
In einem beispiellosen Akt politischer Instrumentalisierung hat Donald Trump die amerikanische Handelspolitik neu definiert. Der gegen Brasilien verhängte 50-Prozent-Zoll ist kein ökonomisches Manöver mehr, sondern eine offene Drohung, die auf die Justiz eines souveränen Staates zielt. Es ist der Schutzbrief für einen politischen Freund – und eine Warnung an den Rest der Welt, insbesondere an Europa. Brasilien jedoch, gestärkt durch neue Allianzen, knickt nicht ein und entlarvt damit die Grenzen der amerikanischen Erpressungsstrategie.
Es ist ein Schreiben, das die ungeschriebenen Regeln der internationalen Diplomatie pulverisiert. Als US-Präsident Donald Trump einen Strafzoll von 50 Prozent auf alle brasilianischen Importe ankündigte, brach er bewusst mit der bisherigen Logik seiner Handelspolitik. Waren es in der Vergangenheit angebliche Handelsdefizite und der Schutz sicherheitsrelevanter Industrien wie Stahl oder Halbleiter, die als – wenn auch krude – ökonomische Begründung herhalten mussten, so ist die Attacke gegen die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas eine rein politische Machtdemonstration. Trump selbst lässt keinen Zweifel an seinen Motiven. In dem Brief an den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva rechtfertigt er die drastische Maßnahme, die am 1. August in Kraft treten soll, vor allem mit dem Strafprozess gegen seinen engen politischen Verbündeten, den ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro.

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Bolsonaro muss sich in seiner Heimat wegen des Vorwurfs verantworten, nach seiner Wahlniederlage 2022 einen Staatsstreich geplant zu haben. Für Trump ist der Fall eine „internationale Schande“ und eine „Hexenjagd, die SOFORT! enden sollte“. Diese Wortwahl ist kein Zufall. Es ist dieselbe Rhetorik, mit der Trump die gegen ihn selbst laufenden Verfahren in den USA als politisch motiviert darstellt. Die Verteidigung Bolsonaros wird zur Verteidigung seiner selbst; die Intervention in Brasilien ist eine Botschaft an seine eigene Anhängerschaft und an seine Gegner. Die angebliche Sorge um die amerikanische Wirtschaft wird zur Farce, wenn man die Fakten betrachtet: Die USA erzielen seit Jahren einen Handelsüberschuss mit Brasilien, zuletzt in Höhe von 7,4 Milliarden US-Dollar. Die von Trump als Begründung angeführten „unfairen Handelspraktiken“ und das „Handelsdefizit“ sind nachweislich falsch. Die ökonomische Maske ist gefallen.
Mehr als nur Handel: Trumps Kreuzzug für Bolsonaro
Die Entscheidung, Brasilien derart massiv zu sanktionieren, markiert einen Wendepunkt. Frühere Zollrunden basierten auf einer verzerrten, aber immerhin vorhandenen Wirtschaftslogik. Gegen Brasilien wird der Handel nun unverhohlen als Waffe zur Durchsetzung persönlicher und politischer Loyalitäten eingesetzt. Trump agiert nicht mehr als Präsident, der heimische Märkte schützt, sondern als Pate, der einen Verbündeten aus der juristischen Schusslinie holen will. Diese Instrumentalisierung wird durch einen zweiten, nachgeschobenen Grund ergänzt: die angebliche Zensur amerikanischer Internetkonzerne in Brasilien. Hintergrund ist ein schwelender Konflikt zwischen der brasilianischen Justiz und Plattformen wie X (ehemals Twitter), die per Gerichtsbeschluss zur Sperrung von Konten aufgefordert wurden, die Falschnachrichten verbreiten. Trump und sein Verbündeter Elon Musk sehen darin einen Angriff auf die freie Rede. Auch hier wird ein komplexer juristischer Disput über die Grenzen der Meinungsfreiheit und die Verantwortung von Plattformen für illegale Inhalte zu einem handelspolitischen Druckmittel umfunktioniert. Die Botschaft ist klar: Wer sich der Macht amerikanischer Tech-Giganten oder den politischen Freunden des US-Präsidenten in den Weg stellt, muss mit wirtschaftlichen Konsequenzen rechnen.
