
Der 16. Dezember 2025 markiert in der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte den Moment, in dem die Instrumente wieder eingeschaltet wurden. Über Wochen hinweg waren Investoren, Politiker und Notenbanker im Blindflug unterwegs, getrieben von einem 43-tägigen „Government Shutdown“, der die statistische Erfassung der weltgrößten Volkswirtschaft lahmgelegt hatte. Nun, da die Nebelwand sich lichtet und das Bureau of Labor Statistics (BLS) endlich die lang erwarteten Zahlen für Oktober und November vorlegt, offenbart sich kein klares Bild der Erholung, sondern eine zerrissene Landschaft.
Auf den ersten Blick mag die Schlagzeile beruhigen: 64.000 neu geschaffene Stellen im November. Doch wer tiefer gräbt, stößt auf das Fundament einer Krise, die durch politische Eingriffe nicht gelöst, sondern verschärft wird. Während das Weiße Haus triumphierend verkündet, das Beste komme erst noch („THE BEST IS YET TO COME!“) , klettert die Arbeitslosenquote auf 4,6 Prozent – den höchsten Stand seit September 2021, als sich das Land noch mühsam aus dem Würgegriff der Pandemie befreite. Wir erleben derzeit keinen gewöhnlichen konjunkturellen Abschwung. Was sich vor unseren Augen entfaltet, ist ein politisch induzierter Strukturwandel, dessen soziale Kosten durch statistisches Rauschen und administrative Eingriffe verschleiert werden.
Das statistische Chaos: Eine Ökonomie im „Fog of War“
Es ist eine Binsenweisheit, dass man nicht managen kann, was man nicht misst. Doch genau in dieser Situation befand sich die US-Notenbank Fed in den vergangenen Wochen. Der Shutdown im Herbst hat Löcher in die Datenerfassung gerissen, die sich nachträglich kaum flicken lassen. Für den Oktober existiert schlichtweg keine Arbeitslosenquote, da die Behördenmitarbeiter nicht vor Ort sein konnten, um die Umfragen durchzuführen – ein historischer Ausfall in der seit 1948 laufenden Datenserie.

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Was wir stattdessen sehen, sind massive Revisionen, die das Vertrauen in die wirtschaftliche Stabilität erschüttern. Die nun nachgereichten Daten für Oktober zeigen einen schockierenden Verlust von 105.000 Arbeitsplätzen. Auch die Zahlen für den Spätsommer waren zu optimistisch: August und September wurden nachträglich um zusammen 33.000 Stellen nach unten korrigiert. Allein der August weist nun ein Minus von 26.000 Stellen auf.
Jerome Powell, der Vorsitzende der Federal Reserve, hat die ungewöhnliche Warnung ausgesprochen, die aktuellen Berichte mit einem „skeptischen Auge“ zu betrachten. Er und sein Stab vermuten, dass die offiziellen Zahlen das Jobwachstum immer noch massiv überzeichnen – womöglich um bis zu 60.000 Stellen pro Monat. Wir navigieren also nicht nach Karte, sondern nach Schätzungen, die auf lückenhaften Erinnerungen und verspäteten Erhebungen basieren. Diese Unsicherheit ist Gift für die Märkte und ein riskantes Spiel für eine Notenbank, die versucht, eine sanfte Landung hinzulegen, ohne in eine Rezession abzuschmieren.
Der staatliche Aderlass: Elon Musks Schatten über dem Arbeitsmarkt
Die Volatilität der jüngsten Zahlen ist kein Zufallsprodukt des Marktes, sondern das direkte Resultat einer aggressiven Regierungspolitik. Ein Großteil der Arbeitsplatzverluste im Herbst ist auf einen massiven Personalabbau im öffentlichen Dienst zurückzuführen. Allein im Oktober und November schrumpfte die Zahl der Bundesbediensteten um 168.000.
