Trumps Amerika: Zwischen autoritärer Machtdemonstration und selbstgeschaffener Krise

Illustration: KI-generiert

In Washington wurden in der vergangenen Woche Fakten demontiert, in Tianjin neue Allianzen geschmiedet und in Chicago der Ausnahmezustand geprobt. Die erste Septemberwoche des Jahres 2025 war keine Woche der politischen Routine; sie war eine Demonstration der Doktrin Trump in ihrer vollendeten Form. Doch während der Präsident mit einer Politik der vollendeten Tatsachen versucht, die Welt und das eigene Land neu zu ordnen, bricht unter der Oberfläche das Fundament weg. Der Wochenrückblick zeigt eine Regierung, deren aggressive Machtprojektion die selbstgeschaffenen Krisen in Wirtschaft, Gesellschaft und an den Grundfesten des Rechtsstaats nicht länger überdecken kann.

Geopolitische Beben: Wie Trumps Zorn eine neue Weltordnung schmiedet

In der chinesischen Hafenstadt Tianjin entfaltete sich in dieser Woche ein diplomatisches Schauspiel mit tektonischer Sprengkraft. Ein Händedruck zwischen dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und dem indischen Premierminister Narendra Modi am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) wurde zum Symbol einer neuen globalen Machtverschiebung. Was vor wenigen Monaten noch undenkbar schien, ist zur Realität geworden: Zwei erbitterte asiatische Rivalen sehen sich in ein unbehagliches Bündnis gezwungen. Der wahre Architekt dieser erzwungenen Annäherung saß jedoch Tausende Kilometer entfernt in Washington.

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Es ist die aggressive Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump, die diese neue Konstellation wie ein Brandbeschleuniger geformt hat. Mit der Verhängung drakonischer 50-Prozent-Strafzölle gegen Indien hat Trump nicht nur eine jahrzehntelang sorgfältig aufgebaute Partnerschaft pulverisiert, sondern Neu-Delhi regelrecht in die Arme Pekings getrieben. Für Modi, der viel in eine persönliche Männerfreundschaft mit Trump investiert und dafür sogar Indiens traditionelle Blockfreiheit aufgeweicht hatte, war das Erwachen brutal. Der Schutzschild zerbarst im Sommer 2025. Auslöser war eine Mischung aus gekränkter Eitelkeit Trumps, der sich von Modi eine Nominierung für den Friedensnobelpreis im Kaschmir-Konflikt erhofft hatte, und handelspolitischem Groll. Die Strafzölle, offiziell mit Handelsungleichgewichten und Indiens fortgesetzten Käufen von russischem Öl und Waffen begründet, wurden in Neu-Delhi als pure Schikane empfunden, zumal China mit moderateren Zöllen davonkam, obwohl es weitaus mehr russisches Öl kauft.

Die Konsequenz war Modis erste China-Reise seit sieben Jahren, ein diplomatischer Canossagang angesichts der tödlichen Gefechte zwischen indischen und chinesischen Soldaten im Himalaja im Jahr 2020. Dieses Zweckbündnis, dessen Fundament nicht auf Vertrauen, sondern auf der gemeinsamen Abwehr eines unberechenbaren Freundes ruht, ist für Indien ein riskanter Balanceakt. Das Land sieht sich einem massiven Handelsdefizit von 129 Milliarden US-Dollar gegenüber China konfrontiert und bleibt von seinem größten Rivalen strategisch bedroht. Mit einem Besuch in Japan kurz vor der Reise und einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj von Tianjin aus versuchte Modi, seine strategische Autonomie zu wahren, doch die Bilder an der Seite von Xi und dem ebenfalls anwesenden Wladimir Putin sprachen eine andere Sprache.

China, der meisterhafte Regisseur dieser Inszenierung, nutzte die Bühne, um die Vision einer neuen Weltordnung zu skizzieren – eine Alternative zum westlich dominierten System. Xi rief dazu auf, sich einer „Mentalität des Kalten Krieges, der Blockkonfrontation und des Mobbings“ zu widersetzen und warb für die Gründung einer eigenen SCO-Entwicklungsbank als direkten Angriff auf die Vormachtstellung des US-Dollars. Russland, dessen Wirtschaft unter den westlichen Sanktionen ächzt und für das die Ölexporte nach China und Indien zur existenziellen Lebensader geworden sind, fiel dabei die Rolle des verzweifelten Juniorpartners zu.