Ein Riese wehrt sich: Warum Brasilien nicht einknickt
Doch Trump hat sich mit Brasilien einen Gegner ausgesucht, der weitaus besser für eine Konfrontation gerüstet ist als viele andere Nationen. Während Länder wie Kolumbien oder Vietnam, deren Wirtschaft stark vom US-Markt abhängt, bei Zolldrohungen schnell zu Zugeständnissen bereit waren, reagiert die Regierung in Brasília mit selbstbewusstem Trotz. Präsident Lula da Silva, ein politischer Veteran, der sich seine Sporen im Kampf gegen die Militärdiktatur verdiente, konterte umgehend: Brasilien sei ein souveräner Staat, der sich von niemandem bevormunden lasse. Jede einseitige Zollerhöhung werde mit wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen beantwortet. Dieses Selbstbewusstsein speist sich aus einer fundamental veränderten globalen Wirtschaftslandschaft. Brasiliens Abhängigkeit von den USA ist stark gesunken. China ist heute der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Die Ausfuhren in die USA machen nur noch etwa 1,7 Prozent des brasilianischen Bruttoinlandsprodukts aus. Zudem hat Brasilien seine Handelsbeziehungen innerhalb des BRICS-Blocks (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und weitere) systematisch ausgebaut. Der Handel mit diesem Bündnis, das von Trump als „antiamerikanisch“ gebrandmarkt wird, übersteigt den mit den USA und Europa zusammengenommen bereits deutlich. Brasilien hat Alternativen und ist daher nicht so leicht erpressbar. Die Nation kann den Sturm wirtschaftlich wohl überstehen, auch wenn einzelne Sektoren getroffen werden.
Innenpolitisches Kalkül: Wie der Konflikt Präsident Lula in die Karten spielen könnte
Paradoxerweise könnte Trumps Angriff für Präsident Lula zu einem politischen Geschenk werden. Dessen dritte Amtszeit ist von sinkenden Umfragewerten und öffentlicher Enttäuschung geprägt. Der Konflikt mit Washington liefert ihm nun eine willkommene Gelegenheit, sich als starker Verteidiger der nationalen Souveränität zu inszenieren und die Reihen hinter sich zu schließen. Er kann den Streit nutzen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und ein klares Feindbild zu schaffen. Seine Anhänger verbreiteten bereits kurz nach der Ankündigung die griffige Botschaft: „Lula will die Superreichen besteuern. Bolsonaro will Brasilien besteuern“. Gleichzeitig bringt der Vorstoß Bolsonaros politische Erben in eine missliche Lage. Unterstützen sie Trumps Vorgehen, erscheinen sie als Handlanger einer fremden Macht, die den Interessen des eigenen Landes schadet. Distanzieren sie sich, schwächen sie ihren wichtigsten internationalen Verbündeten. Lula kann sich so als patriotischer Führer positionieren, der dem amerikanischen „Imperator“, wie er Trump nannte, die Stirn bietet. Der Kampf um Zölle wird zum Kampf um die nationale Ehre – ein potenziell wirkungsvolles Narrativ im Vorfeld der nächsten Präsidentschaftswahl.
Die Folgen dieser neuen Eskalationsstufe sind weitreichend. Für die US-Verbraucher könnten alltägliche Produkte wie Kaffee, von dem die USA ein Drittel ihrer Importe aus Brasilien beziehen, oder Orangensaft bald spürbar teurer werden. Doch die größte Gefahr liegt auf der strategischen Ebene. Das Vorgehen gegen Brasilien ist eine Blaupause, eine Demonstration, wie die amerikanische Wirtschaftsmacht für beliebige politische Ziele instrumentalisiert werden kann. Ein deutscher Kommentator warnt explizit, dass Europa die nächste Zielscheibe sein könnte. Auch in Europa sieht Trump die freie Rede bedroht – ein Vorwand, der jederzeit für eine Zollattacke herangezogen werden könnte. Die Lehre aus dem Fall Brasilien ist daher alarmierend: Im Zeitalter des neuen Nationalismus ist niemand vor politisch motivierten Handelssanktionen sicher. Die wirtschaftliche Vernunft ist kein verlässlicher Schutzwall mehr, wenn persönliche Loyalitäten und innenpolitische Machtspiele die Agenda bestimmen. Trump hat nicht nur einen Handelskrieg mit Brasilien vom Zaun gebrochen, er hat die Grundfesten der regelbasierten Weltordnung herausgefordert. Die Antwort Brasiliens zeigt, dass diese Herausforderung nicht unbeantwortet bleiben muss.