
Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat einen neuen, schmerzhaften Höhepunkt erreicht. Während in Genf über Deeskalation verhandelt wird, kämpfen Unternehmen ums Überleben und die Weltwirtschaft blickt gebannt auf ein Kräftemessen, das vor allem eines offenbart: die tiefen Gräben und die gefährliche Unberechenbarkeit einer von politischer Rhetorik getriebenen Wirtschaftspolitik.
Die Luft ist bleiern über dem Genfersee, wo sich an diesem Wochenende (10./11. Mai 2025) hochrangige Wirtschaftsdelegationen der USA und Chinas zu Krisengesprächen treffen. Es ist der erste direkte Austausch, seit Präsident Donald Trump die Zollschraube mit drakonischen 145 Prozent auf chinesische Importe angezogen hat und Peking mit nicht minder empfindlichen 125 Prozent auf US-Waren konterte. Dieser Schlagabtausch hat den Handel zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt faktisch zum Erliegen gebracht und schickt Schockwellen durch die globale Ökonomie. Die Erwartungen an einen substanziellen Durchbruch sind zwar verschwindend gering, doch allein die Tatsache, dass wieder miteinander gesprochen wird, nährt eine fragile Hoffnung auf Schadensbegrenzung. Es ist ein Ringen um nicht weniger als die zukünftige Trajektorie der Weltwirtschaft, die bereits unter den Verwerfungen ächzt.
Der Zoll-Tsunami: Konkrete Branchen unter Wasser
Die abstrakten Zahlen der Strafzölle manifestieren sich in konkreten Nöten für unzählige Unternehmen und Konsumenten. Die Berichte zeichnen ein düsteres Bild der Auswirkungen auf diverse Sektoren. So sehen sich etwa US-Importeure traditioneller chinesischer Medizin (TCM) mit Lieferstopps und explodierenden Kosten für essenzielle Kräuter konfrontiert. Thomas Leung, Chef von Kamwo Meridian Herbs, einem der größten TCM-Anbieter an der US-Ostküste, hat Bestellungen auf Eis gelegt – das Risiko, auf sündhaft teurer Ware sitzen zu bleiben, falls die Zölle wider Erwarten doch noch gesenkt werden, ist schlicht zu groß. Viele kleinere TCM-Apotheken, die oft mit hauchdünnen Margen operieren, stehen vor dem Aus, sobald ihre Lagerbestände aufgebraucht sind. Ähnlich dramatisch stellt sich die Lage für Hersteller von Babyartikeln dar. Da über 70 Prozent dieser Produkte für den US-Markt in China gefertigt werden – eine Abhängigkeit, die auch strengen Sicherheitsanforderungen geschuldet ist –, führen die Zölle hier zu Preissteigerungen von bis zu 30 Prozent und drohenden Lieferengpässen bei Kinderwagen, Autositzen und Krippen. Delta Children, der größte US-Anbieter für Kindermöbel, hat bereits Lieferungen aus China gestoppt und warnt vor leeren Regalen.

