Hegseths mutmaßlicher Befehl: Wenn der Drogenkrieg zur systematischen Exekution von Überlebenden wird

Illustration: KI-generiert

Das blaue Wasser der Karibik, normalerweise ein Sehnsuchtsort für Touristen, hat sich in eine Todeszone verwandelt. Weit abseits der Strände, in den internationalen Gewässern zwischen Venezuela und Kolumbien, spielt sich ein Drama ab, das weit über die üblichen Katz-und-Maus-Spiele der Drogenfahndung hinausgeht. Es geht nicht mehr nur um das Abfangen von Kokain oder die Verhaftung von Schmugglern. Es geht um einen fundamentalen Bruch mit den Regeln des Krieges, um eine Entgrenzung der Gewalt, die bis in die höchsten Zirkel des Pentagons reicht. Im Zentrum dieses Sturms steht US-Verteidigungsminister Pete Hegseth und ein Vorwurf, der so schwer wiegt, dass er das moralische Fundament der westlichen Militärmacht erschüttern könnte: die systematische Exekution von Überlebenden.

Der Tag, an dem die Regeln sanken

Um die Dimension dieser Vorwürfe zu begreifen, muss man den Blick auf den 2. September richten. An diesem Tag führte das US-Militär einen Schlag gegen ein mutmaßliches Drogenschmugglerboot durch. Solche Operationen sind an sich nichts Neues; sie sind Teil einer seit langem laufenden Kampagne zur Unterbindung der Narkotika-Ströme in die USA. Doch was nach dem ersten Einschlag geschah, markiert eine dunkle Zäsur. Berichten zufolge war das Boot durch den ersten Treffer zwar manövrierunfähig gemacht worden, doch es gab Überlebende. Zwei Menschen trieben im Wasser, klammerten sich an die Trümmer ihrer Existenz. Nach geltendem Kriegs- und Seerecht waren diese Personen „hors de combat“ – kampfunfähig, schiffbrüchig und damit unter besonderem Schutz stehend.

Doch anstatt einer Rettungsmission folgte der Tod aus der Luft. Quellen, die mit dem Vorgang vertraut sind, berichten, dass Verteidigungsminister Hegseth persönlich den verbalen Befehl ausgegeben haben soll, niemanden am Leben zu lassen. Ein Kommandeur der Spezialkräfte, der die Operation vor Ort überwachte, soll daraufhin einen zweiten Schlag – einen sogenannten „Double Tap“ – angeordnet haben, um dieser Direktive zu entsprechen. Das Ziel: die totale Auslöschung. Die Überlebenden wurden getötet.

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Dieser Vorfall vom 2. September war kein isolierter Ausrutscher im Eifer des Gefechts. Er erscheint vielmehr als der Auftakt, der erste Dominostein in einer Serie von über 20 ähnlichen Angriffen, die das US-Militär seitdem in der Region durchgeführt hat. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier eine neue, blutige Norm etabliert wurde, in der das Tötungsverbot von Wehrlosen einer kompromisslosen Effizienzlogik gewichen ist.

Die juristische Alchemie des Tötens

Wie rechtfertigt eine westliche Demokratie, die sich der Rechtsstaatlichkeit verschrieben hat, ein Vorgehen, das Experten unumwunden als Kriegsverbrechen bezeichnen? Die Antwort liegt in einer Mischung aus juristischer Akrobatik und martialischer Rhetorik. Die Trump-Administration und das Pentagon argumentieren, dass man sich in einem „internationalen bewaffneten Konflikt“ mit den Drogenkartellen befinde. Indem man die Kartelle nicht als kriminelle Organisationen, sondern als „Designated Terrorist Organizations“ (ausgewiesene Terrororganisationen) klassifiziert, versucht man, die Regeln des zivilen Strafrechts auszuhebeln. Hegseth selbst verteidigte die Tödlichkeit der Schläge mit dem Argument, jeder getötete Schmuggler sei mit einer Terrororganisation verbunden.

Doch diese Argumentation steht auf tönernen Füßen. Selbst wenn man die Prämisse eines bewaffneten Konflikts akzeptiert, greifen die eisernen Regeln des humanitären Völkerrechts. Das eigene „Law of War Manual“ des US-Verteidigungsministeriums lässt hier keinen Interpretationsspielraum: Der Beschuss von Schiffbrüchigen ist verboten. Es ist eine rote Linie, die Zivilisation von Barbarei trennt. Wer nicht mehr kämpft, darf nicht mehr getötet werden. Ehemalige Militärjuristen und Analysten weisen darauf hin, dass diese Angriffe illegal sind, unabhängig davon, ob man die Zielpersonen als Zivilisten oder Kombattanten betrachtet.

