Trumps Krieg gegen die Wahrheit: Wie das Autokraten-Drehbuch die amerikanische Wissenschaft demontiert

Illustration: KI-generiert

In der Stille administrativer Anordnungen, weit entfernt vom Lärm politischer Kundgebungen, vollzieht sich ein Angriff, der das Fundament der amerikanischen Vormachtstellung erschüttert. Es ist keine laute, explosive Zerstörung, sondern eine methodische Demontage, die mit der Präzision eines Abrissunternehmens durchgeführt wird. Mit dem erneuten Amtsantritt von Donald Trump hat dieser Prozess eine beunruhigende Beschleunigung erfahren. Die jüngste Entlassung der frisch bestätigten Direktorin der Seuchenschutzbehörde CDC ist dabei nur die Spitze eines Eisbergs. Ihre Anwälte sprachen von der „Mundtotmachung von Experten und der gefährlichen Politisierung der Wissenschaft“ – eine Formulierung, die den Kern eines viel größeren Dramas trifft.

Was wir derzeit erleben, ist weit mehr als nur ein Streit um Budgetposten oder eine Reform des Verwaltungsapparats. Es ist die Wiederbelebung eines jahrhundertealten Drehbuchs, mit dem autoritäre Herrscher seit jeher versuchen, eine der wenigen Mächte zu neutralisieren, die sich ihrer Kontrolle entzieht: die unabhängige Wissenschaft. Trumps Feldzug, der unter dem Banner der Effizienz und des Kampfes gegen die Bürokratie geführt wird, folgt einer historischen Logik, die von der Inquisition über die Sowjetunion bis zu den modernen „Spin-Diktatoren“ reicht. Die zentrale These dieses Angriffs lautet: Wahre Macht duldet keine rivalisierenden Quellen der Wahrheit.

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Das historische Echo: Von Galileo bis Lysenko

Um die Vorgänge in Washington zu verstehen, muss man die Geschichte zurückspulen. Der Konflikt zwischen politischer Macht und wissenschaftlicher Erkenntnis ist so alt wie die moderne Wissenschaft selbst. Er begann symbolträchtig im Jahr 1633, als die katholische Kirche Galileo Galilei zwang, seine heliozentrische Weltsicht zu widerrufen. Es war nicht die praktische Anwendung von Wissen, die die Kirche fürchtete – im Gegenteil, sie nutzte astronomische Erkenntnisse, um ihre Kathedralen als Sonnenobservatorien zu verwenden und den Osterkalender zu präzisieren. Was sie fürchtete, war die grundlegende, himmelsstürmende Erkenntnis, die ihr Deutungsmonopol über die Welt infrage stellte.

Dieses Muster – die Unterdrückung der freien Grundlagenforschung bei gleichzeitiger Förderung der anwendungsbezogenen, machtdienlichen Technologie – zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Autokratie. Es ist eine zynische, aber wirksame Strategie: Man erstickt den Geist der freien Untersuchung, der unkontrollierbare Wahrheiten zutage fördern könnte, und instrumentalisiert gleichzeitig jenen Teil der Wissenschaft, der die eigene Herrschaft durch technische Innovationen festigt. Ob es die Navigationswissenschaften waren, die Kolonialreiche ermöglichten, oder die Raketentechnik der Nazis – der Zweck heiligte die Mittel.

Die Diktatoren des 20. Jahrhunderts perfektionierten diese Methode mit brutaler Konsequenz. Hitler definierte die Wissenschaft nach rassistischen Dogmen, vertrieb Hunderte jüdischer Forscher und beendete Deutschlands Führungsrolle in der theoretischen Physik. Gleichzeitig trieb sein Regime die Entwicklung von Düsenjets und Raketen voran. Stalin ging noch weiter: Er ließ Tausende Wissenschaftler erschießen oder in Arbeitslager deportieren. Mit der pseudowissenschaftlichen Doktrin des Agronomen Trofim Lysenko, die der modernen Genetik widersprach, stürzte er die sowjetische Landwirtschaft in eine Katastrophe und trug zu Hungersnöten bei, die Millionen das Leben kosteten. Doch auch sein Regime brachte die Atombombe und den Sputnik-Satelliten hervor – Symbole technologischer Macht, die auf den Ruinen der freien Forschung errichtet wurden.

