Im Sonnenlicht der Spaltung: Amerikas gefährliche Liebe zur Bräune ist ein politischer Akt

Illustration: KI-generiert

Es ist ein Glanz, der aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Eine goldene, von der Sonne geküsste Haut, einst das sorglose Versprechen von Sommer, Freizeit und einem Leben im Überfluss. Doch wer heute genauer hinsieht, erkennt in der wiederkehrenden Faszination Amerikas für das Bräunen mehr als nur die Nostalgie der frühen 2000er-Jahre. Es ist ein härterer, fast schon trotziger Schimmer, der auf der Haut der Nation liegt. Denn der neue Sonnenkult ist kein reiner Schönheitstrend mehr. Er ist zum sichtbaren Ausdruck einer tiefen ideologischen Kluft geworden, zu einem politischen Bekenntnis, das auf dem Schlachtfeld der amerikanischen Kulturkriege ausgefochten wird. Im Zentrum steht die Bewegung „Make America Healthy Again“ (MAHA), die mit fast religiösem Eifer die Rückkehr zur Natur predigt und die Sonne zu ihrer heiligen Ikone erklärt. Was wir erleben, ist die Umwandlung eines bekannten Gesundheitsrisikos in ein Symbol der Rebellion – eine Entwicklung, die schmerzlich offenbart, wie anfällig eine Gesellschaft in ihrer Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten für die gefährlichsten Illusionen werden kann.

Die neue Lehre vom Licht: Wie aus Misstrauen eine Gesundheitsdoktrin wird

Der aktuelle Bräunungstrend unterscheidet sich fundamental von seinen Vorläufern, denn er ist untrennbar mit einer politischen Agenda verknüpft. Angeführt von prominenten Figuren wie dem Gesundheitspolitiker Robert F. Kennedy Jr. und der als Surgeon General nominierten Wellness-Influencerin Casey Means, instrumentalisiert die MAHA-Bewegung eine tief sitzende Skepsis gegenüber etablierten Institutionen. In ihrer Welt sind die Food and Drug Administration (FDA), die etablierte Medizin und „Big Pharma“ Teil einer Verschwörung, die den Bürgern die wahre, natürliche Gesundheit vorenthält. Die aggressive Warnung vor Sonneneinstrahlung sei, so die suggestive Rhetorik, eine Unterdrückungstaktik, die bald ein Ende haben werde.

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Diese Erzählung verfängt, weil sie an ein ur-amerikanisches Versprechen anknüpft: das der individuellen Freiheit und der unberührten Natur. Die Sonne wird dabei von einer nachgewiesenen Krebsursache zu einer verkannten Heilsbringerin umgedeutet. Man preist ihre Fähigkeit, den Biorhythmus zu regulieren, die Stimmung aufzuhellen und die Vitamin-D-Produktion anzukurbeln – allesamt wissenschaftlich belegte Fakten, die hier jedoch gezielt aus ihrem Kontext gerissen werden, um ein Argument gegen jeglichen Schutz zu konstruieren. Sonnencreme, das einstige Symbol der Vernunft, wird zum Feindbild stilisiert. In den Echokammern der sozialen Medien und der alternativen Gesundheitsszene mutieren diese Halbwahrheiten zu gefährlichen Mythen: Sonnencreme verursache Krebs, das Starren in die Sonne stärke die Seele, und Sonnenbänke seien ein Mittel gegen Stress.

Dieser ideologische Feldzug ignoriert bewusst den erdrückenden wissenschaftlichen Konsens. Dermatologen und Krebsforscher warnen unermüdlich, dass es keine „sichere Bräune“ gibt. Jede Bräunung ist eine sichtbare DNA-Schädigung der Hautzellen, eine direkte Vorstufe zu vorzeitiger Alterung und potenziell tödlichem Hautkrebs wie dem Melanom. Doch in der Logik der neuen Sonnenanbeter verkommt diese wissenschaftliche Evidenz zur bloßen Meinung einer abgehobenen Elite. Die bewusste Entscheidung für eine ungeschützte Bräune wird damit zu einem Akt des Trotzes – eine sichtbare Absage an die als bevormundend empfundene Gesundheitsbürokratie und ein Bekenntnis zur eigenen, intuitiven Urteilskraft. Der gebräunte Körper wird zur Leinwand für eine politische Botschaft: „Ich glaube meinem Gefühl, nicht euren Daten.“

Der Widerspruch in Person: Die politische Heuchelei hinter der gesunden Fassade

Die von MAHA propagierte Gesundheitsphilosophie, die auf besserer Ernährung und der Reduzierung von Umweltgiften basieren soll, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als hohle Fassade. Ein scharfer Blick auf die konkreten politischen Maßnahmen der Regierung offenbart einen kaum zu überbietenden Widerspruch zwischen Rhetorik und Handeln. Während Robert F. Kennedy Jr. eine gesündere Nation durch natürliche Lebensweise verspricht, demontiert seine Administration systematisch genau jene Programme, die diesem Ziel dienen könnten.

