Trumps Garde rückt ein: Eine Nacht der brennenden Autos und der Ruf nach dem Militär in L.A.

Illustration: KI-generiert

Die Entsendung der Nationalgarde nach Los Angeles gegen den Willen der kalifornischen Regierung markiert eine neue Eskalationsstufe im Konflikt zwischen dem Weißen Haus und demokratisch regierten Bundesstaaten. Die Ereignisse der letzten 24 Stunden zeigen: Es geht längst nicht mehr nur um Einwanderungspolitik. Es ist ein politisches Schauspiel, das bewusst auf Konfrontation setzt, Bilder der Unruhe produziert und die Grenzen präsidialer Macht auslotet – eine Blaupause für zukünftige Konflikte.

Die Lage in Los Angeles hat sich am Sonntag dramatisch zugespitzt. Während in weiten Teilen der 4.000 Quadratmeilen großen Metropole das Leben mit Pride Paraden, Musikfestivals und sonntäglicher Normalität weiterlief, verwandelten sich einzelne Straßenzüge in Downtown L.A. in eine Bühne der Konfrontation. Auslöser war die Ankunft von rund 300 der von Präsident Donald Trump beorderten 2.000 Nationalgardisten. Ihr Auftrag: die Sicherung von Bundeseigentum nach tagelangen Protesten gegen Razzien der Einwanderungsbehörde ICE. Doch ihr Eintreffen, gegen den erklärten Willen des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom und der Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, wirkte wie ein Brandbeschleuniger in einem ohnehin schon schwelenden Konflikt.

US Politik Deep Dive: Der Podcast mit Alana & Ben

Was folgte, war ein Tag der Zusammenstöße. Demonstranten blockierten zeitweise den Freeway 101, setzten mehrere fahrerlose Waymo-Taxis in Brand und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei und Sicherheitskräften des Bundes. Diese wiederum setzten Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschosse ein, um die Menge zurückzudrängen. Am Abend wurde über die Innenstadt ein Versammlungsverbot verhängt. Die Ereignisse lieferten genau die Bilder, die das Narrativ des Weißen Hauses von Gesetzlosigkeit und Chaos untermauern. Für die Kritiker der Regierung war es der letzte Beweis, dass der Präsident die Krise, die er zu bekämpfen vorgibt, selbst herbeiführt und gezielt anfacht.

Ein historischer Tabubruch als politisches Werkzeug

Der Kern der Eskalation liegt in einem Akt, den Kommentatoren und Juristen als außergewöhnlich und historisch heikel einstufen: die Aktivierung der Nationalgarde eines Bundesstaates durch den Präsidenten ohne die Zustimmung oder gar eine Bitte des dortigen Gouverneurs. Normalerweise untersteht die Garde dem Kommando des jeweiligen Gouverneurs und wird bei Naturkatastrophen oder zur Unterstützung überforderter lokaler Polizeikräfte eingesetzt. So war es auch bei früheren Einsätzen in Los Angeles, etwa nach den schweren Bränden Anfang des Jahres oder den Unruhen nach dem Rodney-King-Urteil 1992, als der damalige Gouverneur Pete Wilson die Bundesregierung um Hilfe bat.

Die aktuelle Situation bricht mit dieser Konvention. Das letzte Mal, dass ein Präsident die Nationalgarde gegen den Willen eines Gouverneurs mobilisierte, war 1965. Damals entsandte Präsident Lyndon B. Johnson Truppen nach Alabama, um die Bürgerrechtsmärsche von Selma zu schützen. Trumps Begründung für seinen Schritt ist eine völlig andere. Er beruft sich auf ein selten genutztes Gesetz, das ihm den Einsatz erlaubt, wenn es eine „Rebellion oder die Gefahr einer Rebellion gegen die Autorität der Regierung der Vereinigten Staaten“ gibt. Damit wird ein Protest, der sich gegen eine spezifische Politik richtet, zu einem Aufstand gegen die Staatsgewalt an sich umgedeutet. Gouverneur Newsom bezeichnete diesen Akt als „rechtswidrig“ und einen „schwerwiegenden Verstoß gegen die Souveränität des Bundesstaates“. Er reichte eine formelle Aufforderung zum Rückzug der Truppen ein und drohte mit einer Klage.

Die Propagandaschlacht: Zwei Realitäten, ein Konflikt

Die Ereignisse in Los Angeles sind Schauplatz eines erbitterten Kampfes um die Deutungshoheit, in dem zwei unvereinbare Realitäten aufeinanderprallen.

Auf der einen Seite steht die Trump-Regierung, die ein Bild von Anarchie und Invasion zeichnet. Präsident Trump selbst bezeichnete die Demonstranten auf sozialen Medien als „gewalttätige, aufständische Mobs“ und sprach davon, Los Angeles von einer „Migranten-Invasion“ zu „befreien“. Seine Sprecherin Karoline Leavitt warf den lokalen Behörden vor, die Ausbreitung von „Gesetzlosigkeit“ zugelassen zu haben. Dieses Narrativ wird gezielt mit Bildern von brennenden Autos und Steinewerfern unterfüttert, während das Schwenken von mexikanischen und anderen lateinamerikanischen Flaggen als Beweis für eine „ausländische“ Übernahme und eine Bedrohung der nationalen Sicherheit interpretiert wird. Republikanische Unterstützer wie Newt Gingrich fassen die Lage als klaren Konflikt zusammen: „Die eine Seite ist dafür, das Gesetz durchzusetzen und Amerikaner zu schützen, und die andere Seite ist dafür, Illegale zu verteidigen“.

