Trumps Abrissbirne: Wie ein Präsident im Alleingang die Regeln des Welthandels pulverisiert

Illustration: KI-generiert

Die globale Wirtschaftsordnung, ein über Jahrzehnte mühsam errichtetes Gebäude aus Verträgen, Verhandlungsrunden und etablierten Regeln, wankt. Der Architekt des Bebens, US-Präsident Donald Trump, hat mit seiner Ankündigung, ab dem 1. August pauschale Einfuhrzölle von 30 Prozent gegen die Europäische Union und Mexiko zu erheben, die nächste Stufe einer Eskalation gezündet, die keiner klaren Strategie, sondern nur einem Ziel zu folgen scheint: maximale Disruption. Diese jüngste Drohung ist weit mehr als eine handelspolitische Maßnahme; sie ist der vorläufige Höhepunkt einer Präsidentschaft, die Diplomatie durch Dekret ersetzt und die Verlässlichkeit internationaler Beziehungen gegen die Unberechenbarkeit eines einzelnen Akteurs eingetauscht hat. Die Konsequenz ist ein Zustand globaler Verunsicherung, in dem selbst engste Verbündete der USA sich in einer permanenten Abwehrhaltung wiederfinden, gefangen zwischen der Hoffnung auf Deeskalation und der wachsenden Einsicht, dass die alten Spielregeln außer Kraft gesetzt sind.

Die Kunst des Chaos: Wenn Willkür die Diplomatie ersetzt

Trumps Methode ist ein radikaler Bruch mit allen diplomatischen Konventionen. Wo einst monatelange, komplexe Verhandlungen zwischen Fachexperten stattfanden, regiert nun die über soziale Medien verbreitete, brüske Botschaft. Formbriefe, die laut Berichten teils standardisiert und mit Fehlern gespickt sind – so wurde die EU als „ein Land“ bezeichnet –, werden an Staats- und Regierungschefs versandt und ersetzen jeden Anschein eines Dialogs auf Augenhöhe. Dieser Ansatz schockiert und paralysiert die Handelspartner, weil er laufende Gespräche im letzten Moment torpediert. Sowohl die EU als auch Kanada und Mexiko wähnten sich kurz vor Kompromissen, die eine weitere Eskalation hätten verhindern können. In Brüssel und Washington war bereits von einem Basiszoll von zehn Prozent die Rede, mit spezifischen Ausnahmen für Schlüsselsektoren. Trumps plötzliche Ankündigung eines pauschalen 30-Prozent-Zolls war daher nicht nur eine Erhöhung der Forderung, sondern eine gezielte Demütigung, die jeden bis dahin erzielten Fortschritt zunichtemachte. Die rechtliche Grundlage dieser Manöver ist ebenso fragil. Die Berufung auf einen „nationalen Notstand“ zur Rechtfertigung der Zölle wurde bereits von einem US-Gericht als unzulässig eingestuft, auch wenn die Regierung in Berufung ging. Es ist ein Vorgehen, das die Fundamente des regelbasierten Handelssystems bewusst ignoriert und durch das Recht des Stärkeren ersetzt.

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Ein Globus in Geiselhaft: Die vergebliche Suche nach dem richtigen Gegenspiel

Die Reaktionen auf diese Politik des permanenten Umsturzes fallen weltweit unterschiedlich aus, doch eines eint sie: die Ratlosigkeit. Bislang hat kein Wirtschaftsraum ein wirksames Gegenmittel gefunden. Die Europäische Union verfolgt eine Strategie der gespaltenen Entschlossenheit. Offiziell verurteilt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Zölle als schädlich und droht mit „proportionalen Gegenmaßnahmen“, sollte es zu keiner Einigung kommen. Gleichzeitig warnen mächtige Wirtschaftsverbände, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie, eindringlich vor einem Handelskrieg, der für die exportabhängige deutsche und europäische Wirtschaft verheerend wäre. Diese Zerrissenheit zwischen dem Wunsch, die eigene wirtschaftliche Stärke zu verteidigen, und der Angst vor den Konsequenzen eines offenen Konflikts macht die EU angreifbar. Andere Akteure wählten andere Wege, mit ähnlich begrenztem Erfolg. China antwortete auf frühere US-Zollattacken mit einer harten „Auge um Auge“-Strategie, die in prohibitiv hohen Abgaben auf beiden Seiten mündete. Doch auch diese harte Haltung hat nicht zu einem nachhaltigen Einlenken Washingtons geführt; die Zölle bleiben hoch. Andere Länder wie Japan oder Indonesien reagieren mit einer Mischung aus Unglauben und dem Versuch, die besonderen bilateralen Beziehungen zu betonen – eine Taktik, die von Trump weitgehend ignoriert wird. Die Lektion für die Weltgemeinschaft ist ernüchternd: Weder kooperatives Entgegenkommen noch konfrontative Vergeltung scheinen einen Ausweg aus der von Trump geschaffenen Unordnung zu bieten. Jeder wird einzeln unter Druck gesetzt, was eine koordinierte Antwort erschwert.

