
Die „America First“-Bewegung steht vor ihrer tiefsten Zäsur. Der Bruch zwischen Donald Trump und Marjorie Taylor Greene ist mehr als ein persönliches Zerwürfnis – er ist der schmerzhafte Beginn einer Ära, in der die Ideologie ihren Schöpfer überholt.
Es ist ein Satz, der in seiner banalen Einfachheit das ganze Drama einer politischen Epoche zusammenfasst. An einem Abend in Lafayette, Georgia, tritt Jackie Harling, eine lokale Parteivorsitzende, vor die versammelten Republikaner und spricht aus, was alle denken, aber niemand wahrhaben will: „Mama und Papa haben sich getrennt“. Es ist keine juristische Scheidung, von der hier die Rede ist, sondern eine ideologische Kernschmelze im Herzen der amerikanischen Rechten. Donald Trump, der Patriarch der Bewegung, und Marjorie Taylor Greene, seine einst glühendste Apostelin, gehen getrennte Wege. Mit dem angekündigten Rücktritt Greenes aus dem Kongress zum 5. Januar 2026 droht das Fundament dessen zu zerbrechen, was ein Jahrzehnt lang als monolithischer Block erschien.
Der Rückzug ist weit mehr als eine Personalie; er ist das Symptom einer schleichenden Krankheit im Körper der Republikanischen Partei. Er ist ein Fieberzeichen, das aufzeigt, wie sehr sich die Basis radikalisiert hat – so sehr, dass selbst Trump nun als Teil jenes Establishments wahrgenommen wird, das er einst niederbrennen wollte. Wenn die Kongressabgeordnete aus Georgia ihren Hut nimmt, tut sie dies nicht als Geschlagene, sondern als eine Frau, die für sich in Anspruch nimmt, das wahre Feuer des Populismus zu hüten, während der Präsident im fernen Washington Kompromisse schließt.

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Die Akte Epstein: Ein moralischer Katalysator
Dass ausgerechnet die dunklen Geheimnisse rund um den verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein zum Spaltpilz werden würden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Doch genau hier liegt der moralische Bruch, der die „America First“-Bewegung in zwei Lager teilt. Trump hatte sich monatelang gegen die Veröffentlichung weiterer Regierungsdokumente zu diesem Fall gewehrt und das Thema als Ablenkungsmanöver der Demokraten abgetan. Für Greene hingegen wurde die Offenlegung zur Glaubensfrage, zu einem Kreuzzug gegen eine „Verschwörung des Schweigens“, die mächtige Männer über Parteigrenzen hinweg schützt.
Es ist bezeichnend, dass es Greene gelang, gemeinsam mit Demokraten und gegen den Widerstand des Weißen Hauses eine Abstimmung im Repräsentantenhaus zu erzwingen. Trump, in die Ecke gedrängt und mit einer unvermeidbaren Niederlage konfrontiert, vollzog zwar eine seiner typischen Kehrtwenden und unterstützte die Veröffentlichung in letzter Sekunde, doch der Schaden an seiner Autorität war angerichtet. Er wirkte nicht mehr wie der unanfechtbare Anführer, sondern wie ein Getriebener.
In diesem Konflikt offenbart sich eine faszinierende Geschlechterdynamik. Es waren drei republikanische Frauen, die als erste aus der Reihe tanzten und den Präsidenten in dieser Frage herausforderten. Analysten sehen hier eine Verbindung zur #MeToo-Bewegung, die nun auch das konservative Lager erreicht hat. Es geht um Rechenschaftspflicht und das Aufbrechen alter Machtzirkel. Die Wut über die Epstein-Vertuschung verbindet sich hier mit einer generellen Frustration über Eliten, die ihre eigenen Regeln machen – ein klassisches populistisches Motiv, das Greene nun gegen Trump selbst wendet.
