
Die Karibik ist nicht länger nur ein Urlaubsparadies, sondern die Bühne einer geopolitischen Eskalation, die ihresgleichen sucht. Mit Flugzeugträgern, juristischen Winkelzügen und tödlichen Befehlen testet die US-Regierung unter Donald Trump, wie weit sich der Begriff der Selbstverteidigung dehnen lässt. Was als Kampf gegen Drogen verkauft wird, trägt die Züge eines verdeckten Regimewechsels – mit Risiken, die weit über Venezuela hinausreichen.
Es begann nicht mit einem diplomatischen Kommuniqué oder einer formellen Erklärung vor dem Kongress, sondern mit einem Post auf Truth Social. An einem Samstagmorgen Ende November erklärte US-Präsident Donald Trump den Luftraum über Venezuela faktisch für geschlossen. An alle Fluggesellschaften, Piloten, Drogendealer und Menschenhändler, lautete die Warnung, das Gebiet sei in seiner Gesamtheit gesperrt zu betrachten. Es war ein Satz, der das Völkerrecht herausforderte, denn ein US-Präsident besitzt keinerlei formale Autorität über den souveränen Luftraum einer fremden Nation. Doch in der realpolitischen Machtarchitektur des Jahres 2025 wiegt die Präsenz der USS Gerald R. Ford, des größten Flugzeugträgers der Welt, und seiner Begleitflotte in der Karibik schwerer als juristische Konventionen.
Diese maritime Aufrüstung ist mehr als bloße Symbolik. Sie ist das sichtbare Skelett einer Strategie, die Washingtons Falken seit Monaten vorantreiben. Offiziell handelt es sich um eine ausgeweitete Kampagne gegen Drogenkartelle. Doch die Realität auf dem Wasser erzählt eine andere, blutigere Geschichte. Seit September führen US-Spezialeinheiten tödliche Schläge gegen kleine Boote in der Region durch, bei denen bereits mehr als 80 Menschen ihr Leben verloren haben. Was sich hier abspielt, ist die Konstruktion eines Krieges durch die Hintertür – ein Konflikt, der juristisch so zurechtgebogen wird, dass er die Fesseln des Kongresses und des internationalen Rechts abstreift.

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Die juristische Alchemie des Narkoterrorismus
Um zu verstehen, wie aus einer Polizeiaktion gegen Schmuggler eine militärische Offensive werden konnte, muss man in die Maschinenräume der Washingtoner Bürokratie blicken. Der Schlüssel liegt in einer Neudefinition des Gegners. Die Administration hat das sogenannte Cartel de los Soles – ein diffuses Netzwerk, das angeblich von Nicolás Maduro und seiner Führungsriege gesteuert wird – als ausländische Terrororganisation eingestuft.
Experten und Analysten weisen darauf hin, dass es sich bei diesem Kartell der Sonnen keineswegs um eine hierarchische Organisation im klassischen Sinne handelt, sondern eher um eine Chiffre für korrupte Strukturen innerhalb des venezolanischen Militärs. Doch die Feinheiten der Realität stören die strategische Absicht nicht. Durch das Terror-Label wird ein entscheidender Hebel umgelegt: Es erlaubt dem Pentagon, militärische Gewalt anzuwenden, die im reinen Kampf gegen Drogenhandel rechtlich kaum haltbar wäre.
Die Argumentation, die das Justizministerium in geheimen Memos ausgearbeitet hat, ist waghalsig. Sie postuliert, dass sich die Vereinigten Staaten in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt mit diesen designierten terroristischen Organisationen befinden. Diese juristische Konstruktion dient als Schutzschild. Sie soll die beteiligten Soldaten vor strafrechtlicher Verfolgung bewahren, indem sie Tötungen, die im zivilen Kontext als Mord gelten würden, zu legitimen Kriegshandlungen umdeutet. Es ist der Versuch, das Kriegsrecht auf Kriminalität anzuwenden – eine Grauzone, in der die Grenzen zwischen Justiz und Militärschlag vollends verschwimmen.
