Staatsdämmerung im Maschinenraum: Der Fall Billy Long und die Aushöhlung der amerikanischen Demokratie

Illustration: KI-generiert

Es gibt Posten im politischen Washington, die sind mehr Maschinenraum als Bühne. Sie verlangen keine charismatischen Reden, sondern stille, unbestechliche Präzision. Der Chef der US-Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) bekleidet einen solchen Posten. Er ist der oberste Hüter über das finanzielle Herzstück des Staates, eine Position, die traditionell durch einen überparteilichen Schutzwall aus fünfjährigen Amtszeiten gegen die Stürme der Tagespolitik abgeschirmt wird. Umso mehr erschüttert es das Fundament des amerikanischen Regierungssystems, wenn dieser Schutzwall gezielt eingerissen wird. Die abrupte Entlassung von IRS-Commissioner Billy Long nach nur knapp zwei Monaten im Amt ist weit mehr als eine kuriose Personalie. Sie ist der bisherige Höhepunkt in der systematischen Aushöhlung und Politisierung einer der wichtigsten Institutionen des Landes. Der Fall Long enthüllt einen fundamentalen Konflikt zwischen rohem politischem Machtanspruch und der Integrität des Rechtsstaates – ein Konflikt, dessen Folgen die Funktionsfähigkeit des amerikanischen Staates im Kern bedrohen.

Ein ungleicher Kampf: Die rote Linie des Datenschutzes

Die unmittelbaren Stunden vor Longs Rauswurf glichen einem Drama, das hinter verschlossenen Türen stattfand, dessen Akteure sich aber in einem unversöhnlichen Gegensatz gegenüberstanden. Auf der einen Seite stand das Weiße Haus unter Präsident Trump, das gemeinsam mit dem Department of Homeland Security (DHS) die Grenzen des Möglichen ausloten wollte. Ihr Ziel: die Nutzung der riesigen und hochsensiblen Datenbank der IRS für die Jagd auf undokumentierte Einwanderer. Eine Liste mit 40.000 Namen war nur der Anfang; Pläne für die Überprüfung von bis zu sieben Millionen Menschen lagen offenbar schon in der Schublade. Es war der Versuch, die Steuerbehörde in einen verlängerten Arm der Einwanderungspolizei zu verwandeln, ihre Daten als Waffe im Kulturkampf einzusetzen.

USA Politik Leicht Gemacht: Politik in den USA – einfach erklärt.

Auf der anderen Seite stand die IRS, eine Behörde, deren oberstes Gut das Vertrauen der Bürger ist – ein Vertrauen, das darauf basiert, dass die intimsten finanziellen Informationen sicher und geschützt sind. Stunden bevor seine Amtszeit endete, zog Billy Long eine rote Linie. Seine Behörde teilte mit, dass sie nur einen winzigen Bruchteil der vorgelegten Namen – weniger als drei Prozent – verifizieren konnte, hauptsächlich jene, für die eine spezielle Steuernummer für Einwanderer (ITIN) vorlag. Als das Weiße Haus daraufhin noch tiefer bohren und wissen wollte, welche dieser Personen eine Steuergutschrift für Geringverdiener beantragt hatten, war der Bogen überspannt. Die IRS verweigerte die Auskunft und berief sich auf die unantastbaren Datenschutzrechte der Steuerzahler.

Diese Weigerung war kein Akt politischen Widerstands, sondern die Erfüllung einer gesetzlichen und ethischen Kernpflicht. Sie schützte nicht nur die Daten von Menschen, die, ob legal oder nicht, jährlich Steuern in Milliardenhöhe zahlen, sondern verteidigte auch ein fundamentales Prinzip: Die Steuerbehörde darf nicht zum allwissenden Auge des Staates werden, das für beliebige politische Zwecke instrumentalisiert wird. Die zeitliche Nähe zwischen diesem Konflikt und Longs Entlassung legt einen Zusammenhang unausweichlich nahe, auch wenn ein direkter kausaler Beweis aussteht. Es scheint, als sei die Wahrung von Recht und Gesetz in diesem Fall als Illoyalität ausgelegt worden.

Der falsche Mann am falschen Ort: Eine Personalie als Programm

Um die Tragweite der Ereignisse zu verstehen, muss man die Person Billy Long betrachten. Seine Ernennung war von Anfang an ein Statement, eine bewusste Provokation gegenüber dem Establishment. Long war ein ehemaliger Auktionator und Kongressabgeordneter ohne jegliche Erfahrung in Steuerpolitik oder der Führung einer gigantischen Bundesbehörde. Schlimmer noch: Während seiner Zeit im Kongress hatte er Gesetze unterstützt, die auf die Abschaffung genau jener Behörde abzielten, die er nun leiten sollte. Seine Nominierung durchbrach nicht nur die Tradition, den amtierenden Commissioner seine Amtszeit beenden zu lassen, sie setzte einen Mann an die Spitze, dessen Qualifikation vor allem in seiner unbedingten Loyalität zu Donald Trump zu bestehen schien.