Die Liste der Inkonsistenzen ist lang und entlarvend. Der MAHA-Report identifiziert eine schlechte Ernährung als eine der Hauptursachen für chronische Krankheiten, doch gleichzeitig werden die Mittel für zentrale Ernährungshilfeprogramme drastisch gekürzt. So wird etwa SNAP-Ed, ein seit Jahrzehnten bewährtes Programm, das einkommensschwachen Familien beibringt, sich gesünder zu ernähren, ebenso gestrichen wie die Finanzierung für gesünderes Schulessen. Auch das renommierte WIC-Programm, das schwangere Frauen und Kleinkinder aus Risikogruppen mit nahrhaften Lebensmitteln versorgt und nachweislich eine enorme Rendite für die Gesellschaft erbringt, fällt dem Rotstift zum Opfer.

Ein ähnliches Bild zeigt sich beim zweiten Eckpfeiler der MAHA-Philosophie: der Reduzierung von Umweltgiften. Während die Bewegung vollmundig vor Toxinen warnt, werden die Schutzmechanismen der Umweltschutzbehörde EPA systematisch ausgehöhlt. Grenzwerte für hochgiftige Substanzen wie Quecksilber, Arsen und Blei aus Kraftwerken werden gelockert, ein Verbot des krebserregenden Stoffes Asbest wird in Frage gestellt, und die Experten für Bleivergiftung bei der Seuchenschutzbehörde CDC werden entlassen. Diese Handlungen machen deutlich, dass die MAHA-Agenda weniger der Volksgesundheit dient als vielmehr einer umfassenden Deregulierung und der Reduzierung staatlicher Ausgaben. Die angebliche Sorge um das Wohl der Bürger erweist sich als populistisches Feigenblatt für eine Politik, die Konzerninteressen über den Schutz von Mensch und Umwelt stellt.

Digitale Brandbeschleuniger: TikTok und die Ästhetik des Risikos

Die ideologische Saat der MAHA-Bewegung fällt auf den fruchtbaren Boden der sozialen Medien, wo sie zu einer viralen und hochgefährlichen Bewegung heranwächst. Plattformen wie TikTok fungieren als digitale Brandbeschleuniger, die das Streben nach Bräune normalisieren und die damit verbundenen Risiken verharmlosen oder sogar glorifizieren. Unter dem Hashtag #tanning, der Milliarden von Aufrufen generiert, inszenieren sich vor allem junge Frauen und Mädchen als „süchtig“ nach Bräune. In unzähligen Videos wird der UV-Index, ein von Wissenschaftlern entwickeltes Warninstrument, pervertiert: Anstatt bei hohen Werten Schutz zu suchen, jagen die Nutzer gezielt den Spitzenwerten hinterher, um den Bräunungsprozess zu maximieren.

Dieses Verhalten offenbart eine alarmierende Ignoranz oder einen bewussten Nihilismus, zusammengefasst in Bildunterschriften wie: „Ich sterbe lieber heiß als hässlich zu leben.“ Hier verschmilzt das Streben nach einem als ideal empfundenen Aussehen mit einer performativen Risikobereitschaft. Dermatologen schlagen Alarm, denn schon ein einziger Sonnenbrand mit Blasenbildung kann das Melanom-Risiko im späteren Leben verdoppeln. Doch diese langfristigen Konsequenzen dringen kaum in die Wahrnehmung einer Generation durch, deren Gehirne auf unmittelbare soziale Belohnung und das Dazugehören ausgerichtet sind.

Gleichzeitig offenbart sich ein tiefes Paradoxon im Konsumverhalten dieser Generation. Dieselben jungen Menschen, die in den Gängen von Kosmetikketten wie Sephora nach den neuesten Anti-Aging-Seren und Faltencremes suchen, legen sich anschließend wissentlich in die Sonne und nehmen jene Hautschäden in Kauf, die sie mit teuren Produkten zu bekämpfen versuchen. Dieser Widerspruch illustriert perfekt das Phänomen der „Gesundheit als Ästhetik“. Es geht nicht mehr darum, tatsächlich gesund zu sein, sondern darum, das Bild von Gesundheit zu projizieren. Eine goldene Bräune suggeriert Vitalität, Energie und Erfolg – selbst wenn sie durch einen Prozess entsteht, der den Körper nachweislich schädigt.

