
Die Wassermassen, die Anfang Juli mit unerbittlicher Gewalt durch Texas schossen, waren mehr als eine Naturkatastrophe. Sie rissen nicht nur Hütten, Wohnmobilparks und Häuser fort, sondern auch die Fassade einer politischen Ideologie. Während Rettungsteams in den reissenden Fluten des Guadalupe River nach über 160 Vermissten suchten und die Zahl der Todesopfer auf über 120 stieg, wurde die Katastrophe zur brutalen Bühne für einen fundamentalen Widerspruch, der das Herz der amerikanischen Regierung unter Donald Trump kennzeichnet: der erklärte Krieg gegen eben jenen Staatsapparat, den man im Krisenfall verzweifelt braucht.
Seit Monaten predigen Präsident Trump und seine Heimatschutzministerin Kristi Noem die Zerschlagung oder zumindest radikale Beschneidung der nationalen Katastrophenschutzbehörde FEMA. Die Behörde sei aufgebläht, ineffizient und ein Relikt überholter zentralistischer Politik. Die Verantwortung, so das Mantra, gehöre zurück in die Hände der Bundesstaaten. Doch als das „hundred-year catastrophe“, wie Trump es nannte, über Texas hereinbrach, vollzog die Administration eine bemerkenswerte rhetorische Kehrtwende. Plötzlich lobte man die schnelle und robuste Reaktion des Bundes und inszenierte sich als Retter in der Not. Diese offensichtliche Diskrepanz ist mehr als nur politische Heuchelei. Sie offenbart eine tiefgreifende und gefährliche Ignoranz gegenüber der komplexen Architektur nationaler Sicherheit und legt die verheerenden Konsequenzen frei, die drohen, wenn ideologische Reinheit über pragmatische Notwendigkeit gestellt wird. Die Tragödie in Texas ist somit nicht nur die Geschichte einer Flut, sondern auch eine Fallstudie über die Demontage staatlicher Schutzfunktionen – ein Prozess, der bereits vor der Katastrophe schleichend begonnen hatte und dessen tödliches Potenzial sich nun im Schlamm von Kerr County manifestiert.

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Rhetorik versus Realität: Trumps widersprüchliches Spiel mit der Katastrophe
Der Widerspruch zwischen Worten und Taten könnte kaum grösser sein. Noch im Juni verkündete Präsident Trump, er wolle die FEMA nach der diesjährigen Hurrikansaison „auslaufen“ lassen, sie „abwickeln wie eine HBO-Serie“. Die Staaten sollten sich von der Bundesbehörde entwöhnen und die Katastrophenhilfe selbst in die Hand nehmen. Heimatschutzministerin Kristi Noem sekundierte, sie werde die FEMA „eliminieren“ oder zumindest „in ihrer heutigen Form“ auflösen. Doch angesichts der Bilder aus Texas, wo ganze Existenzen weggeschwemmt wurden, änderte sich der Ton radikal.
Plötzlich pries Trump die schnelle Reaktion des Bundes, und Noem versicherte ihm in einer Kabinettssitzung, man würde „den Papierkram der alten FEMA durchschneiden“ und alles stromlinienförmiger gestalten, ganz nach der Vision des Präsidenten. Die schnelle Bereitstellung von Geldern für Texas wurde als Paradebeispiel für ein neues Modell von „State Block Grants“ verkauft, das die Administration favorisiert. Doch ehemalige FEMA-Führungskräfte entlarven dies als reines Framing. Was in Texas geschah, sei im Grunde die Standardprozedur: Ein Bundesstaat wird von einer Katastrophe überfordert, Gouverneur Greg Abbott bittet um Bundeshilfe, und die FEMA koordiniert und finanziert die Unterstützung. Die Vorstellung, die schnelle Hilfe sei ein Beweis für die Richtigkeit der Reformpläne, ist absurd. Vielmehr, so argumentieren Experten, beweist die Tatsache, dass selbst ein so ressourcenstarker und katastrophenerprobter Staat wie Texas sofort auf Bundeshilfe angewiesen war, das genaue Gegenteil: die absolute Notwendigkeit einer zentralen Koordinationsstelle. Die Krise zwingt die Regierung in ein paradoxes Manöver: Sie muss die Effektivität eines Systems demonstrieren, das sie eigentlich abschaffen will, und verkauft dessen Kernfunktionen als revolutionäre Neuerung.
