzeugen ein „Klima der Angst“ unter den Analysten. Ein langjähriger CIA-Beamter beschrieb die Stimmung als „entsetzt“. Mitarbeiter fürchten, dass sie bei missliebigen Analysen als Teil des „Deep State“ gebrandmarkt werden und ihre Sicherheitsfreigabe sowie ihre Karriere verlieren könnten. Die Folge ist eine Kultur der Selbstzensur: Analysten werden sich zweimal überlegen, ob sie Erkenntnisse präsentieren, die der offiziellen Linie widersprechen. So wird die Wahrheit nicht mehr aktiv unterdrückt, sondern entsteht aus Angst gar nicht erst.

Entscheidungen im Vakuum: Ein Präsident ohne Korrektiv

In der hitzigen Iran-Krise offenbarte sich die ganze Gefahr dieses neuen Systems. Anstatt auf den etablierten, breit aufgestellten Prozess des Nationalen Sicherheitsrates zurückzugreifen, verlässt sich Trump auf einen winzigen Zirkel von Beratern, die als absolut loyal gelten. Dieser „Tier One“-Kreis besteht aus Vizepräsident JD Vance, Generalstabschef Dan Caine, Außenminister Marco Rubio und CIA-Direktor John Ratcliffe. Prominente, aber als unbequem empfundene Figuren wie Gabbard oder Verteidigungsminister Pete Hegseth wurden bei entscheidenden Treffen in Camp David offenbar außen vor gelassen. Hegseth, so ein Beamter, sei durch die „Signalgate“-Kontroverse und seine paranoide Suche nach Leaks im Pentagon derart abgelenkt, dass er operativ kaum noch eine Rolle spiele.

Dieser Ansatz, Entscheidungen von existenzieller Tragweite – wie einen möglichen Kriegseintritt gegen den Iran – im engsten Kreis ohne diverse Perspektiven oder kritische Gegenstimmen zu treffen, ist das Gegenteil der traditionellen amerikanischen Sicherheitsarchitektur. Diese war darauf ausgelegt, die Impulsivität eines Präsidenten durch einen rigorosen, deliberativen Prozess auszubalancieren. Im System Trump ist dieser Schutzmechanismus außer Kraft gesetzt. Was bleibt, sind die „Launen“ des Präsidenten und eine Gruppe von Beratern, die ausgewählt wurden, weil sie diese Launen nicht infrage stellen.

Der hohe Preis der Ignoranz: Amerikas schwindender Vorsprung

Die Auswirkungen dieses Krieges gegen die Expertise beschränken sich nicht auf die Außenpolitik. Sie bedrohen auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Vereinigten Staaten. Viele der entlassenen Experten und aufgelösten Gremien befassten sich mit den entscheidenden Zukunftsfeldern: künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Elektromobilität und Biotechnologie – alles Bereiche, in denen sich die USA in einem harten Wettbewerb mit China befinden. Graham Allison, Professor in Harvard, warnt, dass die USA nicht zu verstehen scheinen, dass China zu einem „Vollspektrum-Wettbewerber“ herangewachsen ist.

Amerikas „geheime Zutat“ sei immer die Fähigkeit gewesen, die talentiertesten Menschen aus der ganzen Welt anzuziehen, erinnert Allison und verweist auf Albert Einstein. Indem die Regierung nun ein Klima schafft, in dem Expertise verachtet wird, untergräbt sie genau diese Stärke. Europa und die chinesischen Geheimdienste, so die Sorge von Geheimdienstmitarbeitern, rekrutieren bereits aktiv unter den desillusionierten und verstoßenen amerikanischen Wissenschaftlern. Die Entwertung von Wissen ist somit nicht nur ein politisches, sondern auch ein massives strategisches Eigentor.

Am Ende bleibt eine beunruhigende Erkenntnis: Die systematische Demontage der faktenbasierten Regierungsführung ist keine zufällige Begleiterscheinung der Trump-Präsidentschaft, sondern ihr Kern. Es ist der Versuch, einen exekutiven Apparat zu schaffen, der von Fakten, Widerspruch und jeglicher Form von institutionellem Korrektiv befreit ist. Die wahre Belastungsprobe für dieses System wird nicht in alltäglichen politischen Debatten kommen, sondern in einer unvorhergesehenen, akuten Krise. Die Quellen legen nahe, dass die Mechanismen, die eine Katastrophe verhindern sollen, bewusst geschwächt wurden. Übrig bleiben die Instinkte eines Mannes und eine Regierung, die darauf ausgelegt ist, ihm niemals zu widersprechen. Die Frage ist nicht, ob dieses System scheitern wird – sondern wann und mit welch verheerenden Folgen.

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