
Nach Jahrzehnten des Wartens und unzähliger Spekulationen hat die jüngste Freigabe von abertausenden Akten im Zusammenhang mit der Ermordung von Präsident John F. Kennedy die amerikanische Öffentlichkeit erneut in ihren Bann gezogen. Auf Anordnung von Präsident Donald Trump, der bereits während seiner ersten Amtszeit eine Obsession mit diesem Fall zeigte und nun im Wahlkampf erneut das Mantra der „WAHRHEIT“ bemühte, wurden abermals Archive des Nationalarchivs geöffnet. Doch anstatt die nebulösen Schleier aus Hypothesen und Gerüchten zu zerreißen, die dieses traumatische Ereignis der amerikanischen Geschichte umgeben, offenbart die Flut an Dokumenten vor allem eines: die tief verwurzelte Geheimniskrämerei der amerikanischen Nachrichtendienste und die anhaltende Kluft zwischen dem offiziellen Narrativ und den persistenten Verschwörungstheorien.
Die juristische Grundlage für diese Veröffentlichung wurde bereits 1992 mit einem Gesetz geschaffen, das die öffentliche Zugänglichkeit aller Regierungsdokumente im Zusammenhang mit Kennedys Ermordung nach 25 Jahren vorsah. Dieser Schritt war nicht zuletzt dem öffentlichen Druck und dem Wiederaufleben von Verschwörungstheorien geschuldet, befeuert durch Oliver Stones kontroversen Film „JFK – Tatort Dallas“ von 1991. Die Verantwortlichen erhofften sich damals, durch Transparenz das Vertrauen der Bevölkerung in die offiziellen Untersuchungsergebnisse wiederherzustellen. Doch wie sich nun erneut zeigt, ist das Misstrauen tiefgreifend und die „Wahrheit“, die viele seit Jahrzehnten suchen, scheint im Dickicht der freigegebenen Akten schwer fassbar zu bleiben.

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Ein Meer aus Papier – Wenig Neues unter der Oberfläche?
Präsident Trump kündigte vollmundig die Freigabe von rund 80.000 Seiten an, die angeblich alle noch offenen Fragen zum Mord beantworten sollten. Die tatsächliche Zahl der am Dienstagabend veröffentlichten Dokumente lag mit etwa 64.000 etwas darunter. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass der überwiegende Großteil des insgesamt über sechs Millionen Seiten umfassenden Materials des Nationalarchivs zu diesem Fall bereits seit langem der Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Brisanz der jüngsten Freigabe lag somit weniger in der schieren Menge als vielmehr in der Hoffnung, dass die nun unzensierten oder zuvor zurückgehaltenen Dokumente neue, bahnbrechende Erkenntnisse liefern würden.
Doch die ersten Reaktionen von Historikern und Experten fallen eher verhalten aus. Viele betonen, dass sie keine grundlegenden Umwälzungen des bisherigen Verständnisses der Ereignisse in Dallas am 22. November 1963 erwarten. Der Konsens, dass Lee Harvey Oswald als Einzeltäter handelte, wird durch die bisher gesichteten Dokumente nicht ernsthaft in Frage gestellt. Vielmehr scheinen die freigegebenen Akten ein tieferes Schlaglicht auf die verdeckten Operationen und die Spionageaktivitäten der US-Nachrichtendienste während des Kalten Krieges zu werfen – Aktivitäten, die teils Jahrzehnte lang vor der Öffentlichkeit und sogar vor den eigenen Familienangehörigen geheim gehalten wurden.
So offenbaren die Dokumente beispielsweise Details über die CIA-Überwachung von Fidel Castros Anhängern in Miami, die verdeckte Anbringung von Wanzen in chinesischen Einrichtungen in Kuba und die Bemühungen, sowjetischen Geheimdienstinformationen im Zusammenhang mit Kennedys Ermordung zu erhalten. Auch die Zusammenarbeit zwischen US-Professoren und sowjetischen Quellen, die Informationen über Oswald lieferten, wird in den Akten deutlicher. Diese Enthüllungen mögen zwar keine direkten Beweise für eine Verschwörung liefern, doch sie zeichnen ein komplexeres Bild der Geheimdienstaktivitäten jener Zeit und unterstreichen die allgegenwärtige Atmosphäre des Misstrauens und der Paranoia während des Kalten Krieges.
Geheimnisse der Spionage – Kollateralschäden inklusive
Ein zentraler Aspekt der jüngsten Veröffentlichung ist die Offenlegung zuvor zensierter Namen von CIA-Agenten und Informanten. Für einige Familien kam diese Enthüllung einer schockierenden Enthüllung gleich, da sie erstmals von der geheimen Arbeit ihrer Verwandten erfuhren. So erfuhr beispielsweise John Smith, dass sein Großvater, ein angesehener Akademiker, heimlich für die CIA Informationen aus der Sowjetunion beschaffte. Dorothy North entdeckte, dass ihr verstorbener Ehemann eine „langjährige, außerordentlich wertvolle Quelle“ für die CIA war. Diese persönlichen Geschichten verdeutlichen, wie tief die Geheimdienste in das Leben gewöhnlicher Amerikaner eingriffen und wie viele Geheimnisse über Jahrzehnte hinweg gewahrt wurden.
Doch die unzensierte Freigabe von Informationen birgt auch Risiken und wirft ethische Fragen auf. So wurden in den freigegebenen Dokumenten sensible persönliche Daten wie Sozialversicherungsnummern von hunderten ehemaligen Kongressmitarbeitern und anderen Personen offengelegt, die mit früheren Untersuchungen befasst waren. Betroffene wie der frühere Wahlkampfanwalt von Präsident Trump, Joseph diGenova, zeigten sich empört über diese Nachlässigkeit und befürchten Identitätsdiebstahl und andere negative Konsequenzen. Sie kritisieren die in ihren Augen inkompetente Überprüfung der Dokumente und erwägen rechtliche Schritte. Das Weiße Haus und das Nationalarchiv reagierten auf die Kritik und kündigten Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Personen an. Dieser Vorfall verdeutlicht auf bittere Weise die unbeabsichtigten Folgen einer überstürzten Veröffentlichung sensibler Daten.
Neben der Preisgabe persönlicher Informationen enthüllen die Akten auch Details über fragwürdige Praktiken der US-Geheimdienste. So wird beispielsweise die CIA-Überwachung eines Reporters der Washington Post im Jahr 1975 thematisiert. Auch die Einmischung der CIA in die traditionellen Aufgaben des Außenministeriums, indem sie in großem Umfang diplomatische Deckung für ihre Agenten nutzte, wird in einem Memo von Arthur Schlesinger Jr. an Präsident Kennedy aus dem Jahr 1961 kritisiert. Dieses Memo beleuchtet auch die wachsende Besorgnis Kennedys über die Macht der CIA nach dem Fiasko der Schweinebucht-Invasion und die Überlegung, die Agentur zu reorganisieren. Obwohl Historiker die Annahme, dass diese Spannungen bis zu Kennedys Ermordung anhielten, eher anzweifeln, befeuert die Veröffentlichung solcher Dokumente natürlich die alten Verschwörungstheorien über eine mögliche Verwicklung der CIA in den Mord.
Darüber hinaus geben die freigegebenen Akten Einblicke in verdeckte Operationen der CIA in verschiedenen Ländern während des Kalten Krieges, darunter Kuba, Griechenland, Finnland, Brasilien und Zypern. Auch die Überwachung der Kommunikation verbündeter Staaten wie Ägypten und Indonesien durch die USA wird in den Dokumenten belegt. Diese Enthüllungen mögen für Historiker der internationalen Beziehungen von großem Interesse sein, doch in Bezug auf die eigentliche Frage, wer Kennedy ermordet hat, bieten sie kaum neue Erkenntnisse.
Die ewige Suche nach der Wahrheit – Und die Unstillbarkeit des Misstrauens
Die Reaktionen auf die jüngste Aktenfreigabe fallen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Während Historiker den Wert der Dokumente vor allem in den detaillierten Einblicken in die Arbeitsweise der Nachrichtendienste sehen, zeigen sich Verschwörungstheoretiker in der Regel wenig beeindruckt. Sie argumentieren, dass die wirklich brisanten Informationen weiterhin unter Verschluss gehalten werden oder bereits vernichtet wurden. Die hartnäckige Überzeugung, dass die Öffentlichkeit nicht die ganze Wahrheit erfährt, wird durch jede neue Veröffentlichung eher verstärkt als geschwächt. Die Geschichte lehrt, dass die Untersuchungen, die Verschwörungstheorien widerlegen sollten, diese oft nur weiter befeuert haben.
Auch politisch ist die Freigabe der JFK-Akten nicht frei von Kontroversen. Präsident Trumps wiederholtes Versprechen, die Dokumente zu veröffentlichen, wird von vielen als politisch motivierter Akt gesehen, der darauf abzielt, seine Anhänger zu mobilisieren und möglicherweise von anderen aktuellen Problemen abzulenken. Seine plötzliche Ankündigung und der daraus resultierende Zeitdruck für die Sicherheitsbehörden wurden kritisiert. Einige Kommentatoren sehen in der unzensierten Freigabe sensibler Daten sogar eine rücksichtslose Gefährdung der nationalen Sicherheit und der betroffenen Personen.
Letztendlich lässt sich festhalten, dass die jüngste Veröffentlichung der JFK-Akten zwar keine sensationellen Enthüllungen über den Mord selbst gebracht hat, aber wertvolle Einblicke in die verborgene Welt der amerikanischen Nachrichtendienste während einer turbulenten Epoche der Geschichte bietet. Die freigegebenen Dokumente verdeutlichen die Intensität der Spionageaktivitäten im Kalten Krieg, die teils fragwürdigen Methoden der Geheimdienste und die weitreichenden Konsequenzen der Geheimhaltung. Für Historiker und Wissenschaftler liegt der Wert dieser Akten vor allem in den Details und Kontextinformationen, die ein nuancierteres Verständnis dieser Zeit ermöglichen.
Für die unzähligen Anhänger von Verschwörungstheorien wird diese Veröffentlichung jedoch kaum ein Abschluss sein. Die tiefe Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen und das Bedürfnis nach einer „gewichtigeren“ Erklärung für ein so einschneidendes Ereignis werden weiterhin nähren, dass die wahre Geschichte von John F. Kennedys Ermordung noch nicht vollständig ans Licht gekommen ist. So bleibt die Tragödie von Dallas ein Mahnmal für die fragile Grenze zwischen vernünftiger Skepsis und unerschütterlichem Misstrauen – eine Grenze, die in der amerikanischen Vorstellungskraft oft überschritten wird. Die „Wahrheit“, die Präsident Trump versprach, bleibt somit weiterhin ein schwer fassbares Ideal im endlosen Meer der JFK-Akten.