Mehr als nur Obamacare: Trumps Shutdown und die Selbstblockade der Republikaner

Illustration: KI-generiert

Washington steuert auf die vierte Woche des „Government Shutdowns“ zu, doch dies ist kein gewöhnlicher Stillstand. Die Bilder von geschlossenen Nationalparks und verzweifelten Bundesangestellten ähneln vergangenen Haushaltskrisen, aber die aktuelle Realität markiert einen paradigmatischen Wandel. Es ist ein Stillstand, der sich von den Blockaden der Ära Obama oder der ersten Amtszeit von Donald Trump fundamental unterscheidet. Während sich die Republikaner im Kongress in einem ideologischen Bürgerkrieg über die Zukunft von „Obamacare“ selbst lähmen, nutzt Präsident Trump das legislative Vakuum für einen präzedenzlosen, aktiven Umbau des Staates.

Dieser Shutdown ist keine Verhandlungstaktik mehr; er ist ein zweigleisiger Angriff auf die amerikanische Verwaltungsstruktur. Die eine Front ist sichtbar: ein politisches Tauziehen um Gesundheitssubventionen. Die andere Front ist verdeckt, aber ungleich wirkmächtiger: die administrative Filetierung der Bundesbehörden durch die Exekutive. Die Lähmung der Legislative dient dabei als perfekter Deckmantel für die Erosion der Exekutive.

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Das Gespenst der Gesundheitsreform

An der sichtbaren Front hat sich die strategische Dynamik verkehrt. Die Demokraten, lange in der Defensive, haben die Verlängerung der auslaufenden Subventionen für das Affordable Care Act (ACA) zur Bedingung für die Finanzierung der Regierung gemacht. Sie nutzen damit eine Taktik, die einst die Republikaner perfektionierten: die Verknüpfung des Haushalts mit einem politisch unumgänglichen Sachthema. Damit zwingen sie die Republikaner, Farbe zu bekennen, und legen den zentralen Webfehler der Partei offen: ihre totale Zerstrittenheit in der Gesundheitspolitik. Die Republikanische Partei ist auch im Jahr 2025 intellektuell nicht in der Lage, ihre Dekaden alte Forderung nach „Repeal and Replace“ (Abschaffen und Ersetzen) von Obamacare mit Leben zu füllen. Es gibt keinen Plan für das „Ersetzen“. Das Ergebnis ist eine völlige Paralyse.

Auf der einen Seite stehen Hardliner wie Senator Mike Lee, die weiterhin die vollständige Abschaffung des Gesetzes fordern und jede Verlängerung von Subventionen als Verrat an der Basis betrachten. Auf der anderen Seite stehen mindestens vierzehn moderate Republikaner im Repräsentantenhaus, viele aus umkämpften „Swing Districts“, die verzweifelt versuchen, genau diese Subventionen zu verlängern. Sie wissen, was die Parteiführung in Washington ignoriert: Die Mehrheit der Bürger, die von der Verdopplung ihrer Versicherungsprämien bedroht wären, lebt in republikanisch regierten Staaten und Kongressbezirken.

Die Parteiführung um Sprecher Mike Johnson versucht, die Debatte abzuwürgen, indem sie das Thema als „nicht gesundheitspolitisch“ oder als reinen „Bailout“ für Versicherungen diffamiert. Doch diese Rhetorik verfängt nicht einmal mehr in den eigenen Reihen. Die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, sonst eine stramme Trump-Loyalistin, zeigte sich öffentlich „angewidert“ über das Versagen der Führung, einen Plan vorzulegen. Präsident Trump selbst, der die Partei 2023 noch zum Durchhalten beim „Repeal“ aufrief, schweigt sich zur Sache aus oder verliert sich in Andeutungen über „Konzepte“. Diese ideologische Spaltung zwischen Hardlinern, Pragmatikern und einer führungslosen Mitte ist der Nährboden, auf dem die zweite, verdeckte Front dieses Shutdowns gedeiht.

