Operation Ablenkung: Wie Trumps Krieg gegen Obama die amerikanische Demokratie an ihre Grenzen treibt

Illustration: KI-generiert

In der politischen Arena, die Donald Trump als sein persönliches Kolosseum begreift, gibt es eine eiserne Regel: Wenn du in der Defensive bist, eröffne eine neue, noch lautere Front. Selten war dieses Prinzip so greifbar wie in diesen Tagen. Während die Schatten der Epstein-Affäre immer länger werden und selbst seine treuesten Anhänger unangenehme Fragen stellen, zündet der amtierende US-Präsident ein politisches Störfeuer von historischer Dimension. Es ist ein verzweifelt anmutender, aber kühl kalkulierter Feldzug, der nicht nur auf die Rettung der eigenen Haut abzielt, sondern die Grundfesten des politischen Anstands und die ungeschriebenen Gesetze der amerikanischen Machtarchitektur erschüttert. Seine Waffe ist eine Flut von Desinformation auf Truth Social; sein primäres Ziel ist sein Vorgänger Barack Obama. Trumps Strategie ist mehr als nur ein Ablenkungsmanöver. Es ist der Versuch, die Realität neu zu verhandeln und die Justiz in ein Instrument persönlicher Rache zu verwandeln – ein Vorgehen, das den Riss, der durch die amerikanische Gesellschaft geht, weiter vertieft.

Die digitale Hetzjagd als Schutzschild

Es ist ein bizarrer und doch präzise choreografierter Sturm, den Trump in den sozialen Medien entfesselt. Anstatt sich den Fragen zu seiner einstigen Nähe zum verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein zu stellen, flutet er seine Kanäle mit einer Lawine aus Selbstlob, wirren Videos und vor allem: mit Angriffen auf seine politischen Gegner. Das Herzstück dieser Kampagne ist die Dämonisierung Barack Obamas. So fluten Bilder die Timelines, die eine alternative Realität formen: Barack Obama, in Handschellen im Oval Office von FBI-Agenten zu Boden gedrückt, während Trump lächelnd zusieht. Dazu dröhnt der Wahlkampfsong „YMCA“, und der Slogan „Niemand steht über dem Gesetz“ wird eingeblendet – eine zynische Umkehrung jenes Satzes, den Demokraten einst auf Trump selbst anwandten.

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Diese inszenierten Rachefantasien sind keine spontanen Ausbrüche, sondern Teil einer systematischen Taktik. Trump teilt gefälschte Fahndungsfotos von Spitzenpolitikern der Obama-Ära in orangefarbener Gefängniskleidung und fordert offen die Inhaftierung des demokratischen Senators Adam Schiff. Er wirft ihm vor, sich durch Betrug Hypotheken erschlichen zu haben – ein Vorwurfsmuster, das er bereits gegen die New Yorker Justizministerin Letitia James anwandte, nachdem diese ihn vor Gericht gebracht hatte. Die Botschaft ist klar und wird unablässig wiederholt: Die wahren Kriminellen sind nicht Figuren wie Epstein oder womöglich seine Komplizen, sondern die demokratischen Eliten. Es ist der Versuch, die Vorstellung von Verhaftungen politischer Gegner ohne jeden Beweis zu normalisieren, eine Strategie, die umso dringlicher erscheint, je lauter die Forderungen nach der Veröffentlichung der Epstein-Protokolle werden – auch aus Trumps eigenem Lager.

Der Trugschluss der offiziellen Wahrheit

Um dieser aggressiven Umdeutung der Realität einen Anschein von Legitimität zu verleihen, greift die Trump-Administration auf ein bewährtes Mittel zurück: die Konstruktion einer offiziellen Verschwörungserzählung. Als zentrales Instrument dient dabei ein Bericht der von Trump eingesetzten Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard. Gabbard behauptet, eine „verräterische Verschwörung“ in der Obama-Regierung aufgedeckt zu haben, die darauf abzielte, Trumps Wahlsieg 2016 zu untergraben. Dies ist der narrative Treibstoff für Trumps Behauptung, die Ermittlungen zur russischen Wahlbeeinflussung seien nichts weiter als ein von seinen Gegnern inszenierter „Russia Hoax“.

