
Die Anordnung des Präsidenten Donald Trump, das amerikanische Militär in Portland zu stationieren, ist weit mehr als eine operative Maßnahme zur Strafverfolgung. Sie ist ein politisches Fanal, der vorläufige Höhepunkt einer Strategie, die seit Jahren die Grundfesten der amerikanischen Gewaltenteilung erodiert. Was wir in Oregon beobachten, ist nicht die Wiederherstellung von Recht und Ordnung, sondern dessen gezielte Pervertierung für politische Zwecke. Es ist die Inszenierung eines inneren Notstandes, um die Grenzen der präsidentiellen Macht systematisch zu verschieben und eine autoritäre Agenda zu legitimieren, die das Militär zu einem Instrument der Innenpolitik degradiert. Die eigentliche Belagerung, die hier stattfindet, ist nicht die eines Bundesgebäudes durch Demonstranten, sondern die Belagerung der Verfassung durch ihren höchsten Hüter.
Die Fiktion der Gesetzlosigkeit
Die Rechtfertigung für diesen beispiellosen Schritt stützt sich auf ein bewusst konstruiertes Narrativ des Chaos. Der Präsident spricht von einem „vom Krieg zerstörten Portland“, das von „Antifa und anderen inländischen Terroristen“ heimgesucht werde. Heimatschutzministerin Kristi Noem habe um den Einsatz gebeten, um Einrichtungen der Einwanderungsbehörde ICE zu schützen, die angeblich unter konstantem Angriff stünden. Diese martialische Rhetorik zeichnet das Bild einer Stadt am Rande des Zusammenbruchs, in der lokale Behörden kapituliert haben und nur noch die Entsendung von Truppen die Ordnung wiederherstellen kann.

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Doch dieses Bild zerfällt bei der Konfrontation mit der Realität. Die verfügbaren Kriminalitätsstatistiken malen ein fundamental anderes Bild. Daten der Polizei von Portland zeigen für die ersten sieben Monate des Jahres 2025 sogar einen leichten Rückgang der Gewaltverbrechen im Vergleich zum Vorjahr. Auch auf nationaler Ebene ist die Kriminalität, einschließlich Gewaltverbrechen, seit den Höchstständen während der Pandemie signifikant gesunken. Zwar gab es in den Jahren zuvor einen Anstieg, doch der jüngste Trend weist in die entgegengesetzte Richtung. Der ausgerufene Notstand entbehrt damit seiner faktischen Grundlage. Es handelt sich um eine Politik, die nicht auf Evidenz, sondern auf Wahrnehmung zielt. Eine Umfrage von NPR und Ipsos bestätigt diesen Befund eindrücklich: Rund sieben von zehn Amerikanern glauben, das Ausmaß von Kriminalität und Gewalt in den Städten sei inakzeptabel hoch. Die Regierung nutzt diese Kluft zwischen gefühlter Bedrohung und tatsächlicher Lage meisterhaft aus. Sie schürt die Angst, um anschließend eine Lösung zu präsentieren, für die es nie einen echten Bedarf gab.
Recht als dehnbarer Begriff
Die Vagheit der präsidentiellen Anordnung ist ebenso alarmierend wie ihre Begründung. Trump autorisierte den Einsatz „vollumfänglicher Gewalt, falls erforderlich“, ohne diese Formulierung, die im militärischen Jargon unüblich ist, näher zu definieren. Diese bewusst im Unklaren gelassene Drohung öffnet Tür und Tor für eine potenziell unkontrollierte Eskalation und schafft ein Klima der Einschüchterung. Gleichzeitig bleibt offen, ob es sich um den Einsatz von Nationalgardisten oder aktiven Truppen handelt – eine juristisch hochrelevante Unterscheidung.
