
Es ist vollbracht, doch der Jubel auf den Rängen der Republikaner wirkt brüchig. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 218 zu 214 Stimmen hat das US-Repräsentantenhaus am Donnerstag das monumentale Gesetzespaket von Präsident Donald Trump verabschiedet, das er selbst als „One Big Beautiful Bill“ anpreist. Es ist der erste große legislative Erfolg seiner zweiten Amtszeit und soll, so die Rhetorik der Partei, die amerikanische Wirtschaft neu beleben, die Grenzen sichern und das Erbe der Biden-Administration demontieren. Doch hinter der Fassade des Triumphs verbirgt sich das ungeschönte Drama einer Partei am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die Verabschiedung war weniger eine Demonstration der Stärke als vielmehr das Ergebnis einer beispiellosen Charme- und Druckoffensive des Präsidenten, die eine tief gespaltene Fraktion auf eine gemeinsame Linie zwang. Am Ende steht ein Sieg, der sich für die Republikaner als Pyrrhussieg erweisen könnte. Sie haben ein Gesetz durchgedrückt, das von der Mehrheit der Amerikaner abgelehnt wird und den Demokraten eine Steilvorlage für die kommenden Zwischenwahlen liefert.
Die Anatomie eines republikanischen Bürgerkriegs
Die letzten Tage und Stunden vor der finalen Abstimmung glichen einer politischen Zerreißprobe. Die ideologischen Gräben innerhalb der Grand Old Party (GOP) traten offen zutage und drohten, das gesamte Vorhaben zu Fall zu bringen. Auf der einen Seite standen die fiskalpolitischen Hardliner, versammelt im ultrakonservativen House Freedom Caucus. Sie geißelten das Gesetz als fiskalpolitisch unverantwortlich, da es die Staatsverschuldung um weitere Billionen Dollar in die Höhe treiben würde. Ihr Credo, Ausgaben zu kürzen und das Defizit zu senken, sahen sie durch das eigene Prestigeprojekt verraten. Ihnen gegenüber positionierten sich die Gemäßigten, Abgeordnete aus umkämpften „Swing-Districts“, die mit Entsetzen auf die drastischen Kürzungen im Gesundheitswesen blickten. Insbesondere die Einschnitte beim Medicaid-Programm, das Millionen Amerikaner mit geringem Einkommen und Menschen mit Behinderungen versorgt, lösten bei ihnen die Furcht aus, ihren Wählern den Verlust essenzieller Leistungen erklären zu müssen.

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Die Situation eskalierte, als die vom Senat überarbeitete Version des Gesetzes zurück ins Repräsentantenhaus kam. Anstatt die Bedenken zu zerstreuen, goss sie Öl ins Feuer. Der Senat hatte das Paket noch teurer gemacht und die Kürzungen bei Medicaid sogar verschärft, um eigene parteiinterne Kompromisse zu schmieden. Gleichzeitig verwässerte er Bestimmungen, die den Konservativen heilig waren, wie die sofortige Abschaffung von Steuergutschriften für grüne Energien. Diese Senatsversion war eine legislative Giftpille, die es schaffte, beide Lager der Republikaner im Repräsentantenhaus gleichermaßen zu verärgern. Der Unmut war so groß, dass die Abstimmung über die Geschäftsordnung – eine reine Formalie – stundenlang blockiert wurde, ein klares Zeichen für die Dysfunktionalität der Mehrheitsfraktion. „Überlasst es dem Senat, einen Weg zu finden, sowohl die Gemäßigten als auch die Konservativen zu verärgern“, klagte ein Abgeordneter und fasste die Frustration treffend zusammen.
Trumps Triumph des Willens
Wie konnte dieses Chaos überwunden werden? Die Antwort hat einen Namen: Donald Trump. Als der Prozess im Kongress zu implodieren drohte, schaltete der Präsident persönlich in den Krisenmodus. Er agierte als oberster Einpeitscher, Verhandler und ultimativer „Closer“. In einer pausenlosen Charmeoffensive lud er eine „Conga-Linie“ wankelmütiger Abgeordneter ins Weiße Haus, um sie bei persönlichen Treffen im Oval Office zu umgarnen. Gleichzeitig baute er über seinen Social-Media-Kanal Truth Social eine massive Drohkulisse auf. „WORAUF WARTEN DIE REPUBLIKANER???“, schrieb er in Großbuchstaben in die digitale Welt. „MAGA IST NICHT GLÜCKLICH, UND ES KOSTET EUCH STIMMEN!!!“ Diese Mischung aus schmeichelnder Nähe und unverhohlener Drohung entfaltete ihre Wirkung.