Seine kurze, chaotische Amtszeit bestätigte die schlimmsten Befürchtungen seiner Kritiker. Er agierte ungestüm und unkoordiniert, verkündete eigenmächtig eine massive Verschiebung des wichtigen Starts der Steuersaison und die Einstellung eines populären Online-Programms, nur um später vom Finanzministerium zurückgepfiffen zu werden. Sein Führungsstil wirkte erratisch; er schien sich in einem ständigen Kompetenzgerangel mit seinem direkten Vorgesetzten, Finanzminister Scott Bessent, zu befinden. Die Ernennung Longs war kein Versehen. Sie war Programm. Sie signalisierte, dass Fachkompetenz und institutionelles Wissen weniger zählten als politische Folgsamkeit. Dies untergräbt das öffentliche Vertrauen in die Neutralität staatlicher Institutionen auf fundamentale Weise. Wenn der oberste Steuereintreiber als politischer Akteur wahrgenommen wird, dessen Entscheidungen von Loyalität und nicht von Gesetzestreue geleitet sind, erodiert die freiwillige Steuerehrlichkeit, das Fundament jedes modernen Staates.

Kahlschlag im Maschinenraum: Wenn das System von innen zerfällt

Die Turbulenzen an der Spitze sind jedoch nur das sichtbarste Symptom einer viel tiefer liegenden Krankheit. Während die Führungsposten im Takt weniger Monate wechselten – Long war der sechste Leiter der IRS innerhalb eines Jahres –, fand im Inneren der Behörde ein beispielloser Aderlass statt. Angetrieben von einer radikalen Kampagne zur Verkleinerung des Regierungsapparats verlor die IRS seit Antritt der zweiten Trump-Amtszeit mehr als 25.000 Mitarbeiter, rund ein Viertel ihrer gesamten Belegschaft.

Dieser Kahlschlag trifft die Behörde in einem Moment extremer Verwundbarkeit. Sie steht vor der Herkulesaufgabe, komplexe neue Steuergesetze der Regierung umzusetzen und die kommende Steuersaison für Millionen Amerikaner vorzubereiten. Es ist, als würde man von der Besatzung eines Ozeandampfers ein Viertel über Bord werfen und dann den Befehl geben, mit voller Kraft durch einen Sturm zu navigieren. Ehemalige IRS-Führungskräfte und externe Experten warnen eindringlich: Mit weniger Personal, schrumpfenden Budgets und einer führungslosen, demoralisierten Mannschaft ist ein Scheitern bei diesen Kernaufgaben fast unvermeidlich. Der politische Wille, den Staat zu „verschlanken“, steht hier im direkten Zielkonflikt mit der Notwendigkeit, seine grundlegendsten Einnahmequellen zu sichern. Eine funktionsunfähige Steuerbehörde ist kein schlanker Staat; sie ist ein Staat am Rande des Zusammenbruchs.

Das Ende der Unantastbarkeit: Wenn Politik die letzte Bastion schleift

Die Ernennung des Finanzministers Scott Bessent zum kommissarischen Nachfolger Longs mag auf den ersten Blick wie eine pragmatische Übergangslösung erscheinen. Doch sie birgt enorme Risiken. Sie legt die direkte Kontrolle über die operative Arbeit der Steuerbehörde in die Hände eines hochrangigen politischen Beamten, eines Mitglieds des Kabinetts. Die traditionell gepflegte Brandmauer zwischen politischer Leitung und unabhängiger, gesetzesbasierter Steuerverwaltung wird damit endgültig eingerissen.

Was geschieht, wenn diese letzte Bastion fällt? Die Konsequenzen könnten verheerend sein. Das Szenario einer systematischen Nutzung von Steuerdaten für politische Zwecke rückt von einer theoretischen Gefahr in den Bereich des Möglichen. Das Vertrauen von Bevölkerungsgruppen wie den Einwanderern, die als Steuerzahler ein wichtiger Teil des Systems sind, würde zerstört. Langfristig droht ein Teufelskreis aus sinkender Steuerehrlichkeit und aggressiveren, politisch motivierten Kontrollen, der das gesamte System delegitimiert.

Ein System am Kipppunkt: Was nach dem Vertrauen kommt

Die Geschichte von Billy Longs 58-tägiger Amtszeit ist daher eine Parabel auf den Zustand der amerikanischen Demokratie im Jahr 2025. Sie zeigt, wie schnell institutionelle Normen und rechtsstaatliche Garantien ausgehebelt werden können, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Der Rauswurf des IRS-Chefs ist kein Sturm im Wasserglas Washingtons. Er ist ein Beben im Fundament des Staates.

Die Frage ist nicht mehr, ob die fortgesetzte Instabilität und Politisierung der IRS Schaden anrichten wird. Der Schaden ist bereits da – im Vertrauensverlust, in der Demoralisierung der Mitarbeiter, in der drohenden operativen Lähmung. Die eigentliche Frage lautet: Wann werden die Risse im Maschinenraum so groß, dass der gesamte Apparat ins Stottern gerät und die Konsequenzen für jeden einzelnen Bürger spürbar werden? Der Fall Billy Long ist eine ernste Warnung. Er zeigt, dass der Weg von einer funktionierenden, unparteiischen Verwaltung zu einem willfährigen Instrument politischer Machtinteressen erschreckend kurz sein kann.

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