Die Psychologie der Ohnmacht und die Illusion der Kontrolle

Um die enorme Anziehungskraft der MAHA-Bewegung und des damit verbundenen Sonnenkults zu verstehen, muss man tiefer blicken – in die menschliche Psyche. In einer Welt, die von komplexen Krisen, beängstigenden Krankheitsdiagnosen und einem Gefühl der Ohnmacht geprägt ist, sehnen sich Menschen nach Handlungsfähigkeit und Kontrolle. Die persönliche Geschichte der Autorin Dannagal Young, deren Ehemann an einem aggressiven Hirntumor starb, liefert hierfür eine eindringliche Illustration. Konfrontiert mit den Grenzen der modernen Medizin, wandte sie sich verzweifelt kleinen, magischen Ritualen zu – Weihwasser, heilenden Steinen, bestimmten Beeren –, nicht weil sie rational daran glaubte, sondern weil es ihr das Gefühl gab, irgendetwas zu tun.

Genau diesen psychologischen Mechanismus bedient die MAHA-Bewegung meisterhaft. Sie bietet eine Illusion von Handlungsfähigkeit. Anstatt sich dem als langsam, kompliziert und unpersönlich empfundenen Wissenschaftsbetrieb anzuvertrauen, können Individuen ihre Gesundheit scheinbar selbst in die Hand nehmen. Die Botschaft ist ebenso simpel wie verführerisch: Lehne die komplizierten Ratschläge der Experten ab, vertraue deiner Intuition und wende dich den einfachen Lösungen der Natur zu. Das Sonnenbad wird so von einer passiven Freizeitbeschäftigung zu einem aktiven Akt der Selbstfürsorge und des Widerstands. Dass diese gefühlte Kontrolle auf einer brüchigen, oft falschen Grundlage steht, spielt für ihre psychologische Wirksamkeit eine untergeordnete Rolle.

Dieses Phänomen wird durch das historische und kulturelle Erbe des Bräunens zusätzlich verstärkt. Einst ein Zeichen für harte körperliche Arbeit im Freien, wandelte sich die Bräune im 20. Jahrhundert mit dem Aufstieg einer neuen Freizeitklasse, verkörpert durch Ikonen wie Coco Chanel, zum Symbol für Luxus, Wohlstand und globale Mobilität. Ein gebräunter Teint signalisierte, dass man es sich leisten konnte, an sonnenverwöhnten Orten Urlaub zu machen, anstatt in den Fabriken und Büros der Industriestädte zu verschwinden. Diese Konnotation von Status und Erfolg ist auch heute noch wirkmächtig und wird in der Werbe- und Modewelt zelebriert.

Doch der Trend wirft auch ein Schlaglicht auf die tief verwurzelten Diskurse über Klasse und Rassismus. Während sich hellhäutige Menschen durch Bräunung ein als „gesund“ und erstrebenswert geltendes Aussehen aneignen können, sehen sich Menschen mit von Natur aus dunklerer Hautfarbe weiterhin mit Diskriminierung konfrontiert. Der globale Markt spiegelt diese Absurdität wider: Während in westlichen Ländern Milliarden für hautverdunkelnde Produkte ausgegeben werden, sind in anderen Teilen der Welt hautaufhellende Cremes ein riesiges Geschäft. Die Haut wird zu einem globalen Marktplatz, auf dem je nach Kontext aufgehellt oder abgedunkelt wird – getrieben von einem unerreichbaren Ideal, das allen nur eine Botschaft vermittelt: So, wie du bist, ist es nicht genug.

Am Ende dieser Analyse steht die Erkenntnis, dass Amerikas neuer Sonnenkult weit mehr ist als eine flüchtige Modeerscheinung. Er ist ein Seismograf für die tektonischen Verwerfungen einer ganzen Gesellschaft. Auf der sonnenverbrannten Haut der Nation wird ein Kampf ausgetragen, der die Grundfesten des gesellschaftlichen Vertrags erschüttert: der Kampf zwischen wissenschaftlicher Vernunft und ideologischem Glauben, zwischen dem Wunsch nach echter Gesundheit und der Inszenierung eines gesunden Aussehens, zwischen individueller Freiheit und kollektiver Verantwortung. Der neue Sonnenkult ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, bei dem am Ende alle nur verlieren können.

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