Bürokratische Fesseln: Wie neue Regeln die Rettung ausbremsen
Während die offizielle Rhetorik von Effizienz und Entbürokratisierung spricht, sieht die Realität hinter den Kulissen dramatisch anders aus. Eine der einschneidendsten und im Kontext der Texas-Flut verheerendsten Änderungen war eine von Ministerin Noem eingeführte Budgetregel: Jede einzelne Ausgabe, jeder Vertrag und jede Finanzhilfe über 100.000 US-Dollar muss von ihr persönlich genehmigt werden. Für eine Behörde wie die FEMA, die bei einer Grosskatastrophe innerhalb von Stunden und Tagen Milliarden bewegt, ist diese Summe trivial. „Das ist im Grunde alles“, kommentierte ein aktueller FEMA-Mitarbeiter.
Die Folgen dieser bürokratischen Fessel waren unmittelbar und fatal. Laut einem Dutzend aktueller und ehemaliger FEMA-Mitarbeiter führte diese Regel zu erheblichen Verzögerungen bei der Entsendung von entscheidenden Ressourcen nach Texas. Spezialisierte Such- und Rettungsteams, deren Einsatz bei einer Flutkatastrophe über Leben und Tod entscheidet, sassen fest, weil die Genehmigungen aus Washington auf sich warten liessen. Verträge für essenzielle Dienstleistungen wie Call-Center zur Annahme von Hilferufen, IT-Support für die Fallbearbeitung und sogar für die Inspektoren, die beschädigte Häuser für die Schadensregulierung begutachten, wurden erst mit Verspätung unterzeichnet. Die Freigabe der Gelder für die Rettungsteams erfolgte erst, als bereits wertvolle Zeit verstrichen war. Ein Veteran der Behörde brachte die Gefahr auf den Punkt: „Während der Reaktion brauchen wir Genehmigungen in Minuten und Stunden. Alles, was länger dauert, wird zu Todesfällen führen“. Die Regel zwang die Agentur sogar zur Einrichtung eines speziellen „Tiger“-Datenteams, nur um Workarounds für diese neue Beschränkung zu entwickeln. Die Ironie ist beissend: Unter dem Deckmantel der Ausgabenkontrolle wurde ein System geschaffen, das nicht nur die Rettung von Menschenleben verlangsamt, sondern auch die Effizienz massiv behindert – genau das Gegenteil dessen, was öffentlich proklamiert wird.
Eine Nation mit zwei Geschwindigkeiten: Die gefährliche Illusion der Eigenverantwortung
Die Idee, die Katastrophenhilfe vollständig den Bundesstaaten zu überlassen, basiert auf einer gefährlichen Illusion von Gleichheit. Die Realität ist, dass die USA in Sachen Katastrophenvorsorge eine Nation der zwei Geschwindigkeiten sind. Auf der einen Seite stehen reiche und grosse Staaten wie Kalifornien oder Florida, die aufgrund wiederkehrender Katastrophen wie Hurrikans oder Waldbrände über erhebliche eigene Ressourcen und eingespielte Krisenstäbe verfügen. Floridas Gouverneur Ron DeSantis erklärte selbstbewusst, sein Staat brauche die FEMA nicht, sondern nur einen Batzen Geld. Auch Beamte in Kentucky äusserten sich ähnlich.
Auf der anderen Seite stehen ärmere Staaten oder solche, die nur selten von grossen Katastrophen heimgesucht werden. Arizona zum Beispiel hat in den letzten Jahren nur geringe FEMA-Mittel erhalten, weil es von den schlimmsten Hurrikans und Feuern verschont blieb. Das bedeutet aber auch, dass der Staat kaum auf ein seltenes, aber verheerendes Ereignis vorbereitet ist. Ohne eine zentrale Bundesbehörde, die im Notfall mit Material und Expertise einspringt, wären solche Staaten aufgeschmissen. Experten warnen vor einer „höchst ungleichen Landschaft der Katastrophensicherheit“. Die Abschaffung der FEMA würde einen gnadenlosen Wettbewerb um knappe Ressourcen wie Rettungsteams, Hilfsgüter oder private Vertragspartner auslösen. Wie der Atlantic Council feststellte, könnten wohlhabendere Staaten ärmere schlicht ausstechen. Das zentrale Logik-Argument für die FEMA war immer die Effizienz: Statt 50 einzelner, teurer Apparate vorzuhalten, die die meiste Zeit ungenutzt bleiben, unterhält der Bund eine schlagkräftige, mobile Einsatztruppe, die landesweit dort eingesetzt wird, wo sie gebraucht wird. Diese Logik wird von der Trump-Administration ignoriert – mit potenziell fatalen Folgen für die Bürger in weniger privilegierten Staaten.
