Trumps Krieg gegen die Justiz: Wie der Fall Abrego Garcia den systematischen Angriff auf den Rechtsstaat enthüllt

Illustration: KI-generiert

Es ist eine Geschichte, die in ihrer Absurdität kaum zu übertreffen wäre, würde sie nicht ein Schlaglicht auf eine beunruhigende Realität werfen. Ein Mann, der unter dem Schutz einer richterlichen Anordnung steht, wird von US-Behörden genau in das Land deportiert, vor dem ihn diese Anordnung schützen soll. Nachdem Gerichte bis hin zum Supreme Court seine Rückkehr anordnen, geschieht dies erst nach wochenlanger Weigerung und unter einem neuen Vorwand: Der Mann, Kilmar Abrego Garcia, sei plötzlich ein Schwerstkrimineller, ein Mitglied der gefürchteten MS-13-Gang und Anführer eines Menschenschmugglerrings, gegen den nun in Tennessee ermittelt werde. Die offizielle Erklärung für die ursprüngliche, illegale Abschiebung – ein schlichter „administrativer Fehler“ – wirkt angesichts dieser Kette von Ereignissen wie eine zynische Untertreibung.

Der Fall Abrego Garcia ist weit mehr als eine tragische Einzelfallgeschichte. Er ist das Symptom und zugleich das Symbol eines fundamentalen Konflikts, den die Trump-Administration mit einer der tragenden Säulen der amerikanischen Demokratie führt: der unabhängigen Justiz. In dem Bestreben, eine radikale Abschiebungspolitik mit dem Ziel von einer Million Deportationen pro Jahr durchzusetzen, scheint die Exekutive bereit, die Grenzen des Rechts nicht nur zu dehnen, sondern systematisch zu sprengen. Gerichtsurteile werden ignoriert, Richter persönlich attackiert und die eigenen Beamten offenbar zu ethischen und rechtlichen Grenzüberschreitungen gedrängt. Die Analyse der vorliegenden Fakten zeichnet das Bild einer Regierung, die den Rechtsstaat nicht als Rahmen, sondern als Hindernis begreift, das es mit allen Mitteln zu umgehen gilt.

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Der Fall Abrego Garcia: Eine Farce in mehreren Akten

Der Fall des 29-jährigen Bauarbeiters aus Maryland, der mit einer US-Bürgerin verheiratet ist und drei Kinder hat, entlarvt die Vorgehensweise der Administration in aller Deutlichkeit. Bereits 2019 hatte ein Einwanderungsgericht entschieden, dass Abrego Garcia nicht nach El Salvador abgeschoben werden darf, da ihm dort glaubhaft Verfolgung durch Gangs droht. Dennoch wurde er im März 2025 genau dorthin in ein berüchtigtes Hochsicherheitsgefängnis geflogen.

Was folgte, war ein juristisches Tauziehen. Mehrere Bundesgerichte und schließlich der Supreme Court wiesen die Regierung an, seine Rückkehr zu „erleichtern“. Die Administration behauptete wochenlang, dazu nicht in der Lage zu sein, nur um dann plötzlich eine Kehrtwende zu vollziehen. Der Grund: Eine kurzfristig aufgesetzte Anklage wegen Menschenschmuggels in Tennessee, die auf einem Verkehrsdelikt von 2022 basierte. Seine Anwälte sehen darin den durchsichtigen Versuch, eine illegale Handlung nachträglich zu legitimieren und das Gesicht zu wahren.

Die Haltlosigkeit dieser Anklage wurde von der zuständigen Richterin Barbara D. Holmes in einer 51-seitigen Entscheidung zerpflückt. Sie stellte fest, dass die Regierung „daran gescheitert“ sei, Abrego Garcia als Gefahr für die Gesellschaft darzustellen. Die Beweise, so die Richterin, basierten auf mehrfachem Hörensagen und seien „offensichtlich unzuverlässig“. Die Behauptungen der Belastungszeugen, die sich durch ihre Kooperation Strafmilderung oder einen besseren Aufenthaltsstatus erhofften, würden teilweise dem „gesunden Menschenverstand trotzen“. Ein Vorwurf, Abrego Garcia sei drei- bis viermal pro Woche zwischen Maryland und Houston gependelt, was über 120 Stunden reine Fahrzeit pro Woche bedeuten würde, bezeichnete sie als an „physische Unmöglichkeit“ grenzend. Auch für die öffentlichkeitswirksam gestreute Behauptung, er sei ein langjähriges MS-13-Mitglied, fand die Richterin keine Belege in seiner Vita, die keinerlei Vorstrafen aufweist.