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Auch die globale Bekleidungsindustrie, insbesondere Fast-Fashion-Giganten wie Shein und Temu, die ihr Geschäftsmodell auf günstige Produktion in China und steuerliche Vorteile wie die (nun für China-Importe gestrichene) „De-minimis“-Regel für Sendungen unter 800 US-Dollar aufgebaut haben, spüren den Druck massiv. Die Washington Post analysierte eine Preissteigerung bei Shein von durchschnittlich 43 Prozent für bestimmte Artikel seit Ende letzten Jahres. Selbst ein Outfit für unter 100 Dollar verteuerte sich um fast 30 Prozent. Fabriken in Guangzhou, dem Herzen der chinesischen Textilproduktion, berichten von halbierten Aufträgen und erwägen Schließungen oder Verlagerungen in kostengünstigere chinesische Provinzen oder ins Ausland. Der amerikanische Einzelhandel warnt eindringlich vor höheren Preisen und geringerer Produktauswahl für die Endverbraucher. Chinesische Exportdaten für April untermauern die Krise: ein Einbruch der Lieferungen in die USA um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Verhandlungspoker in Genf: Rhetorik, Realitäten und rote Linien
Die Positionen, mit denen beide Seiten in die Genfer Gespräche gehen, könnten kaum weiter auseinanderliegen, auch wenn ein gemeinsames Interesse an Deeskalation zumindest verbal beteuert wird. Die US-Delegation, angeführt von Finanzminister Scott Bessent und Handelsbeauftragtem Jamieson Greer, betont die Notwendigkeit von „fairem Handel“ und sieht die aktuellen Zolllevel als „nicht nachhaltig“. Präsident Trump selbst sendet widersprüchliche Signale: Einerseits drohte er im Vorfeld damit, die Zölle nicht ohne chinesische Zugeständnisse zu senken, andererseits brachte er via Social Media eine Reduktion auf 80 Prozent ins Spiel – eine Zahl, die sein Pressebüro umgehend als „dahingeworfen“ und nicht als offizielles Angebot relativierte. Zudem fordern die USA von China ein entschiedeneres Vorgehen gegen den Export von Fentanyl-Vorprodukten, eine Droge, die in den USA für eine verheerende Opioidkrise verantwortlich ist. Die Erinnerung an das „Phase 1“-Abkommen aus Trumps erster Amtszeit, dessen Kaufzusagen China nie erfüllte, dürfte die Skepsis auf US-Seite zusätzlich nähren.
China wiederum gibt sich standhaft und betont, die Zölle seien von den USA initiiert worden. Ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Washington forderte ein Ende von Drohungen und Druckausübung und Verhandlungen auf Basis von „Gleichheit, gegenseitigem Respekt und gegenseitigem Nutzen“. Peking versucht, sich als die verantwortungsbewusstere Partei im globalen Handelssystem zu inszenieren und argumentiert, man sei auch im Interesse der Weltgemeinschaft und der amerikanischen Industrie und Konsumenten zu Gesprächen bereit. Dennoch warnt China davor, die Gespräche als „Rauchfassade für fortgesetzten Zwang und Erpressung“ zu missbrauchen. Analysten deuten Pekings Bereitschaft zu reden trotz harter Rhetorik („nicht niederknien“) auch als Eingeständnis der wirtschaftlichen Schmerzen, die die Zölle verursachen. Die chinesische Delegation unter Vizepremier He Lifeng dürfte die Gespräche auch als „Fact-Finding Mission“ betrachten, um die wahren Absichten und die interne Machtverteilung in der Trump-Administration auszuloten, wo Hardliner wie Peter Navarro (der nicht in Genf dabei ist) und pragmatischere Stimmen wie Bessent unterschiedliche Akzente setzen.
Flucht nach vorn: Unternehmensstrategien im Zoll-Dschungel
Die Unternehmen, gefangen im Kreuzfeuer der Handelspolitik, agieren mit einer Mischung aus Panik und Pragmatismus. Eine der sichtbarsten Reaktionen ist die beschleunigte Verlagerung von Produktionskapazitäten aus China heraus. Vietnam hat sich dabei als bevorzugtes Ziel für viele chinesische und internationale Firmen erwiesen, die versuchen, den US-Zöllen zu entgehen. Fabriken, die von Jeans bis zu Weihnachtskränzen alles herstellen, drängen nach Vietnam; bereits ansässige Betriebe fahren ihre Produktion hoch. E-Commerce-Plattformen wie Alibaba und Shein unterstützen diesen Exodus aktiv, indem sie Unternehmen helfen, Fertigungsalternativen in Vietnam zu finden. Diese Entwicklung ist nicht neu, hat aber durch die jüngste Eskalation der Zölle massiv an Fahrt gewonnen. Der Ansturm ist so groß, dass in sozialen Medien bereits ein eigenes Genre von „Fixern“ entstanden ist, die Tipps zur Waren-Umleitung über Vietnam, Thailand oder Malaysia geben.