Die sanfte Repression der „Spin-Diktatoren“

Die Methoden haben sich gewandelt. Die heutigen Autokraten, die in den Analysen von Politikwissenschaftlern als „Spin-Diktatoren“ bezeichnet werden, tragen Maßanzüge statt Militäruniformen. Ihre Waffen sind keine Erschießungskommandos, sondern Budgetkürzungen, administrative Übernahmen und digitale Überwachung. Sie wollen Wissenschaftler nicht primär vernichten, sondern sie kontrollieren und für ihre Zwecke einspannen.

Das Muster bleibt jedoch dasselbe. In Brasilien hat Jair Bolsonaro die Forschungsgelder drastisch gekürzt. In China investiert Xi Jinping massiv in anwendungsorientierte Technologien wie Überwachung und künstliche Intelligenz, während das Land bei der Finanzierung von Grundlagenforschung im weltweiten Vergleich weit abgeschlagen ist. In Russland schafft Putins Regime ein Klima der Angst, in dem Wissenschaftler wegen Landesverrats angeklagt werden und Selbstzensur an der Tagesordnung ist. Und in Ungarn, unter Viktor Orbán, einem Freund und Verbündeten Trumps, wurden Gender Studies von den Lehrplänen gestrichen und die renommierte Akademie der Wissenschaften unter staatliche Kontrolle gebracht. Diese modernen Autokraten fürchten unbequeme Wahrheiten über den Klimawandel, das Gesundheitswesen oder soziale Ungleichheit genauso wie ihre Vorgänger die Wahrheit über die Bewegung der Planeten fürchteten.

Trumps Drehbuch: Ein Angriff auf drei Ebenen

Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die Politik der Trump-Administration nicht als eine Reihe unzusammenhängender Entscheidungen, sondern als eine kohärente Strategie, die beunruhigende Parallelen aufweist. Der Angriff erfolgt auf drei zentralen Ebenen: der personellen, der finanziellen und der strukturellen.

1. Ebene: Die Demontage der Expertise

Die Regierung hat den administrativen Rahmen, der über Jahrzehnte die Verflechtung von wissenschaftlicher Expertise und politischer Regulierung sicherstellte, gezielt untergraben. Wenige Wochen nach Amtsantritt ordnete Trump die Auflösung und Verkleinerung unzähliger wissenschaftlicher Beratungsgremien an – von Gremien, die über Impfstoffe und Fischerei wachen, bis hin zu solchen für Astrophysik und künstliche Intelligenz. Dies ist mehr als ein bürokratischer Akt; es ist die Kappung der Nervenbahnen zwischen dem Körper des Wissens und dem Gehirn der politischen Entscheidungsfindung. Die Botschaft ist klar: Expertenwissen ist nicht länger eine Orientierungsgröße, sondern ein Hindernis, das beseitigt werden muss. Trumps wiederholte Verunglimpfung von Experten als „schrecklich“ ist die rhetorische Begleitmusik zu dieser strukturellen Entkernung.

2. Ebene: Das Aushungern der Grundlagenforschung

Der zweite, noch direktere Schlag ist der finanzielle. Der Haushaltsentwurf sieht eine beispiellose Kürzung der Forschungsgelder um 44 Milliarden Dollar vor – der größte Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Besonders dramatisch ist der geplante Einschnitt bei der Grundlagenforschung: Sie soll von 45 auf 30 Milliarden Dollar schrumpfen, ein Rückgang um rund 34 Prozent. Die Liste der betroffenen Projekte liest sich wie ein Abgesang auf die menschliche Neugier: Studien zur Luft- und Wasserqualität, zur Klimaerwärmung, zur Erforschung des Mars und Jupiters und sogar zur Grenze unseres Sonnensystems. Gleichzeitig betont die Administration die Förderung von anwendungsorientierten „kritischen und aufstrebenden Technologien“. Das historische Muster des Autokraten wiederholt sich hier in aller Deutlichkeit: Man lässt das Wurzelwerk der Erkenntnis verdorren und konzentriert sich auf die Früchte, die sich kurzfristig für Macht und Wirtschaft ernten lassen.

