
Es ist ein Beben, das leise beginnt. Kein lauter Knall, sondern ein feiner Riss, der sich durch das Fundament einer der mächtigsten Institutionen der Welt zieht. Die Nachricht, dass Präsident Donald Trump versucht, die Gouverneurin der US-Notenbank Federal Reserve, Lisa Cook, zu entlassen, ist weit mehr als eine Personalie in den Washingtoner Machtspielen. Sie ist der bisher kühnste und gefährlichste Schritt in einem systematischen Projekt, das darauf abzielt, das ökonomische Gewissen Amerikas zum Schweigen zu bringen und die Geldpolitik dem kurzfristigen politischen Willen des Weißen Hauses zu unterwerfen. Was wir hier beobachten, ist nicht weniger als der Versuch, einen über hundert Jahre alten Damm zu brechen, der die Wirtschaft vor den Launen der Politik schützen soll. Die Causa Cook ist damit ein Testfall, dessen Ausgang darüber entscheiden könnte, ob die amerikanische Wirtschaftspolitik künftig noch von langfristiger Vernunft oder von kurzsichtigem Machtkalkül gesteuert wird.
Mehr als nur ein Rauswurf: Der Hebel zur Kontrolle der Geldpolitik
Um die volle Tragweite dieses Angriffs zu verstehen, muss man ihn als das erkennen, was er ist: ein strategischer Schachzug in einem größeren Spiel. Die Entlassung von Lisa Cook, einer von Präsident Biden ernannten und bis 2038 bestätigten Ökonomin, ist kein isolierter Akt der Frustration. Sie ist der entscheidende Mechanismus, mit dem Trump eine Mehrheit im siebenköpfigen Gouverneursrat der Fed erlangen will. Mit vier von ihm ernannten Mitgliedern könnte der Präsident die geldpolitische Linie der Zentralbank direkt diktieren und seinen seit Monaten geäußerten Forderungen nach drastischen Zinssenkungen Nachdruck verleihen.

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Doch die Architektur dieses Machtgriffs ist noch tiefgreifender. Eine loyale Mehrheit im Gouverneursrat würde nicht nur die Zinsentscheidungen in Washington kontrollieren. Sie hätte auch die Befugnis, über die Besetzung der Präsidenten der zwölf regionalen Notenbanken im ganzen Land zu entscheiden, deren Posten allesamt im kommenden Februar zur Neubesetzung anstehen. Diese regionalen Präsidenten sind die Augen und Ohren der Fed in der Realwirtschaft; sie bringen die Perspektiven aus dem ganzen Land in die geldpolitischen Debatten ein. Ihre Unterordnung unter eine politisch motivierte Agenda würde die Fed ihrer föderalen Struktur und ihrer datengestützten Grundlage berauben. Der Angriff auf Cook ist somit der Hebel, um nicht nur den Kopf, sondern den gesamten Organismus der Federal Reserve auf Linie zu bringen und ihn in ein Werkzeug des Präsidenten zu verwandeln.
Ein Gummiparagraf als politisches Brecheisen
Für diesen beispiellosen Vorstoß nutzt die Administration eine juristische Grauzone mit der Präzision eines Einbrechers, der die Schwachstelle in einer alten Tür kennt. Das Gesetz, der Federal Reserve Act, sieht vor, dass ein Mitglied des Gouverneursrats nur „aus wichtigem Grund“ (for cause) vom Präsidenten entlassen werden kann. Diese Klausel war historisch der Schutzwall, der die Notenbanker vor politischer Willkür bewahren sollte, und wurde allgemein als Schutz vor Entlassung wegen politischer Meinungsverschiedenheiten verstanden.
Trump versucht nun, diesen Schutzwall mit einem juristischen Dietrich zu knacken. Er dehnt den Begriff des „wichtigen Grundes“ bis zur Unkenntlichkeit, indem er ihn auf bisher unbewiesene Vorwürfe des Hypothekenbetrugs anwendet, die Cook vor ihrer Amtszeit begangen haben soll. Diese Anschuldigungen wurden von einem loyalen, von Trump eingesetzten Behördenleiter gezielt platziert – ein Muster, das die Instrumentalisierung des Regierungsapparats gegen politische Gegner offenbart. In seinem Entlassungsschreiben ging Trump sogar noch einen Schritt weiter und fügte der gesetzlichen Regelung eine Phrase hinzu, die dort nicht existiert: Er behauptete, die Entlassung liege „in seinem Ermessen“. Damit reklamiert er für sich die alleinige Deutungshoheit darüber, was ein „wichtiger Grund“ ist – und macht die gesetzliche Hürde damit faktisch bedeutungslos.
