„Ruhe, Piggy“: Wenn staatliche Demütigung zur politischen Waffe wird

Illustration: KI-generiert

Es ist eine Szene, die in ihrer Banalität erschüttert und zugleich eine Zeitenwende in der politischen Kommunikation markiert, denn an Bord der Air Force One versuchte Catherine Lucey, eine Reporterin von Bloomberg News, lediglich ihre Arbeit zu tun, als sie eine Frage stellte. Die Antwort des Präsidenten war keine politische Ausflucht, sondern ein Befehl, der direkt aus dem Vokabular eines tyrannischen Schulhofschlägers zu stammen schien: „Ruhe! Ruhe, Piggy“. Dieser Moment ist weit mehr als eine weitere Anekdote über den ruppigen Umgangston Donald Trumps, er ist das Symptom einer fundamentalen Verschiebung, da die Bezeichnung einer professionellen Journalistin als „Schweinchen“ kein Ausrutscher im Eifer des Gefechts ist, sondern Teil einer Strategie. Das Weiße Haus deutet diese verbalen Angriffe anschließend nicht als Fehler, sondern verkündet, diese Art der Ansprache sei genau jene „Offenheit“, für die das amerikanische Volk den Präsidenten gewählt habe, womit wir uns in einem neuen Kapitel des Kulturkampfes befinden, in dem Demütigung zur Tugend und grobe Beleidigung zum Mandat erklärt wird.

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Die Umdeutung der Aggression: „Frankness“ als neue Währung

In früheren Amtszeiten brandmarkte Trump die Presse oft kollektiv als „Feind des Volkes“, doch die aktuelle Phase ist persönlicher und perfider. Karoline Leavitt, die Pressesprecherin des Weißen Hauses, lieferte für den Vorfall eine bemerkenswerte Begründung, indem sie erklärte, der Präsident sei „ehrlich und offen“ zu jedermann. Diese „Frankness“, so die Argumentation, sei einer der Gründe für seine Wiederwahl gewesen und er benenne „Fake News“ direkt, wenn er sie sehe. Hier vollzieht sich eine gefährliche semantische Kaperung, bei der der Begriff der Offenheit zur Lizenz für ungefilterte Aggression umgedeutet wird. Leavitt argumentierte sogar, diese direkte Art der Konfrontation sei „respektvoller“, als hinter dem Rücken der Journalisten zu agieren, wie es angeblich in der vorherigen Administration der Fall war. Die strategische Funktion dieser Rhetorik ist offensichtlich, denn sie immunisiert den Präsidenten gegen Kritik an seinem Stil, indem jede Empörung über Worte wie „Piggy“ sofort in den Beweis umgemünzt wird, dass die Presse zu verweichlicht für die harte Realität sei, die der Präsident repräsentiert.

Das Geschlecht der Zielscheibe: Ein Muster der Misogynie

Es fällt schwer, in der Auswahl der Zielscheiben kein Muster zu erkennen, da sich die Eskalation der letzten Tage mit chirurgischer Präzision gegen Frauen richtete. Neben Catherine Lucey traf der Zorn des Präsidenten auch Mary Bruce, die Chefkorrespondentin von ABC News im Weißen Haus, der er im Oval Office entgegenschleuderte, sie sei eine „schreckliche Person“ und eine „schreckliche Reporterin“. Er kritisierte ihre „Haltung“ und forderte sie auf, ihren Beruf noch einmal neu zu erlernen. Die Verwendung des Begriffs „Piggy“ weckt dabei unweigerlich Erinnerungen an Alicia Machado, die ehemalige Miss-Universe-Kandidatin, die Trump einst als „Miss Piggy“ verhöhnte, als er sie zum Abnehmen drängte. Es handelt sich um eine geschlechtsspezifische Form der Herabwürdigung, bei der Angriffe auf Frauen häufig auf ihr Äußeres zielen oder sie als hysterisch und unprofessionell pathologisieren. Diese Sprache dient dazu, die professionelle Autorität der Korrespondentinnen zu untergraben, denn wenn eine erfahrene Journalistin im Beisein internationaler Gäste wie ein unartiges Kind gemaßregelt wird, signalisiert dies Dominanz und den Willen, den vermeintlichen Störfaktor zum Schweigen zu bringen.