3. Ebene: Die Legitimations-Rhetorik

Um diese Politik öffentlich zu verkaufen, bedient sich die Regierung einer geschickten Rhetorik. Sie inszeniert sich nicht als Feind der Wissenschaft, sondern als deren Retter. Man kämpfe, so die offizielle Lesart von Unterstützern des „Project 2025“, gegen die „Bürokratie, nicht die Demokratie“. Die Kürzungen seien notwendig, um „aufgeblähte Budgets“ zu sanieren und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft wiederherzustellen, was letztlich zu einem „goldenen Zeitalter der Entdeckung“ führen werde. Diese Erzählung rahmt die Wissenschaft als Teil eines abgehobenen, elitären und verschwenderischen „administrativen Staates“, der die Wirtschaft lähmt. Damit wird ein Angriff auf die Wissensgesellschaft als Befreiungsschlag für den einfachen Bürger umgedeutet.

Der Preis des Schweigens: Amerikas Zukunft auf dem Spiel

Welche Folgen hat diese Politik? Kurzfristig mag die Konzentration auf Technologie-Spinoffs wie künstliche Intelligenz beeindruckende Ergebnisse liefern. Langfristig jedoch droht die Aushöhlung der wissenschaftlichen Basis die Innovationskraft der USA im Kern zu treffen. Die großen Durchbrüche des 20. Jahrhunderts, von der Quantenmechanik bis zur Gentechnik, entstanden nicht aus anwendungsorientierten Projekten, sondern aus freier, neugiergetriebener Grundlagenforschung. Sie sind die Saat, aus der nicht nur Nobelpreise, sondern auch Billionen-Dollar-Industrien erwachsen. Wer diese Saat nicht mehr sät, wird in Zukunft nichts mehr ernten können. In einer Welt, in der China massiv in Technologie investiert, könnte dieser selbstverschuldete Aderlass die globale Vormachtstellung der USA nachhaltig beenden.

Darüber hinaus haben die Kürzungen eine gravierende soziale Dimension. Wenn die Forschung zu den Gesundheitsdisparitäten von Minderheiten oder zur chemischen Sicherheit gestrichen wird, trifft dies die Schwächsten der Gesellschaft am härtesten. Die Leugnung des Klimawandels und die Demontage der Umweltforschung verschärfen eine globale Krise, deren Folgen bereits heute spürbar sind. Hier wird Wissenschaftspolitik zu einer Frage der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit.

Kann dieser Prozess aufgehalten werden? Dennoch gibt es einen Funken Hoffnung. Anders als in Ungarn oder Russland gibt es in den USA eine starke Zivilgesellschaft, unabhängige Gerichte und eine Wissenschaftsgemeinschaft, die sich zur Wehr setzt. Der entscheidende Unterschied zwischen einem aufstrebenden Autokraten und einem erfolgreichen liegt, so argumentieren Experten, im Ausmaß des Widerstands, auf den er trifft.

Doch die Zukunft bleibt ungewiss. Die langfristigen Schäden einer solchen Politik werden oft erst sichtbar, wenn es zu spät ist – wenn die besten Köpfe das Land verlassen haben und die Innovationspipeline versiegt ist. Es ist wie ein schleichendes Gift, das sich langsam im Körper einer Gesellschaft ausbreitet. Der Kampf um die Zukunft der amerikanischen Wissenschaft ist daher mehr als eine Fachdebatte. Es ist ein Kampf um die Seele einer Demokratie, deren Stärke schon immer auf dem freien Austausch von Ideen und der unermüdlichen Suche nach Wahrheit beruhte.

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