
In Washington wehen grüne Flaggen neben dem Sternenbanner. Der Empfang für Mohammed bin Salman markiert nicht nur das Ende seiner Isolation, sondern eine fundamentale Verschiebung der US-Außenpolitik: Weg von moralischen Leitsätzen, hin zu einer radikalen Transaktionalität, in der Kampfjets gegen KI-Milliarden getauscht werden und die Risiken in den Kleingedruckten der Verträge lauern.
Es wirkt wie eine Szene aus einem anderen politischen Zeitalter, fast surreal für jeden, der das Jahr 2018 noch im Gedächtnis hat. Die Laternenpfähle am Lafayette Square in Washington sind festlich geschmückt, die saudi-arabische Flagge weht im Novemberwind, und über dem Südrasen des Weißen Hauses dröhnen die Triebwerke einer militärischen Ehrenformation. Der Mann, dem dieser Pomp gilt, Kronprinz Mohammed bin Salman, der faktische Herrscher Saudi-Arabiens, betritt das Weiße Haus nicht durch den Hintereingang, sondern als gefeierter Gast. Sieben Jahre lang lag der Schatten des ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi wie ein Leichentuch über den Beziehungen zwischen Washington und Riad. Doch in diesen Tagen im November 2025 scheint die Erinnerung daran so flüchtig wie der Morgennebel über dem Potomac River. Die dunklen Wolken haben sich verzogen, verdrängt durch das grelle Licht einer neuen, unsentimentalen Realität. Präsident Donald Trump, zurück im Amt, zelebriert die Rehabilitation des 40-jährigen Kronprinzen nicht nur, er inszeniert sie als Triumph seiner diplomatischen Doktrin: Interessen wiegen schwerer als Werte, und Allianzen werden nicht mit Idealen, sondern mit Deals geschmiedet.

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Der große Basar im Cabinet Room
Im Zentrum dieses Staatsbesuchs, der formell als Arbeitsbesuch deklariert ist, aber alle Insignien staatlicher Würde trägt, steht ein Tauschgeschäft von gigantischem Ausmaß. Es ist ein Handel, der die Sicherheitsarchitektur des Nahen Ostens für die kommenden Jahrzehnte zementieren soll. Auf der einen Seite des Tisches liegt das wohl begehrteste militärische Gut der Welt: der F-35 Tarnkappenjet. Trump hat unmissverständlich klargestellt, dass er dem Verkauf dieser Technologie an das Königreich zustimmen wird. Sie wollen kaufen, sie sind ein großartiger Verbündeter, so die lapidare Begründung des Präsidenten. Auf der anderen Seite bietet Riad das, was es im Überfluss besitzt: Kapital und das Versprechen technologischer Zukunft. Milliardeninvestitionen in die US-Infrastruktur für künstliche Intelligenz stehen im Raum, flankiert von Kooperationen im Bereich der zivilen Kernenergie. Es ist der Versuch Saudi-Arabiens, sich vom reinen Ölexporteur zum globalen Technologie-Player zu wandeln. Doch dieser Handel ist mehr als nur ein Austausch von Waren; er ist ein geopolitisches Wagnis. Die US-Administration spielt dabei ein riskantes Spiel mit doppeltem Boden. Während Trump die F-35-Kampfjets als bloße Ware betrachtet, schrillen im Pentagon und in den Geheimdiensten die Alarmglocken. Die Befürchtung ist so konkret wie bedrohlich: Saudi-Arabien unterhält zunehmend engere technologische Bindungen zu China, das mittlerweile der wichtigste Handelspartner Riads ist. Die Sorge, dass die Kronjuwelen amerikanischer Militärtechnologie über saudische Hintertüren in chinesische Hände gelangen könnten, ist omnipräsent. Doch die Trump-Administration scheint gewillt, dieses strategische Risiko für den kurzfristigen ökonomischen Erfolg und die Festigung der Achse Washington-Riad in Kauf zu nehmen.
