Trumps Handelskrieg gegen Kanada: Wenn der engste Verbündete zum Gegner wird

Illustration: KI-generiert

In der Beziehung zwischen den USA und Kanada gleicht die Handelspolitik unter Donald Trump einer Achterbahnfahrt ohne Sicherheitsbügel. Mit der jüngsten Drohung, Zölle auf 35 Prozent zu erhöhen, hat der Konflikt eine neue, gefährliche Eskalationsstufe erreicht. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Strategie, die auf maximale Verunsicherung setzt, langjährige Allianzen infrage stellt und den engsten Nachbarn in eine fast ausweglose Lage manövriert. Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen: Dies ist kein gewöhnlicher Handelsstreit. Es ist ein Lehrstück über den Zerfall von Verlässlichkeit und die brutale Logik einer Machtpolitik, die keine Verbündeten, sondern nur Vasallen kennt.

Der jüngste Schock kam, wie so oft unter dieser Administration, über die sozialen Medien. Mitten in heiklen Verhandlungen, die nach einem dramatischen Abbruch gerade erst wieder aufgenommen worden waren, kündigte Präsident Donald Trump eine massive Erhöhung der Zölle auf kanadische Importe auf 35 Prozent an. Die Ankündigung, die in einem Brief an den kanadischen Premierminister Mark Carney formuliert wurde, torpedierte jäh die zaghaften Hoffnungen auf eine Einigung, die sich die kanadische Seite bis zu einer selbst gesetzten Frist am 21. Juli erhofft hatte. Stattdessen diktierte Trump eine neue Frist: den 1. August. Bis dahin, so die Drohung, müsse eine für die USA vorteilhafte Regelung gefunden werden, sonst trete der neue Strafzoll in Kraft. Für Kanadas exportabhängige Wirtschaft, die zu rund 80 Prozent auf den Handel mit den USA angewiesen ist, wäre ein solcher Schritt verheerend. Die Reaktion aus Ottawa fiel entsprechend gedämpft aus. Carney bestätigte lediglich, man werde nun auf die neue Frist hinarbeiten.

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Der gekippte Damm: Wie die Digitalsteuer Kanadas Verletzlichkeit offenbarte

Um die aktuelle Eskalation zu verstehen, muss man wenige Wochen zurückblicken. Der entscheidende Wendepunkt, der die Verletzlichkeit Kanadas schonungslos offenlegte, war der Streit um eine geplante Digitalsteuer. Die kanadische Regierung beabsichtigte, eine dreiprozentige Abgabe auf die im Land generierten Umsätze großer, meist amerikanischer Technologiekonzerne wie Google, Meta, Amazon und Uber zu erheben. Die Steuer, die auch rückwirkend gelten sollte, hätte die US-Firmen mit einer Rechnung von rund zwei Milliarden US-Dollar konfrontiert. Die Reaktion aus dem Weißen Haus war schroff und unmissverständlich. Trump bezeichnete die Steuer als einen „direkten und unverhohlenen Angriff auf unser Land“ und stoppte kurzerhand alle laufenden Handelsgespräche. Der Druck, der durch die einflussreiche Lobby der Tech-Industrie noch verstärkt wurde, zeigte Wirkung. Nach nur 48 dramatischen Stunden machte die Regierung in Ottawa eine Kehrtwende: Die Digitalsteuer wurde gekippt. Ein Analyst nannte diesen Rückzug treffend einen „klaren Sieg“ für Trump und die Tech-Giganten. Premierminister Carney, der angetreten war, um Trump die Stirn zu bieten, wirkte plötzlich verwundbar und anfällig für die Ausbrüche des US-Präsidenten. Die Episode demonstrierte eindrücklich, welch enormen Einfluss die US-Technologiekonzerne auf die amerikanische Handelspolitik ausüben und wie begrenzt die souveränen Spielräume selbst für einen G7-Staat wie Kanada sind, wenn er die Interessen dieser Konzerne berührt.

Die Willkür als Strategie: Trumps erratischer Handelskrieg

Die Drohung mit Strafzöllen ist das zentrale Instrument in Trumps Arsenal, doch die Begründungen dafür wechseln mit verblüffender Beliebigkeit. Eine konsistente, in sich schlüssige Strategie ist kaum zu erkennen – vielmehr scheint die Willkür selbst zur Methode geworden zu sein. Die Zölle werden mal als Notwendigkeit für die nationale Sicherheit der USA dargestellt, wie im Fall von Stahl und Aluminium. Dann wieder dienen sie angeblich dazu, den Schmuggel des Opioids Fentanyl über die kanadische Grenze zu unterbinden – eine Behauptung, die durch offizielle Daten klar widerlegt wird. Weniger als ein Prozent des an US-Landgrenzen beschlagnahmten Fentanyls stammt aus Kanada. Zuletzt wurde die Zollandrohung direkt mit Kanadas angeblichem Versäumnis bei der Fentanyl-Bekämpfung verknüpft, wobei eine mögliche Anpassung der Rate in Aussicht gestellt wurde, sollte Kanada hier „kooperieren“. Parallel dazu tauchen immer wieder altbekannte Vorwürfe auf, etwa über Kanadas Zollbarrieren, das geschützte Milchwirtschaftssystem oder das Handelsdefizit, dessen Höhe von Trump regelmäßig massiv übertrieben wird. Diese wechselnden und oft widersprüchlichen Narrative demaskieren die Zölle als das, was sie sind: reine Machtinstrumente und Hebel, um maximale Unsicherheit zu erzeugen und den Verhandlungspartner gefügig zu machen. Die Begründungen sind austauschbare Kulissen für ein übergeordnetes Ziel: die Demonstration von Dominanz.

