Trumps Abrissbirne: Wie der Supreme Court den Weg für einen beispiellosen Angriff auf den US-Staatsapparat ebnet

Illustration: KI-generiert

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der Exekutive freie Hand für Massenentlassungen zu geben, ist mehr als nur ein juristischer Zwischenschritt. Sie ist ein politisches Fanal, das die amerikanische Gewaltenteilung in ihren Grundfesten erschüttert und Zehntausende Existenzen in die Schwebe versetzt. Während die Richter auf prozedurale Korrektheit pochen, rollt eine politische Planierraupe los, die Fakten schafft, die nie wieder rückgängig zu machen sein könnten.

Es ist ein Urteil, das auf den ersten Blick wie eine technische Formalie wirkt, in seiner Konsequenz aber die Sprengkraft einer politischen Bombe entfaltet. Mit einem knappen, unsignierten Beschluss hat der Oberste Gerichtshof der USA am Dienstag eine einstweilige Verfügung aufgehoben und damit der Administration von Präsident Donald Trump erlaubt, ihre im Februar per Dekret angeordneten Pläne für Massenentlassungen im gesamten föderalen Regierungsapparat voranzutreiben. Die juristische Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit dieser Entlassungen ist damit keineswegs beendet. Doch der Supreme Court hat ein unmissverständliches Signal gesendet: Die Exekutive darf handeln, Fakten schaffen und potenziell ganze Behörden demontieren, während die Gerichte noch über die Legalität dieses Vorgehens streiten.

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Diese Entscheidung ist der vorläufige Höhepunkt eines fundamentalen Machtkampfes um die amerikanische Gewaltenteilung. Sie stellt die Frage, ob ein Präsident die von ihm geführte Exekutive nach seinem alleinigen Willen umformen darf, selbst wenn er damit die vom Kongress geschaffenen und finanzierten Strukturen aushöhlt. Für Zehntausende Bundesangestellte bedeutet der Richterspruch das abrupte Ende einer Phase aufgeschobener Angst und den Beginn einer akuten Unsicherheit. Für die amerikanische Öffentlichkeit birgt er die Gefahr, dass unverzichtbare staatliche Dienstleistungen über Nacht erodieren. Die Entscheidung ist somit weit mehr als nur ein Kapitel im juristischen Tauziehen; sie ist ein Dammbruch, der den Weg für eine potenziell irreversible Umgestaltung des amerikanischen Staates ebnet.

Ein Dammbruch mit Ansage: Der Kreuzzug gegen den „tiefen Staat“

Die aktuelle Eskalation begann nicht erst im Gerichtssaal, sondern mit einem Paukenschlag aus dem Weißen Haus. Im Februar erließ Präsident Trump eine weitreichende Exekutivanordnung, die Bundesbehörden anwies, Vorbereitungen für umfassende Personalreduzierungen („reductions in force“) zu treffen. Das erklärte Ziel der Administration: die Eliminierung von „Verschwendung, Aufgeblähtheit und Abgeschottetheit“ innerhalb der Bundesbürokratie. Um diese Vision einer schlanken, effizienten Regierung umzusetzen, wurde eigens ein „Department of Government Efficiency“ (DOGE) ins Leben gerufen, zeitweise unter der Führung des Tesla-Gründers Elon Musk, das eine zentrale Rolle bei den Personalentscheidungen spielen sollte. Die Rhetorik der Regierung inszeniert den Personalabbau als notwendigen Schritt zur Modernisierung und als Befreiungsschlag gegen einen angeblich dysfunktionalen Apparat.