Die Administration versucht jedoch, diesen Schutzschild mit einem obskuren internen Memo des Justizministeriums zu durchbrechen. Dieses Dokument soll argumentieren, dass US-Militärpersonal, das in Lateinamerika letale Aktionen durchführt, vor künftiger Strafverfolgung geschützt sei. Es ist der Versuch, einen rechtsfreien Raum zu schaffen, eine Zone der Straflosigkeit, legitimiert durch die Behauptung der „Selbstverteidigung“ gegen eine Bedrohung, die durch Drogenimporte entsteht. Präsident Trump spitzt diese Logik zu, indem er behauptet, jedes Boot sei für den Tod von 25.000 Amerikanern verantwortlich – eine Rechnung, die präventive Tötung moralisch legitimieren soll.

Das Schweigen der Bilder und der interne Aufruhr

In einem Zeitalter, in dem fast jeder militärische Schlag von hochauflösenden Kameras aufgezeichnet wird, ist das Fehlen visueller Beweise im aktuellen Fall dröhnend laut. Es gibt Berichte darüber, dass Videos existieren, die zeigen, wie sich Überlebende an Wrackteile klammern. Doch diese Aufnahmen werden unter Verschluss gehalten. Weder dem Kongress noch der Öffentlichkeit wurden Videos des zweiten, tödlichen Schlags präsentiert. Diese Intransparenz nährt den Verdacht, dass hier Beweise unterdrückt werden, die eine klare Verletzung der Einsatzregeln dokumentieren würden.

Innerhalb des Militärs, einer Institution, die auf Ehre und Disziplin fußt, regt sich jedoch Widerstand. Die Berichte über die „Kill Everyone“-Order haben zu erheblichen Erschütterungen geführt. Admiral Alvin Holsey, der Befehlshaber des Southern Command (SOUTHCOM), war offenbar so besorgt über die Legalität dieser Schläge, dass er in einem Treffen mit Hegseth und dem Generalstabschef seinen Rücktritt anbot. Dass ein hochrangiger Kommandeur bereit ist, seine Karriere zu opfern, ist ein alarmierendes Signal für die Schwere der internen Bedenken. Auch Anwälte im Pentagon, spezialisiert auf internationales Recht, haben Warnungen ausgesprochen. Es zeigt sich ein Riss, der durch die Streitkräfte geht: auf der einen Seite die politische Führung, die absolute Härte fordert, auf der anderen Seite Offiziere und Juristen, die die Integrität der Streitkräfte und die Bindung an das Recht in Gefahr sehen.

Der Kongress erwacht: Überparteiliches Entsetzen

In Washington, wo politische Grabenkämpfe zum Alltag gehören, hat das Thema eine seltene parteiübergreifende Allianz geschmiedet. Die Führer der Streitkräfteausschüsse in Repräsentantenhaus und Senat – Republikaner wie Demokraten – fordern Aufklärung. Der republikanische Abgeordnete Mike Turner, ein Mann, der nicht im Verdacht steht, weich gegenüber Kriminalität zu sein, nannte die Vorwürfe „sehr ernst“ und stimmte zu, dass ein solches Vorgehen, sollte es sich bewahrheiten, illegal wäre. Senator Tim Kaine von den Demokraten ging noch weiter und sprach offen aus, was viele denken: Sollten die Berichte stimmen, bewege man sich auf dem Terrain von Kriegsverbrechen.

Die Legislative sieht sich hier nicht nur in ihrer Kontrollfunktion herausgefordert, sondern auch in ihrem Informationsrecht beschnitten. Die Tatsache, dass die Details über den Angriff vom 2. September und die Existenz eines „Double Tap“-Befehls den Abgeordneten zunächst vorenthalten wurden, hat das Vertrauen zwischen Kapitol und Pentagon massiv beschädigt. Es ist ein Machtkampf entbrannt: Darf die Exekutive im Namen der nationalen Sicherheit das Völkerrecht umschreiben, oder behält der Kongress die Oberhand über die moralischen und legalen Leitplanken des militärischen Handelns?

