
Feuerbälle auf dem Wasser, Dutzende Tote und ein Präsident, der von einem „bewaffneten Konflikt“ spricht. Seit September 2025 hat sich die sonnige Karibik, und neuerdings auch der Pazifik, in ein maritimes Schlachtfeld verwandelt. Die US-Regierung unter Donald Trump führt eine aggressive Militäroperation gegen Boote, die sie als „Narco-Terroristen“ einstuft. Die Begründung klingt martialisch und entschlossen: Man befinde sich im Krieg gegen Kartelle, die Amerika mit Fentanyl vergiften; jedes zerstörte Boot rette, so der Präsident, „25.000 amerikanische Leben“.
Doch blickt man hinter den Pulverdampf dieser Operationen, zerfällt die offizielle Erzählung. Die Angriffe, die Dutzende Menschen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren das Leben gekostet haben, werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Es ist eine Politik, die auf einer höchst zweifelhaften rechtlichen Grundlage operiert, etablierte rechtsstaatliche Prinzipien über Bord wirft und langjährige Verbündete vor den Kopf stößt.

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Die Diskrepanz zwischen der offiziellen Begründung und den Fakten vor Ort ist so gravierend, dass sie einen furchtbaren Verdacht nährt: Geht es hier womöglich gar nicht um Drogen? Oder ist der „Krieg gegen die Drogen“ nur der Vorwand für ein viel größeres, unausgesprochenes Ziel – einen Regimewechsel in Venezuela?
Die brüchige Logik des „Narco-Terrors“
Um die Angriffe zu rechtfertigen, hat die Trump-Regierung ein neues Vokabular geschaffen. Drogenkartelle sind nun „terroristische Organisationen“, ihre Mitglieder „unlawful combatants“. Verteidigungsminister Pete Hegseth bemühte gar den Vergleich, diese Kartelle seien „die Al-Kaida der westlichen Hemisphäre“.
Diese Rhetorik ist ein strategischer Kniff, um die Tötungen aus der Sphäre der Strafverfolgung in die der Kriegsführung zu verschieben. Doch die Analogie ist fundamental schief. Terrororganisationen wie Al-Kaida verfolgen ideologische Ziele; Drogenkartelle sind profitorientierte kriminelle Unternehmen. Die US-Regierung ist bisher jede schlüssige Erklärung schuldig geblieben, wie sie diese konzeptionelle Lücke juristisch oder nachrichtendienstlich schließt.
Noch brüchiger wird die Argumentation, wenn man die offizielle Begründung – den Kampf gegen Fentanyl – untersucht. Die Opioid-Krise ist real und verheerend, doch das Fentanyl, das Amerikaner tötet, stammt überwiegend aus Mexiko, hergestellt mit Vorläuferstoffen aus China. Experten sind sich einig: Die nun bombardierte Seeroute in der Karibik wird traditionell für Kokain und Marihuana genutzt, und das primäre Ziel dieser Lieferungen ist nicht die USA, sondern Europa. Warum also setzt das US-Militär massive Ressourcen ein, um Drogen zu bekämpfen, die für einen anderen Kontinent bestimmt sind? Und warum mit Raketen statt mit der Küstenwache?
Die von Präsident Trump genannte Zahl von „25.000 geretteten Leben“ pro Boot entbehrt jeder statistischen Grundlage. Sie ist eine politische Behauptung, die den Zweck heiligen soll – ein Zweck, der immer undurchsichtiger wird. Die Administration hat bis heute keine Beweise vorgelegt, dass die zerstörten Boote tatsächlich Drogen an Bord hatten, geschweige denn Fentanyl. Die Angehörigen der Opfer, etwa aus Trinidad und Venezuela, bestreiten vehement, dass die Getöteten „Narco-Terroristen“ waren; oft handelte es sich um einfache Fischer.
Vom Rechtsstaat zur Exekution: Ein System wird demontiert
Das vielleicht Beunruhigendste an dieser neuen Doktrin ist der gewählte Modus Operandi: die summarische Tötung. Jahrzehntelang bestand die Drogenbekämpfung auf See aus Interdiktion. Schiffe wurden gestoppt, die Besatzung festgenommen, die Ladung beschlagnahmt und die Verdächtigen einem Gericht überstellt. Dieses Vorgehen war oft mühsam, aber es war rechtsstaatlich.
Die Trump-Administration hat sich bewusst für die Exekution entschieden. Sie umgeht damit nicht nur das Völkerrecht, sondern auch die US-Verfassung, die allein dem Kongress das Recht zubilligt, einen Krieg zu erklären. Es ist eine Politik der vollendeten Tatsachen, bei der die Exekutive sich selbst zum Richter und Henker ernennt.
Wie zynisch und rechtlich desolat dieses Vorgehen ist, demonstriert ein Fall aus Ecuador. Nach einem Angriff auf ein Halbtaucherboot gab es zwei Überlebende. Sie wurden von der US-Navy gerettet und in ihre Heimatländer Kolumbien und Ecuador repatriiert, angeblich zur „Strafverfolgung“. Doch in Ecuador geschah das Unerwartete: Der Überlebende wurde von den dortigen Behörden umgehend freigelassen. Die Begründung: Es lagen keinerlei Beweise für eine Straftat vor.