Globalismus wider Willen: Der Verrat an der Doktrin
Doch der Riss verläuft tiefer als nur entlang moralischer Skandale; er reicht bis in den Kern der „America First“-Ideologie. Greene wirft dem Präsidenten vor, die Doktrin verraten zu haben. Während Trump in seiner zweiten Amtszeit zunehmend außenpolitisch agiert – sei es durch die Bombardierung iranischer Atomanlagen oder Finanzhilfen für Argentinien –, fordert Greene eine radikale Rückkehr zum Isolationismus.
„Wir haben Donald Trump, der versucht, sich um die Welt zu kümmern“, fasst es ein Parteifunktionär in Greenes Distrikt zusammen, „und wir haben Marjorie Taylor Greene, die versucht, sich um das Land zu kümmern“. Dieser Satz ist vernichtend für einen Präsidenten, dessen Markenkern der Nationalismus ist. Greene verlangt, dass die „Air Force One geparkt bleibt“, und kritisiert, dass Steuergelder für ausländische Kriege und Interessen ausgegeben werden, während die Kaufkraft des Dollars im Inland schwindet.
Besonders deutlich wird dieser Konflikt in der Arbeitsmarktpolitik. Als Trump argumentierte, die USA bräuchten mehr ausländische Arbeitskräfte, da es an „talentierten Menschen“ mangele, und entsprechende Visa-Erleichterungen (H-1B) ins Spiel brachte, reagierte die Basis allergisch. Greene kündigte umgehend einen Gesetzentwurf an, um genau dieses Programm zu beenden, garniert mit dem Satz: „Ich diene nur Amerikanern“. Hier wird Trump von seiner eigenen protektionistischen Rhetorik rechts überholt.
Die Hufeisentheorie: Wenn Populismus nach links kippt
In dieser neuen Rolle als Verteidigerin des „kleinen Mannes“ gegen das Establishment vollzieht Greene eine erstaunliche Metamorphose. Beobachter sprechen von der „Hufeisentheorie“: Wer weit genug nach rechts geht, landet thematisch plötzlich links. Greene wettert gegen Unternehmensinteressen, kritisiert die Gier der Versicherungsbranche und fordert, dass der Kongress sich um bezahlbare Krankenversicherung kümmern müsse, statt sich in politischen Dramen zu verlieren.
Sie klingt dabei zeitweise weniger wie eine konservative Hardlinerin und mehr wie eine Vertreterin der Arbeiterklasse, die sich von beiden Parteien im Stich gelassen fühlt. Ihre Bereitschaft, selbst bei Gesundheitszuschüssen Kompromisse einzufordern, um den Schmerz auslaufender Programme abzufedern, steht im krassen Gegensatz zur Blockadehaltung der republikanischen Führung. Es ist dieser populistische Eklektizismus, der sie für die Basis so attraktiv und für Trump so gefährlich macht. Sie verkörpert eine Politik, die sich nicht mehr in das klassische Links-Rechts-Schema pressen lässt, sondern nur noch „oben gegen unten“ kennt.
Der „Lame Duck“-Effekt und die erodierende Macht
Dass Greene es wagt, den König offen herauszufordern, liegt auch an der simplen Mathematik der Macht. Trump befindet sich im November 2025 in seiner zweiten Amtszeit; er kann 2028 nicht erneut antreten. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit bröckelt, er ist eine „Lame Duck“. Die Disziplinierungsinstrumente des Weißen Hauses greifen nicht mehr so scharf wie früher, da jeder in der Partei bereits den Blick auf die Zeit nach ihm richtet.
Trump versucht zwar verzweifelt, seine Kontrolle zu behalten, nennt Greene eine „Verräterin“ und zieht seine Unterstützung für ihre Wiederwahl zurück. Doch diese Angriffe verpuffen oder bewirken gar das Gegenteil. In Greenes tiefrotem Wahlbezirk in Georgia stärken die Attacken des Präsidenten ihren Rückhalt eher, als dass sie ihm schaden. „Mama und Papa“ mögen getrennt sein, aber die Kinder entscheiden sich zunehmend für Mama, weil sie glauben, dass sie die Familie besser beschützt. Die Loyalität zur Ideologie beginnt, die Loyalität zur Person zu übersteigen.