Eine Politik der vollendeten Tatsachen

Die Vorgehensweise im Fall Abrego Garcia ist kein Ausrutscher, sondern scheint Methode zu haben. Die Diskrepanz zwischen dem politischen Ziel, eine Million Menschen pro Jahr abzuschieben, und der tatsächlichen Kapazität der Behörden – bis Mitte des Jahres wurden nur etwa 125.000 Deportationen durchgeführt – erzeugt einen enormen Druck, zu unkonventionellen und rechtlich fragwürdigen Mitteln zu greifen.

Dazu gehört die Reaktivierung obskurer Gesetze wie des „Alien Enemies Act“ von 1798, das in der US-Geschichte zuvor nur in Kriegszeiten zur Anwendung kam. Die Regierung nutzte es, um Venezolaner nach El Salvador auszufliegen. Immer wieder kommt es zu Fällen, in denen Migranten trotz laufender Verfahren oder expliziter gerichtlicher Verbote abgeschoben werden. Diese Vorfälle werden regelmäßig als „administrative Fehler“ oder eine „Verkettung unglücklicher Pannen“ bezeichnet. Doch die Häufung dieser „Fehler“ legt den Verdacht nahe, dass es sich um eine bewusste Strategie handeln könnte: die Schaffung vollendeter Tatsachen, bevor die Justiz eingreifen kann. Die Botschaft ist klar: Wer sich dem System widersetzt, riskiert, sich im nächsten Flugzeug wiederzufinden, egal was ein Richter verfügt hat.

„Sag dem Gericht ‚Fuck you‘“: Ein Whistleblower bricht das Schweigen

Wie tief diese Missachtung für den Rechtsstaat in der Befehlskette verankert ist, enthüllt der Whistleblower-Bericht des langjährigen Karriereanwalts im Justizministerium, Erez Reuveni. Reuveni wurde entlassen, nachdem er sich weigerte, vor Gericht Falschaussagen zu machen und die Deportation von Abrego Garcia nicht als Terroristenfall darzustellen, wofür es keine Beweise gab.

Sein Bericht zeichnet ein erschütterndes Bild vom Innenleben des Ministeriums. Im Zentrum steht Emil Bove, ein hochrangiger Beamter und von Trump nominierter Kandidat für ein Bundesberufungsgericht. Laut Reuvenis eidesstattlicher Erklärung soll Bove in einem Meeting über die bevorstehende Abschiebung von Venezolanern die Möglichkeit diskutiert haben, dass Gerichte dies per einstweiliger Verfügung stoppen könnten. Für diesen Fall, so wird Bove zitiert, müsse das Justizministerium erwägen, den Gerichten „‚Fuck you‘ zu sagen und eine solche gerichtliche Anordnung zu ignorieren“. Bove selbst gab bei seiner Anhörung im Senat an, sich an eine solche Äußerung nicht erinnern zu können.

Reuvenis Schilderungen offenbaren ein Klima der Angst und ein tiefes ethisches Dilemma für Staatsdiener. Er beschreibt, wie Vorgesetzte Anwälte anwiesen, Gerichte hinzuhalten oder ihnen Falschinformationen zu geben. Hunderte Anwälte haben das Ministerium bereits verlassen, viele wurden degradiert oder entlassen. Sie stehen vor der Wahl, entweder potenziell rechtswidrigen Anweisungen Folge zu leisten oder ihre Karriere für die Verteidigung des Rechtsstaats zu riskieren.

Richter im Visier: Der offene Angriff auf die dritte Gewalt

Parallel zur internen Unterwanderung juristischer Normen fährt die Administration einen frontalen Angriff auf die Justiz als Institution. Anstatt richterliche Entscheidungen zu akzeptieren, werden sie und die Richter selbst öffentlich delegitimiert.