Doch dieser Treibstoff verdampft bei näherer Betrachtung. Die Quellen zeichnen ein einhelliges Bild: Gabbards angebliche Enthüllungen sind entweder übertrieben, längst widerlegt oder schlicht unbelegt. Selbst ein von den Republikanern geführter Senatsausschuss kam zu dem Schluss, dass Russland zwar versuchte, den Wahlkampf zu beeinflussen, das Wahlergebnis jedoch nicht fälschte. Demokraten bezeichnen Gabbards Vorstoß als politisch motivierten Versuch, die Fakten zu verdrehen. Es offenbart sich ein Muster, bei dem hochrangige Regierungsvertreter schwerwiegende Anschuldigungen erheben, für die sie in den offiziellen Dokumenten jedoch keine Beweise vorlegen können. Die Wahrheit scheint dabei zweitrangig. Das eigentliche Ziel ist es, genug Zweifel und Verwirrung zu säen, um die ursprüngliche Kontroverse – Trumps Rolle in der Epstein-Affäre – in einem Nebel aus Gegenbeschuldigungen verschwinden zu lassen.

Der Pakt der Präsidenten ist gebrochen

Was sich hier abspielt, ist mehr als nur der übliche politische Schlagabtausch. Es ist ein Bruch mit einer der beständigsten Traditionen der amerikanischen Politik. Historiker beschreiben den Konflikt als „beispiellos“ und „abnormal“. Normalerweise fühlen sich ehemalige Präsidenten einem exklusiven, überparteilichen Club zugehörig, einer Art Bruderschaft, die durch die einzigartige Erfahrung des Amtes geschmiedet wird. Dieser ungeschriebene Pakt des gegenseitigen Respekts wird von Trump gezielt pulverisiert. Frühere Auseinandersetzungen, wie Bill Clintons Kritik an George W. Bush im Jahr 2004, waren sachpolitische Angriffe innerhalb etablierter Rituale. Trumps Attacken sind dagegen persönlich, unerbittlich und darauf ausgerichtet, die Legitimität seiner Vorgänger fundamental infrage zu stellen.

Die angegriffenen Ex-Präsidenten ringen sichtlich um eine angemessene Reaktion. Sie sind gefangen zwischen der Tradition des Schweigens und der wahrgenommenen Notwendigkeit, einer als existenziell empfundenen Bedrohung entgegenzutreten. Barack Obama warnt mit sorgfältig gewählten Worten vor einer Regierung mit einer „schwachen Bindung an die Demokratie“ und mahnt, dass man sich „gefährlich nahe“ daran bewege, autokratisches Verhalten zu normalisieren. Bill Clinton äußert seine Sorge über Trumps Bereitschaft, richterliche Urteile zu ignorieren. Selbst George W. Bush, der sich sonst zurückhält, während Trump die von ihm und seinem Vater geprägte Republikanische Partei demontiert, setzt subtile Zeichen des Widerstands, etwa durch öffentliche Unterstützung für Programme, die Trump kürzen will. Sie versuchen, die Flammen nicht weiter anzuheizen, sehen sich aber gezwungen, die Werte zu verteiden, die sie durch Trumps Handeln untergraben sehen.

Letztlich offenbart Trumps Strategie eine tiefere Wahrheit über seinen Politikstil, die über die reine Ablenkung hinausgeht. Er braucht Feindbilder, um seine Basis zu mobilisieren. Sein politisches Geschäftsmodell basiert auf der Erzeugung permanenter Spannung und dem Drama des ständigen Kampfes. Er definiert sich als der „ultimative Außenseiter“, der gegen ein korruptes Establishment kämpft, und seine Vorgänger dienen dabei als perfekte Personifikation dieses Establishments. In einem Moment der Bedrängnis, unter dem Druck der Epstein-Enthüllungen, greift er auf das zurück, was ihn ausmacht. Vielleicht ist das dubiose Zitat, das er sich selbst zuschrieb, ohne dass es eine Quelle dafür gibt, der Schlüssel zum Verständnis seines Handelns: „Gewinnen ist wichtig, aber Überleben ist sogar noch wichtiger“. Dieser Überlebenskampf wird nun auf dem Rücken der demokratischen Institutionen ausgetragen. Die Frage, die am Ende bleibt, ist nicht nur, ob Trumps Manöver erfolgreich sein wird, sondern welchen Preis die amerikanische Demokratie für diesen Kampf zahlt.

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