Das Ende der Expertise? Warum Amerika sein Katastrophen-Gedächtnis verliert
Eine der unsichtbarsten, aber vielleicht schwerwiegendsten Folgen des Angriffs auf die FEMA ist der Aderlass an menschlichem Kapital. Die Behörde hat bereits rund ein Viertel ihrer Kernbelegschaft verloren, darunter viele langjährige Führungskräfte mit jahrzehntelanger Erfahrung. Ein kommissarischer Leiter wurde entlassen, nachdem er sich gegen die Abschaffung der Behörde ausgesprochen hatte; sein Nachfolger soll gegenüber Mitarbeitern gescherzt haben, er habe nicht gewusst, dass die USA eine Hurrikansaison haben.
Dieses „institutionelle Gedächtnis“ ist unersetzlich. Katastrophenmanagement, so Experten, ist keine Fähigkeit, die man in ein paar Kursen lernt. Es erfordert eine „muscle memory“, ein intuitives Verständnis für komplexe Abläufe unter höchstem Druck, das nur durch ständige Übung und reale Einsätze entsteht. Genau diese Erfahrung geht verloren. North Carolinas Gouverneur Josh Stein berichtete, wie selbst in seinem Staat, der an Hurrikans gewöhnt ist, neue Leute in den lokalen Krisenstäben bei Hurrikan Helene an ihre Grenzen stiessen und auf die Expertise der FEMA angewiesen waren. Die Parallelen zur Vergangenheit sind erschreckend. Nach der Neuorganisation der FEMA unter der Aufsicht des Department of Homeland Security nach 9/11 wurden unter George W. Bush ebenfalls erfahrene Manager entlassen und Ressourcen in den Regionalbüros gekürzt. Das Ergebnis war die katastrophal gescheiterte Reaktion auf Hurrikan Katrina im Jahr 2005. „Wir haben diese Geschichte schon einmal gelesen“, warnt der Columbia-Professor Jeffrey Schlegelmilch. „Es gibt wenig Grund zu der Annahme, dass sie dieses Mal anders endet“.
Politik mit der Not: Wenn Hilfsgelder zum Druckmittel werden
Die Umstrukturierung des Katastrophenschutzes ist nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern auch der Macht. Die vorliegenden Berichte zeigen ein beunruhigendes Muster, bei dem die Vergabe von Bundesmitteln zunehmend politisiert und als Hebel zur Durchsetzung der Agenda der Trump-Regierung missbraucht wird. Ein besonders deutliches Beispiel ist die Verzögerung bei der Auszahlung von 2,4 Milliarden US-Dollar an Zuschüssen zur Terrorismusbekämpfung.
Seit den Anschlägen vom 11. September flossen diese Gelder an Staaten und Städte, um kritische Infrastruktur zu schützen, die Cybersicherheit von Wasserwerken zu verbessern, Nationalgardisten für U-Bahn-Patrouillen zu bezahlen oder Bombeneinheiten zu finanzieren. Nun hält die FEMA die Richtlinien für die neuen Anträge zurück, die seit Mitte Mai überfällig sind. Der Grund: Es wird erwartet, dass die neuen Anträge Klauseln enthalten, die von den Empfängern eine Kooperation bei Trumps Prioritäten verlangen, etwa bei der Durchsetzung der Einwanderungspolitik oder der Abschaffung von Diversitätsprogrammen. Eine Koalition von 20 Generalstaatsanwälten hat bereits gegen diese neuen Bedingungen geklagt. Tricia McLaughlin, eine Sprecherin des Heimatschutzministeriums, formulierte es unmissverständlich: „Der Fliessband-Geldsegen für offene Grenzen ist vorbei“. Diese Praxis verwandelt überlebenswichtige Hilfsgelder in ein politisches Druckmittel. Staaten, die sich nicht fügen, riskieren den Verlust von Mitteln, die für die Sicherheit ihrer Bürger essenziell sind.