Doch die Flucht nach Vietnam ist kein Allheilmittel. Die Kosten für Rohmaterialtransport und die geringere Effizienz führen oft zu höheren Produktionskosten – eine Geschenkbox, die in China 1 Dollar kostet, schlägt in Vietnam mit 1,20 Dollar zu Buche. Zudem stehen auch Länder wie Vietnam unter Beobachtung der USA, die verhindern wollen, dass China diese als reine Transithäfen zur Umgehung der Zölle missbraucht. Einige chinesische Unternehmer, wie der Bekleidungshersteller Nie Shiwen aus Guangzhou, zögern noch mit dem Schritt nach Vietnam, da die Logistik für Stoffe und Materialien Wochen dauern kann und „nichts so schnell ist wie China“. Andere Unternehmen, wie der Hersteller von Weihnachtsdekoration Jia Yue Technology, haben bereits mehr als die Hälfte ihrer Produktion nach Vietnam verlagert und erwägen weitere Schritte. Neben Verlagerung sind direkte Preiserhöhungen an Konsumenten und das kurzfristige Stoppen von Lieferungen gängige, wenn auch schmerzhafte Maßnahmen. Die Unsicherheit über die Dauer und Höhe der Zölle lähmt zudem langfristige Investitionsentscheidungen und führt zu einer teuren Lagerhaltung oder zu Lieferengpässen.
Politische Rhetorik versus ökonomische Realität: Ein gefährlicher Spalt
Ein wiederkehrendes Motiv in der Berichterstattung ist die klaffende Lücke zwischen den politischen Verlautbarungen, insbesondere von Präsident Trump, und den von Wirtschaftsexperten, Unternehmenslenkern und internationalen Organisationen beschriebenen ökonomischen Realitäten. Während Trump die Zölle als effektives Mittel zur Stärkung der US-Wirtschaft und zur Disziplinierung Chinas darstellt und Inflationssorgen wiederholt als unbegründet abtut („praktisch KEINE INFLATION“), zeichnen die Daten und Analysen ein anderes Bild. Die US-Wirtschaft schrumpfte im ersten Quartal, und zahlreiche US-Unternehmen kündigten Preiserhöhungen als direkte Folge der Zölle an, was Trumps Versprechen, die Inflation zu „beenden“, konterkariert. Ökonomen wie Paul Ashworth von Capital Economics sehen in dem Drang der Trump-Administration, Handelsabkommen (wie das mit Großbritannien) vorzuweisen, ein Zeichen „steigender Verzweiflung“, die Zölle zurückzurollen, bevor sie das Wirtschaftswachstum und die Inflation vollends treffen.
Auch die Darstellung, wer die Initiative zu den Gesprächen ergriffen hat, ist widersprüchlich: Sowohl die USA als auch China behaupten, die jeweils andere Seite habe um das Treffen gebeten. Trumps erratische Äußerungen zur möglichen Höhe der Zölle – von der Beibehaltung der 145 Prozent über eine Senkung auf 80 Prozent bis hin zu dem Statement, kein Geschäft mit China sei auch ein „guter Deal“ – tragen erheblich zur Verunsicherung bei und erschweren jede rationale Kalkulation für die betroffenen Wirtschaftsakteure. Diese Diskrepanz zwischen politischer Inszenierung und wirtschaftlicher Vernunft wird als eines der Kernprobleme des Konflikts deutlich. Die Welthandelsorganisation (WTO) kritisiert die Entwicklung scharf und warnt, dass eine fortgesetzte Spaltung der Weltwirtschaft in „rivalisierende Blöcke“ das globale Bruttoinlandsprodukt langfristig um fast 7 Prozent senken könnte, was besonders die ärmsten Länder treffen würde.
