
Ein Land, zwei Realitäten. Während in Washington D.C. Panzer und Militärfahrzeuge für eine pompöse Parade zum 250. Geburtstag der U.S. Army aufgefahren werden, die zufällig auch der 79. Geburtstag des Präsidenten ist, stehen an der Westküste Soldaten der Nationalgarde und Marineinfanteristen auf den Straßen von Los Angeles. Ihre Mission: die Eindämmung von Protesten gegen die Migrationspolitik der Regierung. Diese beiden Bilder, die an einem Wochenende im Juni 2025 die Schlagzeilen beherrschen, sind mehr als nur ein unglückliches Zusammentreffen von Terminen. Sie sind die zwei Seiten einer Medaille – die Inszenierung einer neuen, von Donald Trump geprägten Form der Staatsmacht, die bewusst mit amerikanischen Traditionen bricht und das Militär, einst ein Symbol nationaler Einheit, tief in die Gräben eines erbitterten Kulturkampfes hineinzieht.
Die Ereignisse legen eine fundamentale Auseinandersetzung über die amerikanische Seele offen. Es ist ein Konflikt, der weit über tagespolitische Fragen hinausgeht und an die Grundfesten der Demokratie rührt. Es geht um die Definition von Patriotismus, die Grenzen der präsidialen Macht und die Rolle der Streitkräfte in einer gespaltenen Gesellschaft. Die Parade in Washington ist dabei keine neutrale Feierlichkeit, sondern eine gezielte politische Botschaft. Sie ist die Kulisse, vor der ein Präsident seine Vision von Stärke und unnachgiebiger Autorität zelebriert, während die zeitgleichen Ereignisse in Kalifornien die reale Konsequenz dieser Politik demonstrieren: die Anwendung militärischer Macht gegen die eigene Bevölkerung.

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Ein Fest für den Präsidenten, nicht für das Land
Offiziell soll die Parade in der Hauptstadt die Streitkräfte ehren. Anlass ist das 250. Jubiläum der U.S. Army. Unterstützer, wie der republikanische Abgeordnete Derrick Van Orden, argumentieren, man könne Patriotismus nicht mit einem Preisschild versehen und die Feier der „besten Armee der Welt“ sei absolut gerechtfertigt. Das Weiße Haus betont, die Koinzidenz mit Trumps Geburtstag sei reiner Zufall. Doch für Kritiker ist genau diese Verknüpfung der Kern des Problems. Sie sehen in der Veranstaltung weniger eine Ehrung der Truppe als vielmehr ein „Eitelkeitsprojekt“ für den Präsidenten. Progressive Gruppen, die landesweite Proteste unter dem Motto „No Kings“ organisieren, bezeichnen die Parade als eine „für das Fernsehen gemachte Machtdemonstration zu seinem Geburtstag“. Für sie ist es der Versuch Trumps, sich selbst mit dem amerikanischen Staat gleichzusetzen und die Institution des Militärs für seine persönliche Glorifizierung zu vereinnahmen.
Diese Deutung wird durch die schiere Dimension und die Kosten der Veranstaltung untermauert. Schätzungen gehen von 45 bis 50 Millionen Dollar aus. Eine Summe, die Kritiker wie der demokratische Abgeordnete Jason Crow, selbst ein Veteran, für untragbar halten, während gleichzeitig bei der Gesundheitsversorgung für ehemalige Soldaten gekürzt wird. Diese Debatte über das Geld offenbart tiefere Konfliktlinien: Was ist dem Land wichtiger? Die aufwendige Inszenierung nationaler Stärke oder die konkrete Erfüllung der Fürsorgepflicht gegenüber denen, die dem Land gedient haben? Der Umstand, dass Trump sich seit Jahren eine solche Parade nach dem Vorbild des französischen Nationalfeiertags wünscht, verstärkt den Eindruck, dass es hier primär um die Erfüllung eines persönlichen Wunsches des Präsidenten geht und nicht um eine organisch gewachsene Würdigung der Armee.
Geschichte als Waffe: Ein Bruch mit amerikanischen Traditionen
Großangelegte Militärparaden in den Vereinigten Staaten sind historisch gesehen eine Seltenheit, die besonderen Anlässen vorbehalten bleibt. Es gab sie nach dem Bürgerkrieg als „Grand Review of the Armies“, um die Einheit der Nation wiederherzustellen, und als Siegesparaden nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie nach dem ersten Golfkrieg 1991. Entscheidend ist jedoch: Es waren fast immer Paraden, die einen Krieg beendeten oder eines klaren Sieges gedachten. Nach gesellschaftlich spaltenden Konflikten wie dem Vietnamkrieg wurde bewusst auf solche Demonstrationen verzichtet, um die tiefen Wunden nicht weiter aufzureißen. Trumps Parade bricht mit dieser Logik. Sie findet in Friedenszeiten statt und ist nicht an einen militärischen Sieg geknüpft, was sie im historischen Kontext der USA zu einer deutlichen Anomalie macht.