Gegen diesen Frontalangriff formierte sich rasch breiter Widerstand. Eine Koalition aus Amerikas größter Gewerkschaft für Bundesangestellte, der American Federation of Government Employees (AFGE), sowie diversen gemeinnützigen Organisationen und Lokalregierungen zog vor Gericht. Ihr zentrales Argument rührt am Fundament der amerikanischen Verfassungsordnung: Ein Präsident, so die Kläger, könne nicht im Alleingang per Dekret eine derart weitreichende Reorganisation der Regierung durchführen, für die historisch stets die Zustimmung des Kongresses erforderlich war. Eine Bundesrichterin in Kalifornien, Susan Illston, folgte dieser Argumentation in ihrer ursprünglichen Entscheidung. Sie stellte fest, dass die Regierung ihre Befugnisse wahrscheinlich überschritten habe und blockierte die Entlassungspläne bei über 20 Behörden mit einer einstweiligen Verfügung. Ihre Urteilsbegründung war ein Lehrstück in Verfassungsgeschichte: Sie verwies darauf, dass neun Präsidenten beider Parteien in den letzten 100 Jahren die Autorität des Kongresses für solche Umbauten eingeholt – und Trump selbst sie in seiner ersten Amtszeit erfolglos beantragt – hatten. Die Administration, so die Richterin, könne nicht einfach ein Jahrhundert an etablierter Praxis ignorieren.

Zwei Welten im Gerichtssaal: Die Logik der Mehrheit gegen die Warnung vor dem Chaos

Die Entscheidung des Supreme Court, diesen Damm nun zu brechen, offenbart eine tiefe Kluft in der juristischen Philosophie. Die unsignierte Mehrheitsmeinung ist bewusst technisch und zurückhaltend formuliert. Die Richter betonen, sie träfen keine Aussage über die endgültige Legalität der einzelnen Kündigungs- oder Umstrukturierungspläne. Sie heben lediglich die Blockade auf und geben als Grund an, dass die Regierung in ihrer Argumentation bezüglich der Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Dekrets „wahrscheinlich erfolgreich sein wird“. Selbst die liberale Richterin Sonia Sotomayor schloss sich in einer kurzen Anmerkung dieser prozeduralen Logik an, was auf einen breiten Konsens hindeutet – zumindest auf dieser formalen Ebene. Die Botschaft lautet: Der Präsident darf seine Pläne verfolgen, solange sie sich im Rahmen des „anwendbaren Rechts“ bewegen.

In scharfem Kontrast dazu steht die 15-seitige, leidenschaftliche und wütende abweichende Meinung von Richterin Ketanji Brown Jackson. Sie wirft ihren Kollegen vor, einen „Presslufthammer“ auf die Bundesregierung loszulassen. Ihre Kritik ist fundamental: Der Supreme Court, so Jackson, mische sich unangemessen früh ein und hebele die sorgfältige Tatsachenfeststellung der unteren Gerichtsinstanz aus. Ihre Worte zeichnen das Bild eines übergriffigen Gerichts, das seine Rolle verkennt: „Es ist nicht die Aufgabe dieses Gerichts, hereinzustürmen und die sachlichen Feststellungen eines unteren Gerichts in Frage zu stellen.“ Jackson prangert die Entscheidung als „nicht nur wirklich unglücklich, sondern auch überheblich und sinnlos“ an und warnt vor den gewaltigen, greifbaren Konsequenzen. Sie übersetzt die abstrakte Debatte in menschliche Schicksale und gesellschaftliche Notwendigkeiten: „Was eine Person (oder ein Präsident) als bürokratische Aufgeblähtheit bezeichnen mag, ist die Aussicht eines Bauern auf eine gesunde Ernte, die Chance eines Kohlebergarbeiters, frei von der schwarzen Lunge zu atmen, oder die Möglichkeit eines Vorschulkindes, in einer sicheren Umgebung zu lernen.“ Hier prallen zwei Weltanschauungen aufeinander: die formaljuristische, die den Prozess über das Ergebnis stellt, und die realpolitische, die vor den unumkehrbaren Folgen warnt.

Die Unumkehrbarkeit des Faktischen: Wenn Dienste sterben und Existenzen zerbrechen

Die größte Sorge der Kritiker, die auch Richterin Jackson teilt, ist die Endgültigkeit der nun drohenden Maßnahmen. Die Kläger warnten den Supreme Court in ihren Eingaben eindringlich, es gäbe „keine Möglichkeit, das Ei wieder ganz zu machen“. Selbst wenn Gerichte in Monaten oder Jahren zu dem Schluss kommen sollten, dass die Entlassungen und Behördenschließungen illegal waren, wird es praktisch unmöglich sein, die Zeit zurückzudrehen. Bis dahin könnten ganze Abteilungen zerschlagen, institutionelles Wissen vernichtet und das Vertrauen der Öffentlichkeit nachhaltig beschädigt sein. Es gäbe dann schlicht keine Jobs mehr, in die die zu Unrecht entlassenen Mitarbeiter zurückkehren könnten.