Das Phantom der Normalisierung
Hinter den Kulissen dieses Rüstungsdeals lauert jedoch der eigentliche Elefant im Raum: Israel. Trumps Vision einer Neuordnung des Nahen Ostens fußt auf der Erweiterung der Abraham Accords. Sein Kalkül ist verführerisch simpel: Wenn Saudi-Arabien, die Wiege des Islam und die größte arabische Volkswirtschaft, Israel anerkennt, würde der restliche arabische Raum folgen wie Dominosteine. Es wäre der ultimative außenpolitische Triumph. Doch die Realität erweist sich als wesentlich widerborstiger als die Deals im Immobiliengeschäft. Zwar ist der Waffenstillstand in Gaza derzeit stabil, und der UN-Sicherheitsrat hat den US-Plan für eine internationale Schutztruppe gebilligt, doch Riad spielt nicht nach dem Drehbuch des Weißen Hauses. Die saudische Position bleibt unverrückbar: Keine Normalisierung ohne einen klaren, unumkehrbaren Pfad zu einem palästinensischen Staat. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Saudi-Arabien, das jahrelang im Verborgenen Kontakte zu Israel pflegte, nun zur Bremse wird. Dies liegt nicht an einer plötzlichen moralischen Erweckung, sondern an harter innenpolitischer Kalkulation. Die Bilder der Zerstörung aus Gaza sind in der arabischen Welt noch zu präsent, die Wut der Straße zu virulent. Kronprinz Mohammed bin Salman weiß, dass er die Modernisierung seines Landes nicht gegen, sondern nur mit der Akzeptanz seiner Bevölkerung durchsetzen kann. Eine Annäherung an Israel ohne Gegenleistung für die Palästinenser wäre politischer Selbstmord. So bleibt der F-35-Deal vorerst einseitig: Riad bekommt die Jets wohl auch ohne den sofortigen Friedensschluss mit Jerusalem, was Trumps eigenen diplomatischen Hebel schwächt.
Die Metamorphose des Prinzen
Wer Mohammed bin Salman heute beobachtet, sieht einen anderen Mann als jenen impulsiven Falken des Jahres 2018, der den Jemen in einen verheerenden Krieg stürzte und den libanesischen Premierminister festsetzte. Der Kronprinz des Jahres 2025 agiert bedachter, fast staatsmännisch. Seine Prioritäten haben sich radikal nach innen verschoben. Die Vision 2030, sein gigantisches Projekt zum Umbau der saudischen Wirtschaft und Gesellschaft, duldet keine regionalen Flächenbrände mehr. Es ist eine bemerkenswerte Transformation: Der Brandstifter von einst präsentiert sich nun als Feuerwehrmann. Er sucht die Entspannung mit dem Erzrivalen Iran, nicht aus Liebe, sondern aus Pragmatismus. Saudi-Arabien will Investoren anlocken, Touristen empfangen, zur Drehscheibe für globalen Handel werden. Das funktioniert nicht, wenn Raketen auf Riad fliegen oder Öltanker im Persischen Golf brennen. Die Hinwendung zu Washington, der Wunsch nach einem formellen Verteidigungsabkommen selbst wenn es am Kongress vorbei als reines Exekutivabkommen gestaltet wird dient primär diesem Ziel: der Absicherung der inneren Transformation durch äußere Garantien. Dieser Wandel zeigt sich auch in der saudischen Haltung zu Konflikten wie im Sudan oder Syrien; Riad will Lösungen, oder zumindest Ruhe, um sich auf das eigene Wachstum zu konzentrieren.
