
Die Vereinigten Staaten erleben derzeit eine Zerreißprobe zwischen Exekutive und Judikative, angefacht durch die rigorose Einwanderungspolitik der Trump-Administration. Während das Weiße Haus mit harter Hand durchgreift, Migranten abschiebt und Schutzprogramme demontiert, ziehen die Gerichte immer wieder rote Linien und pochen auf rechtsstaatliche Prinzipien. Im Zentrum stehen dabei nicht nur umstrittene Gesetzesanwendungen und gezielte Abschiebungen, sondern auch die grundlegende Frage nach der Balance der Gewalten in einer gespaltenen Nation.
Ein Gesetz aus der Mottenkiste als Waffe gegen Migranten
Ein besonders markantes Beispiel für die aggressive Strategie der Administration ist die Reaktivierung des „Alien Enemies Act“ aus dem Jahr 1798. Dieses historisch nur in Kriegszeiten genutzte Gesetz dient nun als Grundlage, um venezolanische Migranten, denen pauschal eine Gang-Mitgliedschaft unterstellt wird, außer Landes zu schaffen. Doch die Gerichte, bis hinauf zum Supreme Court, bremsen die Regierung aus. Sie intervenierten mehrfach, blockierten Abschiebungen temporär und forderten unmissverständlich, dass Betroffene über ihre drohende Abschiebung informiert werden müssen – und zwar so, dass sie eine realistische Chance haben, diese gerichtlich anzufechten, bevor Fakten geschaffen werden. Die anfängliche Praxis der Administration, Bescheide nur auf Englisch auszustellen und keine klaren Wege zur Anfechtung aufzuzeigen, offenbarte dabei ein tiefes Misstrauen der Gerichte gegenüber der Regierungsführung und deren Willen, rechtsstaatliche Mindeststandards einzuhalten. Die grundsätzliche Frage, ob ein Gesetz, das für erklärte Kriege gedacht war, heute ohne Weiteres auf Zivilisten aus einem Land angewendet werden kann, mit dem die USA nicht im Krieg stehen, bleibt dabei juristisch hoch umstritten.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben
Der Fall Abrego García: Rechtsbruch, fragwürdige Beweise und semantische Nebelkerzen
Wie weit die Administration bereit ist zu gehen, zeigt der Fall des Marylander Familienvaters Kilmar Abrego García auf dramatische Weise. Obwohl ein Gericht seine Abschiebung nach El Salvador ausdrücklich untersagt hatte, wurde er dorthin verbracht – ein Vorgang, den die Regierung später als „administrativen Fehler“ bezeichnete. Seither versucht das Weiße Haus mit allen Mitteln, die gerichtlich angeordnete Rückführung zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Statt den klaren Anweisungen mehrerer Instanzen, einschließlich des Supreme Courts, zu folgen und seine Rückkehr zu „facilitate“ (ermöglichen/fördern), verlegt sich die Administration auf eine extrem enge Auslegung des Begriffs: Man sei nur verpflichtet, ihm die Einreise zu gestatten, falls El Salvador ihn freilässt. Gerichte kritisierten diese Haltung scharf als Versuch, „im Grunde nichts zu tun“. Parallel dazu lancierte die Administration eine aggressive Kampagne, um Abrego García öffentlich als gefährlichen MS-13-Terroristen und Kriminellen zu brandmarken. Doch die vorgebrachten „Beweise“ entpuppen sich bei näherer Betrachtung als höchst fragwürdig: Sie basieren im Wesentlichen auf einem Eintrag in einer inzwischen stillgelegten Gang-Datenbank, erstellt von einem später wegen Amtsvergehens verurteilten Polizisten, gestützt auf Indizien wie das Tragen einer Baseballkappe. Abrego García wurde nie wegen eines Verbrechens angeklagt oder verurteilt. Der Fall wirft ein grelles Licht auf die Problematik unsubstantiierter Anschuldigungen und die Rolle dubioser Datensammlungen bei weitreichenden Entscheidungen über menschliche Schicksale. Die Kooperation mit El Salvador und die Nutzung des berüchtigten CECOT-Gefängnisses gegen eine Gebühr wirft zudem gravierende ethische Fragen auf.
Systematisches Vorgehen? Von Schutzstatus bis Studentenprotest
Das Vorgehen der Trump-Administration beschränkt sich nicht auf Einzelfälle oder die Anwendung historischer Gesetze. Auch etablierte Schutzmechanismen wie der Temporary Protected Status (TPS) für hunderttausende Venezolaner und Haitianer stehen zur Disposition. Gerichte stoppten zwar vorerst die Beendigung des TPS für Venezolaner, da die Administration offenbar administrative Verfahren missachtet habe und möglicherweise rassistisch motiviert handelte. Gleichzeitig geraten auch Studenten und Aktivisten ins Visier. An Universitäten wie Columbia und Tufts wurden Personen, die sich an pro-palästinensischen Protesten beteiligten, festgenommen, in entfernte Haftanstalten verbracht und teilweise ihre Visa widerrufen. Kritiker sehen darin einen Versuch, unliebsame politische Meinungen zu unterdrücken und die akademische Freiheit einzuschränken. Selbst US-Bürger sind nicht vor Fehlgriffen sicher, wie der Fall eines in Florida fälschlicherweise aufgrund eines umstrittenen neuen Staatsgesetzes als „unautorisierter Alien“ festgenommenen Mannes zeigt.
Ein Kampf um die Seele des Rechtsstaats
Die Summe dieser Vorkommnisse zeichnet das Bild einer Exekutive, die im Namen einer rigiden Einwanderungskontrolle bereit ist, rechtliche Grenzen zu überschreiten und gerichtliche Autorität herauszufordern. Die Justiz, von Bezirksgerichten bis zum Supreme Court, stemmt sich mit bemerkenswerter Konsequenz dagegen und verteidigt das Primat des Rechtsstaats und des „Due Process“. Konservative wie liberale Richter mahnen, dass niemand über dem Gesetz steht – auch nicht die Regierung. Der anhaltende Konflikt ist mehr als nur ein Streit um Paragrafen; es ist ein Kampf um die fundamentalen Prinzipien der amerikanischen Verfassung und die Integrität der Gewaltenteilung. Die Weigerung der Administration, Fehler einzugestehen und gerichtliche Anordnungen vollumfänglich umzusetzen, könnte das Vertrauen in die Institutionen nachhaltig beschädigen.