Trumps gefährlichster „Schwindel“: Wie die Epstein-Affäre einen Riß zwischen dem Präsidenten und seiner Basis offenlegt

Illustration: KI-generiert

Die Veröffentlichung Tausender neuer Dokumente aus dem Nachlaß von Jeffrey Epstein ist mehr als nur ein weiterer Skandal, der an der Teflon-Präsidentschaft Donald Trumps abperlen könnte. Sie ist ein politisches Erdbeben, dessen Epizentrum direkt über dem brüchigsten Fundament seiner Macht liegt: dem Versprechen an seine Basis, den „Sumpf“ trockenzulegen. Die neuen Akten, teils von Demokraten, teils von Republikanern selbst freigegeben, entfesseln eine Dynamik, die Trumps bewährte Verteidigungsmechanismen an ihre Grenzen bringt. Sie zwingen ihn zu einer Rhetorik, die ihn nicht nur von seinen Gegnern, sondern auch von seinen treuesten Anhängern entfremdet, und werfen ein grelles Licht auf eine mutmaßliche Komplizenschaft, die weit über das politische Parkett hinaus bis in die Zellen des Justizsystems zu reichen scheint. Die Affäre zeigt: Trumps politisches Überleben hängt nicht mehr nur davon ab, ob er seine Gegner diskreditieren kann, sondern ob es ihm gelingt, seine eigene Basis davon zu überzeugen, daß der Sumpf, den er bekämpfen wollte, in Wahrheit nie existiert hat – sondern nur ein weiterer „Schwindel“ ist.

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Die Enthüllung: Ein „Schwindel“ als Verteidigungsstrategie

Der Inhalt der neuen Akten ist politisch explosiv. Das digitale Flüstern in den E-Mails, insbesondere eine vielsagende Korrespondenz mit dem Journalisten Michael Wolff, verdichtet den Verdacht, daß Trumps öffentliche Ahnungslosigkeit eine Fassade war. Die Andeutungen, er sei sehr wohl „im Bilde“ über Epsteins systematischen Mißbrauch minderjähriger Mädchen gewesen, treffen den Kern seiner öffentlichen Persona. Während die Demokraten gezielt solche Dokumente lancierten, die Trumps Mitwisserschaft nahelegen, fluteten Trumps eigene Republikaner den öffentlichen Raum mit über 20.000 weiteren Dokumenten – ein strategischer Versuch, die brisanten Nadeln in einem Heuhaufen aus Belanglosigkeiten zu verbergen und gleichzeitig Transparenz zu simulieren.

Trumps Reaktion erfolgte mit der instinktiven Aggression eines in die Enge Getriebenen. Er griff nicht die Fakten an, sondern die Überbringer der Nachricht. Die Enthüllungen seien ein „Schwindel“ (Hoax), ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver der Demokraten, um vom politischen Alltagsgeschäft, wie einem drohenden „Shutdown“ der Regierung, abzulenken. Es ist die klassische Trump-Doktrin: Angriff als beste Verteidigung.

Doch er beließ es nicht bei der Defensive. Mit einer bemerkenswerten Chuzpe forderte er umgehend, das Justizministerium solle Ermittlungen gegen seine prominentesten politischen Gegner einleiten. Statt ihn zu durchleuchten, solle man die Verbindungen von Bill Clinton, Larry Summers oder der Großbank JP Morgan Chase zu Epstein untersuchen. Diese Taktik des „Whataboutism“ ist kalkuliert. Sie zielt darauf ab, das moralische Spielfeld zu verwirren, alle Akteure gleichermaßen in den Schmutz zu ziehen und den Eindruck zu erwecken, hier kämpfe lediglich eine korrupte Elite gegen eine andere. Gleichzeitig richtete sich Trumps Zorn nach innen, gegen jene „weichen und dummen“ Republikaner, die es wagten, die parteiübergreifenden Forderungen nach einer vollständigen Veröffentlichung der Akten zu unterstützen. Es ist das Signal eines Anführers, der absolute Loyalität einfordert, selbst wenn die Faktenlage erdrückend wird.

Die orchestrierte Gegenerzählung: Wie Trumps Medien-Allianz die Fakten neu sortiert

Wo Trumps Rhetorik an ihre Grenzen stößt, springt ein fein justiertes Medien-Ökosystem ein. Das konservative Nachrichten-Universum vollführte in den Stunden nach der Veröffentlichung ein Meisterstück der politischen Alchemie. Die potenziell verheerenden E-Mails, die Trumps Mitwisserschaft andeuteten, wurden nicht dementiert – sie wurden schlicht ignoriert.

Stattdessen wurde, fast wie auf ein unsichtbares Kommando hin, ein winziger Nebenschauplatz zur Hauptbühne erklärt: die kurzzeitige Schwärzung des Namens der Zeugin Virginia Giuffre in einem der Dokumente durch die Demokraten. Giuffre hatte Trump in der Vergangenheit in einem Punkt entlastet. Diese Redaktierung, so die sofort etablierte „Story Line“, sei der Beweis, daß die Demokraten aktiv versuchten, für Trump entlastendes Material zu vertuschen.

Diese Gegenerzählung verbreitete sich mit der koordinierten Präzision einer militärischen Operation. Das Weiße Haus gab die Sprachregelung vor, republikanische Abgeordnete im zuständigen Komitee griffen sie auf, und die großen Stimmen der rechten Medienlandschaft hämmerten sie ihrem Millionenpublikum ein. Es ist ein perfekt geschlossener Kreislauf der Desinformation: Nicht Trumps mutmaßliche Nähe zu Epsteins Verbrechen ist der Skandal, sondern der angebliche Versuch der Demokraten, ihn durch das Zurückhalten von Informationen zu verleumden. Daß diese Schwärzung gängiger Praxis zum Opferschutz entsprach, spielte in dieser Erzählung keine Rolle mehr. Die Wahrheit war irrelevant geworden; die Erzählung war alles.

