Trumps eiserne Faust: Wie die Aufrüstung einer Behörde die amerikanische Demokratie herausfordert

Illustration: KI-generiert

Ein Mann, der die Welt zerstören kann, verkündet, dass ihn nichts und niemand zurückhalten kann. „Ich kann tun, was immer ich will“, sagt er. Diese Zeilen klingen wie der Beginn eines düsteren Superhelden-Epos, und das sind sie auch. Sie beschreiben Homelander, den soziopathischen Übermenschen aus der Serie „The Boys“, eine Figur, die von inneren Dämonen, einem unstillbaren Hunger nach Bewunderung und einem infantilen Jähzorn angetrieben wird. Doch in der politischen Realität von Donald Trumps zweiter Amtszeit hat dieser fiktionale Albtraum einen beunruhigenden realen Widerhall gefunden. Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten mit fast identischen Worten erklärt: „Ich habe das Recht zu tun, was immer ich will“, dann verschwimmt die Grenze zwischen Fiktion und einer Wirklichkeit, die für die amerikanische Demokratie zur Zerreißprobe wird.

Die aktuelle Präsidentschaft ist mehr als nur eine politische Agenda; sie ist das Projekt einer systematischen Neuausrichtung staatlicher Macht, ein Versuch, die Institutionen des Landes dem Willen eines einzigen Mannes unterzuordnen. Es ist eine Bewegung, die auf zwei Ebenen stattfindet: der psychologischen und der institutionellen. Die eine ist eine Erzählung von grenzenloser Macht, getragen von einem Kult der Persönlichkeit. Die andere ist der methodische Umbau des Staatsapparats, das Schmieden eines Werkzeugs, das diese Macht exekutieren soll. Nirgendwo wird dieser Prozess deutlicher sichtbar als bei der dramatischen Transformation der U.S. Immigration and Customs Enforcement, kurz ICE. An ihrem Beispiel lässt sich ablesen, wie aus einer politischen Vision eine schlagkräftige und loyale Truppe geformt wird – und welche tiefen Risse dieser Prozess im Fundament der amerikanischen Rechtsstaatlichkeit hinterlässt.

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„Ich kann tun, was immer ich will“: Die Psychologie der Macht

Um die gegenwärtige Dynamik im Weißen Haus zu verstehen, hilft der Blick auf ihr fiktionales Spiegelbild. Homelander ist keine bloße Karikatur; er ist ein Archetyp des absoluten Machtanspruchs, der keine Grenzen oder moralischen Korrektive mehr anerkennt. Aufgewachsen ohne Liebe, ist er zugleich allmächtig und zutiefst neurotisch, unfähig zur Empathie, aber süchtig nach Verehrung. Sein innerer Zirkel besteht aus eingeschüchterten Untergebenen, die in seiner Gegenwart zu kriecherischen Schmeichlern erstarren, aus Angst, bei der kleinsten Kritik ausgelöscht zu werden.

Die Parallelen zu den öffentlichen Inszenierungen der Trump-Administration sind frappierend. Beobachter beschreiben Kabinettssitzungen als stundenlange Rituale der Huldigung, in denen gestandene Männer und Frauen den Präsidenten mit Lob überschütten, das jede professionelle Distanz vermissen lässt. Es ist dieses Umfeld, das den Glauben nährt, die Macht des Präsidenten sei absolut. Dieser Glaube ist der psychologische Nährboden für eine Politik, die sich zunehmend von verfassungsmäßigen Fesseln zu lösen versucht.

Dieser Führungsstil formt auch die Anhängerschaft. Ein Teil von ihr scheint die satirische Kritik an der Figur des Homelander nicht nur zu übersehen, sondern den rücksichtslosen Machtmenschen als erstrebenswertes Ideal zu feiern. Wenn bei einer Demonstration ein Trump-Unterstützer stolz im Kostüm eines psychopathischen Schurken erscheint, offenbart das eine beunruhigende Verschiebung im politischen Wertekompass. Der Anführer, der sich über Regeln hinwegsetzt, wird nicht trotz, sondern wegen seiner Regelbrüche bewundert. Die Botschaft ist klar: Stärke rechtfertigt alles. Dieser Mechanismus festigt die Loyalität, weil er eine emotionale, fast kultische Bindung schafft, die gegen rationale Argumente und Fakten immun ist. Die Anhänger sehen in ihm nicht einen fehlbaren Politiker, sondern die Verkörperung ihres eigenen Willens zur Macht – ein Wille, der sich nun in den Institutionen des Staates manifestieren soll.