Der Befehl: Keine Überlebenden
Wie weit diese Entgrenzung bereits fortgeschritten ist, zeigt ein Vorfall vom 2. September, der das moralische Fundament der US-Streitkräfte erschüttern könnte. Berichten zufolge gab Verteidigungsminister Pete Hegseth persönlich einen verbalen Befehl für einen Angriff auf ein verdächtiges Boot vor der Küste Trinidads: Tötet alle.
Die Ausführung dieses Befehls durch das Elitekommando SEAL Team 6 liest sich wie ein düsteres Kapitel aus einem Agententhriller, nur ohne die fiktionale Distanz. Nachdem eine Rakete das Zielschiff in Brand gesetzt hatte, beobachteten Kommandeure über einen Live-Drohnen-Feed, wie zwei Überlebende sich an das brennende Wrack klammerten. Anstatt eine Rettungsmission einzuleiten – wie es das Seerecht und die militärischen Einsatzregeln traditionell vorsehen – ordnete der befehlshabende Admiral, um Hegseths Anweisung Folge zu leisten, einen zweiten Schlag an. Die Überlebenden wurden im Wasser getötet.
Rechtsexperten und ehemalige Militärjuristen finden für dieses Vorgehen drastische Worte. Da kein offener Krieg zwischen den USA und Venezuela existiert, kommen solche Tötungen für Kritiker einem Mord gleich. Selbst unter der Annahme eines bewaffneten Konflikts wäre der Befehl, keine Gefangenen zu machen, ein Kriegsverbrechen. Die Administration verteidigt sich mit der Behauptung, die Zweitschläge hätten lediglich dazu gedient, Navigationshindernisse zu beseitigen – eine Erklärung, die im Kongress auf Unglauben und Empörung stößt.
Das Phantom der Bedrohung und das Schweigen der Warner
Die aggressive Militarisierung stützt sich auf ein Narrativ, das bei genauerer Betrachtung Risse aufweist. Trump und seine Hardliner, allen voran Außenminister Marco Rubio, zeichnen das Bild eines Venezuela, das die USA mit Drogen flutet und kriminelle Banden wie Tren de Aragua steuert. Rubio, dessen politisches Lebensthema der Kampf gegen die linken Regime Lateinamerikas ist, treibt diese Agenda energisch voran, wenngleich Insider berichten, dass die härtesten Impulse direkt vom Präsidenten ausgehen.
Doch die eigene Intelligence-Community widerspricht leise, aber deutlich. US-Behörden wissen, dass das tödliche Fentanyl, die Hauptursache der Drogenkrise in den USA, fast ausschließlich in Mexiko produziert wird, nicht in Venezuela. Auch der Kokainstrom, der durch Venezuela fließt, landet größtenteils in Europa, nicht in amerikanischen Städten. Zudem haben Geheimdienste festgestellt, dass Maduro die Gang Tren de Aragua gar nicht kontrolliert.
Es drängen sich unheimliche Parallelen zur Vorgeschichte des Irak-Krieges 2003 auf. Damals wie heute werden zweifelhafte geheimdienstliche Erkenntnisse aufgebauscht, um eine militärische Intervention zu rechtfertigen. Ehemalige Diplomaten warnen davor, dass man sich auf Informationen verlässt, die eher politischem Wunschdenken als der Realität entsprechen. Doch die Stimmen der Vernunft werden systematisch zum Schweigen gebracht. Im Nationalen Sicherheitsrat und in den Ministerien wurden jene Juristen und Beamten, die Bedenken gegen die Legalität der Tötungskommandos äußerten, entlassen oder versetzt. Das System wurde gesäubert, um den Weg für die Hardliner freizumachen.
Ein Land im Würgegriff der Angst
Für die Menschen in Venezuela sind diese geopolitischen Spiele eine existenzielle Bedrohung. Die Warnung der US-Luftfahrtbehörde FAA vor einer sich verschlechternden Sicherheitslage hat dazu geführt, dass internationale Fluggesellschaften ihre Verbindungen kappen. Das Land gerät in eine Isolation, die an eine Belagerung erinnert. Die Ungewissheit lähmt den Alltag; die Bevölkerung schwankt zwischen der Hoffnung auf ein Ende des Maduro-Regimes und der panischen Angst vor US-Raketen.
