Showdown in Quantico: Hegseths Krieg gegen das Pentagon und die Seele der amerikanischen Armee

Illustration: KI-generiert

Ein beispielloses Schauspiel der Macht braut sich über der ruhigen Landschaft Virginias zusammen. Es ist kein Manöver mit Panzern und Artillerie, sondern eine strategische Operation der ganz anderen Art, deren Epizentrum ein schlecht belüfteter Hörsaal auf der Marine Corps Base Quantico sein wird. Verteidigungsminister Pete Hegseth, ein Mann, dessen Karriere mehr von Fernsehstudios als von Kommandostäben geprägt wurde, hat befohlen. Und so werden sie kommen: rund 800 Generäle und Admirale, das gesamte uniformierte Nervensystem der amerikanischen Militärmacht, aus allen Winkeln der Erde herbeigerufen. Selbst der Präsident, Donald Trump, wird die Versammlung mit seiner Anwesenheit beehren.

Offiziell geht es um den „Kriegerethos“, um Standards, vielleicht sogar um die richtige Körperpflege. Ein „Pep-Rally“, um die Truppe auf die neue Linie einzuschwören, wie es aus dem Pentagon heißt. Doch hinter den Kulissen, in den Korridoren der Macht und in den globalen Hauptquartieren, herrscht eine Mischung aus Misstrauen, Angst und ungläubigem Kopfschütteln. Die Gerüchteküche brodelt und die drängendste Frage, die sich die versammelte Militärelite stellt, ist so einfach wie existenziell: Sind wir hier für eine Motivationsrede oder für eine Säuberungsaktion? Ein Journalist brachte die Stimmung auf den Punkt: Die Offiziere wüssten nicht, ob sie zu einem „Pep-Rally oder zur Roten Hochzeit“ geladen seien.

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Dieser Showdown in Quantico ist jedoch nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs, die Kulmination eines Konflikts, der tief im Fundament der amerikanischen Sicherheitspolitik schwelt. Es ist der Kampf zweier unvereinbarer Weltanschauungen: auf der einen Seite eine politische Führung, die das Militär zu einem Werkzeug ihrer nationalistischen „America First“-Agenda umformen will, und auf der anderen Seite eine traditionsbewusste, global ausgerichtete Militärführung, die in dieser neuen Doktrin eine existenzielle Gefahr für die Sicherheit der Nation und die Stabilität der Welt sieht. Es ist mehr als nur ein Streit um Strategiepapiere; es ist ein Ringen um die Seele und die Zukunft der mächtigsten Armee der Welt.

Eine Strategie des Rückzugs: Die Demontage der globalen Ordnung

Der Kern des Konflikts ist ein als „National Defense Strategy“ (NDS) getarntes Manifest. Entworfen wurde es nicht in den Denkfabriken erfahrener Strategen, sondern in den Büros politischer Apparatschiks der Trump-Regierung, von denen einige seit Langem als Kritiker amerikanischer Bündnisverpflichtungen bekannt sind. Dieses Dokument, das derzeit in den letzten Zügen der Bearbeitung liegt, vollzieht eine radikale Abkehr von einer jahrzehntelangen Doktrin, die besagte, dass Amerikas beste Verteidigungslinie an den Grenzen seiner Verbündeten in Europa und Asien liegt.

Die neue Strategie kehrt dieses Prinzip um. Sie ist myopisch und nach innen gerichtet. Der Fokus liegt nun auf der Verteidigung der amerikanischen Heimat und der Sicherung der Grenzen. Das Pentagon wird explizit angewiesen, „alle Formen der Invasion abzuwehren, einschließlich illegaler Massenmigration, Drogenhandel, Menschenschmuggel“, und Abschiebungen zu unterstützen. Was wie eine Aufgabe für die Heimatschutzbehörde klingt, wird nun zur Priorität für die Streitkräfte. Die Konsequenzen sind bereits sichtbar: Soldaten werden an die Südgrenze verlegt, die Nationalgarde wird in amerikanischen Städten für Abschiebungen und zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt und Kriegsschiffe jagen Drogenschmuggler in der Karibik. Es ist die Militarisierung innenpolitischer Probleme, eine Entwicklung, die bereits vor Gericht angefochten wird und heikle verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.

Währenddessen sollen Amerikas traditionelle Rollen in der Welt heruntergefahren werden. Truppen sollen aus Europa abgezogen werden, selbst während Russlands Krieg gegen die Ukraine andauert und der NATO-Luftraum verletzt wird. Das Engagement in Afrika wird als zweitrangig betrachtet. Verbündete, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg auf den amerikanischen Schutzschirm verlassen haben, werden nervös und fragen sich, ob die Sicherheitsgarantien Washingtons noch das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Die neue Doktrin argumentiert, Amerika sei in teuren, fernen Kriegen verstrickt worden, anstatt seine eigenen Interessen zu sichern. Für die Militärführung ist dies jedoch ein fataler Trugschluss. Sie sieht, wie ein über Jahrzehnte gewachsenes, wertvolles System von Allianzen – die eigentliche Quelle amerikanischer Stärke – leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird.

Der blinde Fleck China: Ein strategisches Eigentor

Am schärfsten tritt der Konflikt zutage, wenn es um China geht. Während die uniformierte Führung, allen voran der Vorsitzende des Generalstabs, General Dan Caine, seit Jahren eindringlich vor dem rasanten militärischen Aufstieg Pekings warnt und fordert, die Armee auf einen möglichen Konflikt vorzubereiten, tritt die neue Strategie auf die Bremse. Zwar widmet auch das neue Papier China erhebliche Aufmerksamkeit, doch es verengt den Fokus fast ausschließlich auf die Bedrohung einer Invasion Taiwans.

