
Es ist ein Riss, der durch das Herz Nordamerikas geht. Ein Riss, der sich nicht in Meilen oder Grenzzäunen misst, sondern in der eisigen Sprache von Strafzöllen und dem warmen Händedruck politischer Begnadigung. In einer jener unberechenbaren Volten, die zur Signatur seiner Präsidentschaft geworden sind, hat Donald Trump die Handelsbeziehungen zu seinen engsten Nachbarn neu justiert. Mexiko, lange Zeit das Ziel seiner schärfsten Rhetorik, erhält eine 90-tägige Schonfrist, um einem neuen Abkommen näherzukommen. Gleichzeitig lässt Trump eine handelspolitische Bombe auf den engsten Verbündeten der USA fallen: Kanada. Ohne Vorwarnung wird der allgemeine Zollsatz für kanadische Waren von 25 auf 35 Prozent erhöht – eine Maßnahme, die sofort in Kraft tritt und das Land wie ein Schock trifft.
Diese Entscheidung ist weit mehr als eine simple Anpassung von Zollsätzen. Sie ist ein Fenster in die Seele der Trump’schen Außenpolitik – einer Politik, die nicht auf Verträgen, sondern auf Druck basiert; die Loyalität nicht in gemeinsamer Geschichte, sondern in kurzfristiger Fügsamkeit misst. Die drastisch unterschiedliche Behandlung von Kanada und Mexiko entlarvt ein System, in dem Handel nicht mehr das Ziel, sondern das Werkzeug ist. Eine Waffe, die gezielt eingesetzt wird, um politische Ziele zu erzwingen, Verbündete zu disziplinieren und eine neue Weltordnung zu schaffen, die allein nach den Regeln des Weißen Hauses funktioniert. Was wir erleben, ist die bewusste Demontage des regelbasierten Welthandelssystems zugunsten eines archaischen Machtspiels, in dem der vermeintlich Stärkere diktiert und langjährige Partnerschaften zu Kollateralschäden werden.

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Der undankbare Nachbar: Warum Kanada bestraft wird
Die offizielle Begründung für die Strafzölle gegen Kanada wirkt bei genauerer Betrachtung wie ein fadenscheiniger Vorwand. Trump reanimierte die Behauptung einer „Krise der öffentlichen Gesundheit“, verursacht durch Fentanyl, das angeblich über die Nordgrenze in die USA strömt. Ein Blick auf die Fakten zeichnet jedoch ein dramatisch anderes Bild. Im Jahr 2024 fingen US-Grenzschützer an der Grenze zu Mexiko fast 9.600 Kilogramm Fentanyl ab, während es an der kanadischen Grenze lediglich 19 Kilogramm waren. Trotz dieser erdrückenden Statistik und der Tatsache, dass Kanada seine Grenzsicherung massiv verstärkt hat, hält Trump an seiner Darstellung fest. Es scheint, als sei die Wahrheit im politischen Kalkül nicht mehr als eine lästige Variable.
Die wahren Gründe für Trumps harte Hand liegen tiefer und sind untrennbar mit politischen Verwerfungen verknüpft. Ein entscheidender Auslöser war Kanadas Ankündigung, im September einen palästinensischen Staat anerkennen zu wollen. Trump reagierte prompt und unmissverständlich auf Truth Social: Diese Entscheidung werde es „sehr schwer machen“, ein Handelsabkommen mit Kanada zu schließen. Es ist eine offene Verknüpfung von Außenpolitik und Handel, die jeden Anschein von sachlicher Wirtschaftspolitik über Bord wirft. Ironischerweise hatte Trump wenige Tage zuvor ein Abkommen mit der EU verkündet, zu der auch Frankreich gehört – ein Land, das die palästinensische Eigenstaatlichkeit ebenfalls unterstützt. Diese Inkonsistenz entlarvt die Willkür, die Trumps Entscheidungen zugrunde liegt. Es geht nicht um ein Prinzip, sondern um die Macht, zu entscheiden, wer für eine unerwünschte politische Haltung bestraft wird und wer nicht.