Ein Präsident im Normalbetrieb

Während der längsten Regierungsstilllegung 2018/19 inszenierte sich Donald Trump noch als Gefangener im Weißen Haus, twitterte „all alone (poor me)“ und sagte internationale Reisen wie das Forum in Davos demonstrativ ab. Dieses Verhalten suggerierte zumindest ein Bewusstsein für die Schwere der Krise. Im Oktober 2025 ist davon nichts geblieben. Der Präsident agiert, als wäre der Staat voll funktionsfähig. Er reist zu Golf-Wochenenden nach Mar-a-Lago, hält hochkarätige Fundraiser ab, empfängt den ukrainischen Präsidenten Selenskyj und plant seine kommende Asienreise.

Dieses Verhalten ist keine Nachlässigkeit; es ist eine strategische Demonstration der Indifferenz. Trump signalisiert, dass sein Regierungsapparat – der Teil, der ihm wichtig ist – funktioniert und der Rest der Verwaltung schlicht irrelevant ist. Diese zur Schau gestellte Normalität ist die Voraussetzung für einen administrativen Umbau, der unter normalen Umständen auf massiven legislativen und öffentlichen Widerstand stoßen würde. Der Shutdown ist nicht mehr das Problem; er ist die Lösung.

Das Ministerium, das verschwinden soll

Nirgendwo wird dies deutlicher als im Bildungsministerium. Die Regierung hat den Shutdown genutzt, um über 460 weitere Mitarbeiter zu entlassen, nachdem die Belegschaft bereits im März halbiert worden war. Diese Entlassungen sind keine temporären Beurlaubungen (Furloughs), sondern permanente Kündigungen. Bildungsministerin Linda McMahon argumentiert offen, dieser Vorgang beweise nur die These des Präsidenten: Das Ministerium sei „unnötig“, und die Schulen funktionierten ja weiter. Dies ist eine zynische Verdrehung der Tatsachen. Während die lokale Schulverwaltung tatsächlich weiterläuft, werden die Kernaufgaben des Bundesministeriums gezielt eliminiert.

Die Entlassungswelle hat das Büro für Bürgerrechte (Office for Civil Rights, OCR) und das Büro für Sonderpädagogik (Office of Special Education, OSERS) faktisch ausgelöscht. Damit endet die Durchsetzung des „Individuals With Disabilities Education Act“ (IDEA), des Bundesgesetzes, das Kindern mit Behinderungen eine angemessene Schulbildung garantiert. Ebenso enden die Ermittlungen zu Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht oder Herkunft an Schulen und Universitäten. Familien, die sich über nicht gewechselte Windeln bei autistischen Kindern oder mangelnde Unterstützung für diabetische Schüler beschweren, reichen ihre Klagen ins Leere. Das Gesetz existiert auf dem Papier, aber die Exekutive, die es durchsetzen müsste, wurde abgeschafft. Der von konservativen Vordenkern (Projekt 2025) vorgeschlagene Plan, diese Aufgaben einfach an das Justiz- oder Gesundheitsministerium zu verschieben, ist eine administrative Fiktion. Eine solche Kompetenzverschiebung erfordert eine explizite Gesetzesänderung durch den Kongress – eine Hürde, die die Trump-Regierung nun durch die Schaffung vollendeter Tatsachen umgeht. Sie erzwingt eine De-facto-Abschaffung per Verwaltungsakt. Dies sind keine temporären Shutdown-Folgen; dies sind dauerhafte strukturelle Veränderungen, die den Kern des föderalen Rechtsschutzes aushöhlen.