Die pompöse Militärparade in Peking zum 80. Jahrestag des Sieges über Japan, bei der Xi Jinping, flankiert von Putin und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un, die modernsten Waffensysteme präsentierte, untermalte diesen Anspruch. Sie war eine Demonstration der Stärke, die Chinas Aufstieg zementieren und die USA einschüchtern sollte. Doch hinter der Fassade der Unbesiegbarkeit zeigten sich Risse: Eine beispiellose Säuberungswelle hat in den letzten zwei Jahren mindestens zwei Dutzend hochrangige Militärs und Verteidigungsmanager hinweggefegt, darunter zwei Verteidigungsminister in Folge. Xis obsessiver Fokus auf „absolute Loyalität“ statt reiner Kompetenz nährt Zweifel, ob die Volksbefreiungsarmee, deren Führung in permanenter Angst leben muss, die für eine Invasion Taiwans nötige Effizienz überhaupt entwickeln kann.

Ein am Rande der Parade zufällig aufgezeichnetes Gespräch zwischen Xi und Putin offenbarte zudem die Hybris der Autokraten. Sie sinnierten über die Überwindung der eigenen Sterblichkeit durch Biotechnologie, mit Putins Vision, „sogar Unsterblichkeit zu erreichen“. In einem System, in dem der Staat auf den Körper des Herrschers zugeschnitten ist, wird dessen biologisches Ende zur größten denkbaren Staatskrise. Während der Zar vom ewigen Leben träumt, verblutet eine Generation junger Russen in der Ukraine – der finale, fatale Widerspruch eines Systems, das das Leben des Einzelnen als wertlose Ressource im Streben nach unendlicher Macht begreift.

Der Feldzug im Inneren: Trumps Kriegserklärung an Amerikas Städte

Während die Trump-Administration auf der Weltbühne neue Allianzen provoziert, führt sie im eigenen Land einen erbitterten Feldzug gegen ihre politischen Gegner. Die Schlachtfelder sind nicht die Schützengräben eines Bürgerkriegs, sondern die Straßen liberaler Metropolen, die zu Kulissen einer sorgfältig choreografierten Machtdemonstration degradiert werden. In dieser Woche eskalierte der Konflikt an zwei Fronten: in der Hauptstadt Washington, D.C., und in Chicago.

Unter dem Vorwand, die ausufernde Kriminalität zu bekämpfen, hat Präsident Trump beiden Städten de facto den Krieg erklärt. Auf seinem Social-Media-Kanal inszenierte er sich mit einer Montage, die ihn vor einer brennenden Chicagoer Skyline zeigte, untermalt vom Titel „Chipocalypse Now“ und dem zynischen Zitat: „Ich liebe den Geruch von Deportationen am Morgen“. Dies war die Ouvertüre zur angekündigten Entsendung der Nationalgarde und von ICE-Spezialeinheiten, um in der Metropole aufzuräumen. Die offizielle Begründung ist eine Erzählung von Chaos und Gesetzlosigkeit, die durch schwache demokratische Führung verursacht worden sei. Es ist eine kraftvolle, eingängige Geschichte – und eine nachweisliche Fiktion. Offizielle FBI-Daten belegen, dass die Gewaltkriminalität in Chicago im letzten Jahrzehnt um 40 Prozent gesunken ist und die Mordrate auf einem der niedrigsten Stände der letzten 35 Jahre liegt. Die Realität wird bewusst ignoriert, weil sie der gewünschten politischen Inszenierung im Wege steht.