Dies ist die Exekution des politischen Willens der Trump-Administration, orchestriert durch das neu geschaffene „Department of Government Efficiency“ und den Einfluss von Elon Musk. Ein Programm für „aufgeschobene Rücktritte“ (deferred resignation), das vielen Beamten den Ausstieg schmackhaft machen sollte, lief Ende September aus. Die Konsequenz ist eine Flut von ehemaligen Staatsdienern, die nun auf den privaten Arbeitsmarkt drängen. Kevin Hassett, Direktor des National Economic Council, versucht dies positiv zu deuten: Diese Menschen seien nun „auf der Suche nach Arbeit“ und würden deshalb technisch als arbeitslos zählen, bis sie neue Rollen fänden.
Doch diese Interpretation ignoriert die Realität der Aufnahmefähigkeit des Marktes. Die Regierung feiert die „schrumpfende Bürokratie“ als Erfolg, doch ökonomisch betrachtet handelt es sich um einen Angebotsschock an Arbeitskräften in einer Phase, in der die Nachfrage der Unternehmen abkühlt. Es ist ein Experiment am offenen Herzen der Verwaltung, dessen Nebenwirkungen – steigende Arbeitslosenzahlen und sinkende Konsumsicherheit bei ehemaligen Staatsangestellten – nun in der Statistik sichtbar werden.
Die industrielle Realität: Zölle, E-Autos und die verpasste Renaissance
Ein weiteres zentrales Versprechen der „Trumponomics“ – die Wiederbelebung der amerikanischen Industrie durch protektionistische Zölle – prallt derzeit hart auf den Boden der Tatsachen. Entgegen der Rhetorik, dass Handelskriege Jobs zurückbringen würden, hat das verarbeitende Gewerbe im November erneut 5.000 Stellen verloren. Es ist der siebte Monat in Folge, in dem dieser Sektor schrumpft. Die Zölle erhöhen die Kosten für importierte Vorprodukte und schaffen Unsicherheit, die Investitionen eher hemmt als fördert.
Besonders dramatisch zeigt sich der Wandel in der Automobilindustrie, dem einstigen Stolz der amerikanischen Fertigung. Die großen Hersteller vollziehen gerade eine schmerzhafte Kehrtwende. Ford hat angekündigt, eine bilanzielle Belastung von fast 20 Milliarden Dollar hinzunehmen, um sich strategisch von reinen Elektrofahrzeugen wegzubewegen. Die Produktion in einem neuen Werk in Tennessee wird von Elektro- auf Verbrenner-Pickups umgestellt, ein geplantes E-Van-Modell wurde komplett gestrichen.
Es ist das Eingeständnis einer gigantischen Fehlkalkulation der Verbrauchernachfrage, aber auch eine Reaktion auf das Ende staatlicher Subventionen und den politischen Wind aus Washington. Ford-CEO Jim Farley nennt diesen strategischen Rückzug „China-Proofing“ – den Versuch, das Unternehmen gegen die übermächtige Konkurrenz aus Fernost abzusichern. Doch die Ironie ist unübersehbar: Um gegen China zu bestehen, zieht sich die US-Industrie ausgerechnet aus jener Technologie zurück, die die Zukunft definieren wird, und flüchtet sich in die scheinbare Sicherheit von Hybrid- und Verbrennermotoren. Währenddessen lockert sogar die EU ihre strengen Ziele für das Verbrenner-Aus 2035, was den globalen Rückzug aus der E-Mobilität weiter beschleunigt. Für den amerikanischen Arbeiter bedeutet dies vorerst keine neuen Jobs, sondern Stagnation und Unsicherheit.
Die Ränder brechen weg: Warnsignale einer sozialen Spaltung
Während die Schlagzeilen oft nur auf die Gesamtquote schielen, zeigen die Details des Arbeitsmarktberichts eine alarmierende soziale Schieflage. Die Arbeitslosigkeit ist nicht demokratisch verteilt; sie trifft die Ränder der Gesellschaft mit voller Wucht. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg der Arbeitslosenquote bei afroamerikanischen Arbeitnehmern auf 8,3 Prozent – ein Sprung von mehr als zwei Prozentpunkten seit Jahresbeginn. Historisch gesehen fungiert diese Gruppe oft als „Kanarienvogel in der Kohlemine“: Wenn hier die Zahlen steigen, folgt oft der breite Markt.