Die Heimat verteidigen: Wie aus einer Idee eine Armee wird

Während die Rhetorik der unbegrenzten Macht in Washington die Schlagzeilen bestimmt, findet ihre Umsetzung an Orten wie einem E-Sport-Stadion außerhalb von Dallas statt. Hier, zwischen Achterbahnen und Baseballfeldern, veranstaltet ICE eine Rekrutierungsmesse, die wie eine Mischung aus Militär-Rekrutierung und Gameshow anmutet. Auf riesigen LED-Bildschirmen leuchten Slogans wie „Verteidige die Heimat“, ein aufpolierter Mustang mit dem gleichen Schriftzug steht in der Halle, und qualifizierten Bewerbern werden Jobs noch am selben Tag angeboten. Dies ist die Maschinerie, die Trumps Vision in die Realität umsetzt.

Die Regierung plant, 10.000 neue ICE-Beamte einzustellen und damit die Personalstärke der Behörde nahezu zu verdreifachen. Es ist ein Vorhaben von gewaltigem Ausmaß, das von einem ebenso gewaltigen Budget getragen wird, welches die üblichen jährlichen Mittel um ein Vielfaches übersteigt. Doch wer sind die Menschen, die sich hier für einen der umstrittensten Jobs in Amerika bewerben? Ihre Motive sind ein Mosaik aus Idealismus, Pragmatismus und persönlicher Suche.

Viele, wie der 34-jährige Aufzugmonteur Chris Freese oder der Army-Veteran Brennan Sheets, sind von einem tiefen patriotischen Gefühl angetrieben. Sie wollen „das Land vor ausländischen Eindringlingen schützen“ und sehnen sich nach einer klaren Mission, die ihrem Leben Sinn und Richtung gibt. Für Militärveteranen ist es oft auch die Suche nach der Kameradschaft und dem Zugehörigkeitsgefühl, das sie nach ihrem Dienst verloren haben. Andere Bewerber sprechen von Langeweile im alten Job, dem Wunsch, dem Land zu dienen, oder dem Bedürfnis, eine Lücke im Leben zu füllen.

Daneben sind die finanziellen Anreize ein starker Magnet. In einer wirtschaftlich unsicheren Zeit bietet ICE ein stabiles Gehalt von 70.000 bis 90.000 Dollar jährlich plus einen Einstellungsbonus von 50.000 Dollar. Für den 29-jährigen Kalvin Bayona, einen kürzlich von der Army entlassenen Militärpolizisten und Familienvater, ist der Job schlichtweg eine Notwendigkeit, um sein Haus und den Lebensstandard seiner Familie zu sichern.

Die Präsidentschaft Trumps selbst ist für viele ein entscheidender Anziehungspunkt. Sie teilen seine harte Linie in der Einwanderungspolitik und sehen ICE als notwendiges Instrument, um die Grenzen zu sichern. Der moralische Konflikt, der mit der Trennung von Familien einhergehen kann, wird dabei oft rationalisiert oder verdrängt. Brennan Sheets, der bald Vater wird, erklärt, er sei gut darin, seine Emotionen zu „kompartmentalisieren“, um die notwendigen harten Entscheidungen zu treffen. Das Leben, sagt er, bestehe eben nicht nur aus „Liebe und Regenbögen“. Es ist eine Haltung, die den Dienst über das individuelle Schicksal stellt – eine Denkweise, die für die ausführenden Organe eines autoritären Staates unerlässlich ist.

Wachstum um jeden Preis: Wenn der Staat seine eigenen Regeln bricht

Das erklärte Ziel der Administration ist es, eine Million Menschen pro Jahr abzuschieben. Doch die aktuellen Zahlen liegen weit darunter, bei prognostizierten 300.000 für das laufende Fiskaljahr. Diese gewaltige Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit erzeugt einen enormen Druck, die Personalstärke von ICE um jeden Preis zu erhöhen. Und dieser Preis ist hoch, denn er wird mit der Aushöhlung professioneller Standards bezahlt.

Um die Rekrutierungsziele zu erreichen, wurde das Ausbildungsprogramm für neue Beamte radikal zusammengestrichen: von einst 18 bis 20 Wochen auf nur noch acht Wochen, an sechs Tagen pro Woche. Dabei wurden wesentliche Lehrinhalte wie Spanischkurse oder Fahrtrainings für Verfolgungsjagden ersatzlos gestrichen. Die offizielle Begründung der Regierung lautet, die neuen Rekruten würden das Notwendige „on the job“ lernen, unter Anleitung erfahrener Mentoren.