Internationale Schockwellen

Die Wellen, die diese Angriffe schlagen, reichen weit über die Karibik hinaus. Großbritannien, einer der engsten Verbündeten der USA, hat drastische Konsequenzen gezogen. Das Vereinigte Königreich stellte den Austausch von Geheimdienstinformationen bezüglich Operationen in der Karibik ein. Die Begründung ist so simpel wie verheerend: Man will sich nicht mitschuldig machen. London befürchtet, dass britische Informationen für illegale Tötungen genutzt werden könnten. Dies ist ein diplomatisches Erdbeben, das zeigt, wie sehr die USA Gefahr laufen, sich durch diese aggressive Strategie international zu isolieren.

Gleichzeitig liefert das Vorgehen den Gegnern der USA Munition. In Venezuela nutzt das Regime von Nicolás Maduro die Vorfälle dankbar für die eigene Propaganda. Caracas verurteilte die Schläge scharf, sprach von Mord und warf den USA vor, durch diese Aggressionen die Region destabilisieren und letztlich einen Regimewechsel in Venezuela herbeiführen zu wollen. Die aggressive militärische Haltung der USA wird so zum politischen Bumerang: Anstatt das Regime zu schwächen, ermöglicht sie es Maduro, sich als Opfer imperialer Willkür zu inszenieren und von internen Problemen abzulenken.

Das Dementi und die Realität

Die offizielle Linie des Weißen Hauses und des Verteidigungsministers ist die der totalen Abstreitbarkeit. Pete Hegseth bezeichnete die Berichte als „fabriziert“ und „aufrührerisch“. Präsident Trump stellte sich demonstrativ vor seinen Minister, betonte sein „hundertprozentiges“ Vertrauen und erklärte, Hegseth habe ihm versichert, einen solchen Befehl nie gegeben zu haben. Trump fügte hinzu, er selbst hätte einen zweiten Schlag „nicht gewollt“.

Doch diese Dementis stehen in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis zu den Fakten vor Ort. Während man den spezifischen Befehl leugnet, rühmt man sich gleichzeitig der Effektivität und Lethalität der Kampagne. Man bestreitet das Kriegsverbrechen, verteidigt aber die Logik, die dazu führt. Trump selbst lobte die Operationen als Schutzmaßnahme für die USA und verwies auf die Drogen, die man auf den Booten sehen könne. Doch hier liegt ein weiteres, dunkles Geheimnis: Oft ist gar nicht klar, wer auf diesen Booten stirbt. Offizielle Stellen haben eingeräumt, dass die Identität der Personen an Bord vor den Angriffen oft unbekannt ist. Man schießt auf Verdacht, tötet Unbekannte und erklärt sie postum zu Terroristen.

Ein Präzedenzfall für die Zukunft?

Was in der Karibik geschieht, ist mehr als eine aggressive Drogenpolitik. Es ist ein Experimentierfeld für die Ausweitung militärischer Gewalt in Bereiche, die traditionell der Strafverfolgung vorbehalten waren. Wenn der Verdacht auf Drogenhandel ausreicht, um Menschen ohne Prozess, ohne Identifikation und sogar nach ihrer Kampfunfähigkeit zu exekutieren, dann sind die Grenzen des Rechtsstaats nicht nur überschritten, sondern ausgelöscht.

Die langfristigen Folgen für die Moral der Truppe sind kaum abzusehen. Soldaten werden darauf trainiert, Feinde zu bekämpfen, aber auch, die Regeln des Krieges zu achten. Wenn diese Regeln durch politische Befehle außer Kraft gesetzt werden, droht eine Erosion der militärischen Ethik, die weit über die Amtszeit eines Verteidigungsministers hinauswirkt. Der Senator und ehemalige Navy-Captain Mark Kelly brachte es auf den Punkt: „Wir sind nicht Russland. Wir sind nicht China.“ Doch die Ereignisse vom 2. September lassen Zweifel aufkommen, ob diese Unterscheidung in den Gewässern der Karibik noch gilt.

Die Untersuchungsausschüsse des Kongresses haben nun die schwere Aufgabe, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Sie müssen klären, ob der Befehl zur Tötung der Überlebenden tatsächlich gegeben wurde und ob dies Teil einer systematischen Strategie ist. Sollte sich der Verdacht bestätigen, steht nicht nur das Schicksal von Pete Hegseth auf dem Spiel. Es geht um die Frage, ob die USA bereit sind, ihre eigenen Werte im Namen der Sicherheit zu opfern – und ob der „Krieg gegen die Drogen“ endgültig zu einem Krieg ohne Regeln geworden ist. Die Karibik, einst Symbol für Freiheit und Schönheit, droht zum Friedhof des Völkerrechts zu werden.

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