Dieser Vorfall ist ein juristisches und PR-Desaster für Washington. Er entlarvt die Behauptung, die Angriffe basierten auf gesicherter Geheimdienst-Erkenntnis, als haltlos. Die USA töten Menschen auf Verdacht und sind nicht einmal in der Lage, einem Verbündeten genügend Beweise für eine Anklage zu liefern, wenn jemand den Angriff überlebt.
Operation Venezuela: Worüber Washington schweigt
Wenn die Drogen-Begründung kollabiert und die rechtliche Basis fehlt, was ist dann das wahre Motiv? Die Antwort liegt vermutlich 1.000 Meilen südlich von Florida: in Caracas.
Die massive Aufrüstung in der Karibik – die Entsendung von Kriegsschiffen, Spezialkräften und die massive Luftüberwachung – steht in keinem Verhältnis zur Bedrohung durch ein paar Schnellboote. Gleichzeitig hat Präsident Trump die Autorisierung für verdeckte CIA-Operationen in Venezuela bestätigt und spricht offen von einer möglichen Ausweitung der Angriffe auf „Landoperationen“. Dieses Arsenal zielt nicht auf Schmuggler. Es zielt auf einen Staat.
Seit Jahren versuchen die USA, den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro zu isolieren und zu stürzen. Die neue Militärkampagne wirkt wie der nächste, aggressive Schritt in dieser Strategie. Die Rhetorik des „Narco-Terrors“ ist dabei das perfekte Werkzeug: Sie erlaubt es, militärische Gewalt anzuwenden, ohne einen formellen Krieg erklären zu müssen. Die Angriffe auf die Boote dienen als Testlauf, als Eskalationsstufe und als psychologische Kriegsführung, um das venezolanische Militär zu demoralisieren und einen Keil in das Regime zu treiben. Es ist eine Neuauflage der Kanonenbootpolitik, die man im 21. Jahrhundert überwunden glaubte. Und sie birgt unkalkulierbare Risiken.
Diplomatisches Trümmerfeld und innere Unruhe
Der Kollateralschaden dieser Politik ist schon jetzt immens. Der öffentliche Konflikt mit Kolumbien, einem der wichtigsten strategischen Partner der USA in Lateinamerika, ist ein diplomatisches Desaster. Als Präsident Gustavo Petro die Tötung eines mutmaßlichen kolumbianischen Fischers durch die USA als „Mord“ bezeichnete, reagierte Trump mit der sofortigen Streichung von Hilfsgeldern. Eine jahrzehntelange Sicherheitsallianz wird für eine undurchsichtige Operation aufs Spiel gesetzt.
Gleichzeitig regt sich im Apparat Widerstand. Die vorzeitige Amtsaufgabe von Admiral Alvin Holsey, dem Chef des US-Südkommandos, ist ein alarmierendes Signal. Wenn ein Vier-Sterne-Admiral inmitten einer hochbrisanten Operation seinen Posten räumt, legt dies den Verdacht nahe, dass er die rechtliche oder strategische Verantwortung für diese Eskalation nicht länger tragen wollte oder konnte.
Global sorgt das Vorgehen für Kopfschütteln und neue Allianzen. Russland, bereits im Konflikt mit dem Westen wegen des Ukraine-Krieges, nutzte die Gelegenheit, um Venezuela seine Solidarität zu versichern. Selbst enge Verbündete wie die Niederlande beginnen, die Weitergabe von Geheimdienstinformationen an die USA einzuschränken. Das Vertrauen in die USA als berechenbarer Partner, der sich an Regeln hält, schwindet.
Kommentatoren sprechen von einer Form des „Supermacht-Selbstmords“: Die USA demontieren just in dem Moment die von ihnen selbst geschaffene regelbasierte internationale Ordnung, in dem sie diese Ordnung gegen Konkurrenten wie Russland und China verteidigen müssten. Die Politisierung der Geheimdienste, bei der Beamte offenbar entlassen werden, wenn ihre Analysen nicht zur gewünschten politischen Erzählung passen, höhlt die Kompetenz des Staates von innen aus.
Jenseits der Illusion
Die Politik der „blanken Stärke“, die Trump und sein Außenminister Marco Rubio in Lateinamerika verfolgen, ist keine Strategie. Sie ist eine Taktik der Einschüchterung, die schon im Fall Kuba über 60 Jahre lang gescheitert ist.
Während die USA Raketen auf mutmaßliche Schmugglerboote abfeuern, bleiben die wahren Ursachen der Drogenproblematik unangetastet: die massive Nachfrage in den USA und Europa, die globalen Finanzströme, die Korruption und die soziale Perspektivlosigkeit, die Menschen überhaupt erst in die Kriminalität treibt.
Statt einer klugen Strategie erleben wir eine performative Gewaltanwendung, die mehr auf innenpolitische Wirkung als auf außenpolitische Lösung zielt. Die Trump-Administration ist dabei, einen neuen, unkontrollierbaren Konflikt vom Zaun zu brechen, während sie gleichzeitig die Fundamente ihrer eigenen globalen Stellung untergräbt. Das Spiel mit dem Feuer in der Karibik könnte am Ende alle Beteiligten verbrennen – und die Region in eine neue Ära der Instabilität stürzen.