Der Pakt mit dem Sumpf: Trumps fundamentaler Konflikt mit der „MAGA“-Basis

Hier, im Herzen der Epstein-Affäre, liegt Trumps eigentliches Dilemma. Es ist ein fundamentaler Riß, der sich durch seine politische Identität zieht. Jahrelang war er der Mann, der als politischer Außenseiter antrat, um den „Sumpf“ trockenzulegen – jene korrupte, moralisch verwahrloste Elite, deren prominentester und abscheulichster Bewohner Jeffrey Epstein war. Der Epstein-Skandal war für die „MAGA“-Basis nicht nur ein Kriminalfall, er war die ultimative Bestätigung ihres Weltbildes.

Nun, da der Sumpf ihn selbst zu verschlingen droht, bleibt Trump nur die Flucht in jene Rhetorik, die er sonst für seine Gegner reserviert: „Hoax“. „Zeitverschwendung“. Er, der versprochen hatte, Licht in dieses Dunkel zu bringen, klagt nun sogar gegen das Wall Street Journal wegen eines Berichts über eine Banalität wie eine Geburtstagskarte an Epstein.

Dieser rhetorische Salto – vom obersten Jäger des Sumpfes zu dessen prominentestem Verteidiger – hinterläßt bei seiner Basis eine tiefe kognitive Dissonanz. Der Mann, der die Eliten stürzen sollte, nutzt nun die Methoden der Eliten, um sich selbst zu schützen. Dieser Riß zwischen Trumps Versprechen und seiner jetzigen Realität ist für seine politische Stabilität weitaus gefährlicher als jede Attacke der Demokraten. Es ist ein Glaubwürdigkeitsproblem, das er nicht einfach durch Lautstärke übertönen kann.

Es offenbart auch einen frappierenden transatlantischen Kontrast. Während in Großbritannien ein Prinz Andrew, konfrontiert mit den E-Mails, in Panik verfällt und gesellschaftlich implodiert, während ein Peter Mandelson seinen Posten verliert, scheint der amerikanische Präsident unberührbar. Die Affäre, die jenseits des Atlantiks Karrieren und königliche Titel pulverisierte, prallt an Trump ab. Seine Behauptung, er habe sich bereits Mitte der 2000er Jahre von Epstein distanziert, wird durch die neuen Dokumente zwar unglaubwürdig, doch das scheint in der amerikanischen Politikarena keine Rolle zu spielen.

Die Maxwell-Affäre: Ein Justizskandal im Schatten des Weißen Hauses?

Während die politische Bühne bebt, spielt sich im Halbdunkel des Justizsystems ein möglicherweise noch größerer Skandal ab. Es geht um Ghislaine Maxwell, Epsteins Komplizin, die Schlüsselfigur, die über Aufstieg und Fall der mächtigsten Männer der Welt entscheiden könnte. Berichte über eine systematische „Vorzugsbehandlung“ Maxwells in einem texanischen Bundesgefängnis werfen beunruhigende Fragen auf.

Ein Whistleblower, dessen Berichte durch den demokratischen Abgeordneten Jamie Raskin an die Öffentlichkeit gebracht wurden, zeichnet ein Bild, das mehr an ein privilegiertes Internat als an Hochsicherheitshaft erinnert: private Treffen, Snacks, Computerzugang und sogar die Erlaubnis, mit einem Hundewelpen zu spielen.

Das Timing dieser Privilegien ist brisant. Sie sollen kurz nach einem Treffen Maxwells mit Vertretern des Justizministeriums gewährt worden sein – ein Treffen, in dessen Folge sie Aussagen machte, die Donald Trump von jedem Fehlverhalten freisprachen. Wurde hier Schweigen belohnt? Ist die auffällige Behandlung der prominentesten Gefangenen des Landes der Preis dafür, daß der ehemalige Präsident aus der Schußlinie genommen wird? Diese Fragen hängen wie ein Damoklesschwert über der Integrität des Justizsystems und deuten darauf hin, daß der „Sumpf“ tiefer reicht, als viele wahrhaben wollen.

Jenseits der Heuchelei: Wenn der Jäger des Sumpfes selbst zum Gejagten wird

Es ist ein Schauspiel, das so absurd ist, daß es fast nur noch von Satirikern erfaßt werden kann. Die Monologe der Late-Night-Shows und die provokante Rückkehr der satirischen Trump-Epstein-Statue mit dem Titel „Best Friends Forever“ sind längst nicht mehr nur Randnotizen. Sie sind ein notwendiges Korrektiv in einer Realität, in der politische Normen außer Kraft gesetzt sind.

Am Ende offenbart der Umgang mit der Epstein-Affäre eine tiefsitzende Heuchelei, die weit über Trump hinausgeht. Der Skandal wird, wie The Atlantic treffend analysiert, im konservativen Lager nur so lange als moralische Waffe benutzt, wie er gegen politische Gegner oder marginalisierte Gruppen gerichtet werden kann. Sobald der eigene Anführer im Fadenkreuz steht, verwandelt sich das abscheuliche Verbrechen in ein lästiges Ärgernis.

Donald Trumps gefährlichster „Schwindel“ ist am Ende vielleicht nicht die Behauptung, unschuldig zu sein. Es ist die Verwandlung des Sumpfes von einem Ort des Grauens, den es trockenzulegen gilt, in ein politisches Planschbecken, in dem es nur noch um den eigenen Machterhalt geht. Die Frage ist, wie lange seine Basis bereit ist, ihm beim Baden zuzusehen.

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