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Der wahre Zweck der Operation ist es, Chicago, ein Symbol des liberalen, urbanen Amerikas, als gesetzlose Zone darzustellen und sich selbst als starken Mann zu präsentieren, der Recht und Ordnung wiederherstellt. Für die demokratischen Führungen vor Ort, Gouverneur JB Pritzker und Bürgermeister Brandon Johnson, ist dies ein frontaler Angriff auf ihre Souveränität. Pritzker nennt Trump einen „Möchtegern-Diktator“, der „Krieg mit einer amerikanischen Stadt“ führe. Johnson untersagte per Anordnung die Zusammenarbeit der städtischen Polizei mit den Bundestruppen. Der Konflikt ist zu einem Präzedenzfall für das föderale Gleichgewicht der USA geworden.

In den betroffenen Vierteln wie Pilsen und Little Village, dem Herzen der mexikanisch-amerikanischen Gemeinschaft, hat die Angst den Alltag vergiftet. Umsätze brechen ein, weil die Menschen zögern, auf die Straße zu gehen; stolze Traditionen wie das große Festival zum mexikanischen Unabhängigkeitstag werden aus Sicherheitsgründen abgesagt. Die Gemeinschaft weigert sich jedoch, sich kampflos zu ergeben. Freiwillige verteilen Trillerpfeifen als Alarmsystem bei ICE-Sichtungen, und Demonstranten malen Monarchfalter, das Symbol der Migration, auf ihre Schilder.

Was in Chicago als Drohung im Raum steht, ist in Washington, D.C. bereits Realität. Die Hauptstadt befindet sich in einem Zustand der Belagerung von innen. Die Regierung hat die Stadt zu einem Labor für ihre „Law and Order“-Vision erklärt. Die Offensive wird an drei Fronten geführt: legislativ, militärisch und justiziell. Ein Paket von 14 Gesetzesvorschlägen der Republikaner zielt auf die Demontage der lokalen Selbstverwaltung ab. Der drastischste Vorschlag will das Amt des lokal gewählten Generalstaatsanwalts abschaffen und durch einen vom Präsidenten ernannten Beamten ersetzen, der nicht einmal vom Senat bestätigt werden müsste. Weitere Gesetze sollen Mindeststrafen verschärfen und das Alter für die Strafverfolgung von Jugendlichen als Erwachsene auf 14 Jahre senken.

Gleichzeitig patrouillieren rund 2.200 Nationalgardisten durch die Stadt. Doch ihr Einsatz entlarvt sich selbst als surreales Theater: Man sieht die Soldaten, wie sie gelangweilt Müllsäcke füllen oder in Parks Mulch verteilen – eine Degradierung hochtrainierter Militärs zu Hilfsarbeitern im Namen von Trumps „Safe and Beautiful“-Initiative. Der angebliche Rückgang der Kriminalität um 61 Prozent wird von Kritikern als kurzfristiger Effekt der massiven Präsenz abgetan. Das Vorgehen in Washington dient als Blaupause für den Umgang mit liberalen Städten im ganzen Land und zeigt, wie schnell rechtsstaatliche Prinzipien erodieren können, wenn der politische Wille zur Macht über dem Respekt vor der Demokratie steht.

Der permanente Ausnahmezustand: Wie Recht und Wissenschaft demontiert werden

Der Feldzug gegen Amerikas Städte ist kein isoliertes Phänomen, sondern Teil einer umfassenderen Strategie, die das Fundament der amerikanischen Republik erschüttert: die Etablierung eines permanenten Ausnahmezustands. Die Regierung Trump nutzt die rechtlichen Instrumente, die für außergewöhnliche Krisen geschaffen wurden, als Generalschlüssel, um die vom Kongress und der Verfassung gesetzten Grenzen zu umgehen. Es ist kein lauter Putsch, sondern ein Staatsstreich in Zeitlupe, ausgeführt mit den Paragrafen des Rechts, die zu Waffen gegen den Rechtsstaat selbst umfunktioniert werden.