Auf der anderen Seite stehen die demokratischen Politiker Kaliforniens, die von einer gezielten Provokation sprechen. Gouverneur Newsom und Bürgermeisterin Bass werfen Trump vor, er „hofft auf Chaos“, um härter durchgreifen und seine harte Einwanderungspolitik durchsetzen zu können. Sie betonen, dass die lokale Polizei die Lage im Griff gehabt hätte und die Gewalt sich auf wenige hundert Beteiligte in einem begrenzten Gebiet beschränkt habe – nichts, was eine Militarisierung rechtfertige. Sie appellieren an die Demonstranten, friedlich zu bleiben, um Trump nicht den „Vorwand“ für eine weitere Eskalation zu liefern. Senator Alex Padilla nannte Trump und seine Helfer „Meister der Fehlinformation“, die eine „Krise aus eigener Herstellung“ schaffen. Selbst der Polizeichef von Los Angeles, Jim McDonnell, macht eine Unterscheidung und gibt an, die Gewalt gehe nicht von den eigentlichen Demonstranten aus, sondern von „Leuten, die das die ganze Zeit tun“.

Die Anatomie des Protests: Zwischen Bürgerrecht und Randale

Das Bild der Proteste selbst ist vielschichtig und widersprüchlich. Die Berichte zeichnen ein Spektrum, das von friedlichen Versammlungen bis zu offener Gewalt reicht. Einerseits gab es organisierte, friedliche Märsche, wie den von der Mariachi Plaza zum Bundesgefängnis. Teilnehmer, darunter Familien und Aktivisten wie Dolores Huerta, die Mitbegründerin der Landarbeitergewerkschaft, trugen Transparente mit Aufschriften wie „Stoppt die Deportationen“ oder wandten sich direkt an die Nationalgarde: „Ihr sollt Amerika verteidigen, nicht uns angreifen“. Viele Demonstranten, darunter amerikanische Staatsbürger, schwenkten mexikanische Flaggen als Zeichen des Stolzes auf ihre Wurzeln und der Solidarität mit den von Abschiebung bedrohten Einwanderern. Ihre Motivation ist tief verwurzelt in der Angst, die die Razzien in ihren Gemeinden verbreiten – eine Angst, die selbst Menschen mit legalem Aufenthaltsstatus erfasst.

Andererseits kippte die Stimmung an den Konfrontationspunkten wiederholt. Aus der Menge flogen immer wieder Gegenstände wie Wasserflaschen, Steine, Betonblöcke und Feuerwerkskörper in Richtung der Beamten. Die Blockade von Autobahnen und das Anzünden von Fahrzeugen sind Taktiken, die von offizieller Seite scharf verurteilt werden. Auch wenn diese Gewalttaten möglicherweise nur von einer Minderheit ausgingen, dominieren sie die mediale Wahrnehmung und liefern der Trump-Regierung die benötigte Rechtfertigung für ihr hartes Vorgehen. Der Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen durch die Sicherheitskräfte, teils ohne vorherige Warnung, heizte die Situation weiter an und führte zu Verletzten, darunter eine australische Journalistin.

Die nächste Stufe: Drohungen mit Marines und dem „Insurrection Act“

Die Entsendung der Nationalgarde scheint für das Weiße Haus nur ein erster Schritt zu sein. Über das Wochenende wurden die Drohungen weiter verschärft. Verteidigungsminister Pete Hegseth und Präsident Trump selbst deuteten an, dass bei Bedarf auch 500 aktive Marineinfanteristen, die in der Nähe in „hoher Alarmbereitschaft“ stehen, nach Los Angeles geschickt werden könnten. Diese würden dann die Nationalgarde unterstützen. Der Einsatz von regulären Streitkräften gegen die eigene Bevölkerung wäre eine weitere, noch gravierendere Eskalation und ist durch den „Posse Comitatus Act“ von 1878 streng reglementiert.

Um diese Hürde zu überwinden, spielt Trump offen mit dem Gedanken, den „Insurrection Act“ von 1807 anzuwenden. Dieses Gesetz erlaubt es dem Präsidenten unter bestimmten Umständen, das Militär im Inland einzusetzen, um Aufstände niederzuschlagen. Auf die Frage, ob die Schwelle dafür bereits erreicht sei, antwortete Trump ausweichend, aber unheilvoll: Er beobachte die Lage genau und die Entscheidung liege bei ihm. Seine Aussage „Die Schwelle ist da, wo ich denke, dass sie ist“ unterstreicht einen autokratischen Machtanspruch, der sich über etablierte Normen und die Einschätzungen lokaler Behörden hinwegsetzt. Kritiker wie Senator Bernie Sanders warnen, dass sich die USA unter Trump „schnell in Richtung eines autoritären Staates bewegen“. Diese Rhetorik, gepaart mit der Drohung „Sie spucken, wir schlagen“, zielt darauf ab, Stärke zu demonstrieren und schafft gleichzeitig ein Klima der Angst und Einschüchterung. Es ist das bewusste Spiel mit dem Feuer in einem tief gespaltenen Land, bei dem Los Angeles nur die aktuelle Bühne für ein weitaus größeres Drama ist: den Kampf um die amerikanische Demokratie selbst.

Nach oben scrollen