Die wunden Punkte: Khashoggi, Epstein und die Angst vor der Wahrheit

Der Zeitpunkt dieser Ausbrüche ist aufschlussreich, denn es geht nicht um abstrakte Politik, sondern um Blut und Missbrauch. Mary Bruce hatte es gewagt, während eines Besuchs des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi zu fragen, einer Tat, die laut US-Geheimdiensten vom Kronprinzen angeordnet wurde. Trump sprang seinem Gast sofort zur Seite, verteidigte ihn mit der lapidaren Bemerkung „Dinge passieren“ und attackierte stattdessen die Fragestellerin, deren Frage er als „schrecklich“ und „insubordinat“ bezeichnete. Ähnlich verhielt es sich bei Catherine Lucey auf der Air Force One, die nach Jeffrey Epstein gefragt hatte, jenem Sexualstraftäter, dessen Aktenveröffentlichung der Kongress gerade forciert hatte und der einst zum Bekanntenkreis Trumps zählte. Die Aggression dient hier als Nebelkerze, da die Personalisierung des Konflikts effektiv von der inhaltlichen Antwort ablenkt. Anstatt über die Implikationen einer Freundschaft mit einem Sexualstraftäter oder die diplomatischen Beziehungen zu einem mutmaßlichen Auftraggeber eines Mordes zu diskutieren, wird die Öffentlichkeit dazu gebracht, über das Wort „Piggy“ oder die angeblich mangelnde Professionalität der Reporterin zu debattieren.

Institutionelle Kriegsführung: Der Angriff auf die Existenz

Die verbale Gewalt ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs, denn darunter verbirgt sich eine konkrete administrative Bedrohungslage. Trump belässt es nicht bei Beleidigungen, sondern greift die ökonomische Basis der Medienhäuser an, indem er im Fall von ABC News offen forderte, dem Sender die Sendelizenz zu entziehen. Er bezeichnete das Unternehmen als „crappy company“ und instruierte Brendan Carr, seinen Vorsitzenden der FCC, sich der Sache anzunehmen, wobei er explizit auf eine Verleumdungsklage verwies, die ABC bereits Millionen gekostet hatte. Auch die Late-Night-Shows geraten ins Visier, da Trump die sofortige Entlassung von Seth Meyers und Jimmy Kimmel forderte, wobei er Meyers ein „Trump Derangement Syndrome“ attestierte und verlangte, den „Penner“ Kimmel vom Sender zu nehmen. Dass der Presseapparat des Weißen Hauses ABC News sogar schriftlich als „Demokratische Spionageoperation“ bezeichnete, die sich nur als Sender tarne, zeigt, wie sehr die Grenzen zwischen politischer Rhetorik und behördlicher Drohkulisse verschwimmen.

Das Schweigen der Lämmer? Reaktionen und Folgen

Die Medienhäuser versuchen einen schwierigen Spagat, indem Bloomberg News und ABC sich in Statements hinter ihre Reporterinnen stellten und betonten, man werde weiterhin „ohne Furcht oder Gunst“ Fragen stellen. Deutlichere Worte fand der National Press Club, der warnte, dass Aussagen, die die Tötung von Journalisten minimieren, reale Konsequenzen haben und das Prinzip untergraben, dass Journalisten ohne Angst vor Gewalt arbeiten können. Für die Journalisten vor Ort entsteht ein toxisches Dilemma, denn stellen sie die notwendigen Fragen, riskieren sie nicht nur den Zugang zu Informationen, sondern auch ihre persönliche Integrität, da Trump bereits signalisiert hat, keine Fragen mehr von Mary Bruce zuzulassen. Wenn die Frage nach einem ermordeten Journalisten als „unhöflich“ gilt, aber die Bezeichnung einer Reporterin als „Piggy“ als „ehrliche Offenheit“ verkauft wird, droht eine Zukunft, in der Medienzugang nur noch gegen Wohlverhalten gewährt wird und die Wahrheit hinter einer Mauer aus Einschüchterung verschwindet.

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