Justiz am seidenen Faden: Wie Trumps loyale Garde das Fundament des Rechtsstaats erschüttert

Illustration: KI-generiert

Ein unscheinbarer Gerichtsbeschluss aus Pennsylvania hat das Potenzial, die amerikanische Regierungsarchitektur in ihren Grundfesten zu erschüttern. Auf den ersten Blick geht es nur um eine Personalie in New Jersey, um die umstrittene US-Staatsanwältin Alina Habba. Doch wer genauer hinsieht, erkennt in diesem Fall das Muster einer stillen, aber radikalen Umwälzung. Es ist die Geschichte, wie eine Regierung versucht, die Fesseln der Verfassung abzustreifen, indem sie die Spielregeln des Rechts so lange dehnt und verdreht, bis sie ihre Form verlieren. Was wir in New Jersey beobachten, ist kein isolierter Betriebsunfall. Es ist der vielleicht deutlichste Riss in einem Damm, der zu brechen droht – mit unabsehbaren Folgen für die Gewaltenteilung und das Vertrauen in die amerikanische Justiz.

Das System Habba: Ein Lehrstück in juristischer Akrobatik

Um zu verstehen, was auf dem Spiel steht, muss man den Blick auf die Mechanik des Machtspiels richten, das die Trump-Administration perfektioniert hat. Der übliche Weg, einen der 93 US-Staatsanwälte zu ernennen, ist ein in der Verfassung verankertes Ritual des Ausgleichs: Der Präsident nominiert, der Senat prüft und bestätigt. Dieses Verfahren soll genau das verhindern, was die Gründerväter der USA fürchteten: die Besetzung von Schlüsselpositionen mit Kandidaten, deren einzige Qualifikation ihre persönliche Nähe zum Präsidenten und ihre „unterwürfige Folgsamkeit“ ist, wie es in den berühmten Federalist Papers heißt. Es ist ein Schutzwall gegen die Umwandlung des Staates in ein Instrument persönlicher Interessen.

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Doch die Regierung Trump hat einen Weg gefunden, diesen Wall zu umgehen. Es ist ein kunstvolles, fast absurdes Manöver, das an die komplizierten Maschinen des Cartoonisten Rube Goldberg erinnert. Zuerst ernannte der Präsident Alina Habba, eine seiner loyalen Beraterinnen, zur kommissarischen Leiterin der Staatsanwaltschaft von New Jersey. Solche Interimslösungen sind gesetzlich vorgesehen, aber streng auf 120 Tage befristet. Nach Ablauf dieser Frist schlug die Stunde der Judikative: Die zuständigen Richter des Bezirks ernannten, wie es das Gesetz vorsieht, eine erfahrene Karriere-Staatsanwältin, Desiree Grace, zur Nachfolgerin.

Was dann geschah, entblößte die eigentliche Strategie des Weißen Hauses. Anstatt die Entscheidung der Richter zu akzeptieren, explodierte die Administration in Wut. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt sprach auf sozialen Medien von „Aktivismus“, der das Vertrauen in die Justiz untergrabe. Desiree Grace wurde kurzerhand entlassen. Und dann folgte der juristische Taschenspielertrick: Habba wurde nicht erneut als kommissarische Leiterin eingesetzt – das wäre illegal gewesen –, sondern zur „Ersten Assistentin“ eines nicht existierenden Vorgesetzten ernannt. Kraft dieser Position konnte sie dann, gestützt auf ein anderes Gesetz, dem Federal Vacancies Reform Act, die kommissarische Leitung des Büros übernehmen. Sie wurde quasi ihre eigene Stellvertreterin, um sich selbst zu ermächtigen. Ein Zirkelschluss, der das Gesetz zur Farce macht.

Mehr als nur New Jersey: Das landesweite Muster der Loyalität

Warum dieser immense Aufwand? Die Antwort liegt im Kern von Trumps Amtsverständnis. Es geht nicht darum, die fähigsten und erfahrensten Juristen zu finden, sondern die loyalsten. Die Regierung scheint bereit, erhebliche rechtliche Risiken und institutionelles Chaos in Kauf zu nehmen, um sicherzustellen, dass die Hebel der Macht von Personen bedient werden, die dem Präsidenten persönlich verpflichtet sind. Personen, die, wie Habbas Amtszeit andeutete, ihre Aufgabe darin sehen, „New Jersey rot zu färben“, politische Gegner wie den Bürgermeister von Newark mit fadenscheinigen Anklagen zu überziehen und Konferenzräume mit Selbstporträts zu schmücken.

Der Fall Habba steht dabei nicht allein. Er ist Teil eines Musters, das sich über das ganze Land zieht. In New York wurde ein kommissarischer Staatsanwalt mit einem ähnlichen Manöver im Amt gehalten, dessen angeblicher Wohnsitz sich als verlassenes Gebäude entpuppte. In Kalifornien machte ein kommissarischer Leiter mit erfolglosen, aber politisch aufgeladenen Anklagen gegen Demonstranten von sich reden. In New Mexico geriet ein anderer wegen der aggressiven Verfolgung von Migranten wiederholt mit Richtern aneinander. Und in Nevada sorgte eine kommissarische Staatsanwältin mit rassistischen Äußerungen gegen einen schwarzen Generalstaatsanwalt für einen Skandal.

Diese Personalien zeichnen das Bild einer Justiz, deren Führungsetagen gezielt mit Persönlichkeiten besetzt werden, die weniger durch ihre juristische Exzellenz als durch ihre politische Linientreue und ihre Bereitschaft zur Konfrontation auffallen. Sie müssen sich nicht dem prüfenden Blick des Senats stellen. Ihre einzige Währung ist die Gunst des Präsidenten. Dies steht in scharfem Kontrast zur Praxis früherer Administrationen, die bei Vakanzen üblicherweise auf erfahrene Karrierebeamte aus den eigenen Reihen setzten – eine pragmatische Lösung, die das Gesetz explizit vorsieht und die die Kontinuität und politische Neutralität der Strafverfolgung sicherstellt.

Ein Richter zieht die Notbremse – und löst eine Staatskrise aus

In dieses sorgfältig aufgebaute System aus juristischen Umgehungen schlug das Urteil von Richter Matthew Brann ein wie ein Blitz. Er erklärte die Ernennung Habbas unmissverständlich für illegal. Die Ironie dabei: Brann ist kein liberaler „Aktivist“, wie es das Narrativ der Regierung will. Er ist ein von den Republikanern geschätztes Mitglied der konservativen Federalist Society. Seine Entscheidung ist keine politische Willkür, sondern der Versuch eines Juristen, die Integrität des Gesetzes gegen eine Regierung zu verteidigen, die es als Werkzeugkasten für ihre eigenen Zwecke betrachtet.

Die unmittelbaren Folgen dieses Urteils sind pures Chaos. Weil unklar ist, wer in New Jersey überhaupt rechtmäßig die Strafverfolgung leitet, haben Richter bereits begonnen, Verfahren auszusetzen und Urteilsverkündungen zu verschieben. Angeklagte fechten die Rechtmäßigkeit ihrer Anklagen an. Monate, vielleicht Jahre an mühevoller Ermittlungsarbeit stehen auf dem Spiel. Das gesamte Justizsystem des Bundesstaates befindet sich in einer Schwebe, gefangen zwischen einer illegalen Chefin und einer Regierung, die sich weigert, die Realität anzuerkennen. Es ist, als hätte jemand die Grundpfeiler eines Gebäudes entfernt und nun alle zusehen, wie sich Risse in den Wänden bilden.

Die Regierung hat Berufung eingelegt, denn es geht längst nicht mehr nur um Alina Habba. Branns Urteil ist eine existenzielle Bedrohung für die gesamte Personalstrategie des Weißen Hauses. Sollte seine Auslegung des Gesetzes Bestand haben, wären hunderte von kommissarischen Leitern in Ministerien und Behörden im ganzen Land betroffen. Nahezu 300 Schlüsselpositionen in der Regierung sind derzeit noch nicht einmal für eine Senatsbestätigung nominiert. Die Handlungsfähigkeit der Administration beruht zu einem erheblichen Teil auf diesen temporären Platzhaltern, die nach Branns Lesart illegal im Amt sein könnten. Der Kampf um Alina Habba ist daher ein Kampf um die Seele des Systems: Gilt das geschriebene Gesetz oder der politische Wille des Präsidenten?

Am Scheideweg: Ein System, das sich selbst zerlegt

Was hier verhandelt wird, ist die Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Demokratie. Ein System, schrieb Richter Brann in seinem Urteil, das auf gegenseitigem Einvernehmen beruht, funktioniert nur so lange, wie sich alle an die Regeln halten. Die Trump-Administration hat diese ungeschriebene Übereinkunft aufgekündigt. Sie hat die Flexibilität, die das Gesetz für Ausnahmefälle vorsah, bis zum Zerreißen gespannt. Nun könnte es endgültig reißen.

Der Konflikt um eine einzelne Staatsanwältin in New Jersey hat sich zu einer grundlegenden Frage über die amerikanische Gewaltenteilung ausgeweitet. Wenn ein Präsident durch juristische Tricks das verfassungsmäßige Aufsichtsrecht des Senats aushebeln kann, was hindert ihn dann daran, die gesamte Verwaltung mit loyalen Erfüllungsgehilfen zu fluten? Und wenn die Regierung juristische Niederlagen routinemäßig als parteiische Angriffe von „Aktivisten“ abtut, wie kann das Vertrauen der Bürger in eine unabhängige Justiz überleben?

Der Fall Habba ist mehr als nur eine politische Posse. Er ist ein Stresstest für den amerikanischen Rechtsstaat. Die kommenden Entscheidungen der Berufungsgerichte werden zeigen, ob die institutionellen Leitplanken noch halten oder ob die Erosion der Normen bereits zu weit fortgeschritten ist. Es ist ein stiller Kampf, der ohne dramatische Bilder auskommt, aber über die Zukunft der ältesten Verfassungsdemokratie der Welt entscheiden könnte.

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