Der Höhepunkt dieser Eskalation ist die beispiellose Klage der Regierung gegen die gesamte 15-köpfige Richterschaft des Bundesgerichts in Maryland. Die Richter hatten eine Regel erlassen, die Migranten, die gegen ihre Abschiebung klagen, automatisch einen temporären Schutz von mindestens einem Tag gewährt, um eine überhastete und möglicherweise illegale Deportation zu verhindern. Die Regierung sieht darin einen unzulässigen Eingriff in ihre exekutiven Befugnisse zur Durchsetzung der Einwanderungsgesetze. Rechtsexperten bewerten diesen Schritt als einen Versuch, die Justiz nicht als gleichberechtigte Gewalt, sondern als politischen Gegner darzustellen und ihr Vertrauen zu untergraben.

Die Nominierung von Emil Bove für einen Richterposten auf Lebenszeit ist in diesem Kontext mehr als nur eine Personalie. Sie ist ein Testfall dafür, ob der Senat bereit ist, einen Mann mit einem der höchsten juristischen Ämter zu betrauen, dem glaubhaft vorgeworfen wird, die Fundamente ebenjener Justiz verachtet zu haben.

Der „Shadow Docket“: Washingtons mächtigster Verbündeter?

Während die unteren Bundesgerichte sich oft als Bollwerk gegen die umstrittensten Maßnahmen der Regierung erweisen, findet diese einen willfährigeren Partner im Supreme Court. Durch die zunehmende Nutzung des sogenannten „Shadow Docket“ – schnelle, oft unbegründete Entscheidungen im Eilverfahren – hebelt der Oberste Gerichtshof regelmäßig einstweilige Verfügungen der unteren Instanzen aus.

So erlaubte der Supreme Court der Regierung kürzlich, eine Anordnung aufzuheben, die sie daran hinderte, Migranten schnell in Drittländer abzuschieben, in denen ihnen Gefahr drohen könnte. Diese Praxis schwächt die Kontrollfunktion der unteren Gerichte erheblich und gibt der Exekutive grünes Licht, ihre Politik umzusetzen, während die eigentlichen Rechtsstreitigkeiten noch andauern.

Zwischen den Stühlen: Das juristische Niemandsland nach der Freilassung

Die Komplexität und die Widersprüchlichkeit des Regierungshandelns schaffen absurde juristische Zwickmühlen, die wiederum am Fall Abrego Garcia deutlich werden. Obwohl Richterin Holmes seine Freilassung aus der strafrechtlichen Haft anordnete, räumte sie selbst ein, dass dies wahrscheinlich nur ein „akademischer Akt“ sei. Denn sobald er das Gefängnis verlässt, wird erwartet, dass ihn die Einwanderungsbehörde ICE umgehend wieder in Gewahrsam nimmt, um das zivilrechtliche Abschiebungsverfahren fortzusetzen.

Diese Situation offenbart die paradoxe Koexistenz zweier paralleler Rechtssysteme und die interne Zerrissenheit der Exekutive. Während ein Arm der Regierung (das Justizministerium) eine Strafverfolgung betreibt, steht der andere Arm (das Heimatschutzministerium) bereit, den Angeklagten des Landes zu verweisen, möglicherweise noch bevor ein Urteil gesprochen ist. Mehrere Richter äußerten bereits ihre Skepsis gegenüber der Behauptung der Staatsanwaltschaft, sie könne nicht garantieren, dass ICE Abrego Garcia nicht abschiebt. Ein Richter nannte die Situation „komplett hausgemacht“ und eine, die „der Logik widerspricht“. Es stellt sich die Frage, wie ernst die Regierung ihre eigene Strafanzeige überhaupt nimmt, wenn sie gleichzeitig Pläne für eine erneute Deportation verfolgt.

Die Causa Abrego Garcia und die sie umgebenden juristischen und politischen Manöver sind somit ein Lehrstück über den Zustand der amerikanischen Gewaltenteilung. Es geht längst nicht mehr nur um Einwanderungspolitik. Es geht um die Frage, ob eine Regierung das Recht nach Belieben instrumentalisieren kann, um ihre politischen Ziele zu erreichen, und ob die Justiz die Kraft und den Willen besitzt, die rote Linie zu verteidigen, die den Rechtsstaat von der Willkürherrschaft trennt.

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