Strategischer Rückzug oder Anlauf für Höheres?
Warum also der Rücktritt? Warum das Feld räumen, wenn man gerade die Oberhand in der öffentlichen Wahrnehmung gewinnt? Politische Strategen sehen in Greenes Schritt zum 5. Januar 2026 kein Aufgeben, sondern ein taktisches Meisterstück. Sie entzieht sich einem zermürbenden Vorwahlkampf gegen einen von Trump unterstützten Kandidaten – eine Schlacht, die sie als „verletzend und hasserfüllt“ beschreibt.
Gleichzeitig verlässt sie ein sinkendes Schiff. Greene selbst prognostiziert, dass die Republikaner bei den Zwischenwahlen 2026 ihre Mehrheit verlieren werden. Indem sie jetzt geht, macht sie sich nicht mitschuldig am kommenden Debakel. Sie kann von der Seitenlinie aus zusehen, wie das Establishment scheitert, um dann 2028 als unverbrauchte, ideologisch reine Alternative zurückzukehren. Sie positioniert sich als „Original“, während potenzielle Nachfolger wie J.D. Vance versuchen müssen, den unmöglichen Spagat zwischen den Tech-Milliardären und der Arbeiterschaft zu meistern.
Braune Flecken auf der weißen Weste
Doch der interne Kampf der Republikaner ist nicht nur ein Machtspiel, er ist auch ein Kampf um die moralische Seele des Konservatismus. Während Greene den Populismus auf die Spitze treibt, brechen an anderer Stelle Dämme. Die Partei ringt mit dem Einfluss offen antisemitischer und weiß-nationalistischer Kräfte. Figuren wie Nick Fuentes, der Hitler lobt, finden über Podcasts Zugang zu einer jungen Generation von republikanischen Mitarbeitern – Schätzungen gehen davon aus, dass ein signifikanter Teil der jungen Angestellten in Washington mit solchen Ideen sympathisiert.
Prominente konservative Stimmen wie Tucker Carlson bieten diesen Extremisten eine Plattform, was zu heftigen internen Verwerfungen führt. Dieser Flirt mit dem Rand droht, die konservative Koalition zu sprengen. Langfristige demografische Verschiebungen, etwa der langsame Gewinn von Latino-Wählern, stehen auf dem Spiel, wenn die Partei als Hafen für Rassisten wahrgenommen wird. Greene selbst bewegt sich in diesem Minenfeld, indem sie den Fokus auf ökonomische Kritik legt, während andere Teile der Bewegung in den offenen Rassismus abgleiten.
Ein Blick in den Abgrund
Der Zustand der Republikanischen Partei im Spätherbst 2025 erinnert Historiker fatal an das Zerwürfnis der Demokraten im Jahr 1968. Eine dominante politische Kraft zerfleischt sich selbst, weil die Führung den Kontakt zur Basis verliert. Die legislative Effizienz im Repräsentantenhaus tendiert gegen Null; mit Greenes Abgang schmilzt die Mehrheit auf eine hauchdünne Marge von 218 Sitzen. Das Regieren wird zur Unmöglichkeit, was wiederum den Wählerfrust steigert.
Die Kommentare unter den Nachrichtenartikeln zeichnen ein düsteres Bild für Trump. Viele Nutzer sehen in seinem Verhalten reinen Egoismus. Wenn die Basis beginnt, Trump als „selbstsüchtig“ und als Teil des Problems zu sehen, dann ist der Zauber gebrochen. Marjorie Taylor Greene mag Washington verlassen, aber der Geist, den sie repräsentiert – rebellisch, kompromisslos und zutiefst misstrauisch gegenüber jeder Autorität – wird bleiben. Die Scheidung von „Mama und Papa“ ist vollzogen, und es scheint, als würde das Sorgerecht für die MAGA-Bewegung nicht automatisch an den Vater fallen.