Gleichzeitig verfestigt sich das Phänomen der Langzeitarbeitslosigkeit. 1,9 Millionen Amerikaner sind nun seit sechs Monaten oder länger ohne Beschäftigung, fast eine Verdopplung gegenüber dem Stand von Anfang 2023. Wir befinden uns in einem „Low-Hire, Low-Fire“-Umfeld. Unternehmen scheuen zwar noch davor zurück, massenhaft Mitarbeiter zu entlassen (mit Ausnahme des Staates), aber sie haben ihre Einstellungstore fest verschlossen.
Wer einmal draußen ist, kommt nicht mehr rein. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von drei Monaten einen neuen Job zu finden, ist laut Umfragen der New Yorker Fed auf unter 45 Prozent gesunken – der schlechteste Wert seit Beginn der Erhebung 2013. Das Schicksal von Menschen wie Steve Beal, einem IT-Spezialisten, der trotz 300 Bewerbungen seit März keine Anstellung findet, steht stellvertretend für eine erodierende Mittelschicht. Wenn Arbeitslosigkeit von einem temporären Übergang zu einem Dauerzustand von über sechs Monaten wird, verlieren Menschen nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihre Fähigkeiten und Netzwerke. Dies ist der Stoff, aus dem langfristige soziale Unruhen gewebt sind.
Der neue Kostenschock: Wenn KI die Stromrechnung schreibt
Zu der Unsicherheit am Arbeitsmarkt gesellt sich ein neuer, schleichender Kostenschock, der die Kaufkraft der Haushalte aushöhlt. Der technologische Fortschritt, insbesondere der Ausbau der Künstlichen Intelligenz, fordert seinen Tribut in der realen Welt – und zwar an der Steckdose. Tech-Giganten investieren Milliarden in riesige Rechenzentren, um den Hunger der KI nach Rechenleistung zu stillen. Diese Anlagen verbrauchen immense Mengen an Strom; in Virginia und Texas zeichnet sich bereits ab, welche Dimensionen dies annimmt.
Das Problem: Die Kosten für den Netzausbau und die Energieerzeugung werden teilweise auf die Allgemeinheit umgelegt. Die Stromrechnungen der amerikanischen Haushalte sind im September um 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Dies ruft nun auch den Kongress auf den Plan. Demokratische Senatoren wie Elizabeth Warren und Richard Blumenthal fordern von Konzernen wie Amazon, Meta und Microsoft Aufklärung darüber, inwiefern ihre Datenzentren die Strompreise für normale Bürger in die Höhe treiben.
Diese Entwicklung ist toxisch für die Inflationsbekämpfung. Während die Preise für Energie steigen, hat sich das Lohnwachstum auf 3,5 Prozent verlangsamt – das niedrigste Niveau seit vor der Pandemie. Die Lohn-Preis-Spirale dreht sich für viele Arbeitnehmer mittlerweile rückwärts: Die Einkommen halten kaum noch mit den Lebenshaltungskosten Schritt, was den privaten Konsum, die wichtigste Säule der US-Wirtschaft, gefährdet.
Zerwürfnis im Elfenbeinturm: Die Zerrissenheit der Federal Reserve
Inmitten dieses Sturms aus widersprüchlichen Daten und strukturellen Brüchen wirkt die Federal Reserve nicht mehr wie der monolithische Anker der Stabilität, der sie einst war. Zwar senkte die Zentralbank in der vergangenen Woche den Leitzins um einen viertel Prozentpunkt, doch die Entscheidung war so umstritten wie seit Jahren nicht mehr. Drei Notenbanker verweigerten ihre Zustimmung – die höchste Zahl an Abweichlern (Dissenters) seit sechs Jahren.
Der Riss geht tief. Auf der einen Seite stehen die „Falken“, die angesichts einer Inflation, die sich hartnäckig über dem 2-Prozent-Ziel hält, vor weiteren Lockerungen warnen. Auf der anderen Seite drängen Trump-nahe Gouverneure wie Stephen Miran auf drastischere Zinssenkungen, um dem politischen Willen des Präsidenten zu entsprechen.