Die Methode ist ebenso simpel wie diabolisch: Der Präsident kettet eine Notstandserklärung an die nächste und schafft so aus vielen begrenzten Befugnissen eine Machtfülle, die einer allgemeinen Notstandsgewalt gefährlich nahekommt. Gesetze, die für Kriege oder Invasionen gedacht waren, werden zur Waffe im Kampf gegen Migranten. Ein Instrument zur Abwehr außergewöhnlicher Wirtschaftsbedrohungen dient als Hebel zur Verhängung weitreichender Zölle. Die Grundlage dafür ist die Fähigkeit, die Realität per Dekret neu zu definieren: Eine Krise ist nicht mehr, was Fakten belegen, sondern was der Präsident zur Krise erklärt. So wurde das seit Jahrzehnten bestehende Handelsdefizit kurzerhand zu einer „außergewöhnlichen Bedrohung für die nationale Sicherheit“ deklariert, um Zölle ohne Zustimmung des Kongresses zu erheben.

Dieser Angriff auf die Gewaltenteilung wird flankiert von einem ebenso systematischen Krieg gegen die Wahrheit und die Institutionen, die sie repräsentieren. Die unabhängige Wissenschaft wird als rivalisierende Quelle der Wahrheit betrachtet, die neutralisiert werden muss. Dieses Vorgehen folgt einem historischen Drehbuch, das von der Inquisition über die Sowjetunion bis zu modernen Autokraten wie Orbán oder Putin reicht. Der Angriff erfolgt auf drei Ebenen: personell, finanziell und strukturell. Unzählige wissenschaftliche Beratungsgremien wurden aufgelöst, um die Nervenbahnen zwischen Wissen und politischer Entscheidung zu kappen. Der Haushaltsentwurf sieht eine beispiellose Kürzung der Forschungsgelder um 44 Milliarden Dollar vor, der größte Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg, der vor allem die Grundlagenforschung trifft.

Ein besonders drastisches Beispiel ist der Kreuzzug gegen die Klimawissenschaft. Unter dem Vorwand, sich auf das „Wesentliche“ – die Wettervorhersage – zu konzentrieren, wird die Klimaforschung gezielt demontiert. Behörden wie die NOAA werden angewiesen, sich auf Forschung zu beschränken, die „direkter mit ihrer Mission zusammenhängt“, eine kaum verhüllte Aufforderung, alles, was mit dem Klimawandel zu tun hat, zu streichen. Konkret bedeutet dies, dass entscheidende Beobachtungsinstrumente abgeschaltet werden. Die Sonden des „Orbiting Carbon Observatory“, die seit einem Jahrzehnt die CO2-Konzentration messen, sollen stillgelegt werden. Beim neuen GeoXO-Satellitenprogramm werden Instrumente zur Überwachung von Luftverschmutzung und der Wasserqualität der Ozeane geopfert. Wissenschaftler bezeichnen die künstliche Trennung von Wetter und Klima als „kompletten Trugschluss“, da die Klimadaten von heute die Grundlage für die Wettervorhersage von morgen sind.

Die traditionellen Wächter der Demokratie erweisen sich als zunehmend zahnlos. Der Kongress agiert in weiten Teilen als Unterstützer des Präsidenten, während die Gerichte, insbesondere der konservativ geprägte Supreme Court, dem Präsidenten eine „außergewöhnliche Ehrerbietung“ entgegenbringen und seine Maßnahmen oft durch Eilentscheidungen ermöglichen, bevor die Rechtsstreitigkeiten in den unteren Instanzen abgeschlossen sind.

In diesem Vakuum hat sich eine unerwartete Gegenbewegung formiert: ein juristischer Widerstand, angeführt von Organisationen wie „Democracy Forward“. Diese Guerilla-Armee aus Juristen hat die Gerichtssäle zur letzten wirksamen Kontrollinstanz gemacht und allein in diesem Jahr über 100 rechtliche Schritte gegen die Regierung eingeleitet. Ihre Strategie ist ein juristisches „Schock und Ehrfurcht“, bei dem Klagen nicht nur juristische, sondern auch narrative Schlachten sind, die die Auswirkungen der Regierungspolitik im „Gerichtshof der öffentlichen Meinung“ sichtbar machen. So gelang es etwa der kleinen Gemeinde Easthampton in Massachusetts, die geplanten Massenentlassungen im Bildungsministerium vorübergehend zu stoppen. Doch die Achillesferse dieser Strategie ist der Supreme Court, der den Sieg von Easthampton in einer knappen Anordnung ohne Begründung kassierte und die Entlassungen ermöglichte. Der Kampf um den Rechtsstaat droht so, das Vertrauen in die Justiz selbst zu untergraben und zu einem Pyrrhussieg zu werden.