Die Quellen ziehen bezeichnende Vergleiche zum internationalen Umgang mit solchen Aufmärschen. Während Demokratien sie typischerweise zur Erinnerung an historische Ereignisse nutzen, dienen sie in autoritären Regimen oft der Einschüchterung, der Präsentation neuer Waffensysteme und vor allem der Zementierung eines Personenkults um den jeweiligen Herrscher. In Ländern wie Nordkorea oder China sind Paraden eine Demonstration der untrennbaren Einheit von Führer und Nation, oft untermalt von riesigen Porträts des Machthabers. Obwohl westliche Demokratien wie Frankreich ebenfalls Paraden abhalten, vermeiden sie in der Regel die direkte Verherrlichung des amtierenden Präsidenten, um die Trennung von politischer und militärischer Macht zu wahren. Trumps Veranstaltung, bei der er die Truppen von einer Tribüne abnehmen wird, scheint sich, so die Analyse der Beobachter, gefährlich an die Symbolik autoritärer Staaten anzulehnen. Es entsteht der Eindruck, dass hier nicht nur die Armee, sondern vor allem der Oberbefehlshaber selbst gefeiert werden soll.
Zwei Fronten: Wie die Krise in Los Angeles die Parade überschattet
Die wahre Brisanz erhält die Washingtoner Parade erst durch die Ereignisse, die sich 4000 Kilometer entfernt abspielen. In Los Angeles hat Präsident Trump Tausende Soldaten der Nationalgarde und sogar aktive Marineinfanteristen mobilisiert, um gegen Proteste vorzugehen, die sich gegen seine rigide Einwanderungspolitik richten. Dieser Einsatz erfolgt gegen den erklärten Willen des Gouverneurs von Kalifornien, Gavin Newsom, und der Stadtregierung von Los Angeles. Juristen und Politiker debattieren nun über die Rechtmäßigkeit dieses Schrittes. Normalerweise verbietet der „Posse Comitatus Act“ den Einsatz von Bundestruppen im Inneren zur Strafverfolgung. Die Regierung Trump beruft sich jedoch auf andere Gesetze wie „Title 10“ des US-Codes oder den selten genutzten „Insurrection Act“, der dem Präsidenten weitreichende Befugnisse zur Wiederherstellung der Ordnung gibt.
Diese reale Anwendung militärischer Gewalt gegen amerikanische Bürger wirft einen düsteren Schatten auf die feierliche Parade in der Hauptstadt. Was in Washington als symbolische Machtdemonstration inszeniert wird, ist in Los Angeles bereits gelebte Realität. Diese Verschränkung wird von Kritikern als „ominös“ und brandgefährlich beschrieben. Sie fürchten eine nachhaltige Beschädigung des Vertrauens in das Militär, das nun nicht mehr als Beschützer der Nation, sondern als innenpolitisches Werkzeug des Präsidenten wahrgenommen wird. Die Rhetorik Trumps heizt die Lage zusätzlich an. Er macht keinen Unterschied zwischen friedlichen Demonstranten und Gewalttätern, bezeichnet Protestierende pauschal als „Leute, die unser Land hassen“, als „Tiere“ und droht ihnen unverhohlen mit „sehr großer Gewalt“. Diese Sprache der Konfrontation steht im scharfen Gegensatz zur Haltung der Protestorganisatoren, die explizit zu Gewaltfreiheit aufrufen und betonen, dass sie sich den Patriotismus nicht nehmen lassen wollen.
Das Ergebnis ist eine toxische Gemengelage, die selbst in konservativen Kreisen und innerhalb des Militärs für tiefes Unbehagen sorgt. Veteranengruppen lehnen es ab, als „Requisiten“ für eine politisierte Veranstaltung zu dienen. Militäranalysten warnen, dass die Herausforderung, das 250-jährige Erbe der Armee zu feiern, ohne in den parteipolitischen Sumpf gezogen zu werden, durch die gleichzeitige Polizistenrolle in Los Angeles „erheblich erschwert“ wird. Die Parade und die Truppenentsendung sind somit keine getrennten Phänomene mehr. Sie verschmelzen zu einer einzigen, unmissverständlichen Botschaft: Der Präsident ist bereit, die volle Macht des Staates, einschließlich seiner Streitkräfte, zur Durchsetzung seiner politischen Agenda und zur Unterdrückung von Widerspruch einzusetzen. Dies ist keine bloße Meinungsverschiedenheit mehr, dies ist, so die Quintessenz der Berichte, ein fundamentaler Konflikt über die Spielregeln der amerikanischen Demokratie.