Glitzernde Fassaden und dunkle Keller
Doch der Glanz der KI-Zentren und die futuristischen Visionen können nicht über die Risse im Fundament hinwegtäuschen. Während Frauen nun Autofahren dürfen und Kinos eröffnet werden, hat sich der politische Griff des Staates eher verhärtet. Die Hinrichtungszahlen erreichten 2024 einen neuen Höchststand von 345 Fällen. Die Modernisierung Saudi-Arabiens gleicht einem goldenen Käfig: Innen gibt es mehr Unterhaltung und Konsumfreiheit, aber an den Gitterstäben der politischen Macht darf nicht gerüttelt werden. Besonders drastisch zeigt sich die Selektivität dieser Reformen am Schicksal derer, die im Schatten der glitzernden Wolkenkratzer leben. Während Milliarden in Tech-Projekte fließen, vegetieren kenianische Kinder, die Nachkommen von Arbeitsmigrantinnen, in rechtlichen Grauzonen dahin. Ohne Geburtsurkunden, ohne Schulbildung und ohne medizinische Versorgung sind sie Gefangene eines bürokratischen Albtraums, der Geburt außerhalb der Ehe kriminalisiert. Wenn ein kenianischer Senator seiner eigenen Regierung vorwirft, diese Menschen im Stich zu lassen, und davon spricht, dass Köpfe rollen müssen, wirft dies ein grelles Schlaglicht auf die moralischen Abgründe, die sich hinter der Hochglanz-PR der Vision 2030 auftun. Diese Kinder sind die vergessenen Opfer eines Systems, das Modernität predigt, aber archaische Strukturen konserviert, sobald die Kameras wegsehen.
Die Privatisierung der Außenpolitik
Ein weiterer, beunruhigender Aspekt dieses Staatsbesuchs ist die Verschmelzung von amerikanischen Staatsinteressen mit den privaten Geschäftsbüchern der Familie Trump. Es ist kaum noch zu unterscheiden, wo die Diplomatie endet und das Business beginnt. Während der Präsident im Oval Office über Sicherheitsgarantien verhandelt, verkünden die Trump Organization und ihr saudischer Partner Dar Al Arkan neue Immobilienprojekte auf den Malediven, finanziert durch Krypto-Token. Jared Kushner, der Schwiegersohn des Präsidenten, verwaltet Milliarden aus dem saudischen Staatsfonds. Diese Verflechtungen werfen die Frage auf, wie unabhängig die US-Außenpolitik noch ist. Dient der Verkauf von F-35-Jets der nationalen Sicherheit der USA, oder ist er Teil eines größeren, privaten Geflechts aus Gefälligkeiten und Profiten? Die Nachricht, dass Eric Trump die Krypto-Projekte als Möglichkeit für Fans anpreist, einen Teil der Marke zu besitzen, bekommt vor dem Hintergrund hochsensibler diplomatischer Verhandlungen einen bitteren Beigeschmack. Es entsteht der Eindruck, dass die amerikanische Außenpolitik selbst zu einem tokenisierten Asset geworden ist, handelbar auf dem globalen Markt der Eitelkeiten.
Das Schweigen der Werte
Die eigentliche Zäsur dieses Besuchs liegt jedoch nicht in den unterzeichneten Verträgen, sondern in dem, was ungesagt bleibt. Die Menschenrechte, einst zumindest rhetorisch ein Pfeiler westlicher Diplomatie, sind zu einer lästigen Fußnote verkommen. Khashoggi ist nur noch eine Randnotiz, ein historischer Unfall, der den großen Plänen nicht mehr im Wege stehen darf. Indem Washington den Kronprinzen mit allem Pomp empfängt, inklusive militärischem Überflug und Staatsdinner, legitimiert es nicht nur seine Herrschaft, sondern auch seine Methoden. Die Botschaft an die Region und die Welt ist fatal: Wer genug Geld hat, wer genug Öl hat und wer bereit ist, US-Waffen zu kaufen, dem wird alles verziehen. Die moralische Autorität der USA, ohnehin oft brüchig, erodiert hier vollständig zugunsten einer nackten Interessenpolitik. Saudi-Arabien mag sich modernisieren, es mag wirtschaftlich prosperieren und technologisch aufschließen. Doch der Preis dafür ist eine Partnerschaft, die auf dem Schweigen über Unrecht basiert. Wenn Präsident Trump und Kronprinz Mohammed bin Salman im Weißen Haus dinieren, feiern sie nicht den Sieg der Demokratie oder der Freiheit. Sie feiern den Sieg des Pragmatismus über das Prinzip eine Allianz, in der F-35-Jets lauter sprechen als das Schicksal staatenloser Kinder oder ermordeter Journalisten. Es ist eine Wette auf die Zukunft, bei der die Einsätze hoch sind, und niemand weiß genau, wer am Ende die Zeche zahlen wird.