Das Kalkül hinter dem Konflikt: Zwischen Handelsdefizit, Wahlkampf und blanker Not

Die Begründungen für diesen handelspolitischen Feldzug sind so zahlreich wie widersprüchlich. An vorderster Front steht Trumps Obsession mit Handelsdefiziten. Er argumentiert, die USA würden von anderen Nationen seit Jahrzehnten ausgenutzt, eine Behauptung, die von den meisten Ökonomen zurückgewiesen wird. Sie verweisen darauf, dass ein reiner Fokus auf den Warenhandel das Bild verzerrt, da die USA bei Dienstleistungen einen erheblichen Überschuss erwirtschaften, der das Defizit stark relativiert. Zudem sind die Ursachen für den Rückgang von Industriearbeitsplätzen in den USA weniger im Handel als in der Automatisierung zu suchen. Doch die Logik der Zahlen scheint für das Weiße Haus zweitrangig. Zunehmend werden die Zölle auch als Allzweck-Druckmittel für nicht-wirtschaftliche Ziele missbraucht. So werden die Zölle gegen Mexiko mit dem Kampf gegen den Fentanyl-Schmuggel verknüpft, während die Strafzölle gegen Brasilien explizit mit der Behandlung des ehemaligen Präsidenten Bolsonaro begründet wurden. Diese Vermengung von Handels- mit Innen- und Außenpolitik macht Trumps Vorgehen endgültig unberechenbar und entzieht es jeder rationalen Verhandlungsbasis.

Hinter der Fassade der willkürlich erscheinenden Begründungen verbirgt sich jedoch auch ein handfestes innenpolitisches Kalkül. Die Zolleinnahmen sollen helfen, das massive Loch im US-Haushalt zu stopfen, das durch Trumps weitreichende Steuersenkungen für Vermögende und Unternehmen entstanden ist. Die Zölle sind somit nicht nur ein außenpolitisches Instrument, sondern auch eine innenpolitische Notwendigkeit zur Finanzierung von Wahlversprechen. Trump selbst preist die Zölle als Geniestreich, der dem Land „Milliarden von Dollar“ einbringe und zu neuen Fabriken und Jobs führe, während die Preise angeblich fallen würden. Diese Darstellung steht in krassem Gegensatz zur Einschätzung nahezu aller unabhängigen Experten. Ökonomen und Institutionen wie der Internationale Währungsfonds warnen, dass Zölle letztlich eine Steuer sind, die von den eigenen Importeuren und Verbrauchern getragen wird. Studien zeigen, dass amerikanische Konsumenten und Unternehmen den Löwenanteil der Kosten schultern. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen leiden unter der Unsicherheit und den zusätzlichen Kosten. Die von Trump versprochene industrielle Renaissance bleibt aus; stattdessen ist die Unsicherheit selbst zum „Gift“ für die globale Wirtschaft geworden.

Die Reaktion der Finanzmärkte auf dieses Schauspiel hat sich im Laufe der Zeit bemerkenswert gewandelt. Die erste große Ankündigung von Zöllen im April löste noch Panik aus und ließ die Aktienkurse einbrechen. Doch nachdem viele Drohungen zunächst aufgeschoben wurden, machte sich an den Börsen eine Art zynische Gelassenheit breit, zusammengefasst im sogenannten „Taco-Prinzip“: „Trump always chickens out“ – am Ende kneift er immer. Die Märkte wetteten darauf, dass die Drohungen nur Verhandlungstaktik seien und nicht in voller Härte umgesetzt würden, was die Kurse trotz der anhaltenden Drohkulisse auf neue Rekordstände trieb. Die jüngste Eskalation mit der 30-Prozent-Drohung stellt diese Annahme nun fundamental infrage. Die bange Frage lautet, ob die Finanzmärkte einer fatalen Fehleinschätzung aufgesessen sind und die Weltwirtschaft nun vor einem Schock steht, den sie nicht mehr eingepreist hat.

Letztlich treibt Trump die wirtschaftlichen Schwergewichte der Welt vor sich her, ohne dass diese ein Rezept dagegen gefunden hätten. Er hat ein System geschaffen, in dem nicht mehr verhandelt, sondern diktiert wird. Es ist ein System, in dem selbst engste Verbündete und Nachbarn wie Kanada und Mexiko, die durch ein von Trump selbst ausgehandeltes Abkommen verbunden sind, nicht vor plötzlichen Attacken sicher sind. Die Europäer, die monatelang versuchten, „nett zu Trump zu sein“, haben dafür nichts bekommen, wie ein Ökonom treffend feststellte. Stattdessen werden sie nun wie jeder andere Handelspartner behandelt, der sich dem Willen des US-Präsidenten nicht beugt. Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Geiselhaft, deren Ende nicht absehbar ist. Die sorgfältig konstruierten Mechanismen der Nachkriegszeit, die Wohlstand und Stabilität sichern sollten, werden von einer Abrissbirne namens Trump zertrümmert. Ob auf den Trümmern am Ende tatsächlich, wie von ihm versprochen, neue amerikanische Fabriken entstehen oder ob nur ein globales Chaos zurückbleibt, ist die offene und gefährliche Frage, vor der die Welt nun steht.

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