Die potenziellen Schäden sind konkret und alarmierend. Bei der Sozialversicherungsbehörde, wo bereits jetzt über lange Wartezeiten geklagt wird, stehen 7.000 Mitarbeiter auf der Streichliste. Im Außenministerium sind rund 2.000 Stellen akut bedroht, was laut Experten die diplomatische Handlungsfähigkeit der USA empfindlich schwächen würde. Im Gesundheitssektor sind Einheiten wie die Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) und das Forschungsinstitut für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz (NIOSH), das Gesundheitsrisiken für Minenarbeiter untersucht, betroffen. Dort waren zeitweise alle bis auf einen der 222 Mitarbeiter für eine Entlassung vorgesehen. Beim Bildungsministerium wird befürchtet, dass die radikalen Kürzungen darauf abzielen, die Behörde handlungsunfähig zu machen oder gar gänzlich abzuschaffen.

Hinter diesen Zahlen verbirgt sich eine menschliche Tragödie von enormem Ausmaß. Die Artikel zeichnen ein düsteres Bild von der Stimmung unter den Bundesangestellten. Sie beschreiben die wochenlange Ungewissheit als einen „albtraumhaften Kraftakt“. Viele Mitarbeiter fürchteten sich davor, ihre Dienst-E-Mails zu öffnen, in Erwartung einer Kündigung. In privaten Chatgruppen, deren Inhalte an die Presse gelangten, äußerten Mitarbeiter Trauer, Verzweiflung und Wut. Sie schrieben über ihre Sorgen um die nationale Sicherheit, aber auch ganz profan darüber, wie sie ihre Familien versorgen sollen. Die Entscheidung des Gerichts hat diese schwelende Angst nun in akute Existenznot verwandelt.

Ein Gericht im Eilverfahren: Ein Muster im Dienst der Exekutive?

Die Entscheidung fügt sich nahtlos in ein beunruhigendes Muster ein. In jüngster Zeit hat der Supreme Court in einer ganzen Reihe von Notfallanträgen wiederholt zugunsten der Trump-Administration entschieden und damit deren Bestrebungen, die Bundesbürokratie radikal umzubauen, gestärkt. Ob es um die Entlassung von Leitern unabhängiger Aufsichtsbehörden, den Zugriff auf sensible Daten von Millionen Amerikanern oder die Kündigung von Zehntausenden Angestellten in der Probezeit ging – das Gericht hat der Exekutive immer wieder im Eilverfahren den Weg freigemacht, während die eigentlichen Rechtsstreitigkeiten noch liefen. Diese Serie von Entscheidungen nährt den Verdacht, dass die konservative Mehrheit am Gericht einer expansiven Auslegung der präsidialen Macht zuneigt und dabei die Kontrollfunktion des Kongresses systematisch schwächt.

Trotz der Klarheit des Urteils bleiben viele Fragen offen. Der genaue Zeitplan und das Ausmaß der Entlassungen sind in vielen Behörden noch unklar. Während das Außenministerium ankündigte, seine Kürzungspläne nun umzusetzen, erklärte das Veteranenministerium, es könne aufgrund hoher Fluktuation durch freiwillige Kündigungen und Pensionierungen möglicherweise auf Massenentlassungen verzichten. Einzelne gerichtliche Verfügungen in anderen Verfahren könnten bestimmte Bereiche, etwa Teile des Gesundheitsministeriums, vorerst weiter schützen. Die große Ungewissheit bleibt. Der Supreme Court hat der Trump-Administration erlaubt, den Motor der Abrissbirne zu starten. Ob und wann die Gerichte diesen Motor wieder stoppen, bevor das Fundament des Hauses irreparabel beschädigt ist, steht in den Sternen. Die Schlacht um die Zukunft des amerikanischen Staates hat gerade erst begonnen – mit einem entscheidenden Sieg für jene, die ihn lieber heute als morgen demontieren wollen.

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