
Die grassierende Unzufriedenheit in den Reihen der Demokraten angesichts einer als unentschlossen wahrgenommenen Führung im Angesicht der Trump-Ära und des wachsenden Einflusses einer unkontrollierten Oligarchie hat eine explosive Kraft freigesetzt. Auf ihrer viel beachteten „Fighting Oligarchy“-Tour ziehen Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez zwar immense Menschenmengen an, doch Sanders’ jüngster Vorstoß, progressive Kräfte sollten sich von der Demokratischen Partei lossagen und als Unabhängige kandidieren, birgt eine immense Gefahr für die Zukunft der progressiven Bewegung und könnte letztlich jenen Kräften in die Hände spielen, die es eigentlich zu bekämpfen gilt. Sanders’ Argumentation, die Demokratische Partei habe die Arbeiterklasse im Stich gelassen, mag in Teilen ihre Berechtigung haben, doch die daraus gezogene Konsequenz einer Zersplitterung der Linken durch unabhängige Kandidaturen ist nicht nur naiv, sondern potenziell verheerend.
Der Preis der Reinheit: Sanders’ Spaltungspolitik gefährdet den Kampf gegen Trumpismus
Sanders, der selbst eine lange und ambivalente Beziehung zur Demokratischen Partei pflegt, indem er zwar stets seine Unabhängigkeit betonte, aber bei Präsidentschaftskandidaturen bereitwillig das Parteiband nutzte, scheint nun einen Kurswechsel zu propagieren, der mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Seine Aufforderung an progressive Führungskräfte, das Etikett der Demokraten abzulegen, zeugt von einer gefährlichen Unterschätzung der politischen Realitäten und der Notwendigkeit einer geeinten Opposition gegen den wiedererstarkten Trumpismus. Die Geschichte seiner eigenen politischen Karriere ist dabei ein mahnendes Beispiel: Trotz seiner Popularität gelang es Sanders nie, die Präsidentschaftsnominierung der Demokraten zu erringen. Wie sollen da unabhängige Kandidaten, ohne die Ressourcen und die breite Basis einer etablierten Partei, im zersplitterten politischen Wettbewerb bestehen und eine tatsächliche Veränderung bewirken?

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Die von Sanders und Ocasio-Cortez angeführten Kundgebungen mögen zwar die tiefe Frustration vieler Demokraten widerspiegeln, die sich von ihrer Parteiführung im Kampf gegen Trump und die wachsende Macht von Milliardären wie Elon Musk im Stich gelassen fühlen, doch die vorgeschlagene Lösung einer Flucht aus der Partei ist ein gefährlicher Irrweg. Die Wahrscheinlichkeit, dass unabhängige, progressive Kandidaten in einem von zwei großen Parteien dominierten politischen System signifikante Wahlerfolge erzielen, ist denkbar gering. Viel wahrscheinlicher ist eine weitere Fragmentierung der progressiven Wählerschaft, was letztlich die Chancen der Republikaner und die Umsetzung einer reaktionären Agenda nur erhöhen würde.
Die von Sanders geäußerte Kritik an der Demokratischen Partei, sie sei zu abhängig von wohlhabenden Spendern und Washingtoner Beratern, ist nicht neu und trifft sicherlich einen wunden Punkt. Die Umfragewerte der Demokraten spiegeln eine wachsende Unzufriedenheit wider. Doch die Schlussfolgerung, dies müsse in einer Abkehr vom Parteiapparat münden, ignoriert die strukturellen Vorteile und die historische Bedeutung der Demokratischen Partei als Bollwerk gegen konservative Kräfte. Stattdessen sollte der Fokus darauf liegen, innerhalb der Partei für eine Kurskorrektur zu kämpfen, progressive Ideen stärker zu verankern und die Mobilisierung der Arbeiterklasse zu intensivieren.
Strategische Blindheit oder politisches Kalkül? Die fragwürdige Logik des unabhängigen Weges
Sanders’ Beharren darauf, dass progressive Kräfte außerhalb der Demokratischen Partei als Unabhängige antreten sollten, wirft zudem die Frage nach seiner eigenen politischen Strategie auf. Seine wiederholten Versuche, die Präsidentschaftsnominierung der Demokraten zu erlangen, zeigen, dass er die Notwendigkeit einer breiten Koalition und die Bedeutung des Parteiapparates durchaus verstanden hat. Warum nun dieser scheinbare Sinneswandel, der die progressive Bewegung in eine potenziell selbstzerstörerische Richtung lenken könnte?
Es drängt sich der Verdacht auf, dass Sanders’ Vorstoß weniger einem durchdachten strategischen Plan entspringt als vielmehr einer Reaktion auf seine eigenen wiederholten Niederlagen innerhalb der Demokratischen Partei und einer gewissen Frustration über die Grenzen des innerparteilichen Einflusses. Die Romantisierung des unabhängigen Kandidatenwesens blendet die harten Realitäten des US-Wahlsystems aus, das die Etablierung neuer, erfolgreicher Parteien oder unabhängiger Bewegungen extrem erschwert. Finanzielle Ressourcen, Medienaufmerksamkeit und die Notwendigkeit, in jedem Wahlbezirk eine funktionierende Organisation aufzubauen, stellen für unabhängige Kandidaten immense Hürden dar.
Die Gefahr einer solchen Zersplitterung wird dadurch verstärkt, dass Sanders’ Appell an einen Punkt kommt, an dem die Notwendigkeit einer geeinten Front gegen den autoritären Kurs von Donald Trump dringender denn je ist. Trump und seine Verbündeten, unterstützt von einer finanzstarken Oligarchie, untergraben demokratische Institutionen, greifen Grundrechte an und verfolgen eine Politik, die die Ungleichheit weiter verschärft. In einer solchen Situation ist die Spaltung der progressiven Kräfte durch das Aufstellen unzähliger unabhängiger Kandidaten, die sich gegenseitig Stimmen wegnehmen, geradezu fahrlässig.
Die „Fighting Oligarchy“-Tour mag zwar ein Ventil für die Wut und Frustration vieler Demokraten sein und Sanders und Ocasio-Cortez als kämpferische Gegenfiguren zu Trump und Musk inszenieren, doch die von Sanders propagierte Strategie, als Unabhängige anzutreten, ist eine gefährliche Illusion. Sie lenkt von der Notwendigkeit ab, innerhalb der Demokratischen Partei für eine progressive Wende zu streiten und eine geeinte Front gegen die reaktionären Kräfte zu bilden. Anstatt die Reihen zu schließen und mit vereinten Kräften gegen die drohende Gefahr des Trumpismus anzukämpfen, riskiert Sanders mit seinem Vorstoß eine fatale Spaltung der Linken, deren bittere Konsequenzen die progressive Bewegung noch lange zu spüren bekommen wird. Die Sehnsucht nach einer kämpferischen Opposition ist verständlich, doch der Weg zur Stärkung der progressiven Bewegung führt nicht über die Flucht aus der Demokratischen Partei, sondern über deren konsequente, progressive Neuausrichtung. Alles andere ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, das letztlich nur den Gegnern der Arbeiterklasse und der Demokratie in die Hände spielt.