
Ein als populistisches Meisterstück inszeniertes Gesetzespaket entpuppt sich bei genauerer Analyse als eine tiefgreifende Umverteilung von unten nach oben. Der „One Big Beautiful Bill Act“ der Republikaner offenbart nicht nur die Zerrissenheit der Partei, sondern legt auch eine Axt an das soziale Netz und die Klimapolitik der USA – mit potenziell verheerenden Folgen für die Staatsfinanzen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Es ist ein Name, der wie ein Werbeslogan aus der Feder Donald Trumps klingt: der „One Big Beautiful Bill Act“. Dieses umfassende Haushalts- und Steuergesetz, das die Republikaner mit Hochdruck durch den Kongress peitschen wollen, wird als Allheilmittel für die amerikanische Arbeiterklasse und als Motor für die Wirtschaft angepriesen. Doch hinter der glänzenden Fassade aus populistischen Versprechen verbirgt sich ein legislatives Monstrum, das nach Analyse unzähliger Experten und unparteiischer Institutionen das genaue Gegenteil bewirken könnte.

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Die Gesetzesinitiative ist ein Dokument der Widersprüche. Sie ist in der Bevölkerung mehrheitlich unpopulär und den meisten Amerikanern kaum bekannt, wird aber mit einer politischen Dringlichkeit vorangetrieben, als hinge das Schicksal der Nation davon ab. Sie verspricht Steuererleichterungen für Geringverdiener, doch die größten Gewinne fließen an die reichsten Haushalte und Konzerne. Sie soll angeblich das Staatsdefizit senken, droht es aber in Wahrheit um Billionen zu erhöhen. Im Kern offenbart der Gesetzentwurf eine Republikanische Partei, die zwischen ihren traditionellen wirtschaftsliberalen Reflexen und dem Versuch, eine neue Wählerbasis aus der Arbeiterschicht an sich zu binden, zerrissen ist. Es ist ein politischer Spagat, der zu scheitern droht – mit weitreichenden Konsequenzen für Millionen von Amerikanern.
Ein Gesetz, das kaum jemand kennt, aber viele ablehnen
Die Kluft zwischen der politischen Blase in Washington und der Lebensrealität der Amerikaner wird selten so deutlich wie bei diesem Gesetzespaket. Eine Umfrage des Washington Post-Ipsos Instituts zeichnet ein düsteres Bild für die Befürworter des Vorhabens: Nur 23 Prozent der Amerikaner unterstützen das Gesetz, während 42 Prozent es ablehnen. Besonders alarmierend für die Republikaner ist jedoch die massive Unkenntnis in der Bevölkerung. Rund zwei Drittel der Befragten geben an, wenig bis gar nichts über den Gesetzentwurf gehört zu haben. Die Ironie dabei: Je besser die Menschen informiert sind, desto größer wird ihre Ablehnung. Unter denjenigen, die sich gut mit dem Thema auskennen, wächst die Opposition auf ein Verhältnis von fast zwei zu eins an.
Während einzelne Vorschläge wie die Erhöhung des Kinderfreibetrags oder die Steuerbefreiung für Trinkgelder auf breite Zustimmung stoßen, werden die Kernpunkte des Pakets massiv abgelehnt. Kürzungen bei der Lebensmittelhilfe für einkommensschwache Familien, die Finanzierung von neuen Haftanstalten für Migranten oder der Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko finden keine Mehrheit. Diese Diskrepanz zwischen der öffentlichen Meinung und den politischen Prioritäten deutet auf eine strategische Entscheidung der Republikaner hin: Man setzt darauf, ein unpopuläres Paket im Eilverfahren zu verabschieden, bevor eine breite öffentliche Debatte über die schmerzhaften Details einsetzen kann.
