Kiews Pakt mit Washington: Wiederaufbau als Währung im Rohstoff-Poker

Nach monatelangem diplomatischem Tauziehen, öffentlichen Eklats und zähem Ringen hinter den Kulissen haben die USA und die Ukraine ein Wirtschaftsabkommen unterzeichnet. Es verspricht Mittel für den Wiederaufbau des kriegsgebeutelten Landes, gewährt Washington aber zugleich privilegierten Zugriff auf ukrainische Bodenschätze. Der Deal, eingefädelt unter einer US-Regierung, die den Krieg schnell beenden will und internationale Beziehungen oft durch eine transaktionale Linse betrachtet, ist mehr als nur ein Vertrag – er ist ein komplexes Geflecht aus wirtschaftlichen Hoffnungen, geopolitischen Kalkülen und unausgesprochenen Machtverhältnissen.

Der Weg zu diesem Abkommen war alles andere als geradlinig. Er war gepflastert mit hochfliegenden Erwartungen, tiefen Zerwürfnissen und dem sichtbaren Ringen zweier ungleicher Partner. Was Ende Februar als symbolischer Akt der Geschlossenheit bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Washington geplant war, mündete stattdessen in einem diplomatischen Desaster. Vor laufenden Kameras wurde Selenskyj im Oval Office von US-Präsident Donald Trump und dessen Vize JD Vance mit Vorwürfen der Undankbarkeit konfrontiert – ein beispielloser Affront, der die Verletzlichkeit Kiews und die unberechenbare Natur der transatlantischen Beziehungen unter dieser US-Führung offenbarte. Die kurzzeitige Aussetzung von US-Hilfen und Geheimdienstinformationen diente als brutaler Hebel, um die ukrainische Seite auf Linie zu bringen.

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Vom Diktat zum Kompromiss: Die Anatomie der Verhandlungen

Die Kluft zwischen den ursprünglichen Forderungen Washingtons und dem nun erzielten Kompromiss ist beträchtlich und beleuchtet die Dynamik der Verhandlungen. Anfängliche Entwürfe, die durchsickerten oder von ukrainischer Seite als inakzeptabel zurückgewiesen wurden, zeichneten das Bild eines Deals, der stark zu Ungunsten Kiews auszufallen drohte. Washington forderte demnach nicht nur exklusiven Zugriff auf neue Rohstoffprojekte, sondern strebte offenbar auch Kontrolle über bestehende Förderungen, den Energiesektor und kritische Hafeninfrastruktur an. Besonders heikel: Die bereits geleistete massive Militär- und Finanzhilfe der USA seit Beginn der russischen Invasion sollte quasi als Kredit verbucht und über zukünftige Rohstoffgewinne zurückgezahlt werden – eine Forderung, die die Ukraine vehement ablehnte, da sie das Land auf Generationen hinaus verschuldet hätte.

Das finale Abkommen stellt hier einen deutlichen, wenn auch mühsam errungenen Erfolg für die ukrainische Verhandlungsseite dar. US-Unternehmen erhalten nun lediglich einen „privilegierten“, nicht aber exklusiven Zugriff auf neue Rohstoffprojekte. Entscheidend ist auch, dass nur Einnahmen aus diesen zukünftigen Projekten zu 50 Prozent in den gemeinsamen Fonds fließen sollen; bestehende Geschäfte bleiben unangetastet. Entscheidend: Die Frage der „Rückzahlung“ vergangener Hilfen wurde zugunsten Kiews geklärt – sie werden nicht als Schulden verbucht. Künftige US-Militärhilfen können jedoch als amerikanischer Beitrag zum Fonds gewertet werden, was eine interessante Verrechnungsmöglichkeit schafft. Energie und Häfen bleiben unter ukrainischer Kontrolle. Dieser Wandel von maximalistischen Forderungen zu einem verhandelten Kompromiss spiegelt Kiews Beharren, aber wohl auch Washingtons Einsicht wider, dass ein reines Diktat politisch nicht tragfähig gewesen wäre.

Ein Fonds namens „Partnerschaft“: Wer kontrolliert die Milliarden?

Im Zentrum des Abkommens steht der „Amerikanisch-ukrainische Investitionsfonds für den Wiederaufbau“. Beide Seiten betonen die „Partnerschaft“ und die „gleichberechtigte Zusammenarbeit“. Der Fonds soll je zur Hälfte von beiden Ländern finanziert werden, wobei die Ukraine ihren Anteil aus zukünftigen Rohstofflizenzen und -verkäufen speist, während die USA Geld oder eben neue Militärhilfe einbringen können. Gewinne sollen in den ersten zehn Jahren reinvestiert werden, ausschließlich in der Ukraine.

Doch die Frage der Kontrolle bleibt sensibel. Ursprüngliche US-Pläne sahen offenbar vor, den Sitz des Fonds in den USA anzusiedeln und die Mehrheit der Direktorenposten mit Amerikanern zu besetzen, was de facto die Kontrolle über die Einnahmen bedeutet hätte. Im finalen Entwurf fehlen solche Bestimmungen laut Berichten. Die ukrainische Wirtschaftsministerin Julia Swyrydenko betont, der Fonds werde gleichberechtigt betrieben. Dennoch bleibt eine gewisse Asymmetrie bestehen: Die USA als globaler Hegemon und entscheidender Militärlieferant haben naturgemäß mehr Gewicht. Die genauen Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen des Fonds sind noch nicht öffentlich bekannt, und hier könnten sich zukünftige Spannungsfelder verbergen. Die Formulierung, „gemeinsam die zu finanzierenden Investitionsprojekte festlegen“, lässt Interpretationsspielraum.