Für Strategen wie Caine ist das gefährlich kurzsichtig. Der Wettbewerb mit China ist ein globales Ringen um Einfluss, Technologie, Ressourcen und Bündnisse – kein isoliertes Szenario in der Taiwanstraße. Indem die Hegseth-Doktrin den globalen Wettbewerb ausblendet, um sich auf die Heimatverteidigung zu konzentrieren, überlässt sie Peking kampflos das Feld in Afrika, im Nahen Osten und darüber hinaus. General Caine hat seine Bedenken Hegseth gegenüber „sehr offen“ geäußert, in der Hoffnung, das Ruder noch herumzureißen. Doch es scheint, als spräche er gegen eine Wand. Die politische Führung, so der Eindruck eines Insiders, scheint die Tragweite und Komplexität der nationalen Verteidigungsstrategie nicht einmal vollständig zu erfassen. Stattdessen wird die Vorbereitung auf die größte strategische Herausforderung des 21. Jahrhunderts einer innenpolitisch motivierten Agenda geopfert.

Ein Spektakel der Unterwerfung: Das Kalkül hinter Quantico

Vor diesem Hintergrund verwandelt sich das Treffen in Quantico von einer administrativen Merkwürdigkeit in ein hochsymbolisches Ereignis. Warum dieser Zirkus? Warum das immense Sicherheitsrisiko, fast die gesamte militärische Führung der USA mitsamt dem Präsidenten und dem Verteidigungsminister an einem einzigen, öffentlich bekannten Ort zu versammeln? Eine solche Konzentration von strategischem Personal wäre in jeder normalen Zeit undenkbar. Die Tatsache, dass es dennoch geschieht, signalisiert, dass es hier um etwas anderes als um Effizienz geht.

Es geht um Optik und um Macht. Wie ein Pentagon-Mitarbeiter es ausdrückte, geben die Generäle mit den Sternen auf den Schultern einfach eine bessere Kulisse für die Kameras ab. Die Veranstaltung ist eine sorgfältig inszenierte Machtdemonstration, eine Botschaft nach innen und außen: Hegseth, und damit Trump, hat das Sagen. Es ist, was im Militärjargon ein „Loyalty Check“ genannt wird – ein unangekündigtes Antreten, nur um zu sehen, wer pariert. Es ist eine bürokratische Muskelprotzerei, die Hunderte von Karrieren und die globale Einsatzbereitschaft stört, einzig um zu zeigen, dass man es kann.

Die mangelnde Transparenz über die genaue Agenda hat einen Nährboden für Spekulationen geschaffen. Kritiker befürchten, dass Trump und Hegseth den Offizieren einen öffentlichen Loyalitätseid abverlangen könnten, eine Geste, die unheilvolle historische Parallelen weckt. Wahrscheinlicher, aber nicht weniger beunruhigend, ist die Möglichkeit von Personalentscheidungen im Stil einer Realityshow. Hegseth hat bereits bewiesen, dass er nicht zögert, Spitzenpersonal zu feuern, darunter den früheren Generalstabschef Charles Q. Brown Jr. und die Marinechefin Admiral Lisa Franchetti. Auffällig ist dabei, dass überproportional viele Frauen von diesen Entlassungen betroffen waren. Wird er die Bühne in Quantico nutzen, um vor den Augen ihrer Kollegen weitere Generäle in den Ruhestand zu schicken und damit ein Exempel zu statuieren? Es wäre ein fatales Signal an die Truppe und ein Geschenk für Amerikas Gegner, die sich über eine derart chaotische Führung im Pentagon nur freuen können.

Der Preis der Politisierung: Ein unsicherer Weg in die Zukunft

Unabhängig davon, was am Dienstag in Quantico genau geschieht, ist der Schaden bereits angerichtet. Der tiefe Riss zwischen der zivilen und der militärischen Führung legt eine gefährliche Politisierung der Streitkräfte offen. Eine Armee, deren oberste Loyalität der Verfassung und nicht einer Person oder einer Partei gilt, ist ein Grundpfeiler der amerikanischen Demokratie. Diese Tradition wird nun offen herausgefordert.

Die neue strategische Ausrichtung wird, sollte sie sich verfestigen, die USA international isolieren und ihre Fähigkeit, auf globale Krisen zu reagieren, empfindlich schwächen. Sie schafft ein Machtvakuum, das von China und Russland nur zu gerne gefüllt wird. Im Inneren droht die Fokussierung auf polizeiähnliche Aufgaben an der Grenze die Moral und die eigentliche Kampfbereitschaft der Truppe zu untergraben.

Das Treffen in Quantico ist somit weit mehr als nur ein ungewöhnliches Meeting. Es ist ein Menetekel. Es ist das Symbol für den Versuch, eine professionelle, überparteiliche Institution dem Willen einer politischen Bewegung zu unterwerfen. Die versammelten Generäle und Admirale stehen vor einer schweren Prüfung. Ihr stiller, disziplinierter Professionalismus, ihr Festhalten an ihrem Eid auf die Verfassung, könnte die letzte Verteidigungslinie gegen einen Kurs sein, der nicht nur die Sicherheit Amerikas, sondern auch das Gleichgewicht der Welt gefährdet. Der Ausgang dieses Ringens wird darüber entscheiden, ob die mächtigste Armee der Welt auch in Zukunft ein Garant für Stabilität oder ein Instrument nationalistischer Willkür sein wird.

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