Kritiker und sogar erfahrene Beamte innerhalb der Behörden sehen darin ein alarmierendes Déjà-vu. Sie erinnern sich an die überstürzte Expansion der U.S. Border Patrol vor einer Generation, die ebenfalls mit gesenkten Einstellungsstandards einherging und in einer Welle von Korruption und Fehlverhalten mündete. Die Gefahr ist, dass hier eine Behörde geschaffen wird, deren Beamte unzureichend auf die komplexen und psychisch belastenden Situationen vorbereitet sind, mit denen sie konfrontiert werden. Es entsteht ein Zielkonflikt zwischen dem politischen Willen zur schnellen Abschiebung und der Notwendigkeit, rechtsstaatliche und ethische Prinzipien zu wahren. Wenn Geschwindigkeit über Gründlichkeit triumphiert, wächst das Risiko von Fehlentscheidungen, Machtmissbrauch und einer Erosion der internen Kontrolle. Kritiker befürchten, dass das Weiße Haus bewusst eine ideologisch linientreue Truppe aufbaut, deren Loyalität mehr dem Präsidenten als der Verfassung gilt.

Gebaut, um zu bleiben: Der Kampf um die Seele der amerikanischen Institutionen

Die massive Aufrüstung von ICE ist keine kurzfristige Maßnahme. Die Finanzierung ist durch ein gigantisches Gesetzespaket auf Jahre hinaus gesichert, was es einer zukünftigen Regierung erschweren würde, diesen Ausbau rückgängig zu machen. Auf der Rekrutierungsmesse in Texas fragte ein besorgter Bewerber, ob sein Job bei einem Machtwechsel sicher sei. Die Antwort eines hochrangigen ICE-Beamten war beruhigend und zugleich entlarvend: Man arbeite daran, die Angestellten bestmöglich zu schützen, falls „etwas passiert“. Hier wird der Versuch deutlich, eine institutionelle Realität zu schaffen, die über eine einzelne Präsidentschaft hinaus Bestand hat.

Gleichzeitig offenbart sich eine tiefe Kluft zwischen der offiziellen Selbstdarstellung der Behörde und der öffentlichen Wahrnehmung. Während ein in Dauerschleife laufendes Rekrutierungsvideo ICE als eine elitäre Ermittlungseinheit darstellt, die Jagd auf Menschenrechtsverletzer, Cyberkriminelle und Geldfälscher macht, ist die Realität unter Trump eine andere. Diese Ermittlungsaufgaben sind in den Hintergrund getreten, während der Fokus fast ausschließlich auf Massenabschiebungen liegt. Draußen vor dem Stadion spiegeln die Rufe der Demonstranten – „Schämt euch!“ – die Wahrnehmung vieler Amerikaner wider, die in ICE ein Instrument der Repression sehen.

Doch ist diese Entwicklung unumkehrbar? Der Vergleich mit Homelander liefert auch hier eine Antwort. Donald Trump ist kein Superheld; er ist ein Politiker, dessen Macht durch die Verfassung, die Gesetze und die Gerichte begrenzt ist. Die Justiz hat sich bisher als sein wirksamstes „Kryptonit“ erwiesen. Die vorgeschlagenen Gegenstrategien sind die klassischen Werkzeuge einer wehrhaften Demokratie: das unerschrockene Aussprechen der Wahrheit, der Gang vor die Gerichte und vor allem die Stimmabgabe bei Wahlen. Es erfordert Mut und Ausdauer von Bürgern, Medien und Politikern, den Anspruch auf absolute Macht bei jeder Gelegenheit zurückzuweisen.

Am Ende laufen die beiden Erzählstränge – die psychologische Verführung zur Macht und ihr institutioneller Vollzug – wieder zusammen. Die Schaffung einer großen, ideologisch ausgerichteten und im Schnellverfahren ausgebildeten Sicherheitskraft birgt die Gefahr, das Vertrauen in staatliche Institutionen nachhaltig zu untergraben und die gesellschaftliche Polarisierung weiter zu vertiefen. Die Fantasie von der unbegrenzten Macht, verkörpert durch einen Präsidenten, der wie Homelander agiert, wird durch die Aufrüstung von ICE in eine greifbare institutionelle Realität gegossen. Die entscheidende Frage für die Zukunft der Vereinigten Staaten ist nicht, ob die demokratischen Kontrollmechanismen noch existieren, sondern ob die amerikanische Gesellschaft die Kraft und den Willen aufbringt, sie auch zu nutzen. Denn selbst der mächtigste Mann kann sich der geballten Macht von Verfassung, Gerichten und Wählern nicht einfach entziehen.

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