Diese interne Spaltung spiegelt die externe Unsicherheit wider. Die Fed weiß schlichtweg nicht, ob sie gegen eine drohende Rezession ankämpfen oder eine wiederaufflammende Inflation verhindern soll. Die „technischen Verzerrungen“ in den Daten, vor denen Powell warnt, machen jede Entscheidung zu einem Vabanquespiel. Hinzu kommt der politische Druck: Die Spekulationen darüber, wer Jerome Powell beerben könnte – der ehemalige Fed-Gouverneur Kevin Warsh hat laut Wettmärkten die besten Chancen gegenüber Trumps Berater Kevin Hassett –, politisieren die Institution zusätzlich und untergraben ihre Unabhängigkeit.
Das politische Narrativ vs. Die Realität
Es existieren derzeit zwei amerikanische Wirtschaften. Die eine findet in den sozialen Medien und Pressemitteilungen des Weißen Hauses statt. Dort wird das Schrumpfen des Staates gefeiert, und jeder Zuwachs im privaten Sektor dient als Beweis für den bevorstehenden Boom („THE BEST IS YET TO COME!“). Das Narrativ lautet: Wir bereinigen den Sumpf, und die Jobs gehen an „Amerikaner, nicht an Illegale“.
Die andere Wirtschaft ist die, die sich an den Küchentischen und in den Fabrikhallen abspielt. Hier spüren die Menschen, dass die Rechnung nicht aufgeht. Umfragen zeigen, dass die Wähler Trump zunehmend eine Mitschuld an der wirtschaftlichen Abkühlung geben. Das Argument, dass gebürtige Amerikaner nahtlos die Lücken füllen würden, die durch eine restriktive Einwanderungspolitik entstehen, wird durch die Daten nicht gedeckt. Tatsächlich fehlen in vielen Bereichen Arbeitskräfte, was das Wachstum bremst, anstatt es zu fördern. Ohne den Zustrom von Einwanderern, so warnen Ökonomen wie Diane Swonk, wäre die Arbeitslosenquote angesichts der Demografie eigentlich noch viel höher – ein paradoxer Befund, der der politischen Rhetorik diametral entgegensteht.
Auch die Hoffnung, dass die Handelskriege Arbeitsplätze schaffen, entpuppt sich bisher als Illusion. Die Fertigungsindustrie blutet aus, und die versprochene Rückverlagerung von Produktion scheitert an den realen Kosten und der Automatisierung. Wenn Logistikzentren in Pennsylvania weniger Menschen einstellen, dann liegt das nicht an fehlender Nachfrage, sondern an Robotern, die die Pakete sortieren. Gegen diese technologische Welle helfen keine Zölle und keine Mauern.
Fazit: Das Ende der Illusionen
Die Vereinigten Staaten stehen am Ende dieses Jahres vor einem beunruhigenden Paradoxon. Statistisch gesehen wächst die Privatwirtschaft noch, wenn auch langsam. Doch strukturell erodiert das Fundament. Der Staat zieht sich als Arbeitgeber rasant zurück, die Industrie kämpft mit den Folgen des Protektionismus, und eine wachsende Gruppe von Langzeitarbeitslosen droht, dauerhaft den Anschluss zu verlieren.
Die Fed steht vor einem Dilemma, das kaum lösbar scheint: Senkt sie die Zinsen weiter, um den Arbeitsmarkt zu retten, riskiert sie, die durch Zölle und Energiepreise getriebene Inflation neu zu entfachen. Tut sie nichts, könnte die „sanfte Abkühlung“ schnell in eine harte Rezession umschlagen.
Der November-Bericht mag durch den Shutdown verzerrt sein, aber er ist ein deutliches Warnsignal. Die „Nebelwand“ der fehlenden Daten hat uns lange die Sicht versperrt, doch die Konturen der Hindernisse werden nun sichtbar. Die kommenden Daten für Dezember, die im Januar erwartet werden, werden zeigen, ob der aktuelle Anstieg der Arbeitslosigkeit ein statistischer Ausreißer war – oder der Beginn einer neuen, härteren Realität unter einer Wirtschaftspolitik, die Effizienz über Stabilität stellt. Bis dahin bleibt den Amerikanern nur die Hoffnung, dass der Pilot im Cockpit weiß, was er tut, auch wenn die Instrumente widersprüchliche Signale senden.