Dieser juristische Winkelzug stellt den Obersten Gerichtshof vor ein Dilemma. Erst im Mai hatte das mehrheitlich konservative Gremium die Entlassungsbefugnisse des Präsidenten gegenüber Leitern unabhängiger Behörden gestärkt, die Fed aber aufgrund ihrer „einzigartigen Struktur“ und historischen Tradition explizit ausgenommen. Diese Ausnahme wurde jedoch nur vage begründet. Trump testet nun gezielt die Belastbarkeit dieser nebulösen Schutzklausel und zwingt die Richter, Farbe zu bekennen: Ist die Unabhängigkeit der Fed ein unantastbares Verfassungsprinzip oder nur eine historische Konvention, die dem Willen eines entschlossenen Präsidenten weichen muss?
Der Preis der Willkür: Wenn Vertrauen verdampft
Sollte dieser Dammbruch gelingen, wären die wirtschaftlichen Folgen verheerend – ein Dominoeffekt, der weit über die Finanzmärkte hinaus in den Alltag jedes Amerikaners reichen würde. Der kurzfristige Rausch niedrigerer Zinsen, den sich der Präsident erhofft, wäre ein „ökonomischer Zuckerschock“, dem unweigerlich ein brutaler Kater folgen würde.
Das wertvollste Kapital einer Zentralbank ist ihre Glaubwürdigkeit – das Vertrauen der Märkte und der Öffentlichkeit, dass sie die Inflation unter Kontrolle halten wird, auch wenn es politisch unpopulär ist. Wird diese Glaubwürdigkeit geopfert, gerät eine gefährliche Kaskade in Gang. Investoren weltweit würden beginnen, die Fähigkeit der Fed zur Inflationsbekämpfung anzuzweifeln. Sie würden für das Halten von US-Staatsanleihen eine höhere Risikoprämie verlangen, was die langfristigen Zinsen nach oben treiben würde. Das paradoxe Ergebnis wäre, dass die Hypothekenzinsen für Hauskäufer und die Kreditkosten für Unternehmen steigen könnten, selbst wenn die Fed den kurzfristigen Leitzins senkt.
Gleichzeitig würde eine politisch erzwungene Niedrigzinspolitik die Nachfrage in der Wirtschaft künstlich anheizen und die Inflation, die nur mühsam unter Kontrolle gebracht wurde, erneut entfachen. Die Geschichte ist voll von warnenden Beispielen, von der Inflationskrise der 1970er-Jahre in den USA bis hin zu den „verlorenen Jahrzehnten“ in Ländern wie Argentinien, wo die Zentralbanken zu Erfüllungsgehilfen der Politik wurden. Für die Bürger bedeutet dies eine doppelte Belastung: Die Ersparnisse auf ihren Konten würden durch die Inflation schleichend entwertet, während die Kosten für langfristige Kredite stiegen.
Die Büchse der Pandora: Ein Tabubruch mit globalen Folgen
Der vielleicht größte Schaden dieses Vorgehens liegt jedoch in seiner Langzeitwirkung. Ein Präsident hat noch nie versucht, ein Mitglied des Fed-Gouverneursrats zu feuern. Trumps Aktion ist ein Tabubruch, der die Büchse der Pandora öffnet. Wenn es ihm gelingt, einen Präzedenzfall zu schaffen, wird jeder zukünftige Präsident – ob Demokrat oder Republikaner – der Versuchung ausgesetzt sein, die Geldpolitik für kurzfristige Wahlkampfzwecke zu missbrauchen. Die „Trumpifizierung“ der Fed, wie es ein Analyst nannte, würde eine Ära der dauerhaften wirtschaftlichen Instabilität einläuten.
Die Schockwellen würden die Grenzen der USA weit überschreiten. Die Federal Reserve agiert de facto als Zentralbank der Welt; ihre Stabilität ist der Anker des globalen Finanzsystems. Eine politisch kompromittierte Fed würde das Vertrauen in den US-Dollar als Leitwährung untergraben und könnte autoritäre Tendenzen weltweit befeuern, indem sie anderen Staatschefs ein Beispiel dafür liefert, wie man sich unliebsame wirtschaftliche Kontrolleure vom Hals schafft. Die Warnung der Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, dass politische Einmischung in die Geldpolitik zu „Dysfunktion“ und „Instabilität, wenn nicht Schlimmerem“ führt, hallt hier bedrohlich nach.
Was in diesen Tagen in Washington auf dem Spiel steht, ist daher mehr als nur das Schicksal von Lisa Cook oder die Höhe des nächsten Leitzinses. Es ist die Frage, ob Institutionen, die als langfristige Stabilitätsanker konzipiert wurden, dem Druck eines kurzatmigen politischen Willens standhalten können. Die Federal Reserve wurde einst geschaffen, um die „Erwachsene im Raum“ zu sein, die notfalls auch unpopuläre Entscheidungen zum Wohle der langfristigen Gesundheit der Wirtschaft trifft. Der Versuch, diese Instanz zu entmachten, ist ein Spiel mit dem Feuer. Und wenn das Vertrauen, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde, erst einmal verbrannt ist, wird es Generationen dauern, es wiederherzustellen – wenn überhaupt. Man merkt oft erst, was man hatte, wenn es verschwunden ist.