Die trügerische Alternative der Block Grants
Als Allheilmittel für die angebliche Ineffizienz der FEMA preist die Trump-Administration das Modell der „Block Grants“ an. Die Idee klingt auf den ersten Blick verlockend: Statt eines komplexen Systems von Anträgen und Kostenerstattungen, bei dem die FEMA mindestens 75 % der Kosten übernimmt, sollen die Staaten pauschale Geldblöcke erhalten, über die sie frei verfügen können. Einige Politiker wie ein Abgeordneter aus North Carolina begrüssen dies und klagen über zu viele FEMA-Berater mit „Klemmbrettern“ anstelle von handfester Hilfe. Doch Experten warnen, dass dies die Staaten vor unlösbare Aufgaben stellen würde.
Ohne die FEMA als „one-point entry“ für alle föderalen Hilfsleistungen müssten die Gouverneure bei Dutzenden verschiedenen Bundesbehörden – vom Army Corps of Engineers für die Schuttbeseitigung über das Gesundheitsministerium für Leichenschauhäuser bis zur Umweltbehörde für Wassertests – einzeln um Hilfe bitten. Jeder Staat müsste ein eigenes System für die Vergabe von Hilfen an Einzelpersonen und für den Wiederaufbau der Infrastruktur aufbauen, Aufgaben, die derzeit von FEMA-Programmen wie „Individual Assistance“ und „Public Assistance“ übernommen werden. Zudem finanziert der Bund über die FEMA einen Grossteil der Katastrophenschutz-Budgets der Staaten. Selbst das hochgerüstete Texas finanziert seine „Division of Emergency Management“ überwiegend aus Bundeszuschüssen. Fiele diese Unterstützung weg, müssten die Staaten diese Lücke selbst füllen, was für viele schlicht unmöglich wäre. Das Block-Grant-Modell ist keine Vereinfachung, sondern eine massive Verlagerung von Last und Bürokratie auf eine Ebene, die dafür weder ausgelegt noch finanziert ist.
Das schleichende Verschwinden der Hilfe
Die Demontage der FEMA geschieht nicht nur durch grosse politische Ankündigungen, sondern auch durch kleine, aber wirkungsvolle administrative Änderungen. Eine davon ist die Abschaffung der persönlichen Tür-zu-Tür-Ansprache von Opfern nach einer Katastrophe. Diese Praxis, bei der FEMA-Mitarbeiter durch die betroffenen Gebiete gehen und die Menschen direkt über Hilfsprogramme informieren und bei Anträgen helfen, wurde als „verschwenderisch und ineffektiv“ eingestuft und eingestellt.
Diese Entscheidung hat gravierende Folgen, insbesondere für die verletzlichsten Gruppen der Gesellschaft. Wie ein Experte gegenüber dem Urban Institute erklärte, sind es oft die Menschen in den entlegensten ländlichen Gebieten, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen, die nicht mobil genug sind, um ein zentrales „Disaster Recovery Center“ aufzusuchen. Für sie war der persönliche Kontakt oft die einzige Möglichkeit, überhaupt von den Hilfen zu erfahren, auf die sie Anspruch haben. Ohne diese proaktive aufsuchende Hilfe werden viele schlicht durchs Raster fallen. Die Geschichten über das, was schiefgelaufen ist, so die Befürchtung, werden erst viel später ans Licht kommen.
Die Flut in Texas ist eine Warnung. Sie zeigt, dass die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen eine leistungsfähige, koordinierte und gut ausgestattete nationale Reaktion erfordern. Der ideologisch motivierte Feldzug gegen die FEMA und andere staatliche Schutzmechanismen ist ein gefährliches Experiment mit der Sicherheit von Millionen von Amerikanern. Er ersetzt bewährte Strukturen durch ein vages Versprechen von Eigenverantwortung, das die ungleichen Realitäten im Land ignoriert und eine Zukunft riskiert, in der das Überleben einer Katastrophe nicht mehr eine Frage der nationalen Solidarität, sondern des Wohnorts und des Zufalls ist. Die entscheidende Frage, die sich Amerika nach der Flut stellen muss, ist, ob es sich eine Regierung leisten kann, die den Schutzschirm, den sie ihren Bürgern schuldet, im Namen einer Ideologie bewusst zerreisst, während der Sturm bereits aufzieht.