Der ideologische Bürgerkrieg der Republikaner
Das Gesetzespaket ist nicht nur ein Kampf gegen die Demokraten, sondern auch ein Spiegel der tiefen ideologischen Gräben innerhalb der Republikanischen Partei. Die Unterschiede zwischen der vom Repräsentantenhaus verabschiedeten Version und dem Entwurf des Senats sind so gravierend, dass sie grundlegende Richtungsstreits offenlegen. Ein zentraler Konfliktpunkt ist die Steuerpolitik für Unternehmen. Während das Repräsentantenhaus aus Kostengründen wichtige Absetzungsmöglichkeiten für Forschungsausgaben nur temporär verlängern wollte, drängt der Senat auf eine dauerhafte Festschreibung – ein klares Zugeständnis an die Wirtschaftslobby, das die Kosten des Pakets weiter in die Höhe treiben würde.
Ähnliche Verwerfungen zeigen sich bei der Familienpolitik. Der Senat schlägt eine permanente, aber geringere Erhöhung des Kinderfreibetrags auf 2.200 Dollar vor, während das Repräsentantenhaus eine großzügigere, aber nur bis 2028 befristete Erhöhung auf 2.500 Dollar anstrebt. Am heftigsten tobt der Kampf jedoch um die sogenannte SALT-Absetzung, die es Steuerzahlern erlaubt, staatliche und lokale Steuern von der Bundessteuer abzusetzen. Abgeordnete aus Hochsteuerstaaten wie New York erzwangen im Repräsentantenhaus eine Anhebung der Obergrenze, was von konservativen Hardlinern als Verrat an der fiskalpolitischen Disziplin gesehen wird. Die Senatsführung wiederum möchte die aktuelle, niedrigere Obergrenze beibehalten, was wütende Reaktionen aus dem Repräsentantenhaus provoziert und die endgültige Verabschiedung des Gesetzes gefährdet.
Populismus als Fassade: Wer wirklich profitiert
Um die harten Einschnitte zu verkaufen, greifen Donald Trump und seine Verbündeten tief in die populistische Trickkiste. Die versprochene Steuerfreiheit für Trinkgelder und Überstunden oder die Einführung von „Trump-Konten“ – kleinen Startvermögen für Neugeborene – sollen den Eindruck erwecken, das Gesetz diene vor allem der arbeitenden Bevölkerung. Doch eine nüchterne Analyse der Zahlen entlarvt diese Rhetorik als Fassade. Laut dem unparteiischen Congressional Budget Office (CBO) würden die geplanten Kürzungen im Sozialbereich die finanziellen Vorteile für die ärmsten Haushalte mehr als zunichtemachen.
Das Herzstück der Einsparungen sind massive Angriffe auf zwei Säulen des amerikanischen Sozialstaats: Medicaid, die Krankenversicherung für Arme, und das Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP), besser bekannt als Lebensmittelmarken. Im Senatsentwurf werden die Bedingungen für den Erhalt von Medicaid nochmals drastisch verschärft. So sollen künftig auch Eltern von älteren Kindern eine Arbeitspflicht nachweisen, eine Maßnahme, die laut Schätzungen Millionen Menschen den Versicherungsschutz kosten könnte. Bei SNAP plant man, die finanzielle Last erstmals von der Bundesebene auf die Bundesstaaten abzuwälzen. Diese müssten künftig einen Teil der Kosten selbst tragen, was sie zwingen könnte, entweder die Steuern zu erhöhen oder die Leistungen für hungernde Familien zu kürzen. Analysen zeigen, dass diese Maßnahmen die untersten 10 Prozent der Einkommensbezieher im Schnitt 1.600 Dollar pro Jahr kosten würden, während die reichsten 10 Prozent mit einem Plus von 12.000 Dollar rechnen können.
Die Legende vom sinkenden Defizit
Trotz überwältigender Beweise für das Gegenteil hält die republikanische Führung an der Behauptung fest, das Gesetzespaket werde die Staatsverschuldung reduzieren. Diese Aussage steht in krassem Widerspruch zur Analyse des CBO, das von einer zusätzlichen Neuverschuldung von rund 3 Billionen Dollar über die nächsten zehn Jahre ausgeht. Dieser Widerspruch ist kein Versehen, sondern eine bewusste Kommunikationsstrategie, die von internen Kritikern in der eigenen Partei als unehrlich kritisiert wird.