Zwischen „Ellbogen raus“ und ökonomischer Realität: Kanadas schwieriger Spagat

Für Premierminister Mark Carney ist die Situation ein politischer Drahtseilakt. Er wurde erst im April gewählt, unter anderem mit dem Versprechen, eine robustere Haltung gegenüber den USA einzunehmen – eine als „Ellbogen raus“ (elbows up) bekannt gewordene Rhetorik, die im Eishockey eine schützende, aber auch aggressive Haltung beschreibt. Doch die harte ökonomische Realität zwingt ihn immer wieder zu schmerzhaften Kompromissen. Die extreme Abhängigkeit der kanadischen Wirtschaft vom US-Markt lässt keinen Raum für einen frontalen Konfrontationskurs. Der Rückzug bei der Digitalsteuer war das bisher deutlichste Beispiel für dieses Dilemma. Obwohl Kanada mit eigenen Gegenzöllen auf amerikanische Waren reagiert hat, ist der Ton aus Ottawa seit dem Debakel merklich vorsichtiger geworden. Carney, ein ehemaliger Zentralbanker, versucht es mit einer Mischung aus Standhaftigkeit und gelegentlicher Schmeichelei, um die Wogen zu glätten und die Zölle abzuwenden. Doch die Verhandlungen werden nicht auf Augenhöhe geführt. Während die kanadische Botschafterin in den USA, Kirsten Hillman, von fast täglichen Gesprächen auf verschiedenen Ebenen berichtet, um eine stabile und vorhersehbare Handelsbeziehung wiederherzustellen, macht Trump deutlich, dass er das Heft des Handelns allein in der Hand hält und wirtschaftliche Macht über Kanada besitzt, die er jederzeit einsetzen könne.

Mehr als nur Zölle: Die Aushöhlung des USMCA-Abkommens

Die bilateralen Scharmützel zwischen Washington und Ottawa untergraben zudem gezielt das Fundament der nordamerikanischen Wirtschaftsbeziehungen: das erst 2020 unterzeichnete USA-Mexiko-Kanada-Abkommen (USMCA). Dieses Abkommen sollte eigentlich für Stabilität und zollfreien Handel sorgen. Doch die Trump-Administration umgeht dessen Regeln, indem sie Zölle auf Basis anderer Begründungen wie nationaler Sicherheit oder Fentanyl-Bekämpfung verhängt, wodurch auch Waren betroffen sind, die unter USMCA eigentlich geschützt wären. Das Abkommen existiert zwar auf dem Papier und wird in den nicht von Zöllen betroffenen Bereichen auch täglich umgesetzt, doch seine Autorität wird durch die unilateralen Aktionen der USA systematisch ausgehöhlt. Es entsteht ein Zustand der Rechtsunsicherheit, in dem das ausgehandelte Vertragswerk durch die willkürlichen Launen des US-Präsidenten jederzeit übersteuert werden kann. Die kanadische Chefunterhändlerin Hillman hofft zwar, dass die Verhandlungen zu einem Zustand zurückführen, der mit dem USMCA vereinbar ist, doch die Realität sieht anders aus. Mit der für 2026 angesetzten Überprüfung des gesamten Abkommens hängt ein weiteres Damoklesschwert über der Zukunft des nordamerikanischen Handels.

Ein Nachbar als Testfall: Was der Konflikt über die neue Weltordnung verrät

Der Umgang der Trump-Administration mit Kanada ist selbst im Vergleich zu ihrem Vorgehen gegen andere Nationen bemerkenswert. Während auch Länder wie Japan, Südkorea oder Brasilien mit hohen Zollandrohungen konfrontiert sind, hat der Konflikt mit dem nördlichen Nachbarn eine besonders persönliche und aggressive Note. Kanada, einst der engste Verbündete, wird zu einer Art Folie für Trumps Politikstil. Die wiederholte, beiläufig geäußerte Rhetorik, Kanada zu annektieren und zum 51. US-Bundesstaat zu machen, ist dabei mehr als nur eine bizarre Randnotiz. Sie ist das ultimative psychologische Druckmittel – eine verbale Machtdemonstration, die die Souveränität des Nachbarn grundsätzlich infrage stellt und die Beziehung auf eine reine Macht-Asymmetrie reduziert. Die Verknüpfung der Annexion mit Vorteilen wie dem Erlass von Zöllen oder der kostenlosen Teilnahme an einem Raketenabwehrschirm entlarvt diese Rhetorik als Teil eines Destabilisierungsspiels. Für Kanada und seine Wirtschaft ist das Ergebnis eine Atmosphäre permanenter Unsicherheit. Die Unvorhersehbarkeit der US-Politik, das ständige Aufstellen und Verschieben von Fristen und die abrupte Änderung der Verhandlungsgrundlagen machen eine langfristige Planung nahezu unmöglich und schrecken Investoren ab. Der Konflikt zeigt exemplarisch den Wandel der US-Außenpolitik: weg von berechenbaren, auf Verträgen und Allianzen basierenden Beziehungen, hin zu einem rein transaktionalen und von der Person des Präsidenten abhängigen System. Der größte Schaden dieses Handelskrieges liegt daher möglicherweise nicht in den Zöllen selbst, sondern im nachhaltig zerstörten Vertrauen und in der Erosion jener Institutionen, die über Jahrzehnte für Stabilität und Wohlstand in Nordamerika gesorgt haben.

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