Maduro reagiert mit der Mobilisierung von Truppen und Milizen, beschwört den Widerstand gegen den imperialistischen Aggressor. Doch hinter den Kulissen scheint die Nervosität groß zu sein. Während öffentlich Durchhalteparolen ausgegeben werden, laufen im Hintergrund offenbar hektische diplomatische Bemühungen. Die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan könnte hierbei eine Schlüsselrolle als Notausgang spielen. Ankara, das enge wirtschaftliche Beziehungen zu Caracas pflegt und Goldreserven verwaltet, könnte Maduro ein Exil mit Sicherheitsgarantien bieten – eine Lösung, die Trump als Sieg verkaufen könnte, ohne einen blutigen Bodenkrieg riskieren zu müssen.
CIA und die Schattenkrieger
Neben dem offenen Säbelrasseln des Militärs spielt die CIA eine zentrale, wenn auch verdeckte Rolle. Präsident Trump hat den Geheimdienst ermächtigt, mit tödlicher Gewalt gegen die Kartellstrukturen vorzugehen. Ursprünglich wollten Berater wie Stephen Miller die CIA sogar die Führung übernehmen lassen, doch interne juristische Bedenken bremsten dies zunächst. Nun liefert der Dienst die Zielaufklärung für die Schläge des Militärs.
Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Aufklärung und Exekution auf gefährliche Weise. Wenn Geheimdienstanalysten entscheiden, wer ein legitimes Ziel ist, und das Militär ohne eigene Verifizierung feuert, entsteht ein Kill Chain, der extrem fehleranfällig ist. Kritiker innerhalb der CIA fürchten eine Wiederholung der Skandale um Verschleppungen und Folter nach dem 11. September und fragen intern nach der Legalität solcher Tötungen. Die Antwort der Administration scheint ein pragmatisches, wenn auch rechtlich fragwürdiges Ja zu sein.
Das Risiko der totalen Eskalation
Die Strategie Washingtons gleicht einem Spiel mit dem Feuer in einem Raum voller Benzinkanister. Die Angriffe auf niederrangige Ziele – kleine Boote, Fahrer, Mechaniker – schwächen die Kartelle kaum substanziell, bergen aber das Risiko, unschuldige Zivilisten oder Fischer zu treffen, wie kolumbianische Quellen bereits behaupten. Regionale Partner wie Kolumbien reagieren alarmiert auf die Militarisierung ihrer Nachbarschaft und warnen vor einer Blockade, die sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachten.
Gleichzeitig suchen traditionelle Verbündete Venezuelas wie Russland und Iran den Schulterschluss, liefern Waffen oder senden solidarische Botschaften, auch wenn Experten bezweifeln, dass sie Maduro im Ernstfall militärisch retten würden. Doch die bloße Anwesenheit russischer Militärberater oder iranischer Technik erhöht das Risiko einer Fehlkalkulation, die aus einer Strafexpedition einen internationalen Konflikt machen könnte.
Ob die USA tatsächlich eine Invasion planen oder ob die Maßnahmen nur eine extrem aggressive Form der Nötigung sind, um Maduro ins türkische Exil zu treiben, bleibt offen. Trump selbst spricht nebulös davon, dass man es auf die leichte oder die harte Tour lösen könne. Doch indem er Maduro zum Terroristenführer erklärt und ein 50-Millionen-Dollar-Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hat, sind die diplomatischen Rückzugswege fast vollständig verbaut.
Die Welt sieht zu, wie in der Karibik ein Präzedenzfall geschaffen wird. Wenn der Kampf gegen Kriminalität nahtlos in Kriegshandlungen übergeht, ohne dass der Kongress gefragt oder das Völkerrecht respektiert wird, dann hat Washington nicht nur die Regeln für Venezuela geändert. Es hat die Büchse der Pandora geöffnet, deren Inhalt weit tödlicher sein könnte als jede Drogenlieferung.