Kreuzzug für eine neue Wahrheit: Kennedys radikaler Umbau des Gesundheitssystems

Nirgendwo wird der Angriff auf wissenschaftliche Institutionen so deutlich wie im Gesundheitssektor, wo Minister Robert F. Kennedy Jr. einen regelrechten Kreuzzug gegen das etablierte System führt. Eine dreistündige, konfrontative Anhörung im Senat legte in dieser Woche die tiefen Gräben offen, die seine Politik bereits gerissen hat. Kennedys Mission, getragen von der Überzeugung, die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) seien während der Covid-Pandemie zu einer Agentur des Scheiterns verkommen, ist keine Reform, sondern eine Säuberung.

Sein dramatischster Akt war die abrupte Entlassung der erst einen Monat zuvor vom Senat bestätigten CDC-Direktorin Susan Monarez. Kennedy begründete den Schritt damit, Monarez sei nicht vertrauenswürdig. Diese wiederum beschrieb in einem Gastbeitrag den Versuch, sie unter Druck zu setzen, erfahrene Mitarbeiter zu entlassen und die Empfehlungen eines neu besetzten, impfkritischen Beratergremiums „vorab zu genehmigen“. Kennedy hat dieses gesamte Expertengremium zur Impfstoffempfehlung durch handverlesene, impfkritische Kandidaten ersetzt und sich so die institutionelle Kontrolle zur Durchsetzung seiner Agenda gesichert.

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Während die Kritik der Demokraten erwartet wurde, offenbarte die Anhörung ein tiefes Unbehagen im Lager der Republikaner. Senatoren wie John Barrasso und Bill Cassidy, beide Ärzte, die Kennedys Nominierung nur zögerlich zugestimmt hatten, konfrontierten den Minister mit den Konsequenzen seiner Politik. „Ich bin Arzt. Impfstoffe wirken“, erklärte Barrasso. „Seitdem bin ich zutiefst besorgt“. Cassidy warf Kennedy vor: „Effektiv verwehren wir den Menschen Impfstoffe“. Diese Konfrontation offenbart den tiefen Konflikt innerhalb der Republikanischen Partei zwischen der Loyalität zu Präsident Trump und der Achtung vor wissenschaftlicher Expertise.

Die realen Folgen dieser Politik sind bereits spürbar. Die eingeschränkte Zulassung der aktualisierten Covid-Impfstoffe nur für Risikogruppen hat zu massiver Verwirrung und Chaos in den Apotheken geführt. Gleichzeitig erleben die USA den stärksten Anstieg von Maserninfektionen seit drei Jahrzehnten, ein Trend, der direkt mit sinkenden Impfraten in Verbindung gebracht wird.

Diese Entwicklung wird durch einen koordinierten Angriff auf die Impfpflicht in den Bundesstaaten weiter befeuert. In dieser Woche kündigte Floridas Generalarzt Joseph A. Ladapo, ein enger Verbündeter Kennedys, die Abschaffung sämtlicher Impfvorschriften für Schulkinder an – ein Dammbruch und eine Blaupause für andere republikanisch regierte Staaten wie Alabama. Präsident Trump selbst scheint in diesem Konflikt gefangen. Während sein Gesundheitsminister die Impfpolitik demontiert, trat Trump öffentlich auf die Bremse, sprach von „unglaublichen“ Impfstoffen, die weiterhin genutzt werden sollten, und goss „kaltes Wasser“ über Ladapos Vorstoß. Er scheint sein eigenes Erbe aus der „Operation Warp Speed“ nicht gänzlich demontieren zu wollen. Dennoch ist der Schaden bereits angerichtet. Amerika entwickelt sich zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Gesundheitsrealitäten, in dem das Vertrauen in die Medizin für Generationen zerstört werden könnte.