Die zweifelhafte Macht des Scheckbuchs

Parallel zur administrativen Zerstörung läuft die selektive Alimentierung. Während Hunderttausende Bundesangestellte auf ihre Gehälter warten, hat Trump unilateral entschieden, wen er bezahlen will. Mithilfe einer kreativen, aber rechtlich höchst fragwürdigen Umschichtung von acht Milliarden Dollar aus ungenutzten Forschungstöpfen des Pentagon werden die Gehälter des aktiven Militärs weitergezahlt. Ebenso werden Strafverfolgungsbehörden wie die Grenzschutztruppe (CBP) und die Einwanderungspolizei (ICE) priorisiert und finanziert. Experten für Haushaltsrecht sehen darin einen klaren Verstoß gegen den „Antideficiency Act“. Dieses Gesetz verbietet der Exekutive, Geld ohne explizite Bewilligung des Kongresses auszugeben oder zwischen Töpfen zu verschieben. Die Verfassung gibt allein dem Kongress die „Macht des Scheckbuchs“ (Power of the Purse). Trumps Argumentation, er handele als „Commander in Chief“, ist irrelevant, da dieser Titel militärische Befehlsgewalt, aber keine haushaltspolitische Autorität verleiht.

Die politische Kalkulation dahinter ist brillant: Kein Politiker der Demokraten wird es wagen, den Präsidenten dafür zu verklagen, dass er die Truppen bezahlt. Das Ergebnis ist ein gefährlicher Zielkonflikt und die Schaffung eines Zwei-Klassen-Staates. „Essentielle“ Dienste, definiert als Militär und Innere Sicherheit, werden durch verfassungsrechtlich zweifelhafte Verschiebungen am Leben erhalten. „Nicht-essentielle“ Dienste – was in der Lesart der Regierung Forschung, Bürgerrechte, öffentliche Gesundheit und Wirtschaftsaufsicht bedeutet – werden bewusst stillgelegt und ausgetrocknet.

Wenn das Nervensystem der Wirtschaft erblindet

Die ökonomischen Folgen dieses kalkulierten Kollapses sind verheerend und, anders als bei früheren Shutdowns, wahrscheinlich irreversibel. Die Schätzungen, wonach der Stillstand die US-Wirtschaft wöchentlich zwischen 7,6 und 15,2 Milliarden Dollar kostet – 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte des Jahreswachstums –, greifen zu kurz. Der Nettoeffekt früherer Shutdowns war oft nahe null, da die Gehälter der Bundesangestellten nachträglich gezahlt wurden. Diesmal gibt es zwei gravierende Unterschiede: Erstens werden private Vertragsnehmer, etwa in der Visaverarbeitung, nicht nachträglich bezahlt; ihr Verlust ist permanent. Zweitens droht die Trump-Regierung offen damit, das Gesetz von 2019 zu ignorieren und die Gehälter der beurlaubten Angestellten nicht nachzuzahlen.

Viel gravierender als der direkte finanzielle Verlust ist jedoch die induzierte Blindheit der Wirtschaft. Die statistischen Bundesämter sind geschlossen. Das bedeutet: Die Federal Reserve, die über die Zinspolitik in einer fragilen Wirtschaftslage entscheiden muss, erhält keine Inflations- oder Arbeitsmarktdaten mehr. Landwirte erhalten nicht die essenziellen USDA-Berichte über Ernteprognosen und globale Nachfrage, die sie für ihre Verkaufs- und Anbauentscheidungen benötigen. Die von der Zensus-Mitarbeiterin Janet Lowry beschriebene Einstellung der „Survey of Construction“ – einer Datenerhebung über Neubauten – stoppt einen wichtigen Indikator für die gesamte Bau- und Zulieferindustrie. Das Nervensystem der Marktwirtschaft wird gekappt.

Stillstand im Maschinenraum des Kapitals

Gleichzeitig friert der Shutdown den Kapitalfluss für kleine und mittlere Unternehmen ein. Die Small Business Administration (SBA) und die Kreditprogramme des Landwirtschaftsministeriums (USDA) sind geschlossen. Für viele Betriebe ist der Oktober ein kritischer Monat für Kredite, um Steuernachzahlungen zu leisten oder das Inventar für das Weihnachtsgeschäft und die kommende Pflanzsaison aufzustocken. Diese Unternehmen müssen nun auf teure private Kredite oder Kreditkarten ausweichen – oder ihre Investitionen stoppen. Hinzu kommt der Stau bei der Visaverarbeitung. Firmen wie HeiTech Services, die Visaanträge bearbeiten, mussten Mitarbeiter entlassen. Die Folge: Landwirte, Fischverarbeiter und Technologieunternehmen warten vergeblich auf ausländische Fachkräfte, die sie für den Betrieb benötigen.