Während der nächtlichen Krisensitzungen telefonierte Trump mit den letzten Blockierern, während Vizepräsident JD Vance und Fraktionsführer Mike Johnson auf dem Parkett des Repräsentantenhauses die Abgeordneten bearbeiteten. Ein ums andere Mal folgte auf erbitterten Widerstand die Kapitulation vor dem Willen des Präsidenten. Viele der Hardliner, die das Gesetz zuvor als Verrat an konservativen Prinzipien gebrandmarkt hatten, folgten einem bekannten Muster: Nach dem direkten Eingreifen Trumps gaben sie ihren Widerstand auf. Als Rechtfertigung für ihren Gesinnungswandel dienten vage Versprechungen des Weißen Hauses über zukünftige Exekutivanordnungen oder weitere Haushaltsgesetze, die ihre Bedenken adressieren würden. Ob diese Zusagen je eingelöst werden, bleibt unklar. Doch für den Moment reichten sie aus, um die nötigen Stimmen zu sichern und den Sieg zu erzwingen. Es war ein Triumph des präsidialen Willens über die programmatische Zerrissenheit seiner eigenen Partei.
Ein Gesetz für die Wenigen: Die soziale und wirtschaftliche Realität
Abseits des politischen Dramas enthüllt ein Blick auf den Inhalt des Gesetzes eine klare soziale und wirtschaftliche Schlagseite. Während die Republikaner das Paket als Segen für die Arbeiterklasse feiern, zeichnen unabhängige Analysen ein anderes Bild. Das über 3 Billionen Dollar schwere Paket verlängert nicht nur die Steuersenkungen aus Trumps erster Amtszeit, sondern führt auch neue Steuererleichterungen für Trinkgelder und Überstunden ein. Populistische Lockvögel wie mit 1.000 Dollar vom Staat geförderte Sparkonten für Neugeborene („Trump Accounts“) sollen den Anschein einer breitenwirksamen Politik erwecken. Doch die Finanzierung dieser Wohltaten erfolgt durch einen Kahlschlag im sozialen Netz. Allein das Medicaid-Programm soll um rund eine Billion Dollar gekürzt werden, weitere Hunderte Milliarden fallen bei der Lebensmittelhilfe SNAP weg.
Nach Analyse des überparteilichen Congressional Budget Office (CBO) werden infolge dieser Kürzungen fast 17 Millionen Menschen ihre Krankenversicherung oder staatliche Zuschüsse verlieren. Andere Studien, etwa vom Wharton Budget Model der University of Pennsylvania, kommen zu dem Schluss, dass die unteren 60 Prozent der US-Steuerzahler bis 2033 durch das Gesetz schlechter gestellt sein werden. Die größten Gewinner sind dagegen die Reichsten: Das oberste 0,1 Prozent der Haushalte kann mit einer durchschnittlichen Steuerersparnis von über 83.000 Dollar pro Jahr rechnen. Auch Unternehmen profitieren massiv von dauerhaften Steuerabzügen. Diese regressive Wirkung wird auch durch die neuen Steuererleichterungen für Trinkgelder nicht ausgeglichen. Für Geringverdiener werden die Vorteile durch den Verlust von Gesundheits- und Ernährungsleistungen mehr als aufgezehrt. Die Architektur des Gesetzes folgt einer klaren Logik: Umverteilung von unten nach oben, verpackt in populistische Rhetorik.
Ein Pyrrhussieg? Demokraten und die öffentliche Meinung
Während die Republikaner ihren Sieg feiern, sehen die Demokraten darin ein politisches Geschenk. Das Gesetz ist in der Öffentlichkeit zutiefst unpopulär. Jüngste Umfragen zeigen eine Ablehnung im Verhältnis von 2 zu 1. Noch entscheidender ist jedoch die weitverbreitete Unkenntnis über die konkreten Inhalte. Viele Wähler wissen nicht, was genau in dem fast 900 Seiten langen Werk steht. Diese Informationslücke wollen die Demokraten nutzen, um das Narrativ zu bestimmen. Ihre Strategie für die Zwischenwahlen 2026 ist klar: Sie werden die unpopulären Kürzungen bei Medicaid und SNAP ins Zentrum ihrer Kampagnen rücken und die Republikaner als eine Partei porträtieren, die der Arbeiterklasse schadet, um den Reichen Steuergeschenke zu machen.
Als symbolischer Auftakt dieser Gegenoffensive diente die Rekordrede des demokratischen Fraktionsführers Hakeem Jeffries. Über acht Stunden lang blockierte er mit einer Marathon-Rede den Kongress, las Dutzende Briefe von Bürgern vor, die um ihre Gesundheitsversorgung fürchten, und prangerte das Gesetz als „abscheuliche Monstrosität“ an. Die Demokraten müssen dabei nicht einmal auf eigene Interpretationen zurückgreifen. Sie können einfach die Republikaner selbst zitieren. Abgeordnete wie Senatorin Lisa Murkowski aus Alaska, die dem Gesetz am Ende ihre entscheidende Stimme gab, gestanden offen ein, dass sie das Gesetz nicht mögen und es schlecht für viele Amerikaner sei. Solche Aussagen sind Gold wert für die Wahlkampfwerbespots der Demokraten. Die Republikaner haben sich einen legislativen Sieg erkauft, aber der Preis könnte der Verlust ihrer Mehrheit im Kongress sein. Der Kampf um die Deutungshoheit über das „One Big Beautiful Bill“ hat gerade erst begonnen.