Die rechtlichen Hürden für einen solchen Einsatz sind beträchtlich. Der Posse Comitatus Act von 1878 verbietet grundsätzlich den Einsatz des Militärs als Ordnungskraft im Inland. Zwar gibt es Ausnahmen, doch die Hürden sind hoch. Genau an dieser Stelle scheiterte die Trump-Administration bereits in Kalifornien. Ein Bundesrichter urteilte, der Einsatz von Truppen in Los Angeles sei illegal gewesen, da er gegen dieses Gesetz verstoßen habe. Zwar hat die Regierung Berufung eingelegt, doch der Fall offenbart die rechtliche Fragilität ihres Vorgehens. Eine weitere Option wäre die Aktivierung des Insurrection Act, ein selten genutztes Gesetz, das dem Präsidenten erlaubt, das Militär bei einem bewaffneten Aufstand einzusetzen. Schon 2020, nach der Tötung von George Floyd, wurde diese Möglichkeit erwogen, stieß jedoch auf heftigen Widerstand aus der damaligen Pentagon-Führung. Die erneute Drohung mit militärischer Gewalt im Inneren ist somit ein Test, wie weit die verfassungsrechtlichen Leitplanken gedehnt werden können.
Ein weiterer Baustein dieser Strategie ist die Kriminalisierung des politischen Gegners. Trump hat Antifa per Dekret als „inländische Terrororganisation“ eingestuft. Diese Klassifizierung entbehrt jeder juristischen Grundlage, da das US-Recht eine solche Designation für inländische Gruppen nicht vorsieht und Antifa keine formale Organisation, sondern eine lose Bewegung ist. Der Zweck ist daher nicht juristischer, sondern politischer Natur: Die Brandmarkung von Protestierenden als Terroristen soll den Einsatz militärischer Mittel gegen sie enttabuisieren und in der Öffentlichkeit legitimieren.
Föderalismus unter Beschuss
Der Vorstoß in Portland ist auch ein direkter Angriff auf das föderale System der Vereinigten Staaten. Die Entsendung von Truppen erfolgt gegen den erklärten Willen der demokratisch gewählten Führung des Bundesstaates. Oregons Gouverneurin Tina Kotek gehört zu jenen 19 Gouverneuren, die bereits im Vormonat in einem Brief an den Präsidenten dessen Recht infrage stellten, die Nationalgarde gegen den Willen der Staaten zu mobilisieren. Sie warfen ihm vor, das Militär zu politisieren und die Autorität der Gouverneure als Oberbefehlshaber ihrer eigenen Garden zu untergraben.
Dieser Konflikt zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ist ein wiederkehrendes Muster. In Kalifornien setzte Trump die Nationalgarde über den Widerstand von Gouverneur Gavin Newsom hinweg ein. In anderen Fällen, wie in Louisiana und Memphis, wurde der Einsatz mit der Zustimmung der dortigen republikanischen Gouverneure genehmigt. Die Stoßrichtung ist klar: In demokratisch regierten Städten und Bundesstaaten, die als politische Hochburgen des Gegners gelten, wird der Bund zur Ordnungsmacht, die Härte demonstriert – notfalls auch unter Missachtung lokaler Autoritäten. In republikanisch geführten Gebieten hingegen agiert man kooperativ. Dies spaltet das Land weiter und verwandelt die Sicherheitsarchitektur in ein Instrument des parteipolitischen Kampfes. Die langfristigen Folgen für den Föderalismus, jenes austarierte Gleichgewicht zwischen Washington und den Bundesstaaten, sind potenziell verheerend.
Ein Land im Spiegel seiner Ängste
Die Strategie Trumps verfängt, weil sie auf einen fruchtbaren Boden fällt: eine tief gespaltene Gesellschaft, in der Fakten oft weniger zählen als die Zugehörigkeit zum eigenen politischen Lager. Die Umfrage von NPR-Ipsos ist hierfür ein eindrücklicher Beleg. Während eine knappe Hälfte der Amerikaner die Stationierung von Nationalgardisten in ihrer eigenen Region ablehnt, offenbart sich bei genauerem Hinsehen eine unüberbrückbare Kluft. Rund acht von zehn Republikanern befürworten eine solche Maßnahme, während fast ebenso viele Demokraten sie strikt ablehnen. Bei den Unabhängigen ist die Ablehnung ebenfalls mehrheitlich.