Die Argumentation der Befürworter stützt sich auf zweifelhafte Annahmen. Zum einen wird argumentiert, die Kosten für die Verlängerung der Trump-Steuersenkungen von 2017 dürften nicht eingerechnet werden, da diese ohnehin politisch alternativlos seien. Zum anderen setzt man auf utopisch anmutende Wirtschaftswachstumsprognosen, die selbst von konservativen Ökonomen infrage gestellt werden. Selbst unter Einbeziehung optimistischerer Wachstumsannahmen kommen parteiinterne Analysen zu dem Schluss, dass das Gesetz das Defizit netto erhöhen wird. Der Streit um die wahren fiskalischen Auswirkungen ist somit mehr als eine technische Debatte; er ist ein Kampf um die Deutungshoheit und die zukünftige Ausrichtung der Partei zwischen fiskalpolitischen Falken und wachstumsorientierten Populisten.
Amerikas Klimapolitik im Rückwärtsgang
Ein weiterer Kernaspekt des Gesetzes ist der Frontalangriff auf die Klimapolitik der vorangegangenen Biden-Regierung. Der Senatsentwurf sieht eine drastische Beschleunigung des Ausstiegs aus zentralen Steuergutschriften für saubere Energien und Elektromobilität vor. Anreize für Hausbesitzer, in Solaranlagen oder energieeffiziente Sanierungen zu investieren, würden binnen 180 Tagen nach Inkrafttreten des Gesetzes auslaufen. Auch die wichtige Steuergutschrift für Käufer von Elektroautos würde abrupt beendet.
Während einige wenige Technologien wie Geothermie oder Atomkraft weiterhin gefördert werden sollen, würde der Großteil der Anreize für Wind- und Solarenergie wegfallen. Experten warnen eindringlich vor den Folgen: Ein solcher Schritt würde nicht nur die Klimaziele der USA in weite Ferne rücken lassen, sondern auch Tausende von Arbeitsplätzen in der aufstrebenden Green-Tech-Industrie vernichten und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China schwächen. Ironischerweise haben gerade republikanisch regierte Bundesstaaten massiv von den Investitionen in saubere Energien profitiert, was den Widerstand einiger Senatoren gegen die harten Kürzungen erklärt.
Die Schuldengrenze als politisches Damoklesschwert
Der vielleicht zynischste Aspekt des gesamten Pakets ist der Umgang mit der nationalen Schuldengrenze. Das Gesetz würde, wie vom CBO prognostiziert, eine massive Neuverschuldung erfordern. Gleichzeitig sieht der Entwurf jedoch nur eine Anhebung der Schuldengrenze um 4 bis 5 Billionen Dollar vor – ein Bruchteil dessen, was zur Finanzierung der eigenen Politik notwendig wäre. Diese absichtlich eingebaute Diskrepanz schafft eine tickende Zeitbombe.
Analysten sehen darin ein kalkuliertes Manöver. Indem man die Schuldengrenze künstlich niedrig hält, schafft man eine vorhersehbare Krise in wenigen Jahren. Diese Krise kann dann von fiskalpolitischen Hardlinern als Hebel genutzt werden, um weitere, noch drastischere Kürzungen im Sozialbereich zu erzwingen – als Bedingung für die Zustimmung, einen von ihnen selbst provozierten Staatsbankrott abzuwenden. Es ist eine Strategie, die die finanzielle Stabilität der USA wiederholt als Geisel für ideologische Ziele nimmt und ein hohes Maß an budgetärer Doppelzüngigkeit offenbart.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der „One Big Beautiful Bill Act“ weit mehr ist als ein gewöhnliches Haushaltsgesetz. Er ist ein hochriskantes politisches Experiment, das auf einer Reihe von fundamentalen Widersprüchen aufgebaut ist. Er ignoriert den Willen der Wähler, vertieft die Spaltung innerhalb der Republikanischen Partei und setzt die wirtschaftliche Stabilität des Landes aufs Spiel – und das alles unter dem Deckmantel einer Politik für den „kleinen Mann“. Sollte dieses Gesetz verabschiedet werden, könnte es die amerikanische Gesellschaft und Wirtschaft auf Jahre hinaus negativ prägen.