Das große Zittern: Unsicherheit als Gift für die Weltwirtschaft
Die Auswirkungen des Handelskrieges gehen weit über die direkten Zollkosten hinaus. Die durch die aggressive und unvorhersehbare Handelspolitik geschürte Unsicherheit wirkt wie Gift auf die globale Wirtschaft. Unternehmen, die nicht wissen, welche Zölle morgen gelten oder ob Lieferketten Bestand haben, verschieben oder streichen Investitionen und halten sich mit Neueinstellungen zurück. Jane Fraser, CEO der Citigroup, brachte es auf den Punkt: 10-Prozent-Zölle könnten viele Unternehmen noch absorbieren, 25 Prozent hingegen nicht mehr – und die aktuellen Raten liegen weit darüber. Die National Retail Federation erwartet für die USA erstmals seit 2023 einen Rückgang des Importfrachtverkehrs, eine direkte Folge der Trump-Zölle. Die Folge sind nicht nur höhere Preise, sondern auch eine geringere Warenverfügbarkeit und letztlich eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums.
Die Furcht vor einer Rezession in den USA wächst, und der Internationale Währungsfonds hat bereits seine Wachstumsprognosen für die USA und die Weltwirtschaft nach unten korrigiert. Die Hoffnung der Trump-Administration, durch die Zölle eine Reindustrialisierung der USA zu erzwingen, steht im Konflikt mit den realen Abhängigkeiten: Fast die Hälfte der US-Importe aus China im Jahr 2023 waren Vorleistungsgüter für die amerikanische Industrie. Höhere Zölle auf diese Güter machen also die heimische Produktion teurer und weniger wettbewerbsfähig. Dieser Teufelskreis der Unsicherheit und der steigenden Kosten ist es, der die langfristigen Schäden des Handelskrieges potenziert, weit über die unmittelbaren Handelsströme zwischen den USA und China hinaus.
Tieferliegende Konflikte: Mehr als nur ein Zollstreit
Auch wenn die aktuellen Schlagzeilen von Zolltarifen dominiert werden, machen die Berichte deutlich, dass die Ursachen des Konflikts tiefer liegen. Bereits während Trumps erster Amtszeit wurden Vorwürfe gegen China laut, unfaire Handelspraktiken anzuwenden, darunter Technologiediebstahl, erzwungener Technologietransfer und massive staatliche Subventionen für heimische Industrien, um sich Vorteile in Schlüsseltechnologien zu sichern. Diese strukturellen Probleme wurden im „Phase 1“-Abkommen nur oberflächlich behandelt und bleiben ungelöst. Die USA werfen China vor, den Weltmarkt mit billigen Waren zu überschwemmen und Schlüsselindustrien unfair zu subventionieren. China wiederum sieht sich als Opfer einer Eindämmungspolitik und fordert eine Reform globaler Handelsregeln, die seine Rolle als Wirtschaftsmacht adäquater widerspiegeln.
Diese tieferliegenden Systemkonflikte, gepaart mit geopolitischen Rivalitäten, machen eine schnelle und umfassende Lösung des Handelsstreits unwahrscheinlich. Selbst wenn es in Genf zu einer vorübergehenden Deeskalation bei den Zöllen kommen sollte, bleiben die fundamentalen Differenzen bestehen. Die Gespräche sind somit nicht nur ein Ringen um Ex- und Importquoten, sondern auch ein Symptom eines grundlegenderen Wettbewerbs um die wirtschaftliche und technologische Vormachtstellung im 21. Jahrhundert. Solange diese strukturellen Fragen ungeklärt sind, wird jede Entspannung im Zollstreit vermutlich nur von kurzer Dauer sein – ein Waffenstillstand, kein Friedensvertrag. Die Weltwirtschaft muss sich wohl oder übel auf eine Ära anhaltender Spannungen und handelspolitischer Unsicherheit einstellen.