Schatz im Boden oder teure Illusion? Das Rohstoff-Kalkül

Für die Ukraine birgt das Abkommen die Hoffnung auf dringend benötigte Investitionen für den Wiederaufbau einer vom Krieg verwüsteten Infrastruktur und Wirtschaft. Es könnte moderne Technologien ins Land bringen und als Signal für weitere globale Investoren dienen. Gleichzeitig bestehen Risiken: eine potenzielle Abhängigkeit von US-Interessen, die Gefahr eines „Ausverkaufs“ nationaler Ressourcen trotz gegenteiliger Beteuerungen, und vor allem die Unsicherheit über den tatsächlichen Wert und die Förderbarkeit der Bodenschätze.

Die Ukraine verfügt über signifikante Vorkommen an kritischen Mineralien wie Titan, Lithium, Graphit und Uran – Rohstoffe, die für Zukunftstechnologien wie Batterien, Luft- und Raumfahrt sowie Kernenergie essenziell sind. Die Trump-Administration sieht hier eine Chance, die Abhängigkeit von China zu verringern. Doch Experten warnen vor überzogenen Erwartungen. Viele Vorkommen sind nur unzureichend erkundet, oft mit veralteten sowjetischen Daten. Der Abbau und die Verarbeitung, insbesondere zu hochwertigen Endprodukten, erfordern massive, milliardenschwere Investitionen in Infrastruktur und Technologie. Hohe Energie- und Umweltkosten machen eine Konkurrenzfähigkeit mit China schwierig. Zudem liegen viele der Vorkommen in oder nahe der von Russland kontrollierten oder umkämpften Gebiete im Osten und Süden, was eine Erschließung unter Kriegsbedingungen oder auch nach einem fragilen Waffenstillstand extrem erschwert. Der vermeintliche Schatz könnte sich als ökonomisch schwer zu hebende Illusion erweisen.

Der Deal als diplomatisches Instrument: Signale an Moskau und die Welt

Für die US-Regierung ist das Abkommen weit mehr als ein reines Wirtschaftsgeschäft. Es ist ein zentrales Instrument ihrer Ukraine-Politik und der Bemühungen um ein Ende des Krieges. Offiziell wird betont, der Deal sei ein „klares Signal an Russland“, dass man sich langfristig für eine „freie, souveräne und prosperierende Ukraine“ einsetze. Er soll Moskau zeigen, dass die USA bereit sind, sich wirtschaftlich in der Ukraine zu engagieren und somit ein Interesse an deren Stabilität haben – eine Art wirtschaftliche Sicherheitsgarantie, die explizite militärische Zusagen ersetzt, welche die Trump-Administration scheut.

Gleichzeitig dient das Abkommen innenpolitischen Zwecken: Trump kann seinen Anhängern präsentieren, dass die milliardenschwere Ukraine-Hilfe keine Einbahnstraße ist, sondern potenziell zu einer Rendite für die USA führt – auch wenn er dafür die Realität des Deals teils zurechtbiegen muss. Das Narrativ der „Wiedergutmachung“ oder des vorteilhaften Geschäfts für Amerika wird trotz der ukrainischen Erfolge in den Verhandlungen aufrechterhalten. Der Deal festigt zudem die amerikanische Präsenz und implementiert US-Standards in einem strategisch wichtigen Land. Er soll auch verhindern, dass Russland oder dessen Unterstützer vom Wiederaufbau profitieren. Die Betonung des Zugriffs auf kritische Mineralien spielt zudem in die größere strategische Rivalität mit China hinein.

Die wechselhafte Beziehung zwischen Trump und Selenskyj, die vom öffentlichen Eklat bis zu scheinbar versöhnlichen Treffen am Rande von Trauerfeiern reicht, unterstreicht die persönliche Dimension dieser Politik. Trumps Ungeduld und sein Drängen auf einen schnellen Abschluss, seine oft widersprüchlichen Signale gegenüber Putin und Kiew prägen den Verhandlungskontext.

Die europäischen Verbündeten beobachten das amerikanische Vorgehen mit einer Mischung aus Erleichterung über das Zustandekommen eines Deals und Besorgnis über die Methodik und die potenziellen Implikationen. Zwar wurde darauf geachtet, dass das Abkommen keine offensichtlichen Hürden für einen späteren EU-Beitritt der Ukraine schafft, doch die Sorge bleibt, dass Washingtons Fokus auf einen schnellen, potenziell Russland-freundlichen Frieden europäische Sicherheitsinteressen untergraben könnte.

Letztlich ist das US-ukrainische Rohstoffabkommen ein Spiegelbild einer komplexen Gemengelage: Ein Land im Krieg, das ums Überleben kämpft und jeden Strohhalm für Wiederaufbau und Sicherheit ergreift. Eine US-Regierung, die unter dem Banner des „Dealmaking“ versucht, wirtschaftliche Vorteile, geopolitische Ziele und einen Ausweg aus einem kostspieligen Konflikt zu verknüpfen. Ob dieser Pakt tatsächlich zu einer stabilen Partnerschaft, wirtschaftlichem Aufschwung und nachhaltigem Frieden führt, oder ob er sich als eine weitere Episode in einem ungleichen Ringen mit ungewissem Ausgang erweist, wird erst die Zukunft zeigen. Die Unterschriften sind trocken, doch die entscheidenden Kapitel dieser Geschichte werden erst noch geschrieben – im ukrainischen Boden und an den Verhandlungstischen der Weltpolitik.

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