Das stotternde Wirtschaftswunder: Wenn die eigene Politik zur Rezessionsgefahr wird

Die radikale Agenda der Trump-Regierung fordert nun auch auf ihrem ureigenen Versprechensfeld, der Wirtschaft, ihren Tribut. Der Motor, der ein goldenes Zeitalter des Wohlstands einläuten sollte, stottert bedenklich. Die neuesten Arbeitsmarktdaten zeichnen ein düsteres Bild: Im August wurden lediglich 22.000 neue Stellen geschaffen, während revidierte Daten für Juni sogar einen Nettoverlust von 13.000 Stellen offenbarten – der erste Rückgang seit dem Höhepunkt der Pandemie. Die Arbeitslosenquote kletterte auf 4,3 Prozent, den höchsten Stand seit fast vier Jahren.

Während das Weiße Haus die Schuld bei der US-Notenbank Federal Reserve und ihrem Vorsitzenden Jerome Powell sucht, deuten alle Anzeichen darauf hin, dass die Krise hausgemacht ist – eine direkte Konsequenz der zentralen Säulen der Trump’schen Wirtschaftsdoktrin. Die aggressive Zollpolitik hat ein Klima der totalen Verunsicherung geschaffen, das zu einer Investitionsstarre führt und die Kosten für Unternehmen und Verbraucher in die Höhe treibt. Das verarbeitende Gewerbe, das eigentlich geschützt werden sollte, hat in den letzten Monaten Zehntausende Arbeitsplätze abgebaut. Parallel dazu reißt die unerbittliche Einwanderungspolitik tiefe Lücken in den Arbeitsmarkt und drosselt das Wachstumspotenzial der gesamten Volkswirtschaft.

Ein dramatisches Beispiel für diesen selbstzerstörerischen Zielkonflikt war eine großangelegte Razzia von Bundesagenten auf der Baustelle einer gigantischen Fabrik für Elektrofahrzeugbatterien in Georgia. Das 7,6-Milliarden-Dollar-Projekt von Hyundai und LG, das größte in der Geschichte des Bundesstaates, wurde lahmgelegt und 475 Arbeiter, die meisten von ihnen südkoreanische Staatsbürger, verhaftet. Hier sabotiert die symbolische Härte der Einwanderungspolitik frontal die strategischen Ziele der eigenen Wirtschaftspolitik, die auf genau solche ausländischen Investitionen angewiesen ist. Die Aktion, die Südkorea, einen engen Verbündeten, diplomatisch brüskierte, sendet ein fatales Signal an alle internationalen Konzerne: Euer Kapital ist willkommen, eure Leute sind es nicht.

Die Reaktion des Präsidenten auf die schlechten Wirtschaftsdaten folgt dem bekannten Muster des Angriffs auf die Fakten. Statt die eigene Politik zu hinterfragen, attackierte Trump das Bureau of Labor Statistics (BLS), eine für ihre Unabhängigkeit respektierte Behörde, als „manipuliert“ und entließ dessen Leiterin. Dieser Versuch, das Monopol auf die wirtschaftliche Wirklichkeitsdeutung an sich zu reißen, untergräbt das Vertrauen in jene Institutionen, die für eine evidenzbasierte Politikgestaltung unerlässlich sind.

Die Federal Reserve befindet sich derweil in einer Zwickmühle: Die gleiche Politik, die das Wachstum abwürgt, treibt die Inflation an. Eine Zinssenkung zur Ankurbelung der Konjunktur könnte die Teuerung weiter anheizen. Das Schreckgespenst der Stagflation – stagnierende Wirtschaft bei hoher Inflation – zieht am Horizont auf. Diese Krise verschärft zudem die soziale Spaltung einer „K-förmigen“ Nation: Während die einkommensstarke Oberschicht, deren Vermögen am Aktienmarkt hängt, weiterhin profitiert, spürt die breite Mittel- und Unterschicht die Inflation und die wachsende Angst vor dem Arbeitsplatzverlust. Die Regierung, die einst antrat, um die Sorgen dieser Menschen zu adressieren, ist nun selbst zur Architektin ihrer Misere geworden. Die entscheidende Frage der kommenden Monate wird sein, wie lange die Wähler bereit sind, einem Führer zu folgen, der ihnen versichert, die Oase liege gleich hinter der nächsten Düne, die er selbst aufgeschüttet hat.

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