Die Erosion der öffentlichen Daseinsvorsorge

Während die ökonomischen Schäden langsam akkumulieren, rasen mehrere soziale und gesundheitspolitische Klippen auf das Land zu. Diese „Kipppunkte“ könnten den politischen Druck exponentiell erhöhen. Der erste Kipppunkt ist der 1. November: An diesem Tag gehen die Mittel für SNAP, das Lebensmittelhilfeprogramm für 42 Millionen Amerikaner, und WIC (Hilfen für Mütter und Kleinkinder) zur Neige. Dies löst bereits einen Kommunikationskrieg aus. Demokratische Gouverneure in Pennsylvania, Illinois und Kalifornien nutzen ihre offiziellen Regierungswebsites, um die „Republikaner in Washington“ für die drohenden Ausfälle verantwortlich zu machen. Die Republikaner im Kongress werfen ihnen die parteipolitische Instrumentalisierung von Staatswebseiten vor – eine bemerkenswerte Anklage angesichts der Rhetorik des Weißen Hauses.

Weitere Kipppunkte bauen sich parallel auf. Der ebenfalls am 1. November beginnende Einschreibungszeitraum für das ACA wird zur politischen Zeitbombe, sollten Millionen Menschen dann mit verdoppelten Prämien konfrontiert werden – ein Desaster gerade für Republikaner in Swing Districts. Gleichzeitig wird die öffentliche Gesundheit aktiv demontiert: In einer fast schon tragischen Ironie findet diese Woche die „IDWeek“, die wichtigste Konferenz für Infektionskrankheiten, in Atlanta statt, doch den Experten der dort ansässigen CDC wird die Teilnahme wegen des Shutdowns verwehrt. In einer Zeit zunehmender Masern- und Keuchhustenfälle wird der wissenschaftliche Austausch zur Seuchenprävention unterbunden. Als vierter Kipppunkt könnte sich, wie schon 2019, der Flugverkehr erweisen: Die Fluglotsen, die bisher ohne Bezahlung arbeiten, erwarten ihren ersten voll verpassten Gehaltsscheck am 28. Oktober, was koordinierte Krankmeldungen auslösen könnte.

Ein Staat, der sich selbst abschafft

Dieser Shutdown ist ein Wendepunkt. Er ist kein Ringen um einen Kompromiss mehr; er ist die gewaltsame Durchsetzung einer Ideologie. Die legislative Blockade, befeuert durch die ungelöste Identitätskrise der Republikaner in der Gesundheitspolitik, hat der Exekutive einen Freibrief erteilt, den Staat nach eigenem Gutdünken zu modellieren. Das Ergebnis ist ein kalkulierter Kollaps. Die Regierung definiert „Staat“ neu: Innere und Äußere Sicherheit werden, notfalls unter Missachtung der Verfassung, finanziert. Gesellschaftspolitische Schutzfunktionen – Bürgerrechte, Behindertenrechte, Bildung, öffentliche Gesundheit und wissenschaftliche Datenerhebung – werden als überflüssiger Ballast identifiziert und durch administrative Austrocknung eliminiert. Die entscheidende Frage ist nicht mehr, ob ein Kompromiss gefunden wird. Die Frage ist, was zuerst bricht: die ideologische Versteinerung der Republikaner im Kongress oder die soziale und ökonomische Realität für Millionen Amerikaner. Das Weiße Haus unter Donald Trump scheint gewillt, diesen Test bis zum Äußersten auszutragen, denn der Kollaps des Systems ist kein Kollateralschaden mehr – er ist das Ziel.

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