Die Regierung bedient mit ihrer Politik also nicht die Mehrheit der Bevölkerung, sondern zielt präzise auf die eigene Basis. Für diese Wählergruppe, die laut Umfragen zu 93 Prozent der Meinung ist, die Kriminalität sei inakzeptabel hoch, ist Trump der starke Mann, der durchgreift, wo andere versagen. Der Einsatz des Militärs wird für sie zur Bestätigung ihres Weltbildes. Die Kritik der Demokraten, die von einer „Besatzung“ sprechen, verhallt bei ihnen ungehört. Diese Polarisierung ist der eigentliche Motor dieser Politik. Sie ermöglicht es dem Präsidenten, radikale Maßnahmen zu ergreifen, die von einem erheblichen Teil des Landes als legitim wahrgenommen werden, während der Rest sie als Angriff auf die Demokratie verurteilt. Die Sorge vor politischer Polarisierung ist in der Bevölkerung mittlerweile nach der Wirtschaft das zweitwichtigste Thema – noch vor der Kriminalität. Der Präsident gießt mit seiner Politik Öl in genau jenes Feuer, das die Bürger am meisten fürchten.
Die Normalisierung des Ausnahmezustands
Portland ist kein Einzelfall. Es ist Teil einer Serie, die Einsätze in Los Angeles, Washington D.C. und Memphis umfasst und mit Drohungen gegen weitere Städte wie Chicago, New Orleans und Baltimore einhergeht. Was wir erleben, ist der Versuch, den Einsatz des Militärs im Inneren zu normalisieren. Jeder dieser Schritte verschiebt die Grenzen des Denkbaren und senkt die Hemmschwelle für zukünftige Interventionen. Es ist eine Eskalationsspirale, deren Endpunkt noch nicht absehbar ist, die aber unweigerlich zu einer weiteren Militarisierung der Innenpolitik führen wird.
Die Risiken sind immens. Eine politisierte Armee, die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wird, verliert ihre wichtigste Ressource: das Vertrauen der Bürger. Die traditionell unpolitische Rolle des US-Militärs wird nachhaltig beschädigt. Für Soldaten entsteht ein unlösbarer Loyalitätskonflikt, wenn sie zwischen ihrem Eid auf die Verfassung und den Befehlen eines Präsidenten stehen, der diese Verfassung bis an ihre Grenzen auslegt. Die Kritiker, die von einem Missbrauch der Macht sprechen, wie der von der Regierung enttäuschte Trump-Wähler Darius Gamble, der von einem „exzessiven“ und „ungerechtfertigten“ Vorgehen spricht, sehen sich mit einer Administration konfrontiert, die Kritik als Bestätigung ihres Kurses interpretiert. Alternative Ansätze, wie eine bessere Kontrolle von Schusswaffen oder die Schaffung von wirtschaftlichen Perspektiven, finden in diesem Klima kein Gehör mehr. Stattdessen wird die Illusion genährt, komplexe soziale Probleme ließen sich mit militärischer Gewalt lösen.
Die Anordnung für Portland ist daher ein Lackmustest für die amerikanische Demokratie. Es geht um die fundamentale Frage, ob die Streitkräfte ein neutrales Instrument des Staates bleiben oder zur Privatarmee eines Präsidenten werden. Die unklaren Befehle, die fragile rechtliche Grundlage und die offene Konfrontation mit den Bundesstaaten deuten auf eine Zukunft hin, in der der Ausnahmezustand zur neuen Normalität werden könnte. Der wahre Kampf in Portland wird nicht auf den Straßen ausgetragen, sondern um die Seele der amerikanischen Republik.