Die Hoffnung vieler Kanadier hatte auf ihrem neuen Premierminister Mark Carney geruht, einem ehemaligen Zentralbanker mit internationalem Renommee. Man glaubte, seine Expertise und sein sachlicher Stil könnten die Wogen im Umgang mit Trump glätten, die sich unter seinem Vorgänger Justin Trudeau aufgebaut hatten. Anfangs schien die Strategie aufzugehen; Trump verzichtete auf öffentliche Herabsetzungen. Doch die Hoffnung war trügerisch. Carneys anfängliche Zuversicht, alle Zölle beseitigen zu können, wich einer nüchternen Ernüchterung. Die Realität der Trump-Administration holte ihn ein: Verhandlungsgeschick ist nutzlos, wenn die Gegenseite nicht an einem fairen Ausgleich, sondern an Unterwerfung interessiert ist.
Der gefügige Partner: Mexikos strategischer Drahtseilakt
Im krassen Gegensatz zur Bestrafung Kanadas steht die Behandlung Mexikos. Während der eisige Wind der Konfrontation über Ottawa fegt, scheint über Mexiko-Stadt die Sonne der Diplomatie. Präsidentin Claudia Sheinbaum hat eine Strategie der „Verhandlung und nicht Konfrontation“ verfolgt, die bei Trump auf fruchtbaren Boden fällt. Trump selbst lobte das wachsende gegenseitige Verständnis und sprach von einer Beziehung des Respekts. Das Ergebnis ist eine 90-tägige Verlängerung der Verhandlungsfrist, die Mexiko vor höheren Zöllen bewahrt.
Dieser Erfolg hat jedoch seinen Preis. Mexiko hat zugestimmt, seine nichttarifären Handelshemmnisse „unverzüglich zu beenden“ und die Zusammenarbeit im Kampf gegen Drogenkartelle und illegale Migration zu intensivieren. Es ist ein quid pro quo, das zeigt, worauf es Trump ankommt: sichtbare Zugeständnisse in Bereichen, die für seine innenpolitische Agenda zentral sind. Mexiko liefert, was Trump als Erfolg verkaufen kann, und erhält im Gegenzug eine Atempause. Die Komplexität der Beziehungen, insbesondere die Grenze, wird von Trump selbst als Grund für die Sonderbehandlung anerkannt. Es ist ein pragmatischer, fast schon zynischer Tauschhandel: Kooperation bei der Grenzsicherung gegen handelspolitische Milde. Ein ehemaliger mexikanischer Unterhändler beschrieb das Ergebnis treffend als ein „0:0-Unentschieden“ – ein Erfolg, weil Schlimmeres verhindert wurde, aber die Unsicherheit bleibt.
Ein neues System: Handel als Waffe im globalen Maßstab
Das Drama an den nordamerikanischen Grenzen ist kein Einzelfall, sondern das prominenteste Beispiel für eine fundamentale Neuausrichtung der US-Handelspolitik. Trump ersetzt ein jahrzehntealtes System, das auf multilateralen Verträgen und gemeinsamen Regeln basierte, durch ein unilaterales System des Drucks. Ein hochrangiger Regierungsbeamter nannte es historisch: Der Übergang von einem Prinzip der „Effizienz um jeden Preis“ zu einem Prinzip des „fairen und ausgewogenen Handels“. Doch was bedeutet „fair und ausgewogen“ im Vokabular Trumps?
Die Antwort darauf ist eine Welt, die in neue Handelszonen eingeteilt wird. Länder, mit denen die USA einen Handelsüberschuss haben, zahlen 10 Prozent Zoll; jene mit einem kleinen Defizit 15 Prozent; alle anderen sehen sich mit Raten von bis zu 41 Prozent konfrontiert. Es ist der Versuch, die Weltwirtschaft an den Interessen der USA auszurichten und die heimische Produktion durch die Verteuerung von Importen wiederzubeleben. Experten warnen jedoch, dass dieser Schuss nach hinten losgehen könnte. Viele Produkte werden in den USA gar nicht mehr hergestellt, was bedeutet, dass die Zölle letztlich von amerikanischen Verbrauchern und Unternehmen bezahlt werden müssen. Die Folge: steigende Inflation und eine Bremsspur für die Wirtschaft.
Gleichzeitig werden die Zölle als universelles Druckmittel eingesetzt, um auch nicht-wirtschaftliche Zugeständnisse zu erpressen. Kambodscha etwa erreichte eine Reduzierung seines Zollsatzes von horrenden 49 auf 19 Prozent. Der Preis dafür: das Versprechen, zehn Boeing-Flugzeuge zu kaufen, gegen den illegalen Umschlag chinesischer Waren vorzugehen und Online-Betrugsnetzwerke zu bekämpfen, die auf Amerikaner abzielen. Handel wird hier zum Tauschobjekt für sicherheitspolitische und wirtschaftliche Gefälligkeiten.
Das juristische Schlachtfeld: Ein Präsident vor Gericht
Diese radikale Handelspolitik bleibt jedoch nicht ohne Widerspruch im eigenen Land. Sie hat ein juristisches Tauziehen von historischer Tragweite ausgelöst, das die Grenzen der präsidialen Macht auslotet. Im Zentrum steht die Frage: Darf ein Präsident im Alleingang eine derartige Handelspolitik betreiben, ohne die explizite Zustimmung des Kongresses, dem die Verfassung eigentlich die Hoheit über Zölle zuspricht?
Um seine Zölle zu rechtfertigen, beruft sich Trump auf den „International Emergency Economic Powers Act“ (IEEPA) von 1977 – ein Gesetz, das für nationale Notlagen gedacht ist und das vor ihm noch kein Präsident zur Einführung von Zöllen genutzt hat. Er deklarierte das Handelsdefizit kurzerhand zu einer „außergewöhnlichen Bedrohung für die nationale Sicherheit“, um seine Macht zu legitimieren. Eine Gruppe von Bundesstaaten und Unternehmen zog dagegen vor Gericht und bekam in erster Instanz recht: Ein Bundesgericht urteilte im Mai, dass der Präsident keine „unbegrenzte“ Macht zur Erhebung von Zöllen habe. Das Justizministerium legte Berufung ein, und der Fall liegt nun vor einem höheren Gericht, dessen Richter bereits erhebliche Skepsis gegenüber der Argumentation der Regierung zeigten. Einer der Richter fragte pointiert, wie das Gesetz den Präsidenten zur Erhebung von Zöllen ermächtigen könne, wenn das Wort „Zoll“ darin nicht einmal vorkomme.
Dieser Rechtsstreit ist mehr als eine technische Debatte. Es ist ein Ringen um die Gewaltenteilung und die Frage, ob ein Präsident sich über die vom Kongress gesetzten Grenzen hinwegsetzen kann. Die Unsicherheit, die dieser Kampf erzeugt, legt einen dunklen Schatten über die gesamte Wirtschaft. Unternehmen wie Apple warnen vor Milliardenkosten durch die Zölle, und andere können ihre Finanzen kaum an die ständig wechselnden politischen Launen anpassen. Wie soll ein Unternehmen eine langfristige Investitionsentscheidung treffen, wenn die handelspolitischen Rahmenbedingungen von heute morgen schon wieder Makulatur sein können?
Die Trümmer einer alten Ordnung
Am Ende steht die Erkenntnis, dass Donald Trumps Handelspolitik einem klaren, wenn auch zerstörerischen Muster folgt. Sie ersetzt internationale Regeln durch bilaterale Machtproben, Stabilität durch permanente Unsicherheit und Vertrauen durch Furcht. Kanada, der treueste und geografisch nächste Verbündete, wird zum Exempel gemacht, um zu demonstrieren, dass keine Beziehung heilig ist, wenn politische Interessen auf dem Spiel stehen. Mexiko entkommt vorerst, weil es sich dem System des Drucks und der Gegenleistung fügt.
Der Handelskrieg ist in Wahrheit ein Krieg gegen die Idee der berechenbaren, auf Verträgen basierenden Weltordnung selbst. Ein Wirtschaftsprofessor nannte es einen „dunklen Tag“, an dem Trump den Hammer genommen und das globale Handelssystem zerschlagen habe – auf eine Weise, die auf lange Zeit nur schwer zu reparieren sein wird. Die Frage, die bleibt, ist, was an die Stelle der alten Ordnung tritt. Wenn es ein System ist, das auf der Willkür eines Mannes und der ständigen Drohung mit wirtschaftlicher Bestrafung fußt, dann steht die Weltwirtschaft vor einer gefährlichen und unkalkulierbaren Zukunft. Die Risse, die wir heute in Nordamerika sehen, könnten morgen die Konturen einer zerbrochenen Welt sein.