
Ein politischer Führer, der seine Macht aus der Fähigkeit schöpft, die öffentliche Debatte zu dominieren, sieht sich plötzlich mit einem Thema konfrontiert, bei dem er die Kontrolle verloren hat. Die Kontroverse um die zurückgehaltenen Akten des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein hat für Donald Trump und seine Regierung eine politische Krise auf mehreren Fronten ausgelöst. Es ist ein seltener Moment, in dem die üblichen strategischen Manöver nicht mehr greifen. Der Grund dafür ist die Quelle des Drucks: Er kommt nicht primär von politischen Gegnern, sondern unerbittlich aus dem Herzen seiner eigenen Basis. Diese interne Rebellion hat eine Kette von unkoordinierten Reaktionen in der Regierung ausgelöst, die wiederum die Republikanische Partei im Kongress in eine tiefe Spaltung und offene Handlungsunfähigkeit gestürzt hat. Die Affäre legt eine kritische Schwachstelle frei: Trumps sonst so effektiver Werkzeugkasten aus Ablenkung und aggressivem Gegenangriff verliert an Wirkung, wenn der Konflikt nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet ist und seine eigene Regierungs- und Parteimaschinerie erfasst.
Der Aufstand der Basis und Trumps Zorn
Der Auslöser für die Eskalation war ein gebrochenes Versprechen, das die treueste Anhängerschaft des Präsidenten in Aufruhr versetzte. Nachdem Generalstaatsanwältin Pam Bondi in einem Fox News-Interview noch „LKW-Ladungen“ an neuen Informationen über Jeffrey Epstein angekündigt hatte, folgte die Ernüchterung auf dem Fuße. Ihr Justizministerium veröffentlichte ein Memo, in dem es nach einer „erschöpfenden Überprüfung“ erklärte, es gebe keine Beweise für eine „belastende ‚Klientenliste'“ oder andere Informationen, die eine öffentliche Freigabe rechtfertigen würden. Die Reaktion aus Trumps Basis war, wie es ein Bericht beschreibt, „apoplektisch“.

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Trumps Reaktion auf die Wut seiner eigenen Leute war für ihn beispiellos. Anstatt zu versuchen, die Wogen zu glätten, ging er zum Frontalangriff über und bezeichnete die anhaltende Beschäftigung mit dem Thema als „neuen SCAM“, den „Jeffrey Epstein Hoax“. In einem Post auf seiner Plattform Truth Social warf er seinen „ehemaligen Unterstützern“ vor, auf diesen „Bull—-“ hereingefallen zu sein, und konstatierte, sie hätten ihre Lektion nicht gelernt und würden von der „wahnsinnigen Linken“ getäuscht. Parallel zu diesen verbalen Ausbrüchen gegen die eigene Gefolgschaft startete er eine Flut von ablenkenden Social-Media-Posts. Innerhalb von 48 Stunden thematisierte er das Vermögen einer ehemaligen USAID-Administratorin, drohte, einen Stadion-Deal für das Football-Team der Washington Commanders zu kippen, falls es seinen alten Namen nicht wieder annimmt, und verbreitete eine Verschwörungstheorie über die Obama-Regierung, unterlegt mit einem KI-generierten Video von dessen Verhaftung.
Die Regierung im Krisenmodus: Widersprüchliche Manöver statt klarer Linie
Der immense Druck zwang die Regierung zu einer Reihe von hastigen und teils widersprüchlichen Manövern. Nachdem das Wall Street Journal über eine anzügliche Zeichnung berichtet hatte, die Trump angeblich zu Epsteins 50. Geburtstag beigesteuert haben soll, kündigte der Präsident eine Gegenmaßnahme an: Er wies das Justizministerium an, bei Gericht die Freigabe von Grand-Jury-Zeugenaussagen zu beantragen. Dieser Schritt wurde als Versuch gewertet, Handlungsfähigkeit zu signalisieren.
Wenige Tage später folgte ein noch drastischerer Schritt, der die Verzweiflung im Weißen Haus unterstrich. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt Todd Blanche gab öffentlich bekannt, dass das Justizministerium Kontakt zu den Anwälten von Ghislaine Maxwell aufgenommen habe, Epsteins verurteilter Komplizin, um sie zu befragen. Diese Ouvertüre wurde explizit als Teil der Bemühungen dargestellt, nach der „heftigen Gegenreaktion“ aus Teilen von Trumps Basis als transparent zu erscheinen. Das Manöver entbehrte jedoch nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit. In derselben Erklärung bekräftigte Blanche, dass das ursprüngliche Memo des Justizministeriums, wonach keine Beweise für weitere Anklagen gegen Dritte gefunden wurden, „heute so zutreffend wie damals“ sei. Dies nährte den Verdacht, dass es bei der Kontaktaufnahme weniger um neue strafrechtliche Ermittlungen als um ein rein politisches Schadensmanagement ging, um die wütenden Anhänger zu beruhigen.
Die Lähmung des Kongresses: Wie die Republikaner sich selbst blockieren
Die tiefste Wunde hat der Konflikt jedoch im US-Kongress geschlagen, wo er die Republikanische Partei in eine offene Zerreißprobe und das Repräsentantenhaus in die fast vollständige Lähmung geführt hat. Aus Angst vor dem Zorn ihrer Wähler weigerten sich die Republikaner im mächtigen Geschäftsordnungsausschuss (Rules Committee), Gesetze zur Abstimmung im Plenum freizugeben. Sie fürchteten, dass die Demokraten die Verfahren nutzen würden, um sie zu einer Abstimmung über die Freigabe der Epstein-Akten zu zwingen. Die Folge war ein legislativer Stillstand. Wichtige Gesetzesvorhaben zu Grenzsicherheit, Infrastruktur und Deregulierung wurden auf Eis gelegt.
Die Situation eskalierte so weit, dass Sprecher Mike Johnson schließlich die Sitzungswoche des Repräsentantenhauses vorzeitig beendete und die Abgeordneten in die Sommerpause schickte, einzig und allein, um einer Abstimmung über die Epstein-Akten zu entgehen. Johnsons Führung wurde offen in Frage gestellt. Während er erklärte, er wolle der Regierung „Raum“ geben, die Sache selbst zu regeln, und vor der versehentlichen Enthüllung von Opfern warnte, forderten Abgeordnete aus den eigenen Reihen unerbittlich Taten. „Das amerikanische Volk verdient Taten, keine Ausreden“, schrieb der Abgeordnete Ralph Norman. Thomas Massie kündigte an, die Führung mit einem speziellen Verfahren umgehen zu wollen, um eine Abstimmung zu erzwingen, und Tim Burchett initiierte erfolgreich einen Antrag, Ghislaine Maxwell vor den Aufsichtsausschuss zu laden. Die Demokraten wiederum nutzten die republikanische Zerrissenheit strategisch, indem sie wiederholt Abstimmungen forderten und die Frage stellten: „Auf wessen Seite steht ihr?“.
Trumps persönliche Front: Angriffe als Verteidigung
Während seine Regierung und Partei im Chaos versanken, eröffnete Trump eine eigene, persönliche Front. Die erneute Aufmerksamkeit für seine gut dokumentierte, frühere Freundschaft mit Jeffrey Epstein konterte er mit maximaler Aggressivität. Er verklagte die Muttergesellschaft des Wall Street Journal auf 10 Milliarden Dollar und stritt die Vorwürfe vehement ab. Darüber hinaus griff die Regierung zu einer Maßnahme, die von Pressefreiheitsorganisationen scharf verurteilt wurde: Reportern des Wall Street Journal wurde die Teilnahme an der Pressedelegation für eine Reise des Präsidenten nach Schottland verwehrt. Die Begründung des Weißen Hauses war das „gefälschte und verleumderische Verhalten“ der Zeitung. Dieser Schritt wurde als direkte Vergeltung für eine unliebsame Berichterstattung und als Versuch gewertet, andere Medien einzuschüchtern.
Die Epstein-Affäre hat sich für Donald Trump zu einem unkontrollierbaren Flächenbrand entwickelt. Er hat die Deutungshoheit über eine Erzählung verloren, die für seine Basis von zentraler Bedeutung ist. Seine üblichen Methoden scheitern, weil er nicht gegen einen äußeren Feind kämpft, sondern gegen die Erwartungen und den Zorn seiner treuesten Anhänger. Dieser interne Druck hat seine Regierung zu widersprüchlichen Handlungen gezwungen und seine Partei im Kongress in eine schwere Krise gestürzt, die ihre Handlungsfähigkeit untergräbt. Wie der republikanische Abgeordnete Thomas Massie warnte, könnte dieses Thema die Abgeordneten bis in die nächsten Wahlen verfolgen. Der Ausgang dieses Machtkampfes ist ungewiss, doch er hat bereits jetzt einen tiefen und potenziell dauerhaften Schaden im politischen Gefüge der Republikaner